Titel: Ueber die Wirkung des Chlorkalkes auf Anilin; von W. H. Perkin.
Fundstelle: Band 191, Jahrgang 1869, Nr. XIV., S. 73
Download: XML
XIV. Ueber die Wirkung des Chlorkalkes auf Anilin; von W. H. Perkin. Vorgetragen in der Sitzung der Chemical Society zu London vom 19. November 1868. – Aus der Chemical News, vol. XVIII p. 256; November 1868. Perkin, über die Wirkung des Chlorkalkes auf Anilin. Als ich mich vor etwa zwölf Jahren mit der Umwandlung des Anilins in Anilinpurpur durch Behandlung eines Anilinsalzes mit zweifach-chromsaurem Kali beschäftigte, stellte ich auch Versuche über die von Runge entdeckte, wohlbekannte Reaction auf Anilin an, um zu ermitteln ob die durch Chlorkalklösung erzeugte Färbung der Flüssigkeit von Anilinpurpur herrührt; die von mir erhaltenen Resultate verneinten dieß jedoch entschieden. Zwei oder drei Jahre später begannen aber französische Fabrikanten sich mit der Darstellung von Anilinpurpur zu beschäftigen, und es gelang ihnen denselben zu erhalten, indem sie als Oxydationsmittel des Anilins Chlorkalk verwendeten. Diese entgegengesetzten Resultate ließen sich damals nicht erklären; als ich aber kürzlich meine Versuche wiederholte, fand ich meine früheren Folgerungen vollkommen richtig. Runge, der Entdecker des Anilins, benannte dieses Alkaloid bekanntlich Kyanol (blaues Oel), wegen der blauen oder blauvioletten Färbung welche diese Substanz auf Zusatz von Chlorkalk annimmt. Man erhält hierbei nach meinen Versuchen eine indigblau gefärbte Flüssigkeit, welche, da sie etwas trübe ist, ziemlich dunkel erscheint, auf Zusatz von Alkohol aber vollkommen klar wird und dann im durchfallenden Lichte eine brillante, der des schwefelsauren Kupferoxydammoniaks ähnliche Farbe zeigt, die jedoch von der des Anilinpurpurs durchaus verschieden ist. Auch erhält Seide, welche in diese Flüssigkeit getaucht wird, eine dunkel-lavendelblaue Färbung. Bei meinen zur Isolirung des Runge'schen Farbstoffes angestellten Versuchen fand ich, daß derselbe sich in kaltem Alkohol mit blauer Farbe löst und beim freiwilligen Verdunsten dieser Lösung als eine feste Substanz zurückbleibt, deren Oberfläche kupferartig schimmert. Dieser Farbstoff, für welchen ich die Benennung Runge's Blau“ vorschlage, ist ein Salz einer organischen Base, welches in seinem Verhalten gegen Aetzkali von einem Mauveïnsalz gänzlich abweicht, indem seine alkoholische Lösung auf Zusatz von Kali eine blaß-röthlichbraune Farbe annimmt, wogegen ein Mauveïnsalz unter denselben Umständen eine violett gefärbte Lösung gibt. Runge's Blau färbt Seide blau oder violettblau; die Faser nimmt dasselbe aber nicht so leicht an wie den Anilinpurpur. Wenn man Runge's Blau mit Wasser kocht, welches mit Essigsäure angesäuert ist, so wird es gänzlich zersetzt und verwandelt sich in Anilinpurpur. In Folge dieses Umstandes gelang es den französischen Fabrikanten, durch Oxydation des Anilins mit Chlorkalk Anilinpurpur zu erzeugen. Sie kochen ihr Product mit Wasser, welches mit Essigsäure angesäuert ist, in der Absicht den Anilinpurpur zu extrahiren, in der That führen sie aber durch diese Operation ihre Farbe nicht bloß in Lösung über, sondern erzeugen dieselbe erst. Um nachzuweisen, daß diese Behandlung nicht ein bloßer Reinigungsproceß ist, habe ich Seide mit Runge's Blau gefärbt und dann stellenweise mit Reservage bedruckt einige Augenblicke der Einwirkung von Wasserdampf ausgesetzt; es zeigte sich nun, daß die mit Dampf behandelten Theile des Seidenzeuges ihre blaue oder blauviolette Farbe verloren und dafür den gewöhnlichen Farbeton des Anilinpurpurs angenommen hatten. Eine ähnliche Wirkung wird auch durch Hitze allein hervorgerufen. Ein alkoholische Lösung von Runge's Blau wird durch Kochen sehr rasch zu Anilinpurpur zersetzt; auf Zusatz von einigen Tropfen Schwefelsäure zu dem gekochten Producte setzen sich nach dem Erkalten Krystalle von schwefelsaurem Mauveïn ab. Dieselbe Zersetzung tritt im Verlaufe von einem oder zwei Tagen bei gewöhnlicher Temperatur ein. In festem Zustande zersetzt sich Runge's Farbstoff nicht so rasch, und auf Seide erfolgt seine Zersetzung zu Anilinpurpur nur sehr langsam. Wegen der Unbeständigkeit dieser Substanz konnte ich keine Formel für sie ermitteln. Aus den im Vorstehenden mitgetheilten Resultaten ergibt sich, daß der von Runge dargestellte Farbstoff eine vom Anilinpurpur gänzlich verschiedene Substanz ist, welche aber, wenn sie durch höhere Temperatur zersetzt wird, den Purpur zu liefern vermag.