Titel: Die Rigibahn; von Scherzer.
Fundstelle: Band 198, Jahrgang 1870, Nr. LXVIII., S. 279
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LXVIII. Die Rigibahn; von Scherzer. Aus der Zeitschrift des österreichischen Ingenieur- und Architektenvereines, 1870 S. 138. Mit einer Abbildung auf Tab. V. Scherzer, über die Rigibahn. Die Idee, nach der, jährlich von über 30,000 Personen besuchten, mühevoll zu ersteigenden Höhe des Rigi ein bequemeres als die bisherigen Verkehrsmittel zu schaffen, liegt nahe genug, als daß sie der Speculation in dem rührigen Schweizerländchen entgehen konnte. Das Beispiel einer kühnen Bergersteigung auf Schienenwegen mit Locomotivbetrieb mit 33 Proc. Steigung war in Amerika auf dem Mount-Washington (5300 Fuß hoch) gegeben; ein erfahrener Schweizer Ingenieur wurde dahin abgesandt, welcher mit den befriedigendsten Aufschlüssen und Daten über die Einrichtung und Leistung des daselbst in Anwendung gebrachten Systemes zurückkehrte. Die Bildung einer Aktiengesellschaft durch die geistvollen und energischen Concessions-Inhaber, Hrn. Oberst Adolph Naeff in St. Gallen, Director N. Rickenbach in Olten und Ingenieur O. Zschokke in Aarau, konnte keine Schwierigkeit bieten, das erforderliche Capital von 1,250,000 Frcs. war bald gedeckt, und seit November vorigen Jahres sind die Arbeiten so weit vorgeschritten, daß 4000 Fuß der im Ganzen 17,000 Fuß langen Bahnstrecke bereits mit Materialzügen befahren, eine lange Strecke für den Oberbau vorbereitet, die größten Schwierigkeiten überwunden sind, und der Verkehrsöffnung im Herbst zuversichtlich entgegengesehen wird. Die Bahn führt von Vitznau am Luzerner-See mit verhältnißmäßig geringen Terrainschwierigkeiten längs den riesigen Wänden der „Rothfluh“ bis an die Grenze des Canton Schwyz oberhalb Rigi-Kaltbad auf den Grat des Berges, circa 4000 Fuß über dem Luzerner-See. Bei der Anlage wurde auf eine Fortsetzung derselben bei Rigi-Kulm Bedacht genommen. An den Endpunkten sind Stationen, in der Mitte eine Ausweichstelle projectirt. Die bedeutendsten Objecte sind ein bereits durchgetriebener 350 Fuß langer Tunnel (in Nagelflühe) unmittelbar vor dem sogenannten Waldbach, dessen über 80 Fuß tiefes ausgewaschenes Bett mittelst einer eisernen Gitterbrücke von 3 Oeffnungen je zu 85 Fuß in nur 12 Proc. Steigung passirt wird; die Zwischenpfeiler sind aus Eisenblechen construirt. Der Oberbau ist 1 Fuß tief in den Unterbau gebettet und besteht aus 2 gewöhnlichen Schienen und einer dazwischenliegenden Zahnstange, auf welcher das treibende Zahnrad läuft; dann aus Querschwellen und darauf aufgekämmten und verschraubten Langschwellen. Zur weiteren Sicherung des Oberbaues gegen ein Gleiten ist auf je 20° Entfernung 1 Schwelle auf Mauerwerk gebettet, und durch einen hervorragenden Stein geschützt. Die Zahnstange ist aus Längstheilen von 9 Fuß 6 Zoll zusammengesetzt. Ihr Querprofil besteht aus 2 ] [ Eisen, zwischen welchem sich die prismatisch geformten Zähne reihen. Bleche und Zähne sind aus gewalztem Eisen erzeugt. Die Befestigung der Zähne in den Blechen erforderte eine sehr genaue und zwar kantige Fügung, um ein Drehen oder Schlottern an den Befestigungspunkten zu vermeiden. Die Verbindung der Zahnstange mit den Querschwellen geschieht einfach durch je 3 Holzschrauben. An den Stößen je zweier Längstheile der Zahnstange und in der Mitte jedes Längstheiles sind Winkelbleche angebracht, welche je zweimal mit den Flantschen der ] [ Eisen verschraubt sind. Da die Anfertigung gebogener Zahnstangen für verschiedene und besonders sehr gekrümmte Curven mit Schwierigkeiten verbunden wäre, so hat man durchaus alle Curven mit 600 Fuß Radius angelegt, und die gekrümmten Schienen in der Fabrik entsprechend construirt Fig. 1., Bd. 198, S. 281 Fig. 2., Bd. 198, S. 281 Fig. 3., Bd. 198, S. 281 Von den vorstehenden Holzschnitten zeigt Figur 1 den Querschnitt des Oberbaues, Figur 2 den Längenschnitt (bei 25 Proc. Steigung) und Figur 3 die Treibachse (rückwärtige Achse). Die Zahnstange macht natürlich die Verwendung von Wechseln unzulässig, und man ist daher genöthigt gewesen, auf der Station Vitznau durch eine Drehscheibe die Verbindung zwischen den Haupt- und den Nebengeleisen herzustellen. – Für die Ausweichstelle in der Mitte der Strecke ist wegen des enormen Gefälles statt einer Drehscheibe eine besondere Drehvorrichtung in nur 12 Proc. Steigung beantragt, deren Grundfläche einen Kreisausschnitt bildet und deren Angelpunkt im Scheitelpunkte liegt. Die Manipulation auf derselben bedarf wohl keiner besonderen Erörterung. Der Betrieb geschieht durch eine eigens hierzu vom Director N. Rickendach der Maschinenfabrik der Schweizer Nordostbahn-Gesellschaft in Olten construirte Locomotive (Figur 31 auf Tab. V). Sie hat einen aufrechtstehenden Kessel (15 Atmosphären Maximaldruck); in horizontalen Bahnstrecken oder solchen von geringer Neigung ist die Achse des Kessels um so viel vorwärts geneigt, als nöthig ist um seine verticale Stellung in der fast durchgängigen Steigung von 22–25 Proc. zu erzielen; die Maschine kann also nur mit dem Kessel nach der Steigung hin gestellt, verwendet werden. Der Tender ist mit der Maschine vereinigt. Diese Maschinen wurden in der Maschinenfabrik der Schweizer Centralbahn erbaut und wiegen mehr als 250 Centner. Die glatten Räder sämmtlicher Fahrmittel laufen wie solche gewöhnlicher Wagen an fixen Achsen und sind nicht bremsbar. Die Maschine ist beim Auf- oder Abwärtsfahren immer am bergabwärtigen Zugsende angebracht. Die Personen- und Frachtwagen sind weder mit der Maschine noch untereinander gekuppelt, sondern werden aufwärts geschoben, abwärts durch die Maschine gehalten. Statt Buffern ist ein an der Berührungsfläche mit Eisenblech beschlagener Balken nach der Längenachse des Wagens angebracht. Die Züge werden nur aus einem Personen und einem Frachtwagen bestehen. Die Geschwindigkeit beträgt auf- oder abwärts gleich viel, und zwar 1 Stunde per Wegstunde. Die Maschine hat zwei bewegliche Achsen, an denen die auf der Zahnstange laufenden Zahnräder und an der rückwärtigen außerdem noch 2 Transmissionsräder fest verbunden sind. – Das rückwärtige (unter dem Tender) ist das Treibrad. Das vordere Zahnrad hat an seiner Achse beiderseits 2 flache Räder mit Bremsvorrichtung. An jedem Personen- und Frachtwagen ist die in der Steigung oberhalb befindliche Achse ebenso zum Bremsen eingerichtet. Personenwagen sind für 80 Personen, in Coupés zu 10 Personen eingerichtet; die Sitze sind nach den Neigungsverhältnissen der Bahn stellbar. Das wichtigste Moment bleibt in der Frage der Rigibahn jedenfalls die Sicherstellung des Zuges gegen eine die Normalgeschwindigkeit überschreitende Beschleunigung beim Abwärtsfahren. Die Thalfahrt geschieht mittelst auf den Kolben rückwirkender, im Cylinder erzeugter comprimirter Luft. Vorn in der Gabelung der nach beiden Seiten in die Cylinder führenden Dampfzuleitungsröhren ist nämlich eine Art Bolzenventil angebracht, welches durch den Zug einer Schnur vom Führer geöffnet oder geschlossen werden kann. Bei geschlossenem Ventil kann der Dampf beliebig circuliren. Zum Abwärtsfahren mit comprimirter Luft werden die Bremsen langsam gelüftet, der Dampf ist abgesperrt, das Bolzenventil geöffnet. Nun rollt die Maschine in Folge der Schwerkraft auf der sehr geneigten Bahn abwärts; der durch das Treibrad in Bewegung gesetzte Kolben saugt nun die durch die geöffnete Klappe einströmende Luft in den Cylinder ein, diese comprimirt sich nach und nach hinter dem Kolben, die Spannung im Cylinder wird immer größer und je nachdem sie hemmend auf den Kolben wirkt, werden auch die Umdrehungen des Zahnrades, resp. die Geschwindigkeit geringer. Die Regulirung der Geschwindigkeit geschieht nun durch das Oeffnen eines Ventiles, im Falle die rückwirkende comprimirte Luft zu sehr gespannt, die Geschwindigkeit zu gering würde. Schließt der Führer das erwähnte Bolzenventil, so wird weiterer Luftzutritt abgesperrt und eine Bewegung des Kolbens einerseits durch die Spannung der comprimirten Luft im Kolben, andererseits durch den luftleeren Raunt, der nun vor dem Kolben entstehen müßte, unmöglich. Erst nach dem Stillstehen des Zuges wird die Bremse angezogen. Der Zug kann also auf obige Weise bergab, dann durch die überraschend wirkenden Bremsen, endlich durch Contredampf zum Halten bergauf oder ab, auf je 6 Fuß zum Stehen gebracht werden. Der Freundlichkeit und Zuvorkommenheit des Oberingenieurs Hrn. Oberst Naeff verdanken wir den Einblick in mehrere Detailpläne, sowie das Vergnügen persönlich gelegentlich eines eben abgehenden Materialzuges mit Schienen und Schwellen durch eigene Anschauung und in dessen Gesellschaft die Thatsache zu erproben, daß die Sicherheit des Betriebes bergauf oder ab gar nichts zu wünschen übrig läßt. Bei der Thalfahrt beobachteten wir eingehend die oben angeführte Bremsung durch comprimirte Luft, das Anhalten und die Regulirung der Geschwindigkeit. Hr. Oberst Naeff ließ in der Thalfahrt den Mann an der Bremse des Frachtwagens stille stehen, und dann in einiger Entfernung nachfolgen, auf 6 Zoll anhalten, und endlich sich der Locomotive wieder anschließen, welche ihn etwas unterhalb erwartete. Die Bremsen sind sehr wirksam; der einfache Arbeiter führte den Wagen mit solcher Genauigkeit, daß das Anlehnen an den Stoßbalken der Locomotive gar nicht gefühlt wurde.

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