Titel: Ueber die bei gewissen Gährungsprocessen stattfindende Reduction salpetersaurer und schwefelsaurer Salze; von A. Béchamp.
Fundstelle: Band 191, Jahrgang 1869, Nr. LXXIII., S. 333
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LXXIII. Ueber die bei gewissen Gährungsprocessen stattfindende Reduction salpetersaurer und schwefelsaurer Salze; von A. Béchamp. Aus dem Comptes rendus, 1868, t. LXVI p. 547. Béchamp, über Reduction salpetersaurer etc. Salze bei der Gährung. Die der (französischen) Akademie eingereichte Mittheilung von Reiset über die bei der Gährung des Runkelrübensaftes stattfindende Entwickelung von SalpetrigsäuregasPolytechn. Journal Bd. CXC S. 481., so wie die Arbeit von Schlösing über denselben GegenstandEbendaselbst S. 483. führten zu zwei einander diametral entgegengesetzten Erklärungen. Nach Reiset's Ansicht ist jenes Gas das Resultat einer Oxydation von Ammoniak; nach Schlösing dagegen das Product einer Reduction von Salpetersäuresalzen. Zwar stehen mir Thatsachen, die des ersteren Anschauungsweise zur Stütze dienen könnten, nicht zur Verfügung; ich glaube indessen, daß eine Oxydation von Ammoniak in gährenden Medien unter gewissen Umständen allerdings möglich ist; bekanntlich nimmt Dumas eine salpetrigsaure Gährung an und ich selbst habe beim Auftreten von Salpeterefflorescenzen in der Natur stets Mikrozyma-Bildungen beobachtet, welche denen der Kreide analog sind. Auf diesen Gegenstand werde ich wieder zurückkommen. Zur Stütze für Schlösing's Ansicht will ich hier einen, wie es mir scheint, entscheidenden Versuch mittheilen. Schon früher übergab ich der Akademie einige Resultate meiner Untersuchungen über die Entwickelung von Schimmelpilzbildungen in Zuckerwasser, welches mit verschiedenen Salzen versetzt worden ist. Diese Untersuchungen habe ich weiter verfolgt und die Natur der in Folge des Auftretens dieser kleinen Organismen entstehenden Producte genauer zu ergründen gesucht. Am 13. Mai 1864 setzte ich eine Lösung von 100 Grm. reinem Rohrzucker und 20 Grm. salpetersaurem Kali in 2 Liter destillirtem Wasser, gegen welche sich Lackmuspapier ganz neutral verhielt, der Einwirkung der Luft aus. Am 1. Juni zeigten sich in dem Gemische kleine Schimmelbildungen mit Mycelium, welche sich dem Anscheine nach nicht vermehrten; eine nähere Untersuchung ergab, daß sich beinahe noch gar kein Zucker intervertirt hatte und daß freie Säure in der Flüssigkeit nicht vorhanden war. Nun fügte ich 0,7 Grm. reinen phosphorsauren Kalk hinzu. Am 18. Juni waren in der Lösung Schimmelpilze in reichlicher Menge vorhanden und der Gehalt an Traubenzucker hatte zugenommen. Am 22. Juni zeigte die Flüssigkeit alkalische Reaction. Das Gemisch wurde nun in einen verschlossenen Apparat gebracht; es entwickelte sich nur wenig Gas; aber nach und nach wurde die alkalische Flüssigkeit entschieden sauer. Am 21. August schloß ich den Versuch ab. Das vorhandene Ferment bestand aus einem sehr feinen Mycelium, aus sehr kleinen Bakterien und aus Molecular-Granulationen, welche ich seitdem als Mikrozyma bezeichne. Die gebildeten Producte bestanden aus Alkohol, etwa 1 Grm.; aus Essigsäure und Buttersäure, deren Menge zur Bildung von 18 Grm. Natronsalzen hinreichte; aus Milchsäure in einer Quantität, welche 10 Grm. krystallisirten milchsauren Kalk gab, und aus 0,57 Grm. Ammoniak. Ich wiederholte diesen Versuch mit einigen Abänderungen. Die Bildung von Ammoniak ist jedesmal constant, wenn die Flüssigkeit nicht sauer wird; Alkohol und Essigsäure sind stets vorhanden, aber Milchsäure und Buttersäure können fehlen. In Berührung mit der atmosphärischen Luft wurde also das Gemisch alkalisch; im geschlossenen Gefäß dagegen, vor dem Luftzutritt geschützt, wurde es sauer. Zur Erklärung dieser Reduction der Salpetersäuresalze bemerkt Schlösing: „Es genügt, darauf aufmerksam zu machen, einerseits daß Fäulniß für gewöhnlich in neutralen und alkalischen Medien eintritt, und andererseits, daß die faulenden organischen Substanzen die Schwefelsäuresalze in Sulfurete umzuwandeln vermögen, daher es nicht überraschen kann, daß die Salpetersäuresalze durch sie zersetzt werden. Wo aber geht diese Reduction vor sich? Meiner Ansicht nach ist die Reduction der Salpetersäure- und Schwefelsäuresalze unter diesen Verhältnissen eine Function des eigenthümlichen Organismus, welcher die Gährung oder Fäulniß vermittelt und nicht die Wirkung der von ihm erzeugten oder ausgeschiedenen organischen Producte. Ich habe mir auf experimentellem Wege die Gewißheit verschafft, daß schwefelsaurer Kalk oder salpetersaures Kali in Gegenwart der Materialien der Gährung oder der Fermente, sobald letztere von den Organismen, deren ausgeschiedene Producte sie sind, vollständig befreit worden, durchaus nicht reducirt werden. Wenn das Medium neutral oder alkalisch seyn muß, damit in Gegenwart dieser Organismen die Reduction der genannten Salze statt findet, so hängt dieß einzig und allein davon ab, daß die Ernährung dieser Organismen sich modificirt, sobald das Medium eine Modificirung erleidet. Wird dieses Medium sauer, so werden die Salpetersäuresalze nicht mehr reducirt; dieß ist constante Thatsache, gleichwohl war das Salpetersäuresalz mit den Gährungsproducten stets in unmittelbarem Contacte. Die durch die Gährung erzeugten Substanzen bleiben demnach ohne Wirkung auf das salpetersaure Kali. Wenn wir erwägen, daß die Salpetersäure mit dem Eisenoxydul verbunden bleiben kann, ohne reducirt zu werden, wenigstens so lange nicht Wärme in's Spiel kommt, so ist eine in Gegenwart von Wasser durch die Producte der Gährung vermittelte Reduction dieser Säure im Salpeter auch schwer zu begreifen. Diese Bemerkungen gelten auch für die schwefelsauren Alkalien. Die Annahme, daß, wenn z.B. ein gypshaltiges Wasser „schweflig“ wird, dieß von seiner Berührung mit der organischen Substanz des Korkpfropfes oder irgend einer anderen organischen Substanz herrührt, ist mir sehr wohl bekannt, allein diese Ansicht ist irrig. Ich habe diese Frage schon früher angeregt (Comptes rendus, t. LXIII p. 568), bei meiner Mittheilung über die Mikrozymen des Wassers von Vergèze, welche in Berührung mit Rohrzucker die Bildung von Essigsäure, Buttersäure und Milchsäure aus dem letzteren vermitteln. Ich bemerkte: „Sobald ein Wasser schwefelwasserstoffhaltig wird, ist dieß nicht sowohl Folge seines Contactes mit einer organischen Substanz, als vielmehr der Gegenwart irgend eines, dem Mikrozyma nahe stehenden Organismus.“ Da ich damals die von mir abgeführten Versuche nicht mittheilte, so mögen einige Angaben über dieselben hier Platz finden. Füllt man eine Flasche mit Wasser, welches per Liter 0,05 Grm. schwefelsauren Kalk enthält, versetzt dasselbe mit Stärkekleister, Rohrzucker etc., und verschließt es so, daß der Pfropf mit der Flüssigkeit nicht in Berührung kommt, so erleidet der Gyps durchaus keine Veränderung, selbst nicht im Verlaufe mehrerer Monate. Setzt man, unter sonst gleich bleibenden Verhältnissen, gleichzeitig reinen, aus einer kochenden Lösung frisch gefällten kohlensauren Kalk zu der Flüssigkeit, so findet ebenso wenig eine Reduction des Schwefelsäuresalzes statt. Nimmt man dagegen, an Stelle des reinen kohlensauren Kalkes, Kreide mit Mikrozymen, so bildet sich bald Schwefelwasserstoff, dessen Gegenwart sich durch den Geruch erkennen, sowie durch essigsaures Bleioxyd oder Arsenigsäure nachweisen und quantitativ bestimmen läßt. Bei Luftzutritt erfolgt diese Reduction nicht, selbst nicht in geschlossenen Gefäßen, höchstens nach Verlauf eines verhältnißmäßig sehr langen Zeitraumes. In letzterem Falle verbrauchen jene Organismen den Sauerstoff, welcher sich ihnen mit der Luft in freiem Zustande darbietet; finden sie keinen Sauerstoff, so entnehmen sie ihn dem sie umgebenden Medium, der Schwefelsäure des Kalksulfates. Diese Erklärung rührt von Chaptal her: derselbe weist in einer seiner AbhandlungenObservation sur l'acide carbonique fourni par la fermentation des raisins et sur l'acide acéteux qui resulte de sa combination avec l'eau. (Mémoires de l'ancienne Académie des sciences, 1788.) die Entstehung einer Schimmelpilzbildung nach, welche er dem Byssus vergleicht; in Folge der Einwirkung dieser Pilzbildung wird Essigsäure erzeugt und wenn der dazu erforderliche Sauerstoff nicht aus der Atmosphäre aufgenommen werden kann, so wird er der Schwefelsäure entzogen – ebenso wie bei Anwendung von gypshaltigem Brunnenwasser –, wornach sich ein sehr deutlicher hepatischer Geruch entwickelt. Diese Theorie von der physiologischen Einwirkung der Mikrozyme läßt sich auch auf die von Chevreul zuerst nachgewiesene Entstehung von Eisensulfuret im Straßenkothe großer Städte, sowie auf die beim Fermentiren des Tabaks stattfindenden Vorgänge anwenden. In dem Straßen- oder Rinnsteinkothe finden sich Mikrozymen in Menge; ebenso lassen sich im Schnupftabak mittelst des Mikroskopes sehr zahlreiche kleine, wirklich lebende Organismen erkennen.