Titel: Technische Reisenotizen von Max Eyth.
Fundstelle: Band 188, Jahrgang 1868, Nr. CVI., S. 441
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CVI. Technische Reisenotizen von Max Eyth. I.Die Modellsammlung des Patent Office zu Washington. (Schluß von S. 372 des vorhergehenden Heftes.) Eyth über die Modellsammlung des Patentamts zu Washington. Im eilften Schrank dieser Reihe finden wir Windmühlen und Ventilatoren. Die ersteren haben hier nirgends eine wesentliche Bedeutung gewonnen, oder richtiger, sie sind durch die Dampfmaschinen vollständig verdrängt worden. Dieß ist jedoch ein Gebiet, in welchem sich überall der technische Dilettantismus breit macht; so finden wir es auch hier überraschend reichlich vertreten. Die nächsten sechs Schränke sind der Hydraulik gewidmet: Hähne, Abschlußschieber, Ventile und Klappen, Röhren und Röhrenverbindüngen sind in großer Mannichfaltigkeit vertreten. In überraschender Anzahl finden wir dann primitive Vorrichtungen für Ziehbrunnen und Schöpfwerke. Auch das Gebiet von Pumpen und Spritzen, von denen die Dampffeuerspritze bekanntlich eine Lieblingsschöpfung der Amerikaner ist, ist erstaunlich reich an originellen Gedanken und Formen. Weniger entwickelt jedoch finden wir das Gebiet hydraulischer Motoren in Form von Wasserrädern, Turbinen und Cylindermaschinen. In den letzten 20 Jahren war dasselbe auf dem europäischen Continent eines der Steckenpferde theoretischer Techniker. Die hierher gehörigen Apparate haben deßhalb dort einen Grad von Vollkommenheit erreicht, von dem sie hier offenbar weit entfernt sind. Turbinenformen, die sich im Princip an die schottischen anschließen, sind die hier gebräuchlichsten. Details in Anordnungen von sogenannten Elevatoren füllen den nächsten Schrank: Fruchtwaagen, Hebemaschinen und Paternoster, wie sie in den colossalen Fruchtmagazinen der nördlichen Verkehrsplätze und in den eigenthümlichen schwimmenden Thürmen in den östlichen Seehäfen gebraucht werden, die zum Aufspeichern und Umladen von Körnerfrüchten dienen, das Ganze ein in Europa fast unbekanntes Gebiet. In den folgenden zwei Schränken finden wir Pressen für Heu und Baumwolle, Oelsamen und Trauben, bei welchen die hydraulische Presse in auffallender Weise vernachlässigt scheint. Kniehebel- und Schraubenpressen, und ihre Bewegung durch Pferdekraft ist der leitende Gedanke der meisten dieser Patente. Die letzten zwei Schränke in dieser Reihe endlich sind mit hebemaschinen, Winden und Krahnen, und Details von Transmissionen gefüllt. Dieses Capitel setzt sich im ersten Schranke der zweiten Reihe der Gallerie des Nordsaales fort: Frictionsräder, Universalgelenke und verschiedene Bewegungsübertragungen von eigenthümlicher Form, die mehr den Eindruck von Curiositäten machen und so beschaffen sind, wie wir sie gelegentlich wohl auch in alten Büchern des 16ten und 17ten Jahrhunderts fisden. Dann folgen über 600 Formen von Pferdegöpeln — ein Apparat, der hier, in Millionen arbeitend, endlich wohl die vollkommenste Form gefunden hat, deren er fähig ist. Die vier folgenden Schränke enthalten Mahlmühlen, mit Quarz- und Farbenreibapparaten beginnend, und mit zwei Schränken voll Mehlmühlen, Mehlpack- und Sortirapparaten schließend. Ein Gebiet, in welchem Amerika einzig dasteht, ist in den zwölf nächsten Schränken repräsentirt, welche Holzbearbeitungsmaschinen enthalten. Der hier gebotene Reichthum des Rohmaterials und das Bedürfniß seiner Producte in den plötzlich aus dem Nichts entstehenden Städten des Landes hat diesen Zweig der Technik in einer Weise entfaltet, wie vielleicht keinen anderen. Die Masse des Gebotenen ist jedoch so überwältigend, daß wir auf jedes nähere Eingehen verzichten müssen und nur rasch an den überfüllten Behältern vorübergehen. Die Sammlung, wenn sie geordnet wäre, könnte mit den eigenthümlichen hier gebräuchlichen Axt- und Beilformen, und mit den Waldsägen zum Fällen und Zerschneiden der Bäume beginnen. Eines der neuesten Patente in dieser Abtheilung charakterisirt die Yankeegenialität. Der Erfinder stellt einen transportablen Dampfkessel in den Wald und versieht ihn mit einem etliche 100′ langen Dampfrohr aus Kautschuk. Am Ende desselben befindet sich ein kleines Dampfcylinderchen mit Stoßsteuerung, dessen Kolbenstange sich in eine gewöhnliche Säge verlängert. Der Cylinder ist mit eigenthümlichen Klauen versehen, mittelst denen er an den Ast oder Stamm angehakt wird, der umzusägen ist. Der Arbeiter öffnet dann den Dampfhahn und der Baum fällt um. Sind sämmtliche Bäume im Bereich des Kautschukschlauches gefällt, so schiebt man den Kessel weiter. Auf Handsägen und Sägeböcke folgen die einfachen verticalen und horizontalen Gattersägen und die großen Dampfgattersägen mit ihren mannichfachen Details. Dann das Capitel der Kreissägen, m welchem die Aufgabe, die Zähne getrennt in die Scheibe einzusetzen, zu werthvollen Patenten Veranlassung gab, darauf die hier weniger gebräuchlichen Bandsägen und die an ihrer Stelle eingeführten Bänder mit alternirender Bewegung. Dann kommen Hobel-, Fräs- und Stoßmaschinen, gewöhnliche Rund-Drehbänke und Bohrmaschinen, etliche 600 verschiedene Drehbänke zur Darstellung unregelmäßiger Formen, Maschinen zum Holzschnitzen nach gegebenen Modellen in vergrößertem oder verkleinertem Maaßstabe; dann Maschinen zum Dehnen, Biegen und Brechen des Holzes, Holzspaltmaschinen und schließlich die nicht enden wollende Reihe von Maschinen zu bestimmten Zwecken—zur Darstellung von Fässern, Stuhllehnen, Tischbeinen, Thüren und Fensterrahmen, Kisten, Schusterleisten, Zapfen, Holzschrauben, Pfröpfen, Schuhnägeln, Zündhölzchen, Bleistiften u. s. w. bis der letzte Schrank mit etlichen 400 Maschinen zur Darstellung von Schindeln diese Abtheilung beschließt. Die nächste, obgleich nur zwei Schränke umfassende Classe, steht nichts desto weniger auf der Höhe ihrer Entwickelung. Sie enthält Maschinen zur Darstellung von Ziegeln und Backsteinen, in welchen neuerdings die Apparate zur Fabrication aus trockenem, staubförmigem Lehm eine praktische Rolle zu spielen anfangen. Hiermit haben wir den Nordsaal beendet. Bei der Unmöglichkeit, irgend welche sachliche Ordnung in der Reihenfolge der Classen zu entdecken, setzen wir unsere Wanderung in dem südlichen Ende des Ostsaales fort. Die beiden Eckschränke enthalten eine offenbar sehr vernachlässigte Sammlung von Uhren, Uhrgehäusen und Glocken, ein Gebiet repräsentirend, welches erst in neuester Zeit, seit jeder Theil der Uhr maschinenmäßig dargestellt wird, hier Boden zu gewinnen scheint. In ähnlichem verwirrtem Zustande finden wir im ersten Schrank der Reihe rechts astronomische und physikalische Instrumente, während im zweiten das elektrische Telegraphenwesen, namentlich in neueren, meist ausländischen Patenten vollständiger vertreten ist. Der folgende Schrank mit Signal- und Allarmapparaten bot dem praktischen Scharfsinn der Yankees ein günstigeres Feld. Doch sind die meisten der hierher gehörigen Patente alt und von dem elektrischen Funken längst verdrängt. Eine der interessantesten Partien der Sammlung bietet sich in den nächsten sechs Schränken dar, die das Seewesen umfassen. Ohne auf die reichlich vertretenen Segel- und Takelwerke, auf die hundert Arten einzugehen, wie ein Steuerruder regiert werden kann, ohne die Fischapparate von der Harpunkanone bis zur zartesten Angel zu berücksichtigen, werfen wir einen raschen Blick auf den Stolz der Amerikaner, die Dampfschifffahrt. Die ersten Modelle in diesem Gebiet scheinen um das Jahr 30 und 31 eingegangen zu seyn. Aus dieser Zeit finden wir ein Schiff mit zwei horizontalen, im Wasser versenkten und über die Hälfte in die Schiffswandungen eingelassenen Rädern, so daß nur die über dieselben hervorstehenden Schaufeln das Schiff vorwärts treiben. Im Jahr 37 erscheint bereits ein Schaufelrad mit excentrischer Verticalstellung der eingetauchten Schaufeln. Um's Jahr 38 tauchen die ersten Schrauben auf. Die Anwendung von unter sich unabhängigen Doppelschrauben, welche erst neuerdings in England zur Geltung kam, stammt hier aus dem Jahr 42 und ist seit Jahrzehnten auf den Inlandseen des Lorenzo eine ganz gewöhnliche Erscheinung. Die Schraube geht von der Form eines Holzbohrers bald in ihre jetzige drei- oder vierflügelige Gestalt über, die Flügel in neueren Patenten verstellbar gemacht. Die Form der Schaufelräder geht durch alle erdenklichen Metamorphosen, indem die Schaufeln bald im Zickzack bald in Schlangenlinien, bald fächer- und zellenförmig sich durchkreuzend, bald in Hyperboloidenform gestellt vorgeschlagen werden. Alle diese Constructionen sind darauf berechnet, der Schaufel einen kräftigeren und stetigeren Halt im Wasser zu gewähren. Um ihre senkrechte Stellung im Wasser zu erhalten, erscheinen neben dem bekannten Excenter einige höchst sinnreiche Vorrichtungen in den 40er Jahren. Daran schließen sich um dieselbe Zeit die Kettenschaufeln, bei denen eine endlose Kette über zwei Räder laufend, mit Schaufeln versehen, an der ganzen Langseite des Schiffes hinläuft. An einer Reihe der wunderlichsten Ideen fehlt es diesem Gebiete nicht. Die Nachahmung des Entenfußes, am Hintertheile des Schiffes angebracht und von der Kolbenstange des Dampfcylinders direct in Bewegung gesetzt, ist keiner der schlimmsten und ein vielbehandelter Gedanke. Sinnreich ist, wie dieser Fuß eine verlängerte Bewegung erhält, indem die Kolbenstange auf eine jener Scheren wirkt, wie sie in Carnevalsscenen und Kinderspielzeugen zu sehen sind. Die Art des Auf- und Zuklappens des Fußes veranlaßte noch im Jahr 48–50 mehrere Patente. Sinnreiche Schraubenbewegungen von Rudern und einfache mechanische Ruderbewegungen mittelst Excenter und Hebel sind in den 50er Jahren Gegenstand reichlich productiven Interesses. Im Jahre 43 patentirt ein Erfinder ein Schiff, das er mittelst Blasens auf das Wasser in Bewegung zu setzen droht. Im Jahr 45 erscheint das erste Patent der neuerdings mit so vielem Interesse aufgenommenen Idee der Rückwirkung eines ausgeschleuderten Wasser- oder Dampfstrahles. Hierauf beziehen sich denn auch die meisten neuesten Patente. — Einen eigenthümlichen und interessanten Zweig bilden die Patente für die Bewegung von Canalbooten, welche bekanntlich bis heute noch zu keinem das Problem vollständig lösenden Resultat geführt haben. Von der hohen See treten wir plötzlich in die Mitte der Häuslichkeit. Zwei Schränke mit Gasbrennern und Candelabern, Leuchtern, Lampen und Lichtern führen uns weiter in ein erschreckendes Gebiet von neuen Schränken mit Oefen, Heizapparaten und Kochherden. Ihre Zahl ist Legion. Kohksöfen, Maschinen zur Darstellung künstlichen Brennmaterials, Zugregulatoren, Kamine, Korn- und Getreidetrockner unterbrechen wenigstens momentan dieses umfangreiche Gebiet. Uebrigens darf hier nicht unerwähnt bleiben, daß der Comfort eines amerikanischen Hauses in allen durch mechanische Mittel erreichbaren Details selbst das englische hinter sich läßt. Unsere Abneigung gegen das Hierhergehörige ist deßhalb keineswegs berechtigt. Aber wo beginnen, wenn 4000 verschiedene Kochöfen unsere Aufmerksamkeit zu fesseln suchen? Es folgen nun drei Schränke und später ein vierter mit Nähmaschinen. Hier ist wieder ein echt amerikanisches Product vor uns, das den schöpferischen sowohl als den praktisch beobachtenden Zug im Erfindungsgeist der Yankees charakterisirt. Wir übergehen die hundert verschiedenen Detailpatente, welche dieser scheinbar einfache Apparat hervorrief. Neben den eigentlichen Nähmaschinen finden wir hier natürlich auch die größeren Apparate, welche zum Ledernähen und zu ähnlichen Verrichtungen bestimmt sind. Um das nördliche Ende des Saales biegend und an der linken Schrankreihe hinuntergehend, finden wir in bunter Verwirrung die Maschinen zur Bearbeitung der Pflanzenfaser. Zuerst vorbei an zwei Ständen mit Jacquardstühlen, berühren wir die in sehr untergeordneter Weise vertretene Fabrication des Papieres aus Lumpen, Holz und Stroh. Auf diese folgt ein Stand mit Strickmaschinen und Rundwebstühlen; darauf Filz- und Hutfabrication; dann die Darstellung und Färberei des Tuches. In den hierauf folgenden neun Schränken folgen sich Baumwollengins, Flachs- und Hanfbrecher, Streckstühle, Carden, Spinnmaschinen und Hand- und Dampfwebstühle. Das Gewirre wird zum Chaos in den folgenden drei Schränken, in welchen sich Regen- und Sonnenschirme, Knöpfe, Haften, Kappen und Mützen, Zahnbürsten und Toiletteseifen, chirurgische Instrumente, Bandagen und Crinolinen drängen. Die vier Schränke am Schlusse dieser Reihe sind dem Kriege gewidmet, der zum Glück und zur Ehre des Landes einen verhältnißmäßig geringen Raum beansprucht. Fast sämmtliche hierher gehörige Patente stammen natürlich aus dem gegenwärtigen Jahrzehnt. Militärisches Lederzeug, Säbel und Trommeln füllen den ersten, Pistolen, Flinten und Kanonen die drei anderen Schränke. Das Princip des Hinterladers, und vor Allem des Revolvers, ist die beliebteste Idee dieses Gebietes und in den neueren Patenten ist namentlich das letztere in seiner Anwendung auf Kanonen vielfach behandelt. Echt amerikanisch ist eines der neuesten Patente, eine Waffe für Infanterie in Form einer Drehorgel, bei derem Aufspielen ganze Bataillone vernichtet werden sollen. Die große weltbewegende Frage der Kanonen und Panzerplatten, welche durchaus dem Gebiet praktischer Experimente angehört, ist selbstverständlich hier weniger in die Augen fallend. Auf die Gallerie dieses Saales tretend, finden wir zunächst in acht Schränken die eigentliche Dampfmaschine in ihren hundert verschiedenen Anordnungen und tausend Detailvorrichtungen; der Drang, die hin- und hergehende Bewegung der Haupttheile der gewöhnlichen Dampfmaschine durch eine rotirende oder wenigstens oscillirende zu ersetzen, ist der augenscheinliche Charakterzug fast sämmtlicher neueren Erfindungen. Ein einziger Schrank ist vollständig mit gegen 500 rotirenden Dampfmaschinen gefüllt, von denen wir vielleicht 4 oder 5 gelegentlich außerhalb des Patentamtes begegnen. Der in Europa als Landmaschine fast verschwundene oscillirende Cylinder ist hier noch in voller Gunst, und die Vortheile einer einfachen Steuerung, die er gewährt, sind in mannichfachster Weise ausgebeutet. Das Capitel der Schiebersteuerungen ist eines der vielbehandeltsten und das einzige bei welchem die Patentcommission offenbar die Geduld verlor, indem der dafür bestimmte Doppelschrank buchstäblich vollgepfropft ist, und die scharfsinnigsten Gedanken in einem wilden Gewirr von Hebeln, Excentern, Kämmen, Cylindern und Wellen begraben liegen. Auch Ventil- und Stoßsteuerungen sind vollständig vertreten und in der Praxis häufiger angewendet als in Europa. Offenbar ist dem Capitel der Expansion und namentlich ihrer Verstellung durch den Regulator größere Aufmerksamkeit geschenkt als in England, während Deutschland und Frankreich in der Mannichfaltigkeit der für diesen Zweck vorgeschlagenen Mittel übertroffen werden.— In allen diesen Vorrichtungen und Anordnungen zeigt sich ein fast phantastischer Sinn für das Ungewöhnliche und scheinbar Complicirte, eine kecke Verachtung des Hergebrachten und ein erstaunlicher Grad praktischen Gefühls. Freilich fehlt es am Tollen und Unsinnigen nicht und in der Mehrzahl der Fälle ist zur Vermeidung eines Uebelstandes nach Hülfsmitteln gegriffen, die ein halbes Dutzend andere Nachtheile hervorrufen. Auch die calorische Maschine ist hier in allen ihren ersten Verirrungen zu studiren, und die wenigen Glücklichen, welche zu einem praktischen Resultat gelangten, wie Ericsson, Wilcox und andere, sind von ihren ersten Anfängen in diesem verführerischen Gebiete zu verfolgen. Dagegen ist die in Europa vielseitig gerühmte Gasmaschine stiefmütterlich behandelt. Zwei Schränke mit Schienen und Weichen, atmosphärischen Eisenbahnen u. dgl. führen uns einem Theile der Sammlung zu, in welchem es mit jedem Schritt schwieriger wird, aus der Mannichfaltigkeit und Masse das Bedeutendere herauszufinden. Auf zwei Schränke mit Garten- und Feldzäunen aus Holz und Eisen, und Maschinen dieselben darzustellen, folgen zwei Schränke mit Häusern und deren Details—Treppen, Thüren, Fenstern, Fensterläden —in denen sich der praktische Sinn des Landes in seiner ganzen Blüthe zeigt. Dagegen ist das nun folgende Gebiet der Brücken unentwickelt. Der artistische Sinn und die wissenschaftliche Bildung, welche in Europa den Brückenbau entfalteten, sind beide hier in ihrer Kindheit. Auch war das durch die natürlichen Verhältnisse gebotene Material — das Holz — aus dem fast sämmtliche, selbst die großen amerikanischen Brücken construirt sind, nicht günstig. So finden wir mit Ausnahme der großen Drahtseilbrücken, welche durch einen Deutschen zur amerikanischen Specialität geworden sind, nichts Interessantes. Auch die hier eingeschalteten Docks übertreffen die englischen Ideen in diesem Gebiete keineswegs. In den drei folgenden Schränken finden wir Apparate, welche das Graben, Brechen Durchbohren und Bewegen von Erde und Stein zum Zweck haben, vor allem „Maulwurspflüge“ zur Darstellung von Drainageröhren, Excavatoren und Baggermaschinen. Die ersteren, welche hier noch nicht, wie in England, mittelst Dampfkraft in Bewegung gesetzt werden, sind deßhalb weniger vollkommen als dort. Die Grabapparate in trockener Erde, zur Darstellung von Dämmen und Canälen, beschränken sich ausschließlich auf das pflugartige Aufschürfen des Bodens, der über ein endloses Band seitlich abgeworfen wird, und in den Baggermaschinen scheint die Idee eines continuirlich grabenden Werkzeuges, nach Art eines Kübelrades oder Paternosterwerkes, mit dem neuerdings in Frankreich wieder Versuche angestellt wurden, verlassen zu werden und ausschließlich den krahnenartig bewegten Kästen Platz zu machen. Von den in diesen Schränken eingereihten Steinbohr- und Brechmaschinen stammen die besten vom Mont-Cenis und aus den Kohlenbergwerken Englands. Am Ende dieser Reihe angelangt, gehen wir an einem Dutzend Schränken vorüber, welche Patentsärge, Registrirmaschinen, Schlittschuhe, Tabakspfeifen, Fliegenfänger und Flohfangapparate, Pianofortes und musikalische Instrumente, Stiefelwichsmaschinen und Mausfallen in wilder Confusion enthalten. Dann folgt ein interessanter Schrank mit Briefcouvert-, Stempel-, Linir- und Falzmaschinen und eine Reihe von Schränken, unterbrochen von einem der Photograhie gewidmeten Schrank, welche der Druckerei, vom Gießen der Lettern bis zum bunten Farbendruck, gewidmet sind. Die nächsten acht Schränke enthalten Haushaltungsgegenstände: Tische, Stühle, Betten und Bettstellen, letztere zwei volle Schränke einnehmend, Apfelschäler, Krautschneider, Kühlapparate, Theekessel und vor Allem — ein speciell amerikanisches Capitel — zwei Schränke einnehmend über 1000 Waschmaschinen. Das Ganze schließt mit sieben Schränken, die sich auf die Bearbeitung des Leders und seine Verwendung zu verschiedenen Zwecken beziehen. Zu den sinnreichsten Producten der neuesten Zeit gehören die hier eingereihten Maschinen zur Darstellung von Schuhen und Stiefeln, während Koffer und Etuiarbeiten und namentlich Pferdegeschirre reichliche Veranlassung zu den verschiedenartigsten Patenten boten. Wir haben hiermit unseren Gang durch die zwei Säle beendet, welche Modelle von ertheilten Patenten enthalten. Der dritte, äußerlich von jenen nicht zu unterscheiden, kann selbstverständlich nur für eingehende Specialstudien von Interesse seyn und enthält in den meisten Fällen Patente, die sich mit früherem Datum und vielleicht etwas modificirt, bereits in den ersten Sälen befinden, oder die wegen ihrer früheren nicht patentirten Anwendung nicht patentfähig waren, oder endlich solche, die den Stempel der praktischen Unmöglichkeit gar zu ausgeprägt auf der Stirne tragen. Die Ordnung, in der sich die Abtheilungen in diesem Saale folgen, ist dieselbe wie in den beiden anderen. Ein rascher Gang, vorüber an Bekanntem und da und dort an einer absonderlich barocken Erscheinung, welche uns selbst in diesem Leichensaale todtgeborener Ideen ein Lächeln entlockt, bringt uns an das schließliche Ende einer Wanderung durch das gewaltige Gebiet menschlichen Strebens in seinem ewigen, rastlosen Ringen mit der Materie, wie es sich auf dieser Halbkugel der Erde entfaltet hat. Es ist uns selbstverständlich nicht gelungen, bei dem raschen Ueberblick über die erdrückende Mannichfaltigkeit ein allgemeines Bild des Ganzen zu gewinnen. Es ist dieß eine physische Unmöglichkeit und kaum von großem Werth. Noch ist das Gebäude, welches für die Sammlung und ihren anschwellenden Reichthum bestimmt ist, nicht vollendet, kaum ist der letzte der Schränke mit Glasthüren versehen und bereits ist jeder Quadratzoll des Raumes, der für dieses Jahrhundert ausreichen sollte, gefüllt. Die wöchentliche Anzahl gewährter Patente schwankt in diesem Jahre zwischen 150 und 300, und ist in fortwährendem Wachsen begriffen; 15 Jahre werden 3 weitere Säle füllen. Wenn auch da und dort in seltenen Fällen das Beginnen und Auftauchen einer Idee deutlich ersichtlich ist, ein Abschluß ist nirgends mit Bestimmtheit zu bemerken. Das Bild demnach, welches wir uns heute machen, ist morgen in allen seinen Einzelheiten fast werthlos. Doch bleibt uns der allgemeine Eindruck, daß der Erfindungsgeist des Amerikaners ein wesentlich verschiedener ist von dem, der in der alten Welt schafft. Nur die Noth macht erfinderisch. Wenn auch da und dort ein Gedanke wie vom Himmel gefallen scheint, er bleibt Jahrzehnte, Jahrhunderte ein unfruchtbares Nichts, bis das Bedürfniß ihm die nöthige Gestalt verleiht. Die materielle Nothwendigkeit gibt deßhalb diesem scheinbar geistigsten, uncontrolirbarsten Bewegungsprincip, speciell unserer Zeit, seine bestimmte Richtung. Wir werden deßhalb in den eigenthümlichen Grundbedingungen des amerikanischen Lebens die Ursachen und die Definition der bemerkten Verschiedenheit entdecken. Der Mensch, mit den Bedürfnissen der Civilisation der alten Welt, tritt hier in unmittelbare Berührung mit der materiellen Welt in ihrer ursprünglichsten Form. Der Urwald und die Prairie müssen noch täglich dem Indianer und der einsam herrschenden Natur abgerungen werden. Das Leben des 19ten Jahrhunderts stoßt gewaltsam auf die Verhältnisse des ersten. Selbst in Städten, wie die Handelsplätze des Ostens, welche äußerlich den prachtvollsten der alten Welt nichts nachgeben, fühlen wir auf jedem Schritt diesen Zusammenstoß und den Einfluß des ungeheuern Westens der mit seinen Bedürfnissen und Hülfsmitteln in diesem Kampfe steht. Die erste Anfgabe der amerikanischen Technik ist, ihm die wirksamsten Waffen hierfür in die Hand zu geben. Theilweise auf dieser breiten Basis entwickelt sich ein anderes Motiv. Es ist die absolut freie Art, in der sich jeder Amerikaner jeder Aufgabe des Lebens gegenüber fühlt. Der Schneider von gestern ist heute Präsident der Vereinigten Staaten, der Metzger Doctor der Medicin, der Schuhmacher Ingenieur. Im Felde der Technik bietet aber diese Freiheit, welche in anderen Gebieten der Mittelmäßigkeit und dem Schwindel Thür und Riegel öffnet, weniger Gefahren. Schnitzer gegen die Nationalökonomie können ein Land ruiniren, ehe sie erkannt werden; Quacksalber und Winkeladvocaten ein Gemeinwesen physisch und moralisch zu Grunde richten und in Ehren zu Grabe gehen. Eine Sünde gegen die Hydraulik straft sich hingegen rasch und ein Verbrechen gegen die Festigkeitslehre schlägt den Missethäter todt, ehe es vollständig begangen ist. So bleibt in dieser Hinsicht für die erfindende Technik der Gewinn, die praktische Erfahrung in allen Gewerbszweigen, welche dem europäischen Ingenieur mehr oder weniger fremd sind, in ihrem Dienste thätig zu sehen. Ein kecker, durch nichts Hergebrachtes gebundener Muth und eine in's Unendliche sich verzweigende Mannichfaltigkeit charakterisiren deßhalb vor Allem den Erfindungsgeist der Yankees. Sodann sind es, wie in jedem anderen Lande, eigenthümliche Richtungen, welche die Technik mit Vorliebe verfolgt, die sich aus physischen oder socialen Verhältnissen ergeben. Das colossale und durchaus eigenthümliche Verkehrsleben auf dem amerikanischen Continent entwickelte die amerikanischen Dampfschiffe und Eisenbahnen in der ihnen eigenen von den entsprechenden europäischen Verkehrsmitteln grundverschiedenen Form. Der Mangel an Arbeitskräften für das enorme Gebiet der Landwirthschaft schuf die Mähmaschine und entwickelte das ganze Gebiet der landwirtschaftlichen Technik zu überraschender Vollkommenheit. Die in den socialen Verhältnissen liegende Schwierigkeit, weibliche Arbeit in genügendem Grade zu erhalten, führte auf die Nähmaschine, die Waschmaschine, und die hundert kleinen Vorrichtungen, welche in Küche, Haus und Keller die härteren Arbeiten erleichtern und reduciren. Das rasche Entstehen der Städte und das durch die Natur reichlich gebotene Material entwickelte die Holzbearbeitungsmaschinen u. s. f. Auf der anderen Seite drängt der unendliche Reichthum des Landes nicht, wie in Europa, zu der concentrirten Anstrengung, zu der auf die höchste Stufe getriebenen Vervollkommnung der Hülfsmittel, und vor Allem fehlt dem Amerikaner die wissenschaftliche Basis, mittelst deren allein diese Vollkommenheit erreicht werden kann. Deßhalb zu entscheiden, auf welcher Seite des atlantischen Oceans die Erfindungskraft thätiger arbeitet, ist ein schwieriger Versuch. Was die Primitivität großer Ideen betrifft, so kommt Amerika bei näheren Forschungen gewöhnlich schlecht weg, denn jede große Idee taucht im Laufe der Zeit zehnmal auf, ehe sie zur Erfindung wird; Amerika ist aber zu jung, um sich mit der alten Welt messen zu können. Wer das erste Dampfschiff, die erste Mähmaschine erdachte, das sind selbst in der alten Welt nie ganz zu entscheidende Fragen. Während hier der Geist des Erfindens mehr in's Breite, Mannichfaltige arbeitet, erscheint er drüben concentrirter; ist er hier vielleicht schöpferischer, so ist er in Europa entwickelnder. Jedenfalls ist er hier wie dort kein Maaßstab für das Geleistete. Der Gedanke ist nur ein Theil der Erfindung, ein viel unbedeutenderer, vom praktischen Standpunkte aus, als man gewöhnlich annimmt. Auf dem Millionen Meilen umfassenden Gebiete der Vereinigten Staaten haben wir zu suchen, was dieser Geist, dessen Geburtsstätte wir in den drei Sälen des Patentamtes betrachteten, wirklich zu schaffen im Stande war, wenn wir uns ein richtiges Bild von der amerikanischen Technik, verglichen mit derjenigen der alten Welt, machen wollen.