Titel: Ueber die Bestandtheile der Seide, von Dr. Emil Cramer aus Hamburg.
Fundstelle: Band 180, Jahrgang 1866, Nr. CX., S. 397
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CX. Ueber die Bestandtheile der Seide, von Dr. Emil Cramer aus Hamburg. Im Auszug aus dem Journal für praktische Chemie, 1865, Bd. XCVI S. 76. Cramer, über die Bestandtheile der Seide. Man nimmt gewöhnlich nach den Untersuchungen von Mulder Poggendorff's Annalen der Physik und Chemie, Bd. XXXVII S. 594 und Bd. XI. S. 253; polytechn. Journal (1836) Bd. LXII S. 118. in der Seide einen Eiweißgehalt von circa 24 Proc. an. Um zu erfahren, ob wirklich dasselbe als Bestandtheil der Seide zu betrachten sey, stellte der Verf. einen Versuch mit frischen Cocons an, da durch den Tödtungsproceß der Puppen das Eiweiß nothwendig gerinnen muß und daher das Albumin in der rohen Seide nicht mehr durch seine charakteristischen Eigenschaften nachgewiesen werden kann. Das nicht geronnene Albumin ist bekanntlich dadurch charakterisirt, daß es in Wasser löslich ist, daß es weder freiwillig noch auf Zusatz von Essigsäure gerinnt, daß es aber durch Erhitzen der Lösung in den coagulirten Zustand übergeht. Eine Anzahl zerschnittener Cocons wurde nach Entfernung der noch lebenden Puppen bei einer Temperatur von 40–50° C. vorsichtig mit Wasser extrahirt, dasselbe dann abgegossen und bei derselben Temperatur concentrirt. Die so erhaltene Flüssigkeit enthielt Seidenleim, coagulirte aber nicht beim Kochen, und erzeugte auch mit Ferrocyankalium und etwas Essigsäure keinen Niederschlag, so daß die Abwesenheit von Albumin dadurch erwiesen zu seyn scheint. Den Fibroin-Gehalt der Seide bestimmte Mulder zu 53–54 Proc. dadurch, daß er die rohe Seide mit concentrirter Essigsäure auskochte und den Rückstand nach dem Auswaschen als reines Fibroin wog. Der Verf. erhielt dagegen 66 Proc., indem er das Fibroin auf einem anderen Wege isolirte. Die bei 120° C. getrocknete Seide wurde nämlich im Papin'schen Digestor sechsmal nach einander zwei bis drei Stunden lang bei dem Drucke von drei Atmosphären mit Wasser ausgezogen, wobei die Verdampfungsrückstände der letzten Auskochungen nur sehr unbedeutend waren. Auch Aether zog bloß noch Spuren fettähnlicher Körper aus. Wurde dagegen das Fibroin längere Zeit der Luft ausgesetzt, so konnte auf gleiche Weise ungefähr doppelt so viel in Wasser lösliche Substanz erhalten werden. Der bedeutende Unterschied zwischen seinem und dem Mulder'schen Resultate bestimmte den Verf., fernerweit zu untersuchen, ob sich dem analysirten Fibroin noch durch Behandlung mit Essigsäure ein Stoff entziehen lasse, der mit dem Mulder'schen Albumin verglichen werden konnte. Wäre dieß der Fall gewesen, so hätte die Zusammensetzung nach der Behandlung mit Essigsäure eine wesentlich verschiedene seyn müssen. Dieß traf jedoch nicht ein, vielmehr war die Zusammensetzung so wenig geändert, wenngleich ein Gewichtsverlust von 6 Proc. stattgefunden hatte, daß der Verf. die dem Fibroin durch Essigsäure entzogenen Substanzen nicht für Zersetzungsproducte des Fibroms hält. Nach Städeler's UntersuchungenAnnalen der Chemie und Pharmacie, Bd. CXI S. 12. liefert das Fibrom mit Schwefelsäure Leucin und Tyrosin; da jedoch dabei noch ein dritter Stoff zu entstehen scheint, so hat der Verf. diese Reaction einer abermaligen Prüfung unterworfen. Zu diesem Zwecke wurde eine größere Menge Fibroin sehr anhaltend mit Schwefelsäure in den bekannten Verhältnissen gekocht, dann mit Kalk neutralisirt und das Filtrat concentrirt. Hierbei scheidet sich viel Gyps und Tyrosin aus; die davon abfiltrirte Mutterlauge wurde sodann durch Behandeln mit Barytwasser und darauf folgende Fällung mit kohlensaurem Ammoniak von den letzten Antheilen Gyps befreit, zum Syrup verdampft und mit Weingeist ausgezogen. Die erhaltene Lösung enthielt neben einer syrupartigen Masse das Leucin, während eine bröckliche Masse zurückblieb, die sich mit Hinterlassung von etwas Tyrosin leicht in Wasser löste. Die wässerige Lösung enthielt noch Baryt, sie wurde deßhalb vorsichtig mit verdünnter Schwefelsäure gefällt und das Filtrat durch Verdampfen concentrirt, worauf harte, süß schmeckende, in 4,2 Th. Wasser lösliche Krystalle anschossen, deren Analyse zu der Formel des Glycins C⁴H⁵NO⁴ führte. Wie es scheint, bildet sich das Glycin erst durch längeres Kochen mit Schwefelsäure. Bei ungenügendem Kochen erhält man neben Tyrosin und Leucin eine ansehnliche Menge eines süßschmeckenden Syrups. Der Seidenleim, für den der Verf. den Namen Sericin vorschlägt, hat mit den gewöhnlichen Leimarten das gemein, daß seine Lösung bei hinreichender Concentration zu einer Gallerte gesteht, er unterscheidet sich aber wesentlich davon durch seine Zersetzungsproducte. Zu seiner Darstellung zieht man die Seide mit Wasser aus, und fällt die klare Flüssigkeit mit Bleiessig. Der Niederschlag besteht aus fest zusammenhängenden Klumpen, die sich gut auswaschen lassen. Man zersetzt schließlich mit Schwefelwasserstoff und concentrirt das Filtrat auf ein mäßiges Volumen. Dann setzt man so viel Weingeist zu, daß ein bleibender Niederschlag entsteht, welcher den schwer aus der Flüssigkeit entfernbaren Rest des Schwefelbleies, sowie den größten Theil der unorganischen Salze mit niederreißt. Das farblose Filtrat wurde nun mit Weingeist vermischt, wodurch Leim in farblosen dicken Flocken gefällt wurde. Der Seidenleim bildet ein farbloses, geruchloses Pulver, das mit Wasser übergossen bedeutend aufquillt und sich leichter in heißem Wasser als gewöhnlicher Leim auflöst. Gerbsäure erzeugt einen weißen, dickflockigen Niederschlag. Gelbes und rothes Blutlaugensalz bringen in der mit Essigsäure versetzten Lösung keinen Niederschlag hervor. Aus den Analysen dieses Körpers läßt sich die Formel C³ºH²⁵O¹⁶ berechnen. Der durch Erhitzen mit Wasser im Papin'schen Digestor erhaltene Stoff ist nicht mehr mit dem gewöhnlichen Seidenleime identisch, da er mit Wasser nicht mehr gelatiniren kann. Der Seidenleim steht dem Fibrin ziemlich nahe, da er mit Schwefelsäure behandelt Leucin und Tyrosin liefert. Außerdem entsteht noch ein anderer Körper, der aber kein Glycin ist. Der Verf. nennt denselben Serin. Um das Serin in größerer Menge darzustellen, behandelt man Seide mehrmals mit derselben Quantität siedenden Wassers und verdampft die Lösung dann soweit, daß sie 7–8 Proc. Seidenleim enthält. Darauf wird sie mit 1/4 ihres Volumens Schwefelsäure vermischt und gekocht, so daß das Verdampfende immer wieder zurückfließen muß. Man setzt das Kochen ungefähr 24 Stunden lang fort, weil je länger man kocht, je mehr die neben den krystallinischen Producten auftretende syrupförmige Materie verschwindet. Die Flüssigkeit wird nun mit Kalk gesättigt, filtrirt und während des Abdampfens von Zeit zu Zeit genau mit Schwefelsäure neutralisirt. Aus der hinreichend concentrirten Lösung schießen zunächst Tyrosin und Gyps an, nach weiterem Verdampfen erscheinen die Krystalle des Serins und zuletzt krystallisirt aus der syrupförmigen Mutterlauge Leucin in geringer Menge. Zur Reinigung wird das von der Mutterlauge durch Pressen befreite Serin in der 40fachen Menge kalten Wassers gelöst, von etwas ungelöst bleibendem Tyrosin abfiltrirt und mit einigen Tropfen Ammoniak und kohlensaurem Ammoniak vermischt. Es entsteht dadurch ein geringer Niederschlag von kohlensaurem Kalke. Man filtrirt und verdampft zur Krystallisation. Sollte das erhaltene Serin noch nicht farblos sehn, so muß man nochmals in Wasser lösen, mit Bleiessig fällen, den Niederschlag durch Schwefelwasserstoff zersetzen und das Filtrat eindampfen. Das reine Serin bildet farblose-, dem klinorhombischen Systeme angehörige Krystalle, die hart sind und sich leicht in Wasser lösen. Die Lösung schmeckt schwach süß. Die Formel des Serins ist C⁶H⁷NO⁶, wornach es sich vom Alanin bloß durch ein Plus von 2 Atomen Sauerstoff unterscheidet. Wie das Alanin kann es sich mit Basen und Säuren verbinden. Die Kupferverbindung erhält man durch einfaches Kochen einer Serinlösung mit Kupferoxydhydrat oder selbst mit geglühtem Kupferoxyd. Tiefgefärbte, dem Glycin- und Alaninkupfer ähnliche Krystalle. Formel C⁶H⁶CuNO⁶. Die Silberverbindung ist schwierig zu erhalten, da leicht beim Eindampfen und durch Einfluß des Lichtes Reduction eintritt. Löst man Serin in concentrirter Salzsäure und stellt zum Verdunsten über Kalk, so erhält man das salzsaure Serin = C⁶H⁷NO⁶, HCl in farblosen, glänzenden Nadeln. Die Verbindung ist in Wasser äußerst leicht löslich, beim Verdunsten der Lösung geht Salzsäure verloren. Salpetersaures Serin C⁶H⁷NO⁶HO, NO⁵ erhält man durch Fällen des salzsauren Serins mit salpetersaurem Silber, Behandeln des Filtrats mit Schwefelwasserstoff, um einen geringen Silberüberschuß zu entfernen, und Verdunsten über Schwefelsäure und Kalk, bis das Gewicht constant ist. Auch ein krystallisirtes Schwefelsäuresalz hat der Verf. dargestellt, während es ihm nicht gelang, eine Verbindung mit Essigsäure zu erhalten. Nachtrag.Farbstoff und fettähnliche Substanzen der Seide. Als nähere Bestandtheile des alkoholischen Auszuges der gelben Seide gibt Mulder Wachs, Farbstoff, Harz und Fett an. Ersteren Stoff hält er für identisch mit dem Cerin des Bienenwachses und die Farbe der Seide schreibt er einem rothen Farbstoff zu. Der Verf. hatte die Absicht diese Substanzen näher zu charakterisiren, mußte jedoch, wegen zu geringer Menge von Substanz, von einer ausführlichen Untersuchung abstehen, und führt die nachstehenden Versuche nur als nebenher angestellte an. Die nach der Behandlung im Papin'schen Digestor zurückgebliebene Seide wurde wiederholt mit Alkohol digerirt, wodurch sie ihren prächtigen Glanz beinahe gänzlich verlor. Aus der weingeistigen schön gelb gefärbten Lösung schieden sich beim Erkalten weiße voluminöse Flocken ab; dieß Verhalten ließ sich jedoch zu einer vollständigen Trennung des Farbstoffes nicht benutzen, denn bei weiterer Concentration des Filtrates entstand wieder ein stockiger Niederschlag, der die nunmehr roth gefärbte Flüssigkeit einschloß. Es wurde deßhalb der Alkohol abdestillirt, wobei als Rückstand ein wachsartiger Körper blieb, der einen honigartigen Geruch hatte. In Aether löste sich das Ganze leicht auf, und die goldgelbe Flüssigkeit zeigte eine schöne Fluorescenz in's Rothe. Beim Erwärmen einer Probe auf dem Platinblech schmilzt der wachsartige Körper anfangs, entzündet sich dann und verbrennt mit leuchtender Flamme. Beim raschen Erhitzen der Substanz im Glasrohr war kein Geruch nach Akrolein bemerkbar. Mit wässeriger wie weingeistiger Kalilösung konnte der Körper nur zum Theil verseift werden. Durch Schmelzen mit Kalihydrat im Tiegel und nachheriges Zersetzen der Masse mit Salzsäure wurde eine dunkelgefärbte Fettsäure erhalten, deren Schmelzpunkt etwa zwischen 79° und 80° C. liegen mochte. Die weingeistige Lösung verhielt sich gegen Lackmus neutral, mithin konnte keine freie Fettsäure zugegen seyn. Wasser brachte in der Flüssigkeit ein weißes Präcipitat hervor, und der Farbstoff wurde in rothen Kügelchen suspendirt. Bleiessig, weingeistige Bleizuckerlösung und essigsaures Kupfer erzeugten Niederschläge, die im Ueberschuß der Fällungsmittel löslich waren. Ein Theil der ursprünglichen Flüssigkeit wurde mit einer alkoholischen Lösung von 1/3 essigsaurem Blei versetzt, der Niederschlag von der gelben Flüssigkeit abfiltrirt, in Aether vertheilt und durch Schwefelwasserstoff das Blei entfernt. Die ätherische Lösung hinterließ nach dem Verdunsten einen Rückstand von wachsartiger Beschaffenheit, der bei 48–49° C. in den flüssigen Zustand übergieng. Wie aus den obigen Angaben hervorgeht, schließen die Niederschläge den Farbstoff nicht mit ein, und ebenso vermochte auch die Thonerde nicht, ihn zu fixiren. Ob er sich den Gallenfarbstoffen anschließt oder vielleicht dem Chlorophyll näher steht, da grün und braun gefärbte Seide zuweilen vorkommt, muß der Verf. dahin gestellt seyn lassen. Durch Aether konnte dem Seidenfaserstoff noch eine geringe Menge eines glycerinhaltigen Fettes entzogen werden. Mit Natronlauge war dasselbe verseifbar und die durch Salzsäure abgeschiedene Fettsäure war von brauner Farbe und bei gewöhnlicher Temperatur von schmieriger Consistenz. Das größte Interesse verdient ohne Zweifel das wachsartige Fett, welches zum Theil den Glanz der Seide bedingt und wahrscheinlich ein Alkohol oder Aldehyd ist, dessen Säure eines der obersten Glieder der Fettsäurereihe einnehmen würde.