Titel: Ueber die Unterscheidungsmerkmale der in der Industrie verwendeten Pflanzenfasern; von Vétillard.
Fundstelle: Band 191, Jahrgang 1869, Nr. LXXI., S. 326
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LXXI. Ueber die Unterscheidungsmerkmale der in der Industrie verwendeten Pflanzenfasern; von Vétillard. Aus den Comptes rendus, 1868. t. LXVI p. 896. Vétillard, über die Unterscheidungsmerkmale der Pflanzenfasern. Ein allgemeines Mittel zur Unterscheidung der in der Industrie angewendeten Gespinnst- oder Gewebsfasern pflanzlichen Ursprunges von einander ist bisher noch nicht angegeben worden. Nur die Jute läßt sich mittelst eines von Vincent herrührenden chemischen Verfahrens von anderen Pflanzenfasern unterscheiden; dieses ebenso einfache als rasch ausführbare Verfahren gestattet einen Jutefaden in einem Flachs- oder Hanfgarne zu erkennen, wenn beide in rohem Zustande sind; haben sie aber einen gewissen Grad von Bleiche erlitten, so ist die Reaction nicht mehr so leicht wahrzunehmen; überdieß tritt die durch dieses Verfahren hervorgebrachte rothe Färbung außer bei der Jute auch bei Phormium tenax und einigen anderen, von Vincent namhaft gemachten Gespinstfasern auf. Auch hatte man bisher kein Mittel zur Unterscheidung des Flachses, des Hanfes und des Chinagrases von einander; somit war eine sehr fühlbare Lücke auszufüllen. Zu den für diesen Zweck unternommenen Studien benutzten wir das Mikroskop, und zwar haben wir, anstatt wie dieß bisher stets geschehen war, die Faser in ihrer Längenrichtung zu untersuchen, dünne, rechtwinkelig zur Längsachse derselben gemachte Querschnitte angewendet. Flachs. – Untersucht man eine Faser von recht feinem und schönem Flachse mit unbewaffnetem Auge, so könnte man glauben, daß dieselbe einfach und homogen sey. Die Betrachtung mit dem Mikroskope dagegen läßt bald erkennen, daß sie ein Bündel feinerer, neben einander liegender und einander anhaftender Fibern ist. Zerstört man dieses Aneinanderhaften durch mehrmalige vorsichtige Behandlung mit kochenden Alkalien und mit Chloralkalien, indem man die Faserbündel mittelst zweier Nadeln unter dem einfachen Mikroskope zu zertheilen sucht, so gelingt es bei einiger Hebung bald Fasern zu erhalten, deren Länge von einigen Millimetern bis zu 6 Centimeter und mehr schwankt. Bringt man dann diese feinen Fasern (Fibrillen) in der Asphaltzelle eines Objectträgers mit Glycerin oder noch besser mit einer der Bourgogne'schen Flüssigkeiten zusammen und untersucht das Präparat bei 200 bis 300facher Vergrößerung unter dem zusammengesetzten Mikroskope, so beobachtet man folgende Charaktere: die isolirten Fibrillen oder einzelnen Zellen, aus denen die Flachsfasern bestehen, stellen sich als durchsichtige Röhren dar, deren innere Höhlung im Verhältnisse zu ihrem äußeren Durchmesser sehr klein ist. Oft ist dieser Hohlraum gar nicht wahrzunehmen. Die Oberfläche der Fibrille ist bald glatt, bald in der Längenrichtung fein gestreift. Ihr Durchmesser ist in der Regel ziemlich gleichförmig, ausgenommen an den Enden; zuweilen erscheint sie indessen abgeplattet, ist jedoch in diesem Falle nicht, wie die Baumwollfaser, um ihre Längsachse gewunden. Die Enden der Faserzellen laufen in feinen, gleich Nähnadeln verlängerten Spitzen aus. Zwar kommen Ausnahmen vor, untersucht man aber die Spitzen einer größeren Anzahl von Fasern, so erkennt man, daß diese Form die vorherrschende ist. Die Flachsfasern erscheinen, in sehr dünnen Querschnitten betrachtet, als Agglomerate von Polygonen, mit stets vorspringenden Winkeln und geraden oder schwach convexen Seiten, wenn die Fasern vom Stengel der Pflanze herrühren. Im Mittelpunkt jedes Polygons bemerkt man, je nach der Einstellung des Instrumentes, einen schwarzen oder glänzenden Punkt, den inneren Canal der Faser. Dieser Canal ist gewöhnlich sehr klein und zugerundet, selten abgeplattet. Die Zellen scheinen fast voll zu seyn. Zuweilen, jedoch nur undeutlich, lassen sich die Celluloseschichten erkennen, aus denen sie bestehen. Hanf. – Wird die Hanffaser auf angegebene Weise unter dem einfachen Mikroskope zertheilt, so zeigt sie Zellen von ähnlicher Länge wie der Lein oder Flachs; durchschnittlich sind dieselben etwas dicker, ihre Längsstreifen sind tiefer und genauer zu unterscheiden. Häufig zeigen sie deutlich hervorstehende Rippen. Die Abplattung kommt beim Hanfe häufiger vor, als beim Lein: ebenso zeigt der Durchmesser bei einer und derselben Fibrille stärkere Schwankungen. Niemals haben wir spiralige Streifen wahrgenommen, welcher Behandlung wir auch den Hanf unterworfen und in welchem Alter der Pflanze wir auch unsere Beobachtungen angestellt haben. Ist der Hanf stark gebleicht worden, so beobachtet man an den meisten Fasern tiefe, sehr deutlich hervortretende Streifen oder Spalten; dieselben sind der Achse stets parallel und nie haben wir, wie beim Flachse, eine schräg verlaufende Streifung wahrgenommen. Die Spitzen der Hanszellen sind gewöhnlich abgeplattet; das Ende ist zugerundet und zeigt sehr verschiedenartige Umrisse; es erscheint z.B. spateiförmig, oder hat die Form einer Lanzenspitze etc. Meistens sind diese Spitzen sehr unregelmäßig, zuweilen gegabelt, doch kommt diese Eigenthümlichkeit vorzugsweise bei den Zellen der unteren Stengeltheile vor. Die Querschnitte zeigen sehr unregelmäßige und sehr verschiedenartige Formen. Oft bilden sie Vielecke mit ausspringenden Winkeln, meistens aber unregelmäßige Figuren mit einspringenden Winkeln und abgerundeten Umrissen; wo sie Gruppen bilden, sind diese Figuren in einander geschränkt. Ihre Berührung ist dann eine so innige, daß man oft die Trennungslinien nicht unterscheiden kann und das Ganze wie eine homogene Masse erscheint. Im Inneren der Querschnitte findet sich eine den centralen Canal repräsentirende Oeffnung, meist von länglicher, an die des äußeren Umrisses erinnernder Form, welche gewöhnlich ebenso unregelmäßig ist wie jener Umriß. Jute. – Diese Gespinnstfaser kommt aus Asien zu uns; sie wird aus der Rinde eines Corchorus gewonnen. Vorsichtig mit Alkalien und Chloralkalien behandelt, um sie von der inkrustirenden Substanz zu befreien, erscheint sie unter der Loupe als ein Agglomerat von ziemlich groben, dicken Fasern von regelmäßigem Durchmesser, welche mit stark hervortretenden zur Achse parallelen Streifen versehen sind. Beim ersten Anblicke scheinen diese Fasern einfach zu seyn, lassen sich jedoch mittelst der Nadel zertheilen und in kurze, steife, in Spitzen auslaufende Zellen auflösen. Ihre Länge schwankt zwischen 1,5 und 3 Millimet.; manche erreichen 5 Millim. Länge. Der Körper dieser Fasern erscheint bei 200 bis 300facher Vergrößerung platt und von glänzenden Linien begrenzt; letztere repräsentiren die im Verhältniß zu den Dimensionen der Fasern gewöhnlich sehr geringe Dicke der Zellenwandung. Die Oberfläche ist glatt und läßt keine Spur von faseriger Structur wahrnehmen, wie dieß beim Hanfe und Flachse der Fall ist. Die Ränder dieser Fasern sind nicht immer glatt, sondern häufig gezahnt und bilden vertiefte oder vorspringende Buchtungen. Diesen Character zeigen auch die Spitzen; dieselben sind zuweilen scharf, häufiger aber abgerundet, oder sie laufen in sehr unregelmäßiger Weise aus. Der centrale Canal ist bis zum Ende der Spitze sichtbar. Die Querschnitte bilden Agglomerate von zu Gruppen vereinigten Polygonen mit geraden Seiten; in der Mitte eines jeden dieser Vielecke zeigt sich eine rundliche, im Verhältniß zum äußeren Durchmesser gewöhnlich sehr große Oeffnung mit glatten Rändern. Phormium tenax. – Diese Gespinnstfaser, als neuseeländischer Flachs bekannt, kommt von den Gefäßbündeln, welche in den Blättern einer als Zierpflanze ziemlich verbreiteten Monocotyledone, des Phormium tenax, zerstreut liegen. Untersucht man diese Faser, nachdem man ihr einen gewissen Grad von Bleiche ertheilt hat, unter dem einfachen Mikroskope, so wird man zunächst von der Feinheit und der Regelmäßigkeit der Fasern überrascht, welche sich mit der größten Leichtigkeit von einander trennen lassen; ihre Länge schwankt zwischen 5 und 11 Millimeter. Unter dem zusammengesetzten Mikroskope beobachtet man, daß der Durchmesser dieser Fasern in der ganzen Länge derselben eine auffallende Gleichförmigkeit zeigt. Der centrale Canal ist gewöhnlich sehr groß; er wird durch die an ihrem Rande glänzenden Linien angezeigt, welche die Dicke der Zellenwandungen repräsentiren. Die Spitzen endigen stets in derselben Weise; sie verdünnen sich allmählich und laufen kreisrund aus. Querschnitte der rohen Faser haben mit denen von Jute die größte Aehnlichkeit; sie bilden Gruppen, welche man mit denen der letzteren verwechseln könnte; die große, rundliche Centralöffnung hat ganz dasselbe Ansehen. Indessen stehen die Polygone allem Anscheine nach nicht in so inniger unmittelbarer Berührung und ihre Winkel sind häufig abgerundet. Macht man Querschnitte von einer stark gebleichten Probe, so erscheinen die Fasern fast immer isolirt und in den Gruppen sind die einzelnen Stücke etwas von einander getrennt. Bleicht man dagegen die Jute stark und fertigt dann Querschnitte davon an, so bleiben die Gruppen fester verbunden und trennen sich nur selten von einander. Chinagras. – Aus China kommt ein Gewebe zu uns, welches als China grass cloth bezeichnet wird. Die zur Anfertigung desselben benutzte Faser stammt von einer Nesselart, welche die Urtica nivea oder Boehmeria nivea seyn soll. Diese Gespinnstfaser läßt sich, wenn sie sorgfältig gebleicht worden, mittelst der Nadel leicht zerfasern; dadurch unterscheidet sie sich vom Hanfe, welcher bekanntlich gleichfalls von einem Nesselgewächse oder einer Urticee herstammt, und mit welchem sie hinsichtlich der Form einige Aehnlichkeit hat; indessen zeigt die Hanffaser selbst nach vollständigem Bleichen in ihren Bündeln noch einen bedeutenden Grad von Zusammenhalt. Die Chinagrasfasern sind auch weit dicker als die Hanffasern, und ihre Länge beträgt durchschnittlich das Doppelte. Unseren Beobachtungen zufolge schwankt diese Länge zwischen 5 und 12 Centimet., während die der Hanffaser 6 Centim. nur selten erreicht. Gleich dem Hanfe zeigt auch das Chinagras häufig Furchen und hervorstehende Rippen. Zuweilen ist die Oberfläche seiner Zellen glatt, häufiger jedoch mit sehr deutlich wahrnehmbaren Längsfurchen oder mit feinen Streifen versehen. An den Rändern bemerkt man hie und da sehr feine Fäserchen, welche sich von dem Körper der Zelle loszulösen scheinen; man erkennt, daß sie von den Rippen oder Längsfurchen herrühren, welche zerrissen worden sind und von denen ein Theil noch an der Oberfläche haftet. Ein anderes Kennzeichen, welches dieser Gespinnstfaser mit der Flachsfaser gemeinsam zu seyn scheint, sind die zur Längsachse schiefen Furchen oder Risse, welche auf eine spiralige Anordnung der constituirenden Fibrillen hindeuten. An manchen, sehr stark abgeplatteten Theilen lassen sich auch im Inneren Streifen beobachten, welche sich zu kreuzen scheinen; diese Anordnung ist der des Flachses ganz ähnlich. Die Spitzen der Chinagraszellen haben im Allgemeinen eine lanzenartige Form und erscheinen weniger unregelmäßig als die des Hanfes; in verhältnißmäßig bedeutender Entfernung vom Ende beginnen sie allmählich dünner zu werden. Im Vergleich zu dem Körper der Zelle, welcher sie angehören, sind sie weit feiner und länger, als die Spitzen der Hanfzellen. Querschnitte vom Chinagras haben viel Aehnlichkeit mit denen des Hanfes. Auch auf ihnen zeigt sich bei der ungebleichten Faser eine gruppenartige Anordnung; die Formen sind sehr unregelmäßig, gekrümmt und haben zugerundete Ränder; die Fasern sind jedoch weniger mit einander verwachsen und ihr Contact ist weniger innig. Gewöhnlich platt und breit, haben sie isolirt einige Aehnlichkeit mit Baumwollfasern. Baumwolle. – Die Baumwolle, bekanntlich das den Samen von Gossypium umgebende Haar, bildet hohle, nach der gewöhnlich stumpfen und abgerundeten Spitze zu dünner werdende Rohrchen, einen an einem Ende offenen, am anderen geschlossenen Sack, dessen Wandungen zusammengesunken sind und aufeinander liegen. Unter dem Mikroskope erscheinen diese Haare vollständig von einander getrennt, abgeplattet und um ihre Achse gewunden. Diese schon längst bekannte Anordnung ist für die Baumwollfaser charakteristisch. An den Rändern der einzelnen Fasern bemerkt man glänzende Linien, welche die Dicke der im Verhältniß zur inneren Höhlung gewöhnlich sehr dünnen Wandung anzeigen. In der Baumwolle haben wir keine Spur von faseriger Structur gefunden; ihre Substanz scheint membranöser Natur zu seyn; sie ist gefaltet, oft in unregelmäßiger Weise, wie dieß bei einer dünnen, verschiedenartigen Pressungen unterworfenen Membran nicht anders seyn kann. Die Spitzen sind gewöhnlich zugerundet. Die Querschnitte der Baumwollfaser sind durch ihre zugerundeten Umrisse, ihre verlängerten und gegen die Enden gewöhnlich zusammengefalteten Formen, welche oft an die einer Niere erinnern, vollständig charakterisirt. Der centrale Canal wird durch eine schwarze Linie angedeutet. Auf der Schnittfläche bemerkt man stets nur isolirte Faserzellen, niemals Gruppen derselben. Die Baumwolle unterscheidet sich vollkommen von allen in der Industrie angewendeten Gespinnstfasern durch die Form ihrer Querschnitte und die gewundene Anordnung ihrer Fasern, wenn dieselben in der Längsrichtung beobachtet werden, und diese beiden Kennzeichen zusammen gestatten, sie in jedem Gemenge zu erkennen.