Titel: Ueber die Jute; von Prof. Julius Wiesner.
Fundstelle: Band 194, Jahrgang 1869, Nr. LVII., S. 244
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LVII. Ueber die Jute; von Prof. Julius Wiesner. Im Auszug aus der Zeitschrift „Ausland,“ 1869, Nr. 35. Mit Abbildungen. Wiesner, über die Jute. So wie Hanf und Flachs ist die Jute eine Bastfaser. Sie stammt von zwei sehr nahe verwandten Pflanzen, Corchorus capsularis und C. olitorius aus der Familie der Tiliaceen. Obwohl in naturhistorischer Beziehung der Linde (Tilia) nahe verwandt, sind beide Pflanzen im Habitus von diesem Baume sehr verschieden. Beide sind einjährige Kräuter, die nichtsdestoweniger oft eine Höhe von zwei Klafter erreichen. Die Heimath beider Pflanzen ist das südliche Asien, woselbst beide auch seit uralter Zeit gebaut werden. In der Regel wird Corchorus capsularis der Faser wegen, C. olitorius als Gemüse gebaut. In den Bezirken Dinajpur, Rungpur und Purneah wird hingegen erstere als Gemüse, letztere ihrer Faser wegen cultivirt, woraus sich ergibt, daß beide Species, je nach ihrer Cultur, zu beiden Zwecken dienen können. Außer den beiden genannten Arten der Gattung Corchorus kommen noch mehrere andere in Indien vor. Es sind dieß jedoch meist Unkräuter. In der französischen Colonie Indiens wird indeß eine dieser Species, nämlich Cor. decemangulatus der Faser wegen gebaut. Ich habe selbst Gelegenheit gehabt diese übrigens im äußeren Ansehen mit gewöhnlicher Jute übereinstimmende Faser bei der letzten Pariser Ausstellung zu sehen, doch konnte ich nicht eruiren, ob die letztgenannte Pflanze nur versuchshalber gebaut wurde, oder ob sie schon ein Handelsproduct liefert. Wie Hanf und Flachs muß auch die Jute eine Röste durchmachen; dieselbe dauert nur eine Woche, und wird einfach in der Weise durchgeführt, daß man die geernteten Corchorusstengel von Blättern und Nebenzweigen befreit, in dicke, jedoch lockere Bündel zusammenfaßt und in einen langsam fließenden Bach legt. Begünstigt durch die hohe Temperatur wird in kurzer Zeit eine derartige Auflockerung in den Geweben des Stengels hervorgerufen, daß sich der Bast schon nach wenigen Tagen in ganzen Stücken vom Holzkörper trennen läßt. Die Abscheidung der Faser ist eine höchst elementare. Ein Arbeiter steigt in den Bach, in welchem die Corchorusbündel liegen, löst von jedem Stengel einen schmalen Baststreif ab, und zieht nun mit vielem Geschicke den ganzen Faserbalg, ohne den Stengel zu knicken, ab. Zur Beseitigung des anhaftenden Schlammes und der zerstörten Gewebe führt er nun die Faser nochmals rasch durch's Wasser und schwingt sie wiederholt in der Luft über den Kopf hin. Die so gewonnene Faser wird an's Ufer geworfen, wo sie rasch trocknet, und nunmehr schon in jenem Zustande sich befindet in welchem sie zu Markte kommt. Trotz dieser höchst einfachen Proceduren ist die Faser nicht nur so rein, d.h. so befreit von allen dem natürlichen Baste anhaftenden Geweben, daß sie hierin jeder gewöhnlichen Hanfsorte vorzuziehen ist, die stets noch viele dem freien Auge schon erkennbare Beimengungen aufweist, trotzdem mechanische Brechen und Hecheln zu ihrer Abscheidung in Verwendung standen. Namentlich der Länge nach ist die Jutefaser sehr wohl erhalten. Die Faserlänge entspricht fast durchwegs der Länge der abgeschnittenen Stengel. Jutefasern von 8–10 Fuß Länge zählen nicht zu den Seltenheiten. Ich habe jedoch Juteproben zur Hand bekommen, welche eine Länge von 12 Fuß aufwiesen. Nur die dem unteren Stengelende entnommene Partie der Faser ist oft noch compact und gewöhnlich braun, nicht selten noch mit kleinen Parenchym- und Oberhautresten bedeckt, während alle anderen Stellen des Rohstoffes in feine Fasern zerlegt sind und die Farbe des Flachses haben. Schon im äußeren Ansehen ist die Jute von allen übrigen Gespinnstfasern verschieden. Von Manila, Sisal- und Pitehanf unterscheidet sie sich sofort durch ihre Feinfaserigkeit, vom Sunn (Faser der Crotalaria juncea, am Londoner Markt bereits häufig anzutreffen) durch die Glätte. Mit Flachs und Hanf hat sie noch die größte Aehnlichkeit, unterscheidet sich aber von beiden durch den größeren seidenartigen Glanz. Bei den verschiedenen Nüancirungen im Glanze, welche die Sorten von Flachs, Hanf und Jute aufweisen, kann für das ungeübte Auge leicht eine Verwechslung eintreten, und es entsteht die Frage nach exacten Unterscheidungsmerkmalen dieser Fasern. Ich habe in stark angesäuertem schwefelsaurem Anilin ein recht gutes Reagens aufgefunden um Jute von den beiden anderen Spinnstoffen zu unterscheiden. Dieser Körper hat, wie der Chemiker Runge zuerst zeigte, die Eigenthümlichkeit Holz, besonders Fichtenholz, intensiv goldgelb zu färben. Ich habe an einem anderen Orte die Beobachtung mitgetheilt, daß sämmtliche verholzte Pflanzengewebe die gleiche Reaction zeigen. Die Jutefaser zeigt nun in allen Formen und Altersstadien, gegenüber der Leinen- und Hanffaser, einen so hohen Grad von Verholzung, daß sie, mit schwefelsaurem Anilin befeuchtet, sowie Fichtenholz eine intensiv goldgelbe Farbe bekommt, während die Hanffaser, in ganz gleicher Weise behandelt, nur einen schwach gelben Farbenton annimmt, und die Flachsfaser hierbei so gut wie gar nicht gefärbt wird. Eigenthümlich sind für die Jute die oft höchst verschiedenen Farbentöne der einzelnen Sorten. Flachsgelbe Varietäten sind die häufigsten, selten treten ganz schwach gefärbte oder aber ziemlich dunkle, stark in's Braune geneigte Jutesorten im Handel auf. Dreierlei Ursachen können diese Farbenverschiedenheiten hervorrufen. Alle Jutesorten sind anfänglich nur ganz schwach gefärbt, beinahe farblos. Manche Sorten nehmen selbst nach langer Aufbewahrung nur eine schwache Farbe an. Es sind die besten Sorten, die durchwegs im rohen Zustande den europäischen Spinnereien zugeführt werden. Einige Sorten nehmen nach einiger Zeit eine tiefere Farbe an. Dieß zeigen z.B. die sogenannten Javasäcke, welche zur Versendung des Java-Kaffee's dienen, und später noch zu vielen anderen Zwecken, z.B. als Hadernsäcke Jahre hindurch in Verwendung stehen. Dieses Dunklerwerden der Javasäcke ist im Grunde genommen dieselbe Erscheinung, welche auch ein durch längere Zeit der Einwirkung der Atmosphäre ausgesetztes Holz darbietet. Endlich ist noch zu erwähnen, daß hin und wieder andere als die von Corchorus-Arten abstammenden indischen Fasern der Jute substituirt werden, darunter einige, welche rasch eine dunkle Farbe annehmen. Es ist dieß wohl nicht als eine Verfälschung anzusehen, da die juteähnlichen indischen Fasern, deren es, wie Royle The fibrous plants of India. London, Bombay 1855. gezeigt hat, eine beträchtliche Zahl gibt, in der Dauerhaftigkeit und in den anderweitigen Eigenschaften die Jute erreichen oder sie sogar übertreffen. Ich habe mich durch zahlreiche mikroskopische Untersuchungen überzeugt, daß in der nach Europa gebrachten Jute nicht wenige fremde, d.h. nicht von Corchorus abstammende Fasern vorkommen, und kann namentlich hervorheben, daß ein Theil dieser Fasern von Urena sinnata, ein anderer von Abelmoschus tetraphyllus, zwei indischen Malvaceen, herrührt. Um die Jutefaser mit aller Sicherheit von den übrigen Fasern unterscheiden zu können, genügt die oben angeführte Reaction nicht, da auch die beiden genannten Malvaceen-Fasern durch schwefelsaures Anilin intensiv gefärbt werden. Die Unterscheidung gelingt aber sehr leicht durch das Mikroskop. Die mikroskopischen Kennzeichen der ächten Jutefaser sind einerseits so scharf und interessant, und andererseits bis jetzt nirgends exact festgestellt worden, daß es vielleicht nicht ungerechtfertigt erscheint, wenn selbe hier in Kurzem angegeben werden. Die Jutefaser, die man mittelst einer Pincette aus dem rohen Spinnstoff hervorhebt, ist nicht etwa wie die Baumwollfaser eine einzelne Zelle, sondern wie die rohe Flachs- oder Hanffaser ein ganzes Zellenbündel. Fig. 1., Bd. 194, S. 247 Ein solches Zellenbündel, dessen Querschnitt in Fig. 1 abgebildet ist, besteht aus dicht nebeneinander stehenden prismatischen Zellen (a), welche durch lufterfüllte Intercellularräume (b) von einander stellenweise getrennt sind. Fig. 2., Bd. 194, S. 247 Wie jede Pflanzenzelle ist auch die Zelle der Jutefaser hohl. Merkwürdig ist es, daß die Hohlräume (c) der im Querschnitte nebeneinander liegenden Zellen einen sehr verschiedenen Durchmesser zeigen, eine an der querdurchschnittenen Flachs- oder Hanffaser nicht bemerkbare Eigenschaft. Noch charakteristischer erscheint eine der Länge nach Gesichtsfelde des Mikroskopes liegende Zelle Corchorus, welche man sehr leicht vereinzelt erhalten kann, wenn man die Rohfaser mit etwas Chromsäure behandelt. An jeder einzelnen Zelle erkennt man dann mit Leichtigkeit, daß die Grenzen des inneren Hohlraumes der Zelle dem äußeren Coutour durchaus nicht parallel laufen, und daß in Folge dessen die Höhlung der Zelle stellenweise sehr eng ist, eine an den übrigen spinnbaren Bastfasern nicht vorkommende Eigenthümlichkeit (Vgl. Fig. 2.). Nach zahlreichen Messungen, welche ich anstellte, beträgt die Länge einer Bastzelle 0,8–4,1, die Breite 0,01 bis 0,024 meist 0,016 Millimeter. Mehrere Exemplare von Corchorus capsularis und olitorius, die mir von dem gelehrten Hinduarzt Hrn. Náráyan Dáji durch Hrn. Dr. v. Scherzer gesendet wurden, setzten mich in den Stand, die mikroskopischen Unterschiede zwischen der Faser von C. cap. und C. olit. festzustellen. Die Unterschiede sind aber so gering, daß ich es nicht wagen darf, den Lesern diese minutiösen Details vorzuführen. Die Jute dient im Heimathlande zu Stricken, Seilen und Geweben. Die besseren Sorten der letzteren heißen in Bengalen Megila, die geringeren, die nur als Packtuch verwendbar sind, werden Tat oder Choti genannt, von welchem letzteren Ausdrucke Royle das Wort Jute herleitet. Jute bedeutete anfänglich in der Sprache der Bengalen Zeug, jetzt wird das Wort von den Hindu auch auf die rohe Corchorusfaser angewendet. Ein großer Theil der in Indien gewonnenen Jute wird dort zu Säcken verarbeitet, welche als Gunnysäcke in der ganzen Welt bekannt sind. Ein großer Theil dieser Packsäcke geht nach Amerika und dient dort zur Verpackung der Baumwolle. Die Gunnytücher werden jedoch auch noch aus anderen indischen Fasern bereitet, so nach Royle aus der Faser der Crotalaria juncee (Sunn), die im Bengalischen Goni heißt, von welchem Worte auch der Name Gunny abgeleitet wird. Die in die europäischen Spinnereien gebrachte Jute wird beinahe gänzlich im ungebleichten Zustande verarbeitet, und zwar zu groben Zeugen, die als Fruchtsäcke, ferner zur Versendung von Kohle, Wolle, Hopfen etc. dienen. Minder grobe Zeuge führen nach der Bezeichnung der großen schottischen Fabriken den Namen Hessian; die groben Gewebe werden als Sackings und Baggings bezeichnet. – Es ist eine verbreitete, jedoch ganz ungerechtfertigte Meinung, daß sich die Jute nicht bleichen läßt. Ich habe zahlreiche Muster von gebleichten Jutezeugen aus den Fabriken von J. Burnett zu Dundee gesehen, weiß von Farbe und stark seidenartig glänzend, welche ähnlich sowie gebleichte Hanf- und Leinenzeuge verwendet werden können. Der Jute werden zwei schlechte Eigenschaften nachgesagt, übler Geruch und geringe Widerstandskraft gegen Feuchtigkeit. Ich finde nicht, daß rohe Jute einen starken Geruch besitzt. Der ihr eigenthümliche Geruch ist nach meinem und dem Dafürhalten vieler Personen, welche ich darüber befragt habe, nicht unangenehmer als der des Hanfes. Es muß als völlig irrig bezeichnet werden, daß die Jute ihres Geruches wegen zur Verpackung von Genußmitteln wie Mehl, Getreide u.s.w. untauglich sey. Es wird dieß am besten widerlegt durch die Erfahrung, daß werthvolle Kaffesorten, die in Jutesäcken einen langen Seetransport durchmachten, keinen Beigeruch annahmen. Wohl wird in manchen Fabriken die Jutefaser, um sie leichter verspinnen zu können mit Fischthran eingefettet; derartige Gewebe haben allerdings einen stärkeren Geruch, für den jedoch der Rohstoff nicht verantwortlich zu machen ist, und der auch keineswegs so intensiv oder widerlich ist, um den Gebrauch daraus angefertigter Säcke zur Verpackung und Versendung von Getreide oder Hopfen zu verbieten. Daß die Jutefaser eine geringere Widerstandskraft gegen die Feuchtigkeit als Flachs und besonders Hanfsorten besitzt, läßt sich nicht läugnen. Zweckmäßigere, als die bisher üblichen Röstungsmethoden werden jedoch diesen Uebelstand, der übrigens bei schlecht gerösteten Hanfsorten ebenfalls fühlbar ist, beseitigen. Trotz dieser in der That bestehenden Untugenden der Jute und trotz einiger für ihre Verbreitung nicht minder gefährlichen Vorurtheile, welche man gegen diesen Rohstoff hegte, ist dessen Verwendung in Europa in enormer Progression begriffen. Allerdings haben äußere Umstände begünstigend auf die Steigerung des Consums an Jute eingewirkt, so namentlich der Krimkrieg, welcher Hunderttausende von Spindeln in den Garnspinnereien Englands und Schottlands zum Stillstande verurtheilt hätte, wenn nicht die Jutefaser Indiens einen Ersatz für russischen Flachs und russischen Hanf geboten hätte. Trotzdem der Zwang, ein Ersatzmittel für die europäischen Rohfasern in Arbeit nehmen zu müssen, völlig aufgehört hat, fließen jährlich mehr als anderthalb Millionen Centner Jute in die brittischen Spinnereien.