Titel: Ueber Sicherheitsventile der Dampfkessel; von Prof. Rühlmann.
Fundstelle: Band 181, Jahrgang 1866, Nr. XLVII., S. 184
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XLVII. Ueber Sicherheitsventile der Dampfkessel; von Prof. Rühlmann. Aus den Mittheilungen des hannoverschen Gewerbevereins, 1866 S. 80. Rühlmann, über Sicherheitsventile der Dampfkessel. Nachdem, besonders durch Versuche des Hrn. Hofraths v. Burg in WienUeber die Wirksamkeit der Sicherheitsventile, in dem XLV. Bande der Sitzungsber. der kais. österr. Akademie der Wissenschaften; polytechn. Journal Bd. CLXIV S. 322., die Thatsache ganz zweifellos ist, daß die gewöhnlichen Ventile sich niemals mehr als um ein paar Millimeter erheben, andere Ventilanordnungen aber, welche diesem Uebelstand abhelfen sollen, in der Praxis sich nicht hinlänglich bewährt habenMonatsblatt des hannoverschen Gewerbevereins, Jahrg. 1864 (Nr. 5 u. 6) Seite 45., endlich auch die Theorie über den Ausfluß der Wasserdämpfe aus geöffneten Sicherheitsventilen noch auf sehr schwachen Füßen steht, so hat man neuerdings angefangen, die Sicherheitsventile nur als Anzeiger eintretender gefährlicher Dampfspannungen zu bezeichnen und das Quantum des etwa ausströmenden Dampfes ganz unberücksichtigt zu lassen. Deßhalb findet sich auch in dem neuen k. k. österreichischen Regulative über Sicherheitsmaßregeln bei Dampfkesseln aller Art die Bestimmung: „Jedes Sicherheitsventil muß einen Durchmesser von mindestens 1 1/4 Zoll haben (wie groß auch der Kessel seyn mag), leicht zugänglich und ohne Umstand zu lüften seyn.“ So wie ferner: „Jeder Dampfkessel von mehr als 25 Quadratfuß Heizfläche ist mit mindestens zwei Sicherheitsventilen zu versehen.“ Im Berichte eines Comité des österreichischen Ingenieur-Vereins an das k. k. Handelsministerium, welcher sich in der Zeitschrift dieses Vereins, Jahrgang XVII. (1865) S. 257 abgedruckt findet, wird (S. 263) hinsichtlich der Ventilgröße den Dampfkesselverfertigern der Rath ertheilt: „den Durchmesser eines jeden Ventiles so zu bestimmen, daß die Ventilfläche 1/1000 bis 1/15000 der gesammten Heizfläche beträgt. Das neue französische Dampfkesselgesetz (polytechn. Journal Bd. CLXXVI S. 256) schreibt im Artikel 5 zwar ebenfalls zwei Ventile für jeden Kessel vor, läßt aber deren Größe unbestimmt und verlangt dafür, daß „jedes der Ventile so eingerichtet sey, daß es für sich allein, welche Größe auch das Feuer haben mag, den Dampf verhindert die zulässige Druckgröße zu überschreiten.“ Ich kann diese Vorschläge und Vorschriften nicht als solche bezeichnen, welche mich zufriedenstellen, da mit namentlich bei verhältnißmäßig großen Dampfkefseln Sicherheitsventile von 1 1/4 Zoll Durchmesser, mit vielleicht höchstens einer Linie Hub, geradezu gefährlich erscheinen und das französische Gesetz dem Kesselconstructeur wie Kesselbesitzer und Heizer gewiß sehr große Verlegenheiten bereiten kann. Um demnach einen geeigneten Ausweg zu finden, kehre ich zu den französischen, beziehungsweise preußischen Vorschriften zurück. In diesen Gesetzen halte ich es (und mit mit andere hannoversche Maschinen-Ingenieure) für nicht richtig, daß Kessel für höhere Dampfdrücke kleinere Sicherheitsventile erhalten als solche für niedere Dampfdrücke, indem dabei übersehen ist, daß Kessel mit höheren Dampfspannungen an sich gefahrvoller sind und diese größere Gefahr, praktisch genommen, die größere Ausströmungsgeschwindigkeit hoch gespannter Dämpfe wieder ausgleichen möchte. Deßhalb enthielt auch das alte preußische Gesetz für alle Kessel, gleichgültig von welcher Größe und Dampfspannung, die einfache Vorschrift, daß die freie Ausflußöffnung der Sicherheitsventile 1/3000 der Heizfläche betragen müsse. Die Ursache, weßhalb diese Norm in Preußen aufgegeben wurde, liegt gewiß ganz einfach darin, daß hiernach auf sehr großen Kesseln, die jetzt bis zu 1200, ja bis 1500 Quadratfuß Heizfläche vorkommen, zu weite oder zu viel Ventile angebracht werden müßten. Wenn ich nun auch, wie schon gesagt, nicht der Ansicht bin, daß hinsichtlich geringeren oder höheren Dampfdruckes im Kessel ein Unterschied bei Festsetzung der Sicherheitsventilgröße gemacht werden müßte, so halte ich es doch für praktisch gerechtfertigt, wenn man in Bezug der Kesselgröße eine Unterscheidung macht. Hinsichtlich mehr oder weniger heftiger oder öfter eintretender Thätigkeiten des Sicherheitsventils ist nämlich ein größerer Kessel gegen einen kleineren immer im Vortheile, indem bei jenem größeren Recipienten plötzliche Schwankungen im Dampfdrucke durch unregelmäßigen Dampfverbrauch, Ueberhitzungen etc. nicht so rasch eintreten können, wie bei kleineren Kesseln. Hiernach würde es angemessen seyn, größeren Kesseln verhältnißmäßig etwas kleinere (nur nicht so viel als nach den älteren französischen und noch geltenden preußischen Gesetzen) Sicherheitsventile zu geben als kleineren Kesseln, und könnte man daher den freien Querschnitt der Ventil-Abflußöffnungen nach folgender Scala bemessen: 1/3000 der Heizfläche bei Kesseln nicht über   100 Quadratf. oder     8,5 Quadrtmet Heizfläche 1/5000   300   25,5 1/7000   600   51,0 1/9000 1000   85,0 1/10000 1500 127,0 Hierzu aber würde der Nachsatz zu fügen seyn, daß kleinere Ventile mit weniger als 2 1/2 Quadratzoll freier Ausflußöffnung überall unstatthaft sind. Um aber auch von den Unvollkommenheiten einer derartigen Scala befreit zu seyn und die ganze Forderung überhaupt so einfach wie nur möglich auszudrücken, dürfte es angemessen seyn, im Allgemeinen dem Beispiele des älteren preußischen Gesetzes und den oben citirten Vorschlägen des österreichischen Ingenieur-Vereins zu folgen, d.h. die erforderliche Ventilausflußöffnung einfach als Theil der Kesselheizfläche auszudrücken, dabei aber die Extreme beziehungsweise von 1/3000 und 1/15000, d.h. das zu groß und zu klein, zu vermeiden und endlich zugleich die Basis zu charakterisiren, von welcher man bei der Auswahl eines solchen Bruches ausgegangen ist. Nimmt man die in der größten hannoverschen Maschinenfabrik, der des Hrn. G. Egestorff in Linden, zeither gebräuchlichen Ventilformen und deren Maaße zur Basis, womit zugleich den gesetzlichen Vorschriften bisher Genüge geleistet wurde, so erhält man folgende tabellarische Uebersicht, welche ich der gütigen Mittheilung gedachter Fabrik verdanke: HeizflächeinQuadtfußen. Durchmesserder Ventilein Zollen. GesammtinhaltderQuerschnittsflächein Quadratzollen. FreieAusflußöffnungin Quadtzollen. Verhältnißder freienVentilflächezurHeizfläche. Verhältnißder ganzenVentilöffnungzur freien.   100   3,1416   2,760 1/5217 1,13/1   200         2 1/2   4,9087   4,160 1/6923 1,18/1   300         3   7,0686   5,944 1/5753 1,19/1   400         3 1/2   9,6211   8,200 1/7024 1,17/1   500         4 12,5663 10,560 1/7765 1,19/1   650         4 1/2 15,9043 13,650 1/6857 1,16/1   800         5 19,6349 17,140 1/6750 1,15/1 1000         5 1/2 23,7582 21,600 1/6620 1,10/1 Das arithmetische Mittel der Werthe in Columne 5 ist: 1/6440. In einem früheren mit vorgelegenen, jedoch nicht zur Geltung gekommenen Entwurfe zu einer Verordnung über Dampfkesselanlagen hatte man, analog dem noch bestehenden königlich preußischen Gesetze, für jeden Quadratfuß Heizfläche an zu fordernder freier Ventilfläche folgende Vorschrift aufgenommen, der ich (wie oben) die betreffenden Verhältnißzahlen beifüge: Dampfspannung über dem Druck der   äußeren Luft in Atmosphären 0 bis 1 1/2 1/2 – 1 1 – 1 1/2 1 1/2 – 2 Freie Ventilöffnung für jeden Quadrats.Heizfläche in Quadratlinien 10,2 7,0 5,3 4,3 Verhältniß dieser beiden Werthe  1/2033 1/2962 1/3912 1/4822 Dampfspannung über dem Druck der   äußeren Luft in Atmosphären 2 – 2 1/2 2 1/2 – 3 3 – 3 1/2 3 1/2 – 4 Freie Ventilöffnung für jeden Quadrats.Heizfläche in Quadratlinien 3,6 3,1 2,7 2,5 Verhältniß dieser beiden Werthe 1/5760 1/6689 1/7680 1/8294 Das arithmetische Mittel aus den Werthen der letzten Horizontalreihe ist: 1/5269. Hiernach dürfte allen angeführten Umständen und Verhältnissen (nach Möglichkeit) am besten entsprochen werden, wenn überhaupt die erforderliche freie Ausflußöffnung eines jeden Ventiles zu 1/6000 der Kesselheizfläche vorgeschrieben wird. Außerdem aber würde das Anbringen von gleichzeitig zwei derartigen Ventilen für jeden Kessel zur Pflicht zu machen, sowie festzusetzen seyn, daß Ventile von kleinerem Durchmesser als 2 Zoll in keinem Falle angewandt werden dürfen, dagegen aber auch größere Ventile als solche von 5 Zoll Durchmesser überhaupt nicht erforderlich sind.