Titel: Neues Beispiel einer Gährung, welche durch Infusionsthierchen bewirkt wird, die ohne freien Sauerstoff und ohne jede Berührung mit der Atmosphäre leben können; von L. Pasteur.
Fundstelle: Band 170, Jahrgang 1863, Nr. XLIII., S. 142
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XLIII. Neues Beispiel einer Gährung, welche durch Infusionsthierchen bewirkt wird, die ohne freien Sauerstoff und ohne jede Berührung mit der Atmosphäre leben können; von L. Pasteur. Aus den Comptes rendus, t. LVI p. 416. Pasteur, über gährungerregende Infusionsthierchen, welche ohne freien Sauerstoff leben. Schon früher (polytechn. Journal Bd. CLXV S. 292) habe ich mitgetheilt, daß es Infusionsthierchen gibt, welche einerseits ohne freien Sauerstoff leben können, andererseits als Fermente fungiren. Es war dieß das erste Beispiel von animalischen Fermenten und zugleich von Thieren, welche leben und sich vermehren können ohne die geringste Berührung mit der Luft im gasförmigen oder im Wasser gelösten Zustande. Die Infusionsthierchen, von denen ich sprach, bilden das Ferment der Buttersäure-Gährung. Man nahm bisher an, daß diese Gährung hervorgerufen würde durch stickstoffhaltige Substanzen, welche in Berührung mit Zucker oder Milchsäure sich zersetzen und diese Zersetzung auf den Zucker oder die Milchsäure mit übertrügen. Ich glaube gezeigt zu haben, daß diese Theorie, welche man auf alle echte Gährungserscheinungen übertragen hatte, nicht ferner zulässig ist, daß keine einzige eiweißartige Substanz jemals zu einem Fermente werden kann, daß z.B. das Buttersäure-Ferment ein organisirtes Wesen ist, dessen Keime aus der Luft zugeführt werden, oder schon in den gährenden Substanzen sich befinden, indem sie mit dem Staube darauf gefallen sind. Gegenwärtig kann ich ein neues Beispiel für meine Behauptung vorführen, daß nämlich die Gährung des weinsauren Kalkes ebenfalls durch ein Infusionsthierchen bewirkt wird, das ohne freien Sauerstoff leben kann, aber von jenen:, welches die Buttersäure-Gährung hervorruft, ganz verschieden ist. Ich brachte weinsauren Kalk, gemischt mit einigen Tausendtheilen von phosphorsaurem Ammoniak und anderen Alkalien und Erden, unter Wasser.Ich ziehe es vor, statt jener Salze die Asche ähnlich organisirter Geschöpfe zu nehmen um kein ihnen nothwendiges Sah zu vergessen. Das Gefäß ist ein Gläschen mit ebenem Boden, dessen fein ausgezogener Hals umgebogen und vorn zu einem Kügelchen aufgeblasen ist. Das Gläschen wurde nach Einführung des Kalksalzes mit reinem Wasser gefüllt und dann aufgekocht, während der Hals in ein anderes, ebenfalls mit kochendem reinen Wasser gefülltes Gefäß tauchte. Auf diese Weise wird alle im Wasser gelöste Luft entfernt. Hierauf wurde die Oberfläche des Wassers in dem zweiten Gefäße mit einer hohen Schicht Oel bedeckt und das Ganze 24 Stunden zum Abkühlen stehen gelassen. Unter diesen Umständen konnte nicht die geringste Gährung des weinsauren Kalkes beobachtet werden. Sobald aber eine sehr kleine Menge von Infusorien, welche von einer freiwilligen Gährung desselben Salzes stammten, in das Gläschen gebracht wurden, vermehrten sich die Infusorien nach und nach in dem Kalksalze, welches in demselben Maaße verschwand, ohne daß die geringste Menge zurückblieb und ohne daß die Atmosphäre auch nur einen Augenblick mit dem Inhalte des Gläschens communicirt hätte. An Stelle des Kalkes entstandenstand eine Anhäufung von Infusorienleichen, welche etwa 1/1000 Millimeter im Durchmesser hatten, deren Länge aber verschieden war; sie stieg bis zu 1/20 eines Millimeters. Die Vermehrung geschieht durch Theilung. Die Gährung des weinsauren Kalkes ist an die Gegenwart dieses Infusoriums geknüpft, mag die innerste Veranlassung derselben seyn welche sie wolle. Die getroffenen Vorsichtsmaßregeln waren so vollständig, daß keinerlei Berührung mit der atmosphärischen Luft stattfinden konnte. Läßt man das Wasser nicht aufkochen, so daß die darin gelöste Luft nicht entfernt wird, so tritt nach wenigen Tagen eine freiwillige Gährung ein; es findet sich eine große Menge von Infusorien in der Flüssigkeit, ohne eine Spur von freiem Sauerstoff. Man beobachtet hierbei stets folgenden Vorgang. Es entwickeln sich zuerst die kleinsten Infusorienarten, Monas, Bacterium, Termo etc., in dem lufthaltigen, destillirten Wasser, da es Spuren von Ammoniak, von Phosphaten und von weinsaurem Kalk enthält, bis die letzte Spur von Sauerstoff, den das Wasser gelöst enthält, verschwunden und an seine Stelle eine etwas größere Menge Kohlensäure getreten ist. Diese Veränderung geschieht in 24, höchstens 36 Stunden bei einer Temperatur von 25–30° C. (20–24° R.) Erst dann erschienen die Ferment-Infusorien welche keines freien Sauerstoffs zu ihrem Leben bedürfen, die sogar im freien Sauerstoff zu Grunde gehen. Es findet hier eine Generationsfolge statt, deren erstere den freien Sauerstoff absorbiren. Diese Erscheinung ist, wie ich später zeigen werde, eine sehr allgemeine. Man begreift aus diesen Beobachtungen leicht, wie die Gährung des unter Wasser befindlichen weinsauren Kalkes an der Luft vor sich geht. An der Oberfläche und in den oberen Schichten der Flüssigkeit entwickeln sich diejenigen Infusorien, welche den freien Sauerstoff aufnehmen, während in den tieferen Schichten diejenigen entstehen, welche keines freien Sauerstoffs bedürfen, dagegen aber den weinsauren Kalk zersetzen. Ich habe oben erwähnt, daß die älteren Theorien annehmen, daß ohne Gegenwart eiweißartiger Substanzen keine Gährung stattfinden könnte, daß man diese selbst für die wahren Fermente hielt. Wenn ich meinerseits auch nicht die Nothwendigkeit der Gegenwart dieser Substanzen anerkennen kann, so gestehe ich doch ihren Nutzen zu, da sie den wirklichen Fermenten, welche nicht ohne Stickstoff und Phosphate bestehen können, diese Nahrungsstoffe zuführen. Aber man kann die eiweißartigen Substanzen vollständig ersetzen durch Ammoniaksalze und phosphorsaure Salze der Alkalien und Erden. Aus den von mir angestellten Versuchen erhellt unter anderem, daß der weinsaure Kalk die einzige bei der Gährung gegenwärtige Substanz ist, welche den Infusorien den ihnen zu ihrer Entwickelung nöthigen Kohlenstoff lieferte. Es findet, wenn man von Hypothesen absieht, offenbar eine Ernährung der Infusorien auf Kosten der nährenden Substanz statt; und, so lange das Infusorium lebt, geht eine Wanderung der Materie von der gährenden Substanz zum Gährungserreger vor sich. Die Annahme einer katalitischen oder Contact-Wirkung ist fernerhin nicht mehr zulässig. Dennoch kann die Thatsache, daß das Ferment auf Kosten der gährenden Substanz lebt, noch nicht erklären, warum die Infusorien als Fermente wirken. Wir wissen sogar, daß die gewöhnlichen Erscheinungen bei der Ernährung der Pflanzen und Thiere mit der echten Gährung keine Aehnlichkeit haben. Aber es ist wohl zu beachten, daß diese Ferment-Infusorien eine physiologische Eigenthümlichkeit darbieten, die bisher unbekannt war, daß sie ohne die Gegenwart von freiem Sauerstoff leben und sich vermehren. Hierin liegt sicherlich das Geheimniß aller eigentlichen Gährungserscheinungen und vielleicht mancher anderen normalen oder anormalen Vorgänge im lebenden Organismus verborgen. Man kann jetzt mit Bestimmtheit sagen, daß es unter den niederen Classen des Pflanzen- und Thierreichs zwei Arten von Geschöpfen gibt: solche, welche zu ihrem Leben des freien Sauerstoffs bedürfen, und solche, bei denen dieß nicht der Fall ist; letztere wirken stets als Fermente. Die hier mitgetheilten Untersuchungen beziehen sich nur auf den rechtsdrehenden weinsauren Kalk; spätere Mittheilungen werden sich auf den linksdrehenden, den indifferenten und den paraweinsauren erstrecken.