Titel: Ueber einen Fall des Zurückbleibens des Siedens in einem Dampfkessel.
Fundstelle: Band 184, Jahrgang 1867, Nr. LIX., S. 298
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LIX. Ueber einen Fall des Zurückbleibens des Siedens in einem Dampfkessel. Ueber einen Fall des Zurückbleibens des Siedens in einem Dampfkessel. In der Wochenversammlung des österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereins am 22. December 1866 hielt Hr. Ingenieur Philipp Mayer in diesem Betreff folgenden Vortrag: „Vor einiger Zeit hatte ich Gelegenheit, einige Beobachtungen über das Zurückbleiben des Siedens des Wassers bei Dampfkesseln zu machen, die ich für interessant genug halte, um sie mitzutheilen, um so mehr, als wahrscheinlich bei der Gefährlichkeit der ganzen Sache Erfahrungen in dieser Richtung seltener vorliegen dürften und gerade im vorliegenden Falle der Verlauf ein derart präciser war, wie man ihn selbst zu einem eigens herbeigeführten Versuche nicht besser hätte wünschen können und eben dadurch im Großen alle jene Erscheinungen bestätigt wurden, wie selbe Dufour durch Versuche im Kleinen nachwies, die wohl im Zusammenhange mit noch anderen Beobachtungen als die theilweisen Ursachen der Kessel-Explosionen angesehen werden können. Ich hatte in einer Braunkohlengrube Böhmens eine Wasserhaltungsmaschine in Gang zu setzen, welche ein Wasserquantum von circa 50 Kubikfuß per Minute auf 30° Höhe zu heben hatte; die Maschine war einfach- und direct-wirkend, mit Ventil- und Cataractsteuerung versehen; der dazu gehörige Kessel war ein solcher mit Siederohr, von 3' 6'' und 2' 6'' Durchmesser und 24' resp. 21' Länge, auf 3 1/2 Atmosphären effect. geprüft. Zur Heizung des Kessels wurden von der dortigen Grube selbst die Braunkohlen, eine der vorzüglichsten des ganzen Beckens, verwendet, die auf einem Treppenroste gewöhnlicher Construction verbrannt wurden. – Zur Speisung des Kessels benutzte man die Grubenwässer, die man schon früher mittelst eines Haspels heraufgeholt hatte. Um die Steuerungs-Apparate, das Klinkzeug etc. richtig stellen zu können, wurde der Kessel angeheizt und Dampf entwickelt; ich setzte die Maschine in Gang und steuerte mit der Hand, um das Zusammengreifen aller Steuerungstheile beobachten und eventuell rectificiren zu können; die Dampfspannung im Kessel betrug während dieser Zeit 35 Pfund effect. – Da zeigte es sich nun, daß wegen einer vorzunehmenden Regulirung der Steuerungsknaggen, die Maschine wahrscheinlich mehrere Stunden stehen bleiben müsse, weßhalb ich mit dem Heizen des Dampfkessels einhalten ließ; da jedoch die Dampfspannung wuchs, so ließ ich das Feuer gänzlich herausnehmen und ablöschen. Vermutlich hatte in dieser Zeit bereits eine Ueberhitzung des Wassers stattgefunden, da die Dampfspannung sich noch immer steigerte, so daß die Sicherheitsventile anfingen abzublasen: ich ließ daher das Rauchregister entsprechend öffnen, um einen möglichst starken Luftstrom unter dem Kessel zu erhalten und ihn derart abzukühlen, aber Alles umsonst; die Dampfentwickelung nahm trotz der Sicherheitsventile zu und wurde so stark, daß eine dichte Dampfwolke das Kesselhaus erfüllte, die mich sogar hinderte, die Dampfspannung zu beobachten und hieraus Anhaltspunkte für mein Vorgehen zu gewinnen. – Um diesem Ungewissen Zustande ein Ende zu machen, und Klarheit in das Ganze zu bringen, beschloß ich, die Sicherheitsventile zu überlasten, was mir auch nach vieler Mühe gelang; die Dampfwolken zerstreuten sich, da sah ich nun, daß der Dampf bereits eine Spannung von 60 Pfund erreicht hatte und jetzt noch bis 63 Pfd. stieg. Von da an sank er langsam, bis er wieder auf die Spannung von 15 Pfd. effectiv kam. Jetzt erst zeigte sich die volle Uebereinstimmung mit den Versuchen von Dufour, daß eben eine Ueberhitzung des Wassers stattfinden, resp. das Sieden zurückbleiben könne, wenn der Druck successive vermindert wird, und Letzteres wieder eintritt, wenn durch irgend eine mechanische Einwirkung das gleichsam im labilen Gleichgewichte befindliche Wasser in seiner Ruhe gestört wird. Der Kesselwärter manipulirte am rückwärtigen Theile des Kessels, kam hierbei – ohne es zu beabsichtigen – dem Wasserablaßhahne zu nahe, dessen Kegel, wie sich später zeigte, bereits früher gebrochen war und nun durch einen geringen ihm mitgetheilten Stoß genügend erschüttert wurde, um durch den Dampfdruck aus seinem Sitze gerissen zu werden, worauf der Kessel sich natürlich zu entleeren begann. Die hierdurch dem Wasser mitgetheilte Bewegung war in diesem Falle die eben bereits erwähnte mechanische Einwirkung; das Wasser wurde in seiner Ruhe gestört und die in selbem bis nun zurückgehaltene, jetzt frei gewordene Wärme verursachte eine größere Dampfentwickelung, so daß die Dampfspannung binnen wenigen Minuten von 15 Pfd. auf 25 Pfd. effectiv stieg, wobei sie aber stehen blieb. Ob der ganze Verlauf dieser abnormen Dampfentwickelung einen so glücklichen Ausgang genommen hätte, wenn die Erschütterung des Wassers bei einer bedeutend höheren Dampfspannung erfolgt wäre, muß wohl verneint werden, aber wenigstens ist daraus zu entnehmen, daß im Großen die Steigerung des Dampfdruckes, wenn auch eine rasche, denn doch eine successive war und durchaus nichts explosionsartiges, wie bei den Versuchen von Dufour, an sich hatte. Der Kessel litt durch die starke Inanspruchnahme nicht im Geringsten. Im Ganzen genommen dürfte die mitgetheilte Erscheinung wieder einen Blick in die oft unerklärlichen Ursachen der Dampfkessel-Explosionen gestatten (vor denen man so häufig eine niedrigere Dampfspannung constatirt haben soll, als jene, mit welcher der Kessel gewöhnlich arbeitete), die eben beim Oeffnen eines Dampf- oder Sicherheitsventils stattfanden.“ (Zeitschrift des österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereins, 1867 S. 16.)