Titel: Die chemische Methode der Brodbereitung; von Justus v. Liebig.
Fundstelle: Band 187, Jahrgang 1868, Nr. LXXXI., S. 346
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LXXXI. Die chemische Methode der Brodbereitung; von Justus v. Liebig. v. Liebig über die chemische Methode der Brodbereitung. Mein Vorschlag, Brod ohne Sauerteig oder Hefe zu bereiten,Aus der Allgemeinen Zeitung in diesem Bande des polytechn. Journals (zweites Januarheft) S. 183. hat mir in einer Fluch von Anfragen um nähere Belehrung bewiesen, wie groß das Bedürfniß einer Methode ist, welche die Bäckerei unabhängig von dem Gährungsprocesse macht; aber meine Mittheilungen über die chemische Methode der Brodbereitung haben durch ihre Unvollständigkeit zu manchen irrigen Ansichten Veranlassung gegeben, und wie ich aus den an mich gelangten Briefen entnehme, ist es nur Wenigen gelungen befriedigende Erfolge zu erzielen. Dieß konnte kaum anders seyn. Auch in die beste und genaueste Vorschrift können nicht alle Bedingungen ihrer Ausführung eingeschlossen seyn, und man sollte nicht erwarten über Nacht zu den Erfahrungen zu kommen, zu deren Erwerb ein Bäckerlehrling ein paar Jahre braucht; von der Qualität des Mehles, der Temperatur des Ofens und der Dauer des Backens hängt die gute Beschaffenheit des Brodes ab, und es ist immer eine Anzahl von Versuchen nöthig um das Rechte zu treffen. Es hat sich bei Manchen die Meinung festgesetzt, daß die chemische Methode der Brodbereitung sich wesentlich auf die von Schrotbrod, wie es in meinem Hause eingeführt ist, beziehe; dieß ist ein Irrthum, der auf der Verwechslung zweier verschiedenen Dinge beruht. Die chemische Methode ist darauf berechnet die Gährung zu umgehen, und mehr Brod aus einer gegebenen Menge irgendeines Mehles zu gewinnen; in dem Schrotbrod dagegen habe ich hauptsächlich Brod, bereitet aus Mehl von dem ganzen Korn, empfehlen wollen. Die chemische Methode eignet sich für jede Art von Brod, und liefert mit jeder Mehlsorte ein gleichförmiges Brod von eben so guter Beschaffenheit wie das so gerühmte arated bread,“ welches neuerdings in England ziemlich allgemein in Gebrauch gekommen ist; sie ändert nichts an der Beschaffenheit des Mehles, mit schlechtem Mehl erhält man ein schlechtes, mit gutem Mehl ein gutes Brod. Ihr Unterschied von der gewöhnlichen Methode liegt einfach darin, daß man statt der Gährung, die ein chemischer Proceß ist, welcher Mehl oder Brod zerstört, einen anderen chemischen Proceß zur Herstellung der porösen Beschaffenheit des Brodes verwendet, welcher frei von diesem Nachtheil ist. Durch die Anwendung der chemischen Methode erzielt man aus allen Sorten Mehl mehr Brod als mittelst Gährung, aus Schrotmehl noch mehr und nahrhafteres Brod. Der Vortheil des Schrotbrodes liegt keineswegs in der groben Beschaffenheit des Mehles, das Brod von grobem Schrot ist eine Liebhaberei, die nicht Jedermann theilt, sondern der Nutzen liegt darin, daß nur das Mehl von ganzem Korn den vollen Nährwerth des Korns besitzt. Durch die Sonderung der Kornbestandtheile in Mehl und Kleie gehen gewisse Stoffe (Phosphate) in die Kleie über, durch deren Mangel im Mehl dessen Nährwerth in einem weit größeren Verhältnisse vermindert wird, als dem Gewicht der Kleie entspricht. Achtzig Mehl von hundert Korn entsprechen also nicht 80 Procenten vom Nährwerth des Korns, sondern weniger; bei den feinen Mehlsorten oft 10–12 Proc. weniger. In dem Schrotmehl sind alle Bedingungen vereinigt, durch deren Zusammenwirken jeder einzelne Bestandtheil des Korns seine volle Wirksamkeit in dem Ernährungsprocesse gewinnt. Um dem Auge zu gefallen, scheidet der Mensch in der Mehlbereitung, was die Natur auf das Weiseste gemischt in das Korn gelegt hat; das schönste Weißeste Mehl hat den kleinsten Nährwerth. Durch die Verwendung des Mehles von ganzem Korn zum Brode werden also nicht bloß die 12–15 Proc. Mehl für die Ernährung des Menschen gewonnen, die in der sogenannten Kleie bleiben und daraus auf einem Siebe mit kaltem Wasser ausgewaschen werden können, sondern es wird auch in solchem Brode der volle Nährwerth des Korns erhalten. Fünfundneunzig Pfund Mehl von 100 Korn besitzen 95 Procent von dem Nährwerth des Korns. Die äußeren Schalen des Korns, welche feinem Stroh gleichen, haben keinen Nährwerth, gehören nicht zum Schrotmehl, und können darum durch Beutelung abgesondert werden. Mehr als 5–6 Procent soll dieser Abfall nicht betragen. Ist das Korn nach Henkel und Seck's Methode gereinigt, so hat man keinen Abfall. Mit einer Ration von Brod aus Mehl von ganzem Korn reicht man weiter als mit einer gleichen Ration Brod von anderem Mehl, oder man kommt mit weniger aus. Damit ist nicht gesagt, daß in einer Haushaltung, in welcher der Brodschrank immer offen und Jedem zugänglich ist, weniger von diesem Brod gegessen wird als von anderem Brod; in der meinigen ist dieß nicht der Fall. Das Naturgesetz im Menschen, was Instinct heißt, schmeckt ganz sicher heraus was ihm zuträglich ist, und so hat denn das Brod von Schrotmehl einen eigenthümlichen Wohlgeschmack, welcher macht, daß man nicht weniger davon ißt als von anderem Brod: es sättigt aber mehr als das gewöhnliche Brod, und über eine gewisse Grenze hinaus genossen, verdirbt es, wie man in diesem Falle sagt, den Appetit, d.h. man genießt weniger von anderen Speisen. Beim schönen Pariser Brod ist es umgekehrt; es sättigt lange nicht in gleichem Maaß. Was die Ersparung von Nahrungsstoff durch die chemische Methode der Brodbereitung betrifft, so hat diese für die Gesellschaftsclassen, für welche das Brod nur eine Zuspeise ist, kein besonderes Gewicht; ganz anders stellt sich dieß für die Mehrheit der Bevölkerung heraus, für welche das Brod das Hauptnahrungsmittel ausmacht. Nimmt man an, daß in den Zollvereinsstaaten die vierzig Millionen Bewohner nur zwanzig Millionen Pfund Brod täglich verzehren, so macht der Gewinn von nur einem Proc. mehr Brod täglich zweitausend Centner Brod aus, und wenn durch den Gebrauch von Schrotbrod nur zehn Proc. mehr an Nährwerth für die Menschen gewonnen werden, so ist der Gewinn für die Bevölkerung außerordentlich groß. Die Erde wird immer enger für die Menschen, und sie haben allen Grund sparsam zu seyn. Ich wiederhole es: daß es in der Ernährung nicht darauf ankommt Brod von grobem Schrotmehl zu essen, sondern Brod von ganzem Korn. Es sind mir Proben von Schrotbrod von vielen Orten zur Begutachtung zugesendet worden, das meiste sah aus wie wenn es aus einem Gemenge von Sägespänen mit Mehl bereitet worden wäre; Unkrautsamen aller Art sah man in der Krume eingebettet; aus einem solchen Korn und Mehl läßt sich kein wohlschmeckendes und gutes Brod bereiten. Was die von Manchen befürchtete Schädlichkeit der Salzsäure im Brode betrifft, so weiß heutzutage jeder Schüler einer Gewerbschule daß Salzsäure und Natron zusammen Kochsalz geben. Ich habe bereits erwähnt, daß die chemische Methode der Brodbereitung keine neue Sache ist, und daß ich nicht der Erfinder derselben bin; in meinen Augen verringert dieß in keiner Weise ihren hohen Werth. Vor 25 Jahren, als das Pfund doppelt-kohlensaures Natron einen Thaler kostete, war sie, weil sie das Brod vertheuerte, nicht allgemein anwendbar; aber die Wunder der chemischen Industrie haben sie reif für die Anwendung gemacht; sie nimmt zur Bereitung des Brodes nur die halbe Arbeit in Anspruch, und durch den Ausschluß unzähliger Schimmelpilze, welche mit dem Sauerteig in den Teig kommen und die beim Backen nicht vollständig getödtet werden, verliert es die dem gewöhnlichen Brode zukommende Eigenschaft von innen heraus zu schimmeln. Die chemische Methode der Brodbereitung ist jetzt aus meinem Laboratorium in die Praxis übergegangen, und nach einigen Versuchen, ganz besonders zur Ausmittelung der richtigen Backtemperatur, ist es dem geschickten und erfahrenen Bäckermeister Massa in München bald gelungen, sowohl Schwarzbrod aus Mehl von ganzem Korn, als Brod aus gewöhnlichem Mehl von sehr guter Beschaffenheit darzustellen, und es ist ohne Zweifel der Neugierde des Publicums zuzuschreiben, daß er bei weitem nicht die Nachfrage befriedigen konnte. Mit der Bereitung des Teiges von vier Centnern Mehl war das fertige Brod nach vier Stunden zum Verkauf im Laden. In meiner (früher mitgetheilten) Vorschrift hat sich in der Praxis in den Verhältnissen nichts Wesentliches geändert, wohl aber in ihrer Ausführung. In der Massa'schen Bäckerei werden auf hundert Zollpfund Schwarzmehl ein Pfund doppelt-kohlensaures Natron, 4 1/4 Pfd. Salzsäure von 1,063 specifischem Gewicht, 1 3/4 bis 2 Pfd. Kochsalz und 79 bis 80 Pfd. Wasser genommen; bei gewöhnlichem Brodmehl darf die Wassermenge 70 bis 72 Pfd. für 100 Pfd. Mehl nicht übersteigen; das Verhältniß des Natrons zur Salzsäure ist so gewählt, daß 5 Gramme doppelt-kohlensaures Natron durch 33 Kubikcentimeter Salzsäure vollständig neutralisirt werden; das Brod muß eine sehr schwachsaure Reaction behalten. Zuerst wird das Mehl mit dem doppelt-kohlensauren Natron gemischt, das Kochsalz in Wasser gelöst und mit diesem Salzwasser der Teig angemacht; eine kleine Portion des mit dem kohlensauren Natron gemischten Mehles wird vor dem Einteigen bei Seite gethan. In den fertigen Teig wird jetzt die Salzsäure in kleinen Portionen eingeknetet, das zurückbehaltene Mehl hinzugesetzt und die Laibe geformt. Vor dem Einschießen läßt man sie eine halbe bis drei Viertelstunden stehen; der Teig hebt sich alsdann, und die Brode werden lockerer. Von da ab ist es Sache des Bäckers die richtige Temperatur zu treffen; in der mittleren Hitze wird, wie der Bäcker sagt, das Brod am schönsten; es muß länger im Ofen stehen als das gewöhnliche Brod. Unter „Schwarzmehl“ ist hier Mehl von ganzem Korn, und zwar eine Mischung von zwei Dritteln Roggen- und einem Drittel Weizen-Korn, zu verstehen; beide werden vermahlen wie zum gewöhnlichen Mehl, mit dem Unterschied, daß der Gries und die Kleie auf den Stein zurückgebracht werden, bis das Ganze nahe die Feinheit des gewöhnlichen Mehles hat. Mehr als 5 bis 6 Procent, soviel die strohigen Schalen des Weizens ausmachen, sollen hierbei nicht abgesondert werden. „Schrotbrod“ wird aus einer Mischung dieses Schwarzmehles mit seinem gleichen oder auch halben Gewicht groben Schrotmehl bereitet. Dieses Schrotbrod ist lockerer und für viele gefälliger im Ansehen als das in meinem Haus übliche, aus reinem groben Schrotmehl bereitete. Die gewöhnliche Ausbeute der Bäcker an Schwarzbrod ist 138 bis 140 Pfd. Brod von 100 Pfd. Mehl. Nach der chemischen Methode erhält man durchschnittlich 150 Pfd. Brod, auf 100 vierpfündige Laibe 5 bis 7 Laibe mehr als von gewöhnlichem Mehl. Durch Zusatz von 1 bis 2 Maaß gewöhnlichen Essigs auf 100 Pfd. Mehl und entsprechende Verminderung des Wassers erhält man Brod vom Geschmacke des Bäckerbrodes; vertheilt man in dem Essig 1/4 bis 1/2 Pfd. alten mageren Käse, so hat das Brod den Geschmack des gewöhnlichen Commiß- oder Bauernbrodes. (Allgemeine Zeitung vom 12. Februar 1868.)