Titel: Vegetabilischer Meerschaum, vegetabilisches Hirschhorn und Coralllignin; von C. Puscher in Nürnberg.
Fundstelle: Band 183, Jahrgang 1867, Nr. LXIII., S. 239
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LXIII. Vegetabilischer Meerschaum, vegetabilisches Hirschhorn und Coralllignin; von C. Puscher in Nürnberg. Puscher, über Darstellung von künstlichem Meerschaum und künstlichem Hirschhorn. Vor ungefähr 15 Jahren machte v. Liebig ein Verfahren, Kartoffelmehl zu bereiten, bekannt, darin bestehend, daß die gereinigten und in Scheiben geschnittenen Kartoffeln 24 Stunden hindurch mit nur 2 Proc. Schwefelsäure haltendem Wasser macerirt werden. Nach sorgfältigem Auswaschen der Säure und Trocknen der jetzt weiß aussehenden Kartoffelschnitzeln erhielt man durch Mahlen von 100 Pfund Kartoffeln 36 bis 40 Pfund sehr schönes weißes Mehl. Wenn sich dieses bis jetzt noch keinen Eingang in unsere Consumartikel verschafft hat, so mag das darin begründet seyn, daß der Nährwerth durch die Bereitungsweise noch unter den der Kartoffel gesunken ist, da die verdünnte Schwefelsäure der Kartoffel ihre wenigen stickstoffhaltigen Körper und Salze vollständig entzieht, so daß das Kartoffelmehl als aus ungefähr gleichen Theilen Stärke und Zellstoff zusammengesetzt zu betrachten ist. Zu industriellen Zwecken wird es aber sehr häufig die werthvollere Kartoffelstärke ersetzen können. So würde der Papierfabrikant das Kartoffelmehl mit Vortheil, da es mit den Lumpen in gleichem Werthe steht, als billiges Bindemittel benützen können, der Farbenfabrikant würde damit die theure Stärke bei der Anfertigung von Waschblau und Berlinerblau etc. ersetzen. Auch würde es ein sehr passendes Material zur Anfertigung von Xyloidin, zu Explosionsstärke etc. abgeben. Dieses damals von mir öfters ausgeführte Verfahren kam mir wieder in Erinnerung, als ich vor einiger Zeit in einem technischen Journale die Bekanntmachung eines Schweizers las, der aus weißen Rüben eine hornartige Substanz hergestellt haben wollte, die zur Fabrication von Kämmen und dergleichen geeignet wäre. Diese neuen vegetabilischen Hornartikel sollen sich aber erst des Tageslichts der Welt in der nächsten Pariser Industrie-Ausstellung erfreuen. Hierdurch angeregt, versuchte ich mit verschiedenen Agentien auf erwähnte Vegetabilien einzuwirken. Die Resultate davon theile ich in Nachstehendem mit: Nimmt man gesunde, geschälte, ganze Kartoffeln und macerirt sie 24–36 Stunden, je nach der Größe derselben, mit einem, 8 Procent Schwefelsäure haltenden Wasser, entfernt die Säure und wäscht sie öfters (durch sechsstündiges Einhängen in erneuertes Wasser) und zwar so oft, bis angefeuchtetes Lackmuspapier in der Mitte einer durchgeschnittenen Kartoffel nicht mehr geröthet wird, so bemerkt man, daß eine Desorganisation vorgegangen ist, die Kartoffeln sind weißer und weicher geworden. In Löschpapier eingewickelt, oder unter trockenem Sand oder gebranntem Gyps bei mäßiger Wärme getrocknet, schwinden dieselben wenigstens zur Hälfte ihres ursprünglichen Volumens und bilden eine, dem Meerschaum in vielen Eigenschaften gleichende, weiße Substanz. Dennoch zeigen sich zuweilen durch ungleiches Zusammenziehen trotz des sorgfältigsten Auswaschens und Trocknens Höhlungen in den Kartoffeln, die das Präparat für Schnitzarbeiten untauglich machen. Allein dieser Unannehmlichkeit entgeht man, wenn man die so präparirten Kartoffeln zwischen starken Gypsplatten, welche die Feuchtigkeit leicht aufnehmen, und die man zur schnellen Abgabe derselben noch mit Gewicht beschwert, trocknet. Werden diese Gypsplatten täglich durch neue ersetzt, so geht das Trocknen sehr rasch von statten. Da diese Masse vegetabilischen Ursprungs und dichter als Meerschaum ist, daher von geschmolzenem Wachs nicht durchdrungen wird, so muß sie wohl auf die Benützung von Rauchapparaten verzichten. Dagegen läßt sich dieser vegetabilische Meerschaum eben so schön zu Schnitzereien verarbeiten, als der ächte, und zeichnet sich noch besonders durch seine große Verwandtschaft zu Farben, die er jedoch nur auf seiner Oberfläche, wegen der erwähnten Dichtigkeit, im reinsten Glanze annimmt, aus. Wendet man statt der Schwefelsäure ein 3 Proc. Aetznatron haltendes Wasser an, so werden die damit macerirten Kartoffeln härter, quellen auf, und geben nach sorgfältigem Auswaschen und Trocknen eine zwar mehr elastische, aber schmutzig weiße Masse. Wird dagegen der Aetznatrongehalt bis auf 19 Proc. verstärkt, und werden die vorher 24 Stunden hindurch damit macerirten Kartoffeln darin gekocht, so gehen Stärke und Zellstoff in ein, im Wasser unlösliches hartes Gummi über, welches nach gehörigem Auswaschen und Trocknen mit dem Ansehen des Horns viel Aehnlichkeit hat, und sich ganz wie Horn beim Verarbeiten verhält. Dabei hat sich eine kleine Menge Gummi in der Lauge aufgelöst und diese dunkelbraun gefärbt. Das Auswaschen der Kartoffelstärke muß auch hier eben so sorgfältig, wie bei dem Schwefelsäure haltenden Wasser beobachtet, zur Prüfung auf Aetznatronspuren aber, statt des Lackmuspapiers, das gelbe Curcumapapier, welches sich bei Gegenwart von Natron braun färben würde, in Anwendung gebracht werden. Werden weiße Rüben in gleicher Weise mit schwefelsäurehaltigem Wasser, wie die Kartoffeln behandelt, so ist die Einwirkung des Säurebades noch energischer, sie werden sehr weich und locker. Sollen dem Hirschhorne ganz gleiche Formen daraus erzielt werden, so bohre man nach dem Schälen derselben mittelst eines 1/4 oder 1/2 Zoll starken Bohrers ein Loch durch die Mitte des dünnen, conischen Endes der Rüben, lasse aber das untere, stärkere Ende 1 Zoll lang unversehrt. Letzteres ist zur Bildung der Krone unerläßlich. Dreht man die so weit durchbohrte Rübe mit Vorsicht, nachdem sie das Schwefelsäurebad passirt hat und gut ausgewaschen ist, auf einen vorher in heißes Unschlitt getauchten cylindrischen Stock und hängt sie so zum Austrocknen in der Nähe eines geheizten Ofens auf, so hat die Rübe nach 4–5 Tagen die täuschend ähnliche Form eines Hirschhorngriffes angenommen. Man entfernt nun den Stock, füllt die hohle, aber feste Form, damit sie auch im Gebrauch dem Wasser widersteht und dem natürlichen Hirschhorn gleiche Schwere erhält, mit Oelkitt bis zur Hälfte aus und drückt schließlich denselben durch Hineinschieben eines aus hartem Holz gefertigten und in die Oeffnung genau passenden Cylinders in alle Horngebilde. Dieser Hohlcylinder dient dann zum Befestigen des Ringes und der Klinge. Da die Farbe des so hergestellten Hirschhornes gegen die des natürlichen etwas zu hell ist und des Glanzes entbehrt, so überzieht man dasselbe mit braunem Pariser Politurlack, den man mit den nöthigen Mengen ungebrannter Terra de Siena und Caßlerbraun vermischt hat. Schneidet man die Rübe zu einem Cylinder, durchbohrt diesen dann zweimal, zuerst mit einem halbzölligen, dann mit einem einzölligen Apfelstecher, so erhält man zwei hohle Cylinder, die man über der Oeffnung entsprechenden Holzcylindern trocknet. Man erhält so nach dem Durchschneiden hirschhornartige Furnüre, 4–6 Zoll im Quadrat, die nach dem Anfeuchten mit verdünntem Glycerinwasser so biegsam wie Leder werden, und zum Ueberziehen der verschiedensten Gegenstände sich eignen, auch jede Farbe leicht annehmen. Furnüre von filzigem Ansehen erhält man durch Pressen der präparirten Rüben zwischen Glasplatten. Schneidet man dabei die Rüben in dünne Scheiben und legt diese neben- und übereinander in entgegengesetzter Richtung auf die untere, vorher mit farbigem Dessinpapier bedeckte Gypsplatte, überdeckt die Scheiben, damit sie an der oberen Gypsplatte nicht haften bleiben, mit Fließpapier und preßt, so erhält man beliebig große und mit farbiger Zeichnung versehene Furnüre. Hat man statt weißer Rüben gelbe Rüben angewandt, so erzielt man dem Hirschhorne ähnliche Formen von korallenrother Farbe, die zu Messerstielen, Regenschirm-, Stock- und Peitschengriffen vortreffliche Benutzung finden. Ich habe dieser Substanz wegen ihrer korallenrothen Farbe den Namen Korallenzellstoff, Coralllignin gegeben. Auch echt rothe Furnüre zum Ueberziehen von Dosen etc. lassen sich auf gleiche Weise, wie bei den weißen Rüben daraus erzeugen. (Fürther Gewerbezeitung, 1866 S. 86.)