Titel: Ueber die Anwendung der Dialyse zur gerichtlich-chemischen Ausmittelung der arsenigen Säure; von L. A. Buchner.
Fundstelle: Band 166, Jahrgang 1862, Nr. XXXV., S. 144
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XXXV. Ueber die Anwendung der Dialyse zur gerichtlich-chemischen Ausmittelung der arsenigen Säure; von L. A. Buchner. Aus Buchner's neuem Repertorium für Pharmacie, Bd. XI S. 289. Buchner, übe die Anwendung der Dialyse zur gerichtlich-chemischen Ausmittelung der arsenigen Säure. Graham sagt schon in seiner ausgezeichneten Abhandlung über die Anwendung der Diffusion der Flüssigkeiten zur AnalyseAnnalen der Chemie und Pharmacie, Bd. CXXI S. 1; im Auszuge im polytechn. Journal Bd. CLXII S. 223., daß sich die Dialyse, d.h. die mittelst Diffusion durch eine Scheidewand von gallertartiger Substanz (Pergamentpapier) bewirkte Scheidung der Krystalloidsubstanzen von amorphen Stoffen (Colloidsubstanzen), mit Vortheil anwenden lasse, um arsenige Säure und Metallsalze, auch Strychnin, überhaupt alle löslichen Gifte, von Lösungen amorpher organischer Substanzen bei gerichtlich-chemischen Untersuchungen zu scheiden. Er erwähnt mit Recht, daß dieses Verfahren den Vortheil habe, daß keine metallische Substanz, kein chemisches Reagens irgend einer Art zu der die organischen Substanzen enthaltenden Flüssigkeit gebracht wird. Die von Graham beschriebene Vorrichtung, um dieses Verfahren in Anwendung zu bringen, ist äußerst einfach. Man gießt die die organischen Substanzen enthaltende Flüssigkeit 1/2 Zoll hoch in einen Dialysator, welcher aus einem 10 bis 12 Zoll im Durchmesser habenden, mit Pergamentpapier bespannten Reif aus Gutta-percha besteht. Den Dialysator läßt man dann in einem größeren Gefäße schwimmen, welches ein etwa vierfach größeres Volum Wasser enthält, als das Volum der Flüssigkeit in dem Dialysator beträgt. Nach vierundzwanzig Stunden findet man das äußere Wasser in dem größeren Gefäße im Allgemeinen farblos; nach dem Concentriren desselben durch Eindampfen kann man zur Anwendung der geeigneten Reagentien, um das Metall aus der Lösung zu fällen und abzuscheiden, schreiten. Die Hälfte bis drei Viertel der in der auch organische Substanzen enthaltenden Flüssigkeit gewesenen diffusibelen Krystalloidsubstanzen finden sich, wie sich Graham überzeugt hat, im Allgemeinen in dem äußeren Wasser. Graham beschreibt mehrere Versuche, bei welchen verschiedene organische Substanzen, wie Eiweiß, Milch, Leim, Porter, defibrinirtes Blut, thierische Eingeweide etc. mit kleinen Mengen arseniger Säure sowie auch mit Brechweinstein und Strychnin (in salzsaurem Wasser gelöst) versetzt wurden und welche beweisen, daß sich die Dialyse zu allgemeiner Anwendung für die Darstellung einer Flüssigkeit eignet, welche mittelst chemischer Reagentien auf ein unorganisches oder organisches Gift zu prüfen ist. Zu diesen Versuchen wurde im Allgemeinen ein 4zölliger, glockenförmiger gläserner, in Wasser hängender oder darin auf einem Gestelle ruhender Dialysator angewendet, dessen Scheidewand eine Fläche von 16 Quadratzoll oder etwa 1/100 Quadratmeter hat. Das Volum der in den Dialysator gebrachten Flüssigkeit betrug 50 Kub. Cent. und bildete also im Dialysator eine 5 Millimeter oder etwa 0,2'' tiefe Schichte. Das Volum des äußeren Wassers (im größeren Gefäße) betrug nicht weniger als 1 Liter, oder das Mache von dem Volum der Flüssigkeit im Dialysator. Es ist mir nicht bekannt, ob diese sinnreiche Graham'sche Methode schon von Anderen in gerichtlich-chemischen Fällen selbst benützt wurde, aber meine eigenen zahlreichen gerichtlich-chemischen Untersuchungen gaben mir Gelegenheit genug, mich von der Vortrefflichkeit derselben überzeugen zu können. Ich will von meinen Erfahrungen nur ein Paar mittheilen, um zu beweisen, wie sehr das Graham'sche Verfahren zur Ausmittelung der arsenigen Säure in den Flüssigkeiten und Eingeweiden der damit vergifteten Individuen geeignet ist: Im vergangenen Frühjahre giengen auf einem kleinen Landgute mehrere Hühner zu Grunde, und da der Verdacht rege wurde, daß diese Thiere vergiftet worden seyen, so schickte der Untersuchungsrichter die Eingeweide von zweien derselben zur chemischen Untersuchung. Nachdem bei genauer Besichtigung des aus Gerstenkörnern und Kieselsteinchen bestehenden Mageninhaltes keine weißen Körnchen von arseniger Säure wahrgenommen werden konnten, wurden die Gedärme des einen Huhnes zerschnitten, mit Wasser, welches mit Salzsäure angesäuert worden war, angerührt und in den Dialysator gegeben. Nach Verlauf von 24 Stunden war durch das Pergamentpapier hindurch nebst Salzsäure schon so viel arsenige Säure in das vorgeschlagene Wasser übergegangen, daß Schwefelwasserstoff darin einen gelben Niederschlag von reinem Dreifach-Schwefelarsen hervorbrachte. Das vorgeschlagene Wasser wurde täglich durch neues ersetzt und jedesmal mit Schwefelwasserstoff geprüft. Es dauerte länger als 8 Tage, bis dieses Reagens keine Trübung sondern nur mehr eine gelbliche Färbung hervorbrachte. Die Menge des nach dieser Zeit aus dem vereinigten Wasser ausgefällten Schwefelarseniks betrug 2,932 Grane, was 2,352 Granen arseniger Säure entspricht. Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß dieß nicht die ganze, sondern nur die größere Menge der im Darmcanal des einen Huhnes enthaltenen arsenigen Säure ist. Kropf und Magen der beiden Hühner enthielten übrigens, wie die Destillation mit Salzsäure zeigte, nur mehr höchst wenig arsenige Säure. Einige Wochen nach dieser Untersuchung erhielt ich von demselben Untersuchungsrichter Theile von der Leiche einer Frauensperson, welche am 19. März d. J. sich eines von den auf diesem kleinen Landgute gefallenen Hühnern, nicht ahnend, daß diese Thiere durch Gift zu Grunde gegangen seyen, zurichtete und davon einen Theil verzehrte, worauf sie sehr krank wurde und am 29. April starb. Zwischen dem Genusse des Huhnes und dem Tode liegt also ein Zeitraum von 41 Tagen. Da unter diesen Umständen vermuthet werden durfte, daß alles Gift in das Blut und dadurch in die zweiten Wege übergegangen sey, so bestimmte der die Obduction vornehmende Gerichtsarzt, daß nicht der Magen und Darmcanal, sondern nur etwas geronnenes Blut aus der rechten Herzkammer und Stücke von den beiden Lungenflügeln zur chemischen Untersuchung überschickt werden. Die Leber konnte also von mir nicht geprüft werden. Ich erwärmte einen Theil des Blutgerinnsels aus dem Herzen und einen Theil der zerschnittenen Lungenstücke mit Wasser, welchem ich etwas Aetzkali zusetzte, um das Ganze flüssig zu machen. Die alkalische Flüssigkeit wurde hierauf in den Dialysator gegossen. Nach einigen Tagen wurde das vorgeschlagene Wasser mit Salzsäure angesäuert und mit Schwefelwasserstoffgas gesättiget, hierauf mehrere Stunden hindurch an einem mäßig warmen Orte sich selbst überlassen. Der binnen dieser Zeit gebildete geringe Schwefelniederschlag wurde durch concentrirte Salpetersäure oxydirt, worauf man die überschüssige Säure verdampfen ließ und den mit reiner Schwefelsäure versetzten Rückstand nach dem Marsh'schen Verfahren prüfte. Das Resultat dieser Prüfung war ein in der glühenden Röhre allmählich entstehender, zwar schwacher aber doch ganz deutlicher glänzender Arsenspiegel. Es versteht sich wohl von selbst, daß hier von einer quantitativen Bestimmung des Arseniks keine Rede seyn konnte. Uebrigens war auch dießmal nicht alle arsenige Säure durch das Pergamentpapier hindurchgegangen, denn als der alkalische Rückstand im Dialysator mit Salpetersäure neutralisirt und noch mit etwas Salpeter versetzt, eingetrocknet und in einen glühenden Tiegel eingetragen, hierauf die verpuffte Masse mit überschüssiger reiner Schwefelsäure erhitzt und nach dem Verdünnen mit Wasser nach dem Marsh'schen Verfahren geprüft wurde, erhielt man in der glühenden Röhre noch einen nach einiger Zeit sichtbar werdenden geringen Anflug von Arsenik. Obige Untersuchung spricht nicht nur für die große Tauglichkeit der Dialyse zur Ausziehung der arsenigen Säure aus Organen und aus dem Blute, selbst wenn ihre Menge nur eine höchst geringe ist, sondern sie beweist auch wieder, wie lange dieses Gift, wenn es einmal in das Blut übergegangen ist, zur vollkommenen Ausscheidung aus dem Organismus, braucht. Einundvierzig Tage, welche vom Genusse des mit arseniger Säure vergifteten Huhnes an bis zum Tode der Person verstrichen, waren nämlich trotz der inzwischen häufig stattgehabten Entleerungen nicht hinreichend alles Gift aus dem Körper zu entfernen, obwohl die Person sicherlich nur wenig arsenige Säure mit dem verzehrten Huhne in den Leib bekam. Es muß nämlich angenommen werden, daß bei der Zubereitung des Huhnes die Gedärme und damit auch der größte Theil des Giftes entfernt wurden, und daß somit die fragliche Person nur von der in's Blut des Huhnes übergegangenen arsenigen Säure vergiftet wurde. Ich habe mich noch öfter der Dialyse mit Vortheil zur gerichtlichchemischen Ausmittelung der arsenigen Säure bedient, so erst jüngst wieder bei der Untersuchung der Eingeweide und des Mageninhaltes einer an allen Symptomen einer Arsenikvergiftung verstorbenen Person. Der flüssige Mageninhalt zeigte am Grunde mehrere Quecksilberkügelchen und außerdem schwarzgraue glänzende Theilchen, welche die nähere Untersuchung als metallisches Arsenik erkannte, weßhalb angenommen werden muß, daß die Vergiftung mit Fliegenstein geschah. Dieser Mageninhalt ließ bei der Dialyse während weniger Tage so viel arsenige Säure durch das Pergamentpapier hindurchgehen, daß aus dem vorgeschlagenen Wasser 1,200 Gran Schwefelarsenik gefällt wurde, was 0,966, also nahezu einem Gran arseniger Säure entspricht. Ich bediene mich zu meinen dialytischen Versuchen weitmündiger sogenannter Zuckergläser, wie man solche zum Aufbewahren eingemachter Früchte zu benützen pflegt. Der Boden dieser Gläser wird abgesprengt, damit man die zu untersuchende Flüssigkeit hineingießen kann; die nach abwärts gekehrte Mündung aber ist mit befeuchtetem Pergamentpapier bespannt, dessen Durchmesser um ein Paar Zolle größer als jener der Glasmündung ist, so daß man das Papier noch über die Mündung des Gefäßes emporstülpen kann, worauf es unten an der Mündung und oben mit Bindfaden befestigt wird. Dieser Dialysator wird dann mit der zu untersuchenden Flüssigkeit in eine Schale gestellt, welche so viel Wasser enthält, daß dieses wenige Linien über die verschlossene Mündung des Dialysators emporragt. Die Dialyse bietet bei ihrer Anwendung zu gerichtlich-chemischen Untersuchungen noch den Vortheil dar, daß die zu untersuchenden Gegenstände nicht weiter verändert werden und deßhalb noch zu jedem anderen Versuche, den man damit vornehmen will, benützt werden können.