Titel: Ueber einige Bestandtheile der Baumwollfaser; von Dr. Edward Schunck.
Fundstelle: Band 188, Jahrgang 1868, Nr. CXXII., S. 496
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CXXII. Ueber einige Bestandtheile der Baumwollfaser; von Dr. Edward Schunck. Aus der Chemical News, vol. XVII p. 118; März 1868. Schunck, über einige Bestandtheile der Baumwollfaser. Der allgemeinen Annahme nach besteht die Baumwolle in ganz reinem Zustande bloß aus Holzfaser oder Cellulose, so daß ihre chemische Zusammensetzung durch die Formel C12H10O10 ausgedrückt wird. Es steht jedoch fest, daß rohe Baumwolle, in dem Zustande in welchem sie im Handel vorkommt, außerdem eine Anzahl von anderen Stoffen enthält, von denen einige so constant in ihr vorhanden sind, daß sie als wesentliche Bestandtheile der Baumwolle — dieselbe als Product des Vegetationsprocesses betrachtet — angesehen werden müssen. Der Zweck des Bleichens, eines Processes welchem die meisten Baumwollgewebe unterworfen werden müssen, ist, der Faser diese Nebenbestandtheile zu entziehen, so daß reine Cellulose zurückbleibt. Ungeachtet der Wichtigkeit einer genauen Kenntniß von Allem, was in technischer Beziehung mit Baumwolle in Verbindung steht, sind die in ihr neben der Cellulose enthaltenen Substanzen einer genaueren chemischen Untersuchung bisher doch noch nicht unterworfen worden. Persoz sagt in seinem Traité de l'Impression des tissus, daß die Pflanzenfaser in den rohen Geweben aus Baumwolle, Flachs etc. nicht rein ist, vielmehr enthält 1) eine gewisse Menge Farbstoff, welcher gegen die Einwirkung der Bleichmittel durch die ihn von Natur aus oder zufällig begleitenden Körper geschützt wird; 2) ein besonderes, der Faser eigenthümliches, in Wasser nicht und in Alkalien nur schwierig lösliches Harz, welches die Rolle eines schützenden Firnisses spielt und die der Faser anhaftenden Farbstoffe der Einwirkung der Agentien entzieht, durch welche sie zerstört oder entfernt werden könnten; 3) eine gewisse Menge Fett, welches zum größten Theil vom Spinnen und Weben herrührt; 4) eine neutrale oder indifferente Substanz (Mehl, Stärke oder Leim), welche gleichfalls vom Weber hineingebracht ist; 5) unorganische Substanzen, Salze, welche zum Theil der Faser selbst angehören, wohingegen ein anderer Theil derselben von dem beim Schlichten der Kette benutzten Wasser und anderen Substanzen herrührt. — Der ausgezeichnete Artikel Bleaching in Ure's Dictionary of arts (neueste Ausgabe) enthält ausführliche Mittheilungen über diese und andere „Verunreinigungen“ der Baumwollgewebe, welche Alles umfassen, was über diesen Gegenstand bis zu dem Zeitpunkte bekannt wurde, wo der Verfasser des vorliegenden Aufsatzes seine Untersuchungen begann. Der Zweck, den der Verfasser bei diesen Untersuchungen im Auge hatte, war der, über die Natur der Substanzen mehr Licht zu verbreiten, die in dem Cellulosesubstrate enthalten sind, aus welchem die Baumwolle hauptsächlich besteht, und welches mit ihr durch den Lebensproceß erzeugt wird. Diesem Zweck entsprechend blieben alle fremden und während der Verarbeitung der Baumwolle von außen in sie hineingelangten Stoffe unberücksichtigt. Ebenso beschränkte der Verfasser seine Aufmerksamkeit auf die Bestandtheile der rohen Gespinnstfaser, welche unlöslich in Wasser, dagegen in Alkalilauge löslich sind und aus diesen Lösungen durch Säuren niedergeschlagen werden. Die Frage, — ob die Baumwolle von Natur eine Substanz enthält, welche in Wasser löslich, oder eine solche, die ursprünglich in demselben unlöslich ist, durch längere Einwirkung von Alkalien aber darin löslich gemacht wird —, läßt der Verfasser unentschieden. Zur Gewinnung der Substanzen, deren Untersuchung der Verfasser beabsichtigte, benutzte er Baumwollgarn, indem er demselben vor ungesponnener Baumwolle aus verschiedenen Gründen den Vorzug gab, hauptsächlich deßhalb, weil Garn von mechanisch beigemengten Verunreinigungen, z. B. Samentheilen etc., frei ist, während andererseits bei genügender Vorsicht beim Spinnen des Garnes zu den bereits vorhandenen fremdartigen Beimengungen keine neue hinzukommt. Das Garn wurde mehrere Stunden lang in einem gewöhnlichen Bleicherkessel mit einer verdünnten Lösung von calcinirtem Sodasalz (soda ash) gekocht; die dabei erhaltene dunkelbraune Flüssigkeit wurde, nachdem das Garn herausgenommen, abgetropft und schwach gespült worden war, aus dem Kessel in passende Gefäße gebracht und mit Schwefelsäure im Ueberschusse versetzt, worauf sich ein reichlicher hellbrauner, flockiger Niederschlag ausschied, während die Flüssigkeit farblos wurde. Nachdem dieser Niederschlag sich gesetzt hatte, wurde die Flüssigkeit abgegossen; dann wurde der Niederschlag zur Entfernung des schwefelsauren Natrons und der überschüssigen Säure mit kaltem Wasser ausgewaschen, in baumwollene Filtrirsäcke gebracht und in denselben zum Abtropfen hingestellt. Auf diese Weise wurde ein dicker Brei erhalten, welcher nach dem Trocknen als braune, spröde, hornähnliche, an den Kanten durchscheinende Masse erschien. Bei dem einen der abgeführten Versuche gaben 450 Pfd. eines aus ostindischer, als Dhollerah bezeichneten Baumwollvarietät gesponnenen Garnes 0,33 Procent trockenen Niederschlages. Bei einem anderen, mit 500 Pfd. Garn, aus amerikanischer, im Handel sogen. middling Orleans Baumwolle gesponnen, 0,48 Proc. Der Gesammtverlust, welchen das Garn beim Bleichen erleidet, beträgt ungefähr 5 Proc. seines Gewichtes; demnach wird nur ein kleiner Antheil der hierbei verloren gehenden Substanzen durch Fällung des alkalischen Extractes mit Säure gewonnen. Diesen Niederschlag untersuchte nun der Verf. genauer; er fand, daß derselbe fast gänzlich aus organischen Substanzen besteht, unter denen er die nachstehenden bestimmt erkannte: 1) eine Art von Pflanzenwachs; 2) eine Fettsäure; 3) Farbstoffe; 4) Pektinsäure; 5) eine Spur eiweißartiger Substanz. In einem am 21. Januar 1868 in der literarischen und physikalischen Gesellschaft zu Manchester gehaltenen Vortrage beschrieb der Verf. die von ihm zur Trennung dieser Substanzen von einander und zu ihrer Reindarstellung angewendete Methode ausführlich, und machte dann nähere Mittheilungen über deren Eigenschaften und chemische Zusammensetzung. Der wachsartige Stoff ist bei weitem der interessanteste dieser Körper. Derselbe ist unlöslich in Wasser, löslich in Aether und Alkohol; beim Erkalten einer concentrirten kochenden Lösung scheidet er sich zum größten Theile wieder aus und die Flüssigkeit erhält das Ansehen einer dicken, weißen, aus mikroskopischen Nadeln oder Schuppen bestehenden Gallerte. Wird letztere auf ein Filter gebracht und getrocknet, so schrumpft sie stark zusammen und verwandelt sich in einen zusammenhängenden, wachsglänzenden, durchscheinenden, zerreiblichen, auf Wasser schwimmenden Kuchen. Der Schmelzpunkt dieses Körpers liegt zwischen 83 und 84° C.; bei höherer Temperatur verflüchtigt er sich. Auf Platinblech erhitzt, verbrennt er mit sehr heller Flamme. Der Verf. hält es für wahrscheinlich, daß dieser Körper die Baumwollfasern mit einem dünnen, wachsartigen Häutchen überzieht und ihnen dadurch ihre wohlbekannte Eigenschaft verleiht, dem Eindringen des Wassers zu widerstehen; hinsichtlich seiner Eigenschaften und seiner chemischen Zusammensetzung steht dieser Körper den bisher bekannten Pflanzenwachsarten, z. B. dem von Avequin aus den Zuckerrohrblättern dargestellten, sowie dem die Blätter der Carnauba-Palme in dünner Schicht überziehenden Carnaubawachse (dem sogen. brasilianischen Palmenwachse) sehr nahe. Die Fettsäure hat die Eigenschaften und die Zusammensetzung der Margarinsäure. Sie ist weiß, von krystallinischem Gefüge, schmilzt bei 35° C. und gibt mit Alkalien Verbindungen, welche in Wasser löslich und wahre Seifen sind; indessen ist sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ein ursprünglicher oder normaler Bestandtheil der Baumwollfaser, sondern vielmehr eine Verunreinigung, die von dem im Baumwollsamen enthaltenen Oele herrührt. Auch von der Schmiere der Spinnmaschinen kann diese Fettsäure herrühren, da der Verfasser, wie bereits bemerkt wurde, zu seinen sämmtlichen Untersuchungen versponnene Baumwolle verwendete; indessen versichern mit der Baumwollspinnerei vertraute Praktiker die Unmöglichkeit, daß die Baumwolle bei Beobachtung nur der gewöhnlichsten Vorsichtsmaßregeln während ihrer Umwandlung zu Garn im mindesten durch Fett verunreinigt werden kann. Die bei diesen Untersuchungen nachgewiesenen und dargestellten Farbstoffe sind ohne Zweifel diejenigen Substanzen, von denen die gelbe oder braune Farbe der rohen Baumwolle herrührt. Der Verfasser vermochte zwei Körper von dunkelbrauner Farbe zu unterscheiden, welche in sämmtlichen von ihm untersuchten Baumwollsorten zugegen waren. Einer derselben ist in kaltem Alkohol leicht löslich und bleibt beim Verdampfen der Lösung als dunkelbraun gefärbtes, schimmerndes, sprödes, amorphes, in dünnen Schichten durchsichtiges Harz zurück. — In siedendem Wasser erweicht diese Substanz und schmilzt zu einer teigartigen Masse, welche beim Erkalten wieder hart und spröde wird. Auf einem Platinbleche erhitzt, verbrennt sie unter Hinterlassung einer voluminösen Kohle mit heller Flamme. In Aether ist sie fast ganz unlöslich, löst sich dagegen leicht in concentrirter Essigsäure zu braun gefärbten Flüssigkeiten. In ätzenden und kohlensauren Alkalien ist sie ebenfalls leicht löslich und gibt dunkelgelblichbraune Lösungen, aus denen sie durch Säuren in hellbraunen Flocken wieder niedergeschlagen wird. — Der zweite Farbstoff ist dem so eben beschriebenen in seinen meisten Eigenschaften ähnlich, löst sich indessen in Alkohol weniger leicht; denn kalter Alkohol nimmt nur Spuren von ihm auf. In kochendem Alkohol löst er sich ziemlich leicht und scheidet sich aus einer solchen Lösung beim Erkalten derselben als braunes Pulver wieder aus; letzteres bildet, auf einem Filter gesammelt und getrocknet, eine zusammenbackende, braun gefärbte Masse, welche sich leicht zerbrechen läßt und auf dem erdigen Bruche matt erscheint. — Beide Farbstoffe enthalten Stickstoff, weichen somit von wahren Harzen, denen sie hinsichtlich mehrerer ihrer Eigenschaften nahe stehen, in ihrer Zusammensetzung ab. Die eigenthümliche Färbung der sogen. Nankin-Baumwolle rührt wahrscheinlich von der Gegenwart einer größeren Menge dieser Farbstoffe in der Faser, sicherlich aber nicht von Eisenoxyd her. Die Reinigung der in dem durch Schwefelsäure hervorgerufenen braunen Niederschlage enthaltenen Pektinsäure war nicht ohne Schwierigkeit. Das beste zu diesem Zwecke einzuschlagende Verfahren besteht nach dem Verfasser darin, sie einfach mit Chlorkalk zu bleichen, wodurch die in braunem, hartnäckig anhaftendem Farbstoffe bestehende Verunreinigung zerstört wird. In reinem Zustande besitzt sie die Eigenschaften und Zusammensetzung der Pektinsäure (nach Fremy). Die Baumwolle selbst enthält wahrscheinlich Pektos oder Pektin, welches durch die Einwirkung des Alkalis in Pektinsäure verwandelt wird. Der braune Niederschlag besteht zu ungefähr drei Fünftheilen aus Pektinsäure; von den noch übrigen zwei Fünfteln bilden die beiden Farbstoffe den überwiegend größeren Antheil; das Wachs und die Fettsäure hingegen sind nur in sehr geringen Mengen vorhanden. Der eiweißartige Bestandtheil wurde nicht isolirt dargestellt, aber für sein Vorhandenseyn sprach die Entstehung einer geringen Menge von Leucin, welche sich bei der Behandlung des braunen Niederschlages mit Aetznatron bildete. Gleichzeitig entstand eine bedeutende Menge von Oxalsäure, unzweifelhaft in Folge einer Umwandlung der Pektinsäure. Zum Schlusse macht der Verf. noch einige Bemerkungen hinsichtlich der wahrscheinlichen Rolle, welche die im Vorstehenden besprochenen Körper bei der Darstellung der Schießbaumwolle spielen. Es ist die Behauptung aufgestellt worden, daß der Grund der mehrfach beobachteten Unbeständigkeit oder Leichtzersetzbarkeit dieses Präparates in den Verunreinigungen der rohen Baumwollfaser zu suchen sey, welche in Folge der Einwirkung der Salpeterschwefelsäure zu Verbindungen umgewandelt werden, die sich bei gewöhnlicher oder nur wenig erhöhter Temperatur von selbst zersetzen. Diese Ansicht wird durch die Untersuchungen des Verfassers nicht bestätigt, insofern die von ihm beschriebenen Substanzen bei der Behandlung mit dem Gemische von Schwefelsäure und Salpetersäure (von den bei der Pyroxilinfabrication üblichen Concentrationsgraden) keineswegs in explosive Verbindungen umgewandelt werden.