Titel: Ueber die Phenylsäure und ihre Eigenschaften; von Professor Fr. Crace Calvert in Manchester.
Fundstelle: Band 187, Jahrgang 1868, Nr. LV., S. 238
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LV. Ueber die Phenylsäure und ihre Eigenschaften; von Professor Fr. Crace Calvert in Manchester. Aus dem Bulletin de la Société d'Encouragement, Juli 1867, S. 447. Calvert, über die Phenylsäure und ihre verschiedenen Anwendungen. Geschichtliches. Nach einer Aufzählung der verschiedenen bei der Destillation der Steinkohlen erzeugten Producte (Gase, Ammoniakwasser, Theer und Kohks), sowie der von der Destillation des Steinkohlentheeres herrührenden Erzeugnisse (Leichtöle, Schweröle und Theerrückstand) geht der Verf. zu den verschiedenen Anwendungen über, welche die meisten dieser Producte bisher gefunden haben, unter denen er besonders die Benutzung der Schweröle zur Conservirung der hölzernen Eisenbahnschwellen (nach dem Systeme von John Bethell, 1837) hervorhebt. Dann kommt er auf die Geschichte der Phenylsäure, welche zuerst vor etwa zwanzig Jahren von Laurent aus dem Steinkohlentheer dargestellt wurde. Laurent's Verfahren bestand in einer fractionirten Destillation der Steinkohlen-Leichtöle und einer darauf folgenden Behandlung der zwischen 160° und 200° C. übergegangenen Destillationsproducte mit concentrirter Kalilauge. Die von den über ihr stehenden Hydrocarbüren getrennte alkalische Lösung wurde schließlich mit einer Säure neutralisirt, welche sich der Base bemächtigte, so daß die Phenylsäure frei wurde. Zur Fabrication im Großen war diese Darstellungsmethode unvortheilhaft; überdieß war das erhaltene Product unrein und die zu seiner Erzeugung erforderlichen Operationen waren zu complicirt. Mansfield empfahl im Jahre 1847 die Behandlung der Schweröle mit caustischen Alkalien. – Im Jahre 1856 machte Boboeuf ein Verfahren bekannt, welches nur eine Modification der Laurent'schen Methode ist; dasselbe bestand wesentlich in der Anwendung des Aetznatrons anstatt des Kalis, sowie in der Behandlung der Gesammtmenge der Leichtöle, anstatt nur eines Theiles derselben, wie es Laurent angegeben hatte; bei Anwendung dieses Verfahrens wurde jedoch stets eine sehr unreine Säure gewonnen, aus der sich die wirkliche Phenylsäure nur sehr schwierig extrahiren ließ. Indessen bildeten diese Verfahrungsarten in commercieller Beziehung doch einen Fortschritt. Dieselben Producte und andere von beiläufig gleicher Reinheit wurden von John Bethell (unter der Leitung von Calvert) seit 1847 im Großen dargestellt und von allen Chemikern benutzt, welche sich zu jener Zeit mit Untersuchungen über die Eigenschaften der Phenylsäure und über die möglichen Verwendungen derselben, z.B. zur Darstellung von Pikrinsäure, oder zur Verhütung der Umwandlung des in den Gerbmaterialien enthaltenen Tannins (Gallusgerbsäure) in Gallussäure, oder zur Verhütung der Fäulniß organischer Substanzen beschäftigten. Wie der Verf. mittheilt, wurde er durch Marnas, Theilhaber der Firma Guinon, Marnas und Bonnet zu Lyon, veranlaßt sich mit der Reinigung der Phenylsäure speciell zu beschäftigen. Er fand bald, daß die günstigste Darstellungsweise dieses Körpers in einer Behandlung des käuflichen unreinen Benzins (Naphta) mit schwachen Alkalilösungen besteht. Man erhält dadurch ein halbflüssiges, schwärzlich gefärbtes Product von 1,06 spec. Gew., welches 50 Proc. wirkliche Phenylsäure enthält; letztere läßt sich durch eine langsame Destillation theilweise abscheiden. Dieses Product wurde bis zum Jahre 1861 von dem genannten Hause, sowie von Anderen zur Darstellung der von der Phenylsäure abstammenden Farbstoffe verwendet; um diese Zeit aber begannen die Anilinfarben wegen ihrer Lebhaftigkeit solche Erfolge zu erringen, daß es, um die Concurrenz aushalten zu können, nöthig wurde, die Phenylsäurefarbstoffe zu verbessern. Auf diese Weise gelangte Calvert in den Jahren 1863 und 1864 allmählich dahin, die Darstellung der Phenylsäure zu vervollkommnen, nicht nur für letztere Anwendung, sondern auch für ihre therapeutische Benutzung. Gegen Schluß des Jahres 1866 entdeckte Calvert endlich ein Verfahren, mittelst dessen er ein von jedem unangenehmen Geruche vollkommen freies Product zu liefern im Stande ist; dasselbe ist, obschon es aus dem so stark riechenden Steinkohlentheer gewonnen worden, ganz ebenso rein, als ob es mittelst des in neuester Zeit von Wurtz und Kekulé entdeckten, auf die unmittelbare Umwandlung des Benzols in Phenylsäure gegründeten Processes, oder mittelst des bekannten Verfahrens zur Umwandlung der Salicylsäure oder des Benzoesäurenitryls, künstlich erzeugt worden wäre. Diese von Calvert fabricirte Phenylsäure unterscheidet sich von der von Laurent dargestellten darin, daß sie in 20 Thln. Wasser löslich ist, während letztere 33 Thle. erfordert. Ihr Schmelzpunkt liegt bei 41°, ihr Siedepunkt bei 182° C. In Ammoniak gelöst und dann mit einer geringen Menge eines Unterchlorigsäuresalzes versetzt, gibt sie die zuerst von Berthelot beobachtete blaue Färbung; ein mit dieser Phenylsäure getränkter Span von Fichtenholz färbt sich blau, wenn er Salzsäuredämpfen ausgesetzt wird. Da die Laurent'sche Phenylsäure stets einen constanten Siede- und Krystallisations-(Erstarrungs-) Punkt zeigt, so nahm man an, daß sie ein reines Product von bestimmter Zusammensetzung sey; nun aber beweist die Darstellung der neuen (Calvert'schen) Säure, daß dieß nicht der Fall, sondern das Laurent'sche Product ein Gemenge von Phenylsäure und verschiedenen Homologen derselben ist. Fügt man zu der Laurent'schen Säure eine gewisse Menge Wasser und setzt das Gemisch einer Temperatur von + 4° C. aus, so scheidet sich ein in großen Oktaedern krystallisirender Körper aus, ein Hydrat des Phenylalkohols, d. i. Phenylsäure mit 1 Aequiv. Krystallwasser. Diese Thatsache ist in theoretischer Beziehung von Wichtigkeit; denn sie bietet das einzige Beispiel eines Alkohols dar, welcher in Folge seiner Verbindung mit Wasser ein krystallisirtes, somit starres Hydrat bildet. Entzieht man diesem Hydrate das Aequivalent Wasser, welches darin enthalten ist, so erhält man Phenylsäure im Zustande der größten Reinheit, wo sie bei + 41° C. schmilzt. Verschiedene Anwendungen der Phenylsäure. Anwendung der Phenylsäure zu Zwecken der öffentlichen Gesundheitspflege, der Medicin, der Landwirthschaft etc. – Pasteur's Untersuchungen haben nachgewiesen, daß jeder Gährungs- und Fäulnißproceß von der Gegenwart mikroskopischer Pflanzen oder Thiere herrührt, welche während ihres Lebens die organischen Substanzen so zersetzen und verändern, daß die bekannten für jene Processe charakteristischen Erscheinungen eintreten. Wenn aber diese niederen Organismen bei ihrem Auftreten mit Phenylsäure in Berührung kommen, so werden sie augenblicklich zerstört. Demnach ist die Phenylsäure ein weit wirksameres und rationelleres Mittel zur Verhinderung der Fäulniß und zur Desinfection, als die zu diesen Zwecken allgemein gebräuchlichen Substanzen. Die gewöhnlichen Desinfectionsmittel, z.B. das Chlor, wirken dadurch, daß sie die gasförmigen Fäulnißproducte sogleich bei ihrer Bildung zersetzen; die Phenylsäure hingegen wirkt dadurch, daß sie die den Fäulnißproceß bedingenden mikroskopischen Organismen (Fermente) zerstört, und da diese im Verhältnisse zu der Masse der Substanzen, auf welche sie einwirken, stets nur in geringen Mengen vorhanden sind, so ist auch eine sehr geringe Quantität der Säure zur Verhinderung der durch jene Organismen hervorgerufenen Zersetzung hinreichend. Das Verfahren ist demnach gleichzeitig wirksam und billig. Ueberdieß trifft die Phenylsäure in Folge ihrer Flüchtigkeit, wie Dr. J. Lemaire bemerkt, mit den in der Atmosphäre schwebenden und dieselbe verderbenden Sporen oder Keimzellen zusammen und zerstört sie. Aus diesem Grunde sind in England, Belgien und Holland während der Cholera- und Rinderpest-Epidemie ungeheure Mengen von Phenylsäure verbraucht worden. Bei dieser Gelegenheit erinnert Calvert an die Untersuchungen von Gratiolet und von Dr. Lemaire über diesen Gegenstand; durch dieselben wird bestätigt, daß die Phenylsäure als kräftiges Mittel zur Bekämpfung der Cholera, des Typhus, der schwarzen Blattern und anderer ansteckenden Krankheiten zu empfehlen ist. Er hebt die caustische Wirkung dieser Säure und ihren guten Erfolg bei der Behandlung des Carbunkels, des Croups, sowie äußerer und innerer Fisteln, hervor und bemerkt bezüglich ihrer fäulnißverhindernden Eigenschaft, daß durch die Anwendung von Phenylsäure bei gewissen Wunden der Eiterungsproceß normal erhalten und der widrige Geruch, welchen solche eiterige Wunden von sich geben, zerstört wird. Wer im Pariser Hôtel-Dieu die unter der Leitung von Dr. Maisonneuve stehenden Krankensäle besucht, hat die beste Gelegenheit, sich von den großen Diensten zu überzeugen, welche die Phenylsäure der Chirurgie zu leisten vermag. Für die Landwirthschaft bildet die Phenylsäure ein ausgezeichnetes Heilmittel gewisser, unter dem Schafvieh sehr häufig auftretenden Krankheiten, namentlich Räude und Klauenseuche. Gegen Räude wird sie in Verbindung mit Seife in Form einer Emulsion, welche 1 Proc. Säure enthält, angewendet. Nachdem das Thier vollständig geschoren ist, wird es in dem phenylsäurehaltigen Seifenwasser gebadet; einmaliges Baden ist gewöhnlich zur Heilung hinreichend. Gegen Klauenseuche verbindet man die Säure mit einer klebenden teigartigen Substanz zu einer Art von Pflaster, welches man auf die kranken Füße legt und mittelst eines Verbandes gegen Luftzutritt geschützt, einige Tage wirken läßt. Um bei größeren Schafheerden Zeit zu ersparen, füllt man einen langen Trog mit dem Mittel an, worauf man die Schafe nöthigt hindurchzugehen, so daß sich das Mittel an die kranken Füße anhängt. Auch der Industrie kommen die werthvollen Eigenschaften der Phenylsäure zu Gute. Abgesehen von der bereits erwähnten Benutzung zur Conservirung des Holzes, findet sie noch mehrfache andere, nicht weniger wichtige Verwendungen. In Australien, Chile, Buenos-Ayres etc. wird bekanntlich ein sehr ausgedehnter Handel mit den Häuten und Knochen von wilden Rindern getrieben, welche auf den dortigen Prairien in großen Heerden umherschweifen und zu Tausenden erlegt werden. Die Knochen kommen gewöhnlich in sehr schlechtem, halb verfaultem Zustande zu uns; sie verbreiten einen unerträglichen Gestank und können nur als Dünger benutzt werden. In diesem Zustande hatten sie bisher einen Werth von höchstens 150 Francs per 1000 Kilogrm. Jetzt werden sie an Ort und Stelle oder in den Hafenstädten mit Phenylsäure behandelt, so daß sie in ganz gutem Zustande zu uns gelangen und zu allen Zwecken der Drechslerei und der Kunsttischlerei verwendet werden können; ihr Werth beträgt 200 bis 300 Fr. Die Häute kamen früher ebenfalls halb verfault nach Europa, wenigstens wenn sie nicht an den Productionsorten rasch an der Sonne getrocknet oder eingesalzen worden waren, was eine langwierige und kostspielige Arbeit ist. Jetzt werden sie 24 Stunden lang in Wasser eingetaucht, welches 2 Proc. Phenylsäure enthält und dann an der Luft getrocknet; dadurch werden sie vollständig conservirt. Wahrscheinlich werden in der nächsten Zeit Blut, Eingeweide und andere thierische Abfälle in jenen Ländern mit Hülfe der Phenylsäure in reichhaltige Dünger verwandelt und diese nach Europa eingeführt werden. In England wird die Phenylsäure zur Zubereitung der Därme in den Darmsaitenfabriken, zur Conservirung anatomischer Präparate und aller sonstigen thierischen Substanzen benutzt; auch verwendet man sie dort in den Spinnereien, um die Schlichte, sowie in den Färbereien und Kattundruckereien, um den Leim und das Eiweiß gegen Fäulniß zu schützen. Phenylsäurefarben. – Unter den aus Phenylsäure dargestellten Farbstoffen ist der wichtigste unstreitig die Pikrinsäure. Nach Welter, dem wir unsere erste Kenntniß von dieser Säure verdanken, erhielt sie den Namen Welter'sches Bitter. Im Jahre 1807 suchte Chevreul die Einwirkungen der Salpetersäure auf organische Stoffe zu ergründen und lieferte in einer trefflichen Arbeit den Nachweis, daß die Pikrinsäure das Product einer Nitrirung jener Stoffe, so u.a. des Indigos ist. In den Producten dieser Nitrirung erkannte er zwei verschiedene Körper, welche er Bitter im Minimum und Bitter im Maximum nannte. Laurent untersuchte die Pikrinsäure i. J. 1841 von Neuem und zeigte, daß der wahre Erzeuger derselben die Phenylsäure ist und daß in Folge der Einwirkung der Salpetersäure auf diese letztere drei Nitroverbindungen entstehen: Mononitrophenylsäure, Binitrophenylsäure und Trinitrophenylsäure; die letztere ist die Pikrinsäure. Diese interessanten Resultate der Laurent'schen Untersuchungen wurden vielleicht sehr lange ohne materiellen Werth geblieben seyn, wenn nicht die Pikrinsäure von Guinon dem Aelteren in Lyon, zuerst i. J. 1847, in der Färberei angewendet worden wäre. Seit dieser Zeit wurde die Benutzung dieser Säure nicht allein zur Erzeugung prachtvoller Nüancen von Gelb, sondern auch, in Verbindung mit Indigo, zur Darstellung ordinärer grüner Farben, oder in Verbindung mit Berlinerblau, zur Darstellung von Hellgrün, eine so allgemeine, daß sich der jährliche Verbrauch an diesem Präparate auf 80 bis 100000 Kilogr. veranschlagen läßt. Das Lyoner Haus Guinon, Marnas und Bonnet allein producirt wöchentlich mehr als 300 Kilogr., und wenn man berücksichtigt, daß 1 Kilogr. Pikrinsäure zur Erzeugung intensiver Farben auf 70 bis 100 Kilogr. Seide, bezüglich auf 40 bis 50 Kilogr. Wolle vollständig ausreicht, so kann man sich einen Begriff von der ungeheuren Menge Gespinnstfaser machen, welche nur allein mit diesem Producte gefärbt wird. Die Methoden zur Darstellung der Pikrinsäure sind noch heute dieselben, wie sie Laurent i. J. 1841 angab; aber erst nachdem es Calvert gelungen war, die Phenylsäure wohlfeiler zu produciren, ward es möglich, die Pikrinsäure frei von allen den harzigen Substanzen, welche ihrer Reinigung hinderlich sind, sowie zu mäßigeren Preisen darzustellen. Heutzutage erhalten wir die Säure nach ein –, höchstens zweimaligem Umkrystallisiren chemisch rein und ihr Preis, der vor wenigen Jahren 30 bis 40 Fr. per Kilogr. betrug, hat sich jetzt auf 10 Fr. ermäßigt. Bekanntlich gibt die Pikrinsäure in der Farberei verschiedene Nüancen von Gelb, die vom hellsten Canariengelb bis zu den tiefen Tonen der Curcuma variiren. Zu einem raschen und billigen Färben mit dieser Substanz muß dem Färbebade eine kleine Menge Schwefelsäure zugesetzt werden; dieser keineswegs allgemein bekannte Kunstgriff ist von großer Wichtigkeit, denn durch denselben wird das Färben der Garne sehr erleichtert und eine vollständige Erschöpfung des Bades ermöglicht. Ferner bildet die Pikrinsäure den Ausgangspunkt zur Darstellung verschiedener anderer Farbstoffe; zu diesen gehören folgende Substanzen: 1) Pikraminsäure, zuerst von Wöhler dargestellt. Versetzt man Pikrinsäure mit (ihrem 24fachen Gewichte) schwefelsaurem Eisenoxydul und neutralisirt dann mit Aetzbaryt, so erhält man ein dunkelbraunes Salz. Nach Absonderung des schwefelsauren Baryts durch Filtriren erhielt Wöhler eine Säure, welche er Nitrohämatinsäure nannte. Das praktische Verfahren jedoch, mittelst dessen sich große Mengen dieses Productes darstellen lassen, verdanken wir Aimé Girard. Die Pikraminsäure gibt auf Seide eine Reihe schöner brauner Farben, den durch Catechu erzeugten ähnlich. 2) Isopurpursaures Ammoniak. Auf der Pariser Industrie-Ausstellung von 1867 befand sich unter den chemischen Producten von J. Chasthelaz ein im Handel unter der Bezeichnung lösliches Granatroth vorkommender Farbstoff, welcher besonders von Chalamel zu Puteaux angewendet wird; derselbe ist insofern merkwürdig, als er mit dem purpursauren Ammoniak oder Murexid isomer ist. Line Methode zur Darstellung dieses interessanten Körpers wurde zuerst von Carey angegeben; indessen ist die fabrikmäßige Darstellung dieses Isopurpursäuresalzes erst durch ein von Hlasiwetz erfundenes Verfahren ermöglicht worden, welches in der Behandlung der Pikrinsäure mit Cyankalium besteht. Calvert erinnert an die explosiven Eigenschaften des pikrinsauren Kalis, welches eine Zeit lang beim Probiren der Panzerplatten für Kriegsschiffe zum Füllen der Bomben angewendet wurde, sowie an verschiedene mit Erfolg als fiebervertreibende Mittel angewendete Pikrinsäurepräparate, welche namentlich dann mit Vortheil benutzt werden, wenn Chinin keine Wirkung mehr hat. Ferner bemerkt der Verf., indem er auf die als Farbstoffe anwendbaren Abkömmlinge der Phenylsäure zurückkommt, daß Runge, als er i. J. 1834 diese Säure unter den Destillationsproducten der Steinkohle entdeckte, gleichzeitig die Existenz zweier anderen Farbsubstanzen nachwies, welche er Rosolsäure und Brunolsäure nannte. Ohne die Methoden näher zu erörtern, mittelst welcher dem genannten Chemiker die Extraction dieser Substanzen aus dem Steinkohlentheer mittelst Kalk gelang, und ohne auf die Mittel specieller einzugehen, welche von Smith, Dussart und Jourdin zu gleichem Zwecke, durch unmittelbare Oxydation der Phenylsäure angewendet wurden, gibt Calvert an, daß das von seinem Hause zur Fabrication der Rosolsäure angewendete Verfahren, dessen Erfindung er J. Persoz d. J., und nicht Kolbe (1859) zuschreibt, in einer Behandlung der Sulfophenylsäure mit Oxalsäure bei einer Temperatur von etwa 160° C. besteht. Das dabei resultirende Product bildet eine bronzefarbene, spanischen Fliegen ähnlich grünschillernde Masse, welche zur Entfernung aller Schwefelsäure nur gehörig ausgewaschen zu werden braucht, um sofort zum Färben angewendet werden zu können. Im Handel ist dieses Product unter dem Namen gelbes Corallin bekannt. Im Jahre 1863 fand das Etablissement Guinon, Marnas und Bonnei, daß die auf diese Weise dargestellte Rosolsäure unmittelbar als Farbstoff angewendet werden könne und führte dieses Präparat zuerst in den Handel ein, unter der Bezeichnung Aurin. Dasselbe gibt auf Seide und auf mit Albumin vorbereiteter Baumwolle prächtige orangefarbene oder morgenrothe Farbentöne, welche an die durch das basisch-chromsaure Bleioxyd hervorgebrachten Nüancen erinnern. Im Jahre 1860 entdeckte J. Persoz d. J., daß wenn Rosolsäure unter Druck mit Ammoniak erhitzt wird, ein rother Farbstoff entsteht, welchen er Päonin nannte. Guinon, Marnas und Bonnet vervollkommneten die Darstellungsmethode dieses Präparates und bezeichneten es als rothes Corallin.Polytechn. Journal Bd. CLXVII S. 390. Auf Seide und Wolle gibt es sehr glänzende ponceau- und scharlachrothe Töne. Dieselben Industriellen waren die ersten, welche einen ebenfalls aus dem Steinkohlentheer abstammenden blauen Farbstoff darstellten, den sie 1860 als Azulin Polytechn. Journal Bd. CLXVII S. 391. in den Handel einführten. Diese Substanz wird durch mehrstündiges Erhitzen eines Gemisches von Rosolsäure und Anilin bei ungefähr 180° C. dargestellt; es bedarf dann nur einer Behandlung des so erhaltenen Productes mit Schwefelsäure, um diesen schönen blauen Farbstoff darzustellen, welcher nach dem Reinigen eine rothe, goldig schimmernde Masse darstellt. Guinon, Marnas und Bonnet verdanken wir ferner die erste Darstellung einer grünen Steinkohlentheerfarbe, des Viridins, welches 1863 in den Handel kam, einige Monate vor dem Auftreten des aus Anilin dargestellten Ufèbe'schen Grün, welches letztere, sowie die mit Jod erzeugten grünen Farben jetzt allein in der Färberei angewendet wird. Das Viridin wird aus einem Gemisch von Rosolsäure, Anilin und Benzoesäure dargestellt.Im Jahre 1860 nahmen Calvert, Clift u. Lowe ein (im polytechn. Journal Bd. CLIX S. 449 mitgetheiltes) Patent auf die unmittelbare Darstellung eines Grün auf Baumwolle, welches sie Emeraldin nannten; ebenso auf die Erzeugung eines sehr dunkeln, dem Indigo ähnlichen Blau, des Azurins, welches letztere, wenn es in concentrirter Lösung aufgedruckt ist, mit Schwarz verwechselt werden kann. Noch ein anderer Farbstoff wird aus Phenylsäure gewonnen, das i. J. 1863 von J. Roth entdeckte Phenylbraun (phénicienne), welches durch Behandlung der Phenylsäure mit Salpeterschwefelsäure dargestellt wird und auf der thierischen Faser sehr dauerhafte, von Dunkelgranatroth bis zum feurigen Isabellgelb gehende Farbentöne gibt.Polytechn. Journal Bd. CLXXV S. 304.