Titel: Beiträge zur Kenntniß der Wolle und ihrer Bestandtheile; von Dr. Hermann Grothe.
Fundstelle: Band 170, Jahrgang 1863, Nr. CII., S. 384
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CII. Beiträge zur Kenntniß der Wolle und ihrer Bestandtheile; von Dr. Hermann Grothe. Aus dem Journal für praktische Chemie, 1863, Bd. LXXXIX S. 420. Grothe, Beiträge zur Kenntniß der Wolle und ihrer Bestandtheile. Ueber den Schwefelgehalt der Wolle besitzen wir wenig Arbeiten eingehender Natur. Chevreul Chevreul, über die Zusammensetzung der Wolle, aus den Comptes rendus (1840) im polytechn. Journal Bd. LXXVII S. 128. – Schloßberger, Chemie der Gewebe des Tierreichs, S. 281. – v. Gorup-Besanez, Chemie Bd. III S. 145. ist fast der einzige, der sich nicht darauf beschränkte nur den Schwefelgehalt mittelst der Elementaranalyse zu bestimmen, sondern Versuche anstellte zur Erörterung der Fragen: „ob der Schwefelgehalt der Wolle zur Organisation der Faser nothwendig sey,“ und „ob der Schwefel in der ganzen Faser vertheilt sey.“ Er zeigte, daß der Schwefel nicht absolut nöthig sey zur Constitution der Wollfaser, indem die Faser nach der Entschwefelung die Structur nicht verliere, und vermuthete, daß der Schwefel der Wolle in einem anderen, dem eigentlichen Horngewebe nur beigemengten Körper enthalten sey. Diese Versuche Chevreul's und die daraus aufgestellten Resultate erregen zuerst zwei Bedenken, welche Gegenstand einiger Untersuchungen meinerseits geworden sind: 1) Ist es möglich, die Wolle vollständig zu entschwefeln, ohne ihre Structur zu vernichten? 2) Ist es wahr, daß der Schwefel in einem dem eigenthümlichen Hornkörper der Wollfasern beigemengten Körper enthalten ist? Zur Beleuchtung der ersten Frage will ich gleich anfangs anführen, daß nach der vollständigen Entschwefelung der Wolle, die Chevreul durch 28 malige Behandlung derselben mit 1/5 ihres Gewichtes Kalk und 40 Theilen Wasser veranlaßte, die Wolle ihre Festigkeit der Fasern ganz verlor; die Fasern erschienen jetzt plattgedrückt, an den Rändern zerrissen und mit Längsstreifen versehen. Chevreul unterlies es auch, die entschwefelten Haare und die schwefelhaltigen Producte aus ihnen zu untersuchen. Somit folgt daraus auch keine Gewißheit, daß die Haare vollständig entschwefelt waren. Frühere Untersucher haben die Behauptung ausgesprochen, daß schon beim Kochen mit Wasser der Wolle Schwefel entzogen werde. Das ist allerdings richtig, sobald man gewöhnliches Fluß- oder Brunnenwasser dazu verwendet, welches stets alkalische Salze, Metallsalze etc. enthält, wenn auch in ganz geringen Mengen. Mit destillirtem Wasser ist es jedoch unmöglich, den Wollen, wie sie vom Schaf nach der Wäsche mit kaltem Wasser und gründlicher Reinigung ohne starke Laugen vorkommen, Schwefel zu entziehen. Beim Kochen der Wolle mit Wasser soll sich nämlich Schwefelwasserstoff bilden; beim Kochen der Wolle mit destillirtem Wasser ist diese Schwefelwasserstoffentwickelung nicht nachweisbar, noch ein Schwefelverlust der Wolle auf analytischem Wege zu ersehen. Bei Zunahme des Gehaltes an alkalischen Salzen im Wasser wird natürlich die Schwefelentziehung in den damit gekochten Wollen um so größer, als das Wasser mehr von den Salzen enthält. Den höchsten Grad der Schwefelentziehung erreicht man, wenn man die Wolle in kochende Lösung von Aetzkali einträgt, und, nachdem die Auflösung der Wolle in der sehr starken Kalilösung begonnen hat und etwas vorgeschritten ist, concentrirte Essigsäure (auch Weinsäure, Citronensäure) hinzufügt. Das sich entwickelnde Schwefelwasserstoffgas kann man in ein Gefäß mit Metallsalzlösung, z.B. mit Kupfervitriollösung, leiten und eine ziemlich starke Schwefelmetallbildung beobachten. Durch mehrere Male erneuten Zusatz voll Essigsäure und Aetzkalilösung kann man die Schwefelwasserstoffentwickelung von neuem erregen, bis endlich dieser Proceß aufhört. Setzt man dann zu der Flüssigkeit kaltes Wasser, so fällt ein schlammiger Niederschlag zu Boden, der auf dem Filter gesammelt, tüchtig mit heißem und kaltem Wasser ausgewaschen, doch noch Schwefelgehalt zeigt, wenn auch in geringer Menge: 0,3–0,4 Proc. Man erkennt den Schwefelgehalt in diesem Rückstande noch bei der Verbrennung desselben, an dem sich entwickelnden Geruch nach Schwefelkohlenstoff. Die durch das entwickelte Schwefelwasserstoffgas gebildeten Schwefelmetalle repräsentiren jedoch keineswegs den Schwefelgehalt der Wolle abzüglich der im Rückstande verbliebenen Schwefelmenge, sondern, abgerechnet den Verlust durch Entweichen, hat sich ein Theil des Schwefels mit dem Kali der Lösung zu Schwefelkalium verbunden. Um die Wirkung der einzelnen Alkalien auf den Schwefel zu prüfen, stellte ich eine Reihe von Versuchen an, welche ich hier zum Theil wiedergeben will. Ich verwendete zu diesen Versuchen ein und dieselbe Wollsorte, deren Schwefelgehalt ich zuvor durch Elementaranalyse festgestellt hatte auf 2,2, wandte die Lösungen der Salze in gleichem Volumen und verhältnißmäßiger Concentration an, und fügte stets ein gleiches Quantum Säure hinzu. Durch destillirtes Wasser erhielt ichkohlensaures Natron   „    „kohlens. Ammoniak    „    „Aetznatron                 „    „Aetzkali                     „    „ 0,0 S.0,6 „0,4 „1,2 „1,5 „ aus 100 Thln. Wolle. Indem ich noch mehrere andere Wollen meinen Versuchen zu Grunde legte, erhielt ich ganz verschiedene Resultate, deren Grund im Folgenden hinreichend beleuchtet wird. Die Analytiker differiren in ihren Angaben über den Schwefelgehalt der Wolle wesentlich. Chevreul gibt an 1,78 Procent, v. Bibra 0,8–0,9 Proc. Mulder erhielt etwas mehr und Scheerer übernahm die Schwefelmenge, welche Chevreul fand. An diesen Differenzen tragen zu Folge meiner Versuche folgende Punkte die Schuld: 1) die Analytiker hatten zu ihren Analysen ganz verschiedene Wollsorten; 2) die Analytiker trockneten die Versuchsproben bei verschiedenen Temperaturgraden. Für den ersten Punkt sprechen die Resultate vieler Untersuchungen, welche nachweisen, daß die klimatischen Verhältnisse, die Nahrung und Pflege des Thieres, endlich noch der Standort des Haares auf dem Körper von Einfluß sind auf die Bestandtheile der Haare. Für den zweiten Punkt aber entscheidet die Angabe der Analytiker selbst, welche verschiedene Temperaturen einhielten. Sodann aber zeigt die große Hygroskopicität darauf hin, besonders das Trocknen der Wolle bei höherem Grade vorzunehmen, und wieder die Constitution der Wolle keinen zu hohen Grad der Temperatur zum Trocknen zu benutzen, da bei 120° C., oft schon etwas früher, Schwefelkohlenstoffentwickelung aus der Wolle beginnt, somit von vornherein ein Verlust an Schwefel stattfindet. Andererseits aber verursacht ein Trocknen bei zu geringer Temperatur bei der Wägung der Wolle Fehler durch die Hygroskopicität der Wolle. Fast jede Wolle enthält in gewöhnlichem Zustande 13–16 Proc. Feuchtigkeit, nach Maumené sogar 15 Proc., und ein Trocknen an der Luft entfernt davon nur etwa im günstigen Falle 6–7 Proc., zumal man beim Trocknen der Wolle directes Sonnenlicht zu vermeiden hat. Dagegen zieht die Wolle aus feuchter Luft schnell einen sehr bedeutenden Feuchtigkeitsgehalt an. Bei Prüfungen dieser Art erhielt ich eine Feuchtigkeitsaufnahme von 0,5 Procent in 24 Stunden, in einem anderen Falle 0,3 Proc. und im dritten Falle 0,5 Proc. Daraus resultirt eine Feuchtigkeitsaufnahme pro St. = 0,02 Proc. Ich trocknete die Wolle vor der Wägung zu den Analysen bei 110° C., weil bei dieser Temperatur der ganze hygroskopische Feuchtigkeitsgehalt entfernt, aber durch Zersetzung in Folge der Wärmewirkung kein anderer Bestandtheil der Wolle entzogen wird. Zur Analyse bediente ich mich außer der Liebig'schen Methode noch der mit schwefelfreiem Natron und Salpeter, Salzsäure, Chlorbaryum etc. In nachstehender Tabelle führe ich aus der großen Anzahl meiner Versuche nur die an, welche die differirendsten Resultate lieferten. Untersuchung: Wollsorte. 1. 2. 3. Bezugsquelle. Haidschnucke 3,2 3,4 3,0 Fr. Grothe, Salzwedel Englische Wolle, 30r CC 2,3 2,4 2,0 William Herz, Breadfort.       „            „      30r X 2,5 2,5 2,4 William Herz, Breadfort. Wollsorte. 1. 2. 3. Bezugsquelle. Alpaca, weiß 3,1 2,6 2,8 Gerhardt und Hay, Leipzig. Vicunna 1,9 1,3 1,7 Eduard Weber, Berlin. Streichwolle, 6 Stck.       2,7 2,4 2,5 Hubert Alt, Montjoie.         „           10 Stck. 1,9 2,1 2,0 Hermes u. Hey, Berlin. Kammwolle, FF 1,6 1,8 1,8 Lesser, Berlin. Man ersieht aus diesen Resultaten, wie sehr der Schwefelgehalt in den einzelnen Wollen schwankt. Als mittlerer Werth resultirt meinen Versuchen ein Schwefelgehalt von 2,31 Procent. Der Werth, den Chevreul fand, kommt demselben am nächsten, besonders wenn man die Bemerkung Schloßbergers Schloßberger, Chemie der Gewebe etc. 281. berücksichtigt, daß Chevreul seinen Werth mit Hülfe der ungenauen Methode mit NO⁵ gefunden habe, bei welcher sich bekanntlich etwas Unterschwefelsäure etc. bildet. Der Werth v. Bibra's ist mir am unerklärlichsten, denn in keinem Falle, selbst bei den zartesten und feinsten Wollen, konnte ich einen niedrigeren Werth des Schwefelgehaltes als 1,3 Proc. erhalten. Im Allgemeinen scheint auch der Schwefelgehalt mit der Stärke und der Kräuselung der Wollhaare in einem Verhältniß zu stehen, und greift man weiter, so kann man dieß Verhältniß an anderen Haaren weiter verfolgen. Nach Feststellung des eigentlichen Schwefelgehaltes der betreffenden Wolle kann man bei Entschwefelungsversuchen schon von vornherein einen ziemlich sicheren Schluß machen auf den Grad der Entschwefelung. Aus den vorher angeführten Erörterungen, Versuchen und Untersuchungen folgen über die sub 1 aufgeworfene Frage die Antworten: a) Die Entschwefelung der Wolle ist durch Alkalien möglich, jedoch ohne Aufgabe der Structurverhältnisse der Faser nur bis zu einem gewissen Punkte der Schwefelentziehung. b) Vollständige Entschwefelung der Wolle ist nur möglich unter Anwendung von Alkalien und durch vollständige Zerstörung der Fasern. Auch dann noch bleibt ein kleiner Schwefelantheil in dem Rückstande übrig. Knüpfen wir daran gleich eine Beleuchtung der zweiten Frage: ob der Schwefel mit einem dem eigentlichen Hornkörper beigemengten Körper verbunden sey? Wenn nach dem Vorhergehenden zur gänzlichen oder möglichst vollständigen Entschwefelung der Wolle die Zerstörung der Faser nöthig ist, so folgt Wohl mit einiger Gewißheit daraus, daß dem eigentlichen Hornkörper Schwefel beiwohnt, während wieder ein anderer Theil des Schwefelgehaltes jener Frage gemäß einem dem eigentlichen Hornkörper nur beigemengten Körper zuzuschreiben ist. Es tritt nämlich bei den Untersuchungen die Erscheinung lebhaft ins Auge, daß ein Theil des Schwefels schon durch gelinde wirkende Agentien der Wolle entzogen wird, und diesen Theil schreibe ich auf Rechnung des beigegebenen fremden Körpers, während jener nicht durch die stärksten Agentien zu entfernende Schwefel dem eigentlichen Hornkörper innig verbunden seyn wird. – Somit würde die zweite Frage nach beiden Seiten hin beantwortet seyn. Für die Annahme eines Schwefelantheils, der mit dem dem eigentlichen Hornkörper beigemengten Körper verbunden ist, spricht noch die Thatsache, daß ebenso leicht, wie ein Antheil des Schwefels durch Agentien der Wolle entzogen werden kann, auch die Wolle ihr dargebotenen Schwefel aufnehmen kann. Der dem eigentlichen Hornkörper beigemengte Körper, welcher den Schwefel bindet, scheint der Farbstoff der Wolle zu seyn. Dieß geht aus dem eigenthümlichen Verhalten desselben schwefliger Säure gegenüber hervor, indem, wie auch Leuchs Polytechn. Journal Bd. CLVII S. 134. und Dr. Weber nach zahlreichen Versuchen behaupten, der Bleichproceß der Wolle mittelst schwefliger Säure darauf beruht, daß der Farbstoff der Wolle mit der schwefligen Säure farblose Verbindungen eingeht; ferner daraus, daß die Nuance des Farbstoffs nach Behandlung der Wolle mit alkalischen Laugen, z.B. mit Sodalösung, viel schärfer auftritt als vorher, und daß solche Behandlung stets eine Schwefelentziehung zur Folge hat. Aus vielen Versuchen und Beobachtungen bei Gelegenheiten, die praktische Operationen mir boten, wie auch bei solchen, die ich eigens zu dem vorliegenden Zwecke vornahm, fand ich folgende Resultate für die Aufnahmefähigkeit der Wolle gegen Schwefel. Für die praktische Verwendung fand ich auf 100 Thle. Wolle 5 Thle. Schwefel als zur erforderlichen Bleichung genügend. Schwefelt man dann die Wolle noch weiter, so tritt in derselben allmählich eine grünlichgelbe Färbung auf und von dem Punkte an verbindet sich der Schwefel nicht mehr so innig mit der Faser, sondern hängt sich mechanisch daran. Indem ich in verschiedenen Stadien des Schwefelns Wolle auf Schwefelgehalt untersuchte, fand ich bei a) Kammwolle nach 12 St. 2,5   S. 18  „ 2,6   S. 24  „ 2,68 S. b) Streichwolle 12  „ 3,1   S. 18  „ 3,27 S. 24  „ 3,28 S. Rechnet man für a den eigentlichen Schwefelgehalt nämlich 1,8 Proc. ab, so zeigt sich eine Zunahme des Schwefelgehaltes um 0,7; 0,8; 0,82. Subtrahirt man den Werth des eigenthümlichen Schwefelgehaltes der betreffenden Streichwolle b mit 2,6, so erhält man für die Aufnahme an Schwefel die Werthe 0,5; 0,67; 0,68. Dieser durch den Schwefelungsproceß zugefügte Schwefel ist aber sehr leicht entfernbar, zum Theil schon durch Spülen in heißem, ja in kaltem Wasser, gänzlich durch Laugen. Wie lose der durch das Schwefeln eingeführte Schwefel der Wolle verbunden ist, geht auch noch daraus hervor, daß bei solcher geschwefelten Wolle, wenn sie in feuchter Luft hängt, sich Schwefelsäure zu bilden scheint und die Faser ihre Festigkeit nach einiger Zeit verliert. Besonders deutlich tritt das auf, wenn man gut geschwefeltes Wollgarn mit gefärbtem Garn zusammen in feuchter Luft aufhängt. Das gefärbte Garn verliert dann nach einiger Zeit an den Stellen, wo es mit dem geschwefelten in Berührung steht, seinen Farbeton, und zwar erscheint dabei die Nüance oder Entfärbung, die man auch durch directe Befeuchtung des gefärbten Garnes mit schwefelsäurehaltendem Wasser erhalten kann. Endlich komme ich noch auf einen Punkt zu sprechen, welcher mit in der Behauptung Chevreul's zu liegen scheint. Indem Chevreul nämlich sagt, daß der Schwefel in der Wolle mit einem dem eigentlichen Hornkörper beigemengten Körper verbunden sey, daß derselbe entfernbar sey ohne Structurveränderung der Faser selbst, drückt er dadurch aus, daß der Schwefel eine unnöthige Beimischung in der Wolle sey. Wenn schon oben wohl hinreichend gezeigt wurde, daß der Schwefel ohne Structuraufgabe der Faser nicht ganz aus derselben zu entfernen ist, so gewinnt bei Beachtung der Beizoperation der Schwefel eine eigenthümliche Bedeutung. Thatsache ist es, daß nach der Behandlung der Wolle in der Beizflüssigkeit in der letzteren stets ein Theil der Beizbasis, an Schwefel gebunden, nachzuweisen ist, daß außerdem nur ein sehr geringer Theil der Beizbasis oder Beizsäure von der Faser selbst aufgenommen wird. Es liegt bei Betrachtung dieser Erscheinungen wohl der Gedanke nahe, daß die Wirkung der Beize theilweise auf Fortschaffung des lose gebundenen Schwefels in der Wolle beruhe. Der Schwefelgehalt der Wolle, hauptsächlich der loser gebundene Schwefelgehalt, kann in keiner Weise der Farbstoffaufnahme conveniren und wird in der Praxis auch stets durch dem Färben vorhergehendes Waschen in Seife, Lauge etc. factisch beseitigt, dann aber würde es andererseits sehr wunderbar seyn, wenn die so sehr geringen Mengen von Basis oder Säure, welche in der Faser nach dem Beizen nachzuweisen sind, allein die Kraft der Färbung der Faser haben sollten, nach Anwendung des Farbenbades. Vielmehr scheint die theilweise Entschwefelung der Faser eine Hauptaction der Beize zu seyn.