Titel: Ueber die mit schwefliger Säure dargestellten Rohzucker; von P. Schulze, Chemiker der L. Jacobs'schen Raffinerie zu Potsdam.
Autor: P. Schulze
Fundstelle: Band 200, Jahrgang 1871, Nr. LXV., S. 231
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LXV. Ueber die mit schwefliger Säure dargestellten Rohzucker; von P. Schulze, Chemiker der L. Jacobs'schen Raffinerie zu Potsdam. Schulze, über die mit schwefliger Säure dargestellten Rohzucker. Bei Einführung des auf die Anwendung der schwefligen Säure begründeten sogenannten Seyferth'schen VerfahrensMitgetheilt nach der Patentspecification im polytechn. Journal, 1870, Bd. CXCVIII S. 94. in die Zuckerfabrication wurden mehrseitig Bedenken laut, die sich dahin äußerten, daß so gearbeitete Zucker durch ihren Gehalt an Schwefelsäure eine große Gefahr für die Knochenkohle der damit weiter arbeitenden Fabriken mit sich bringen müßten, und in der That lag die Annahme wohl nahe, daß die schweflige Säure in der großen Menge sauerstoffhaltiger organischer Substanz, die sich ihr in der Zuckerlösung darbot, die günstigsten Bedingungen, besonders in der Wärme, für ihre Umbildung zu Schwefelsäure finden mußte. Beruht ja die Theorie der Bleichung durch schweflige Säure nur auf der Annahme, daß die zu bleichenden Farbstoffe ihre Entfärbung durch Sauerstoffentziehung erleiden. Bekanntlich trifft diese Theorie aber nicht überall zu, worauf ich weiter unten nochmals zurückkomme. Ein im Vergleich zu anderen Zuckern übermäßiger Gehalt an Schwefelsäure hätte dann die Folge seyn müssen, und die Schädlichkeit solcher Fabricate wäre unter Umständen nicht zu läugnen gewesen. Wenigstens hätten sie ein besonders sorgfältiges und deßhalb kostspieliges Reinigungsverfahren der Knochenkohle erforderlich gemacht, und es hätten schon wesentliche andere Vortheile seyn müssen, die unter solchen Umständen zur Beibehaltung des Verfahrens vermochten. Die folgenden Untersuchungen nach Dr. Seyferth gearbeiteter Zucker, welche natürlich nur Werth haben konnten, wenn sie mit den bezüglichen Resultaten anderer, nach den gewöhnlichen Verfahrungsweisen gearbeiteter Zucker verglichen wurden, sollten zur Aufklärung dieser Frage beitragen, und wenn auch mittlerweile die Praxis schon ihr Urtheil über das Verfahren abgegeben hat, so glaube ich doch noch immer einiges Interesse bei Veröffentlichung der Resultate voraussetzen zu dürfen. Das nöthige Material zu den Untersuchungen stammt aus sächsischen und anhaltischen Fabriken, und wurde mir, charakteristisch genug für die Lage der Sache, mit dem Ersuchen mitgetheilt, über die Herkunft der Muster möglichste Discretion walten zu lassen. Ich muß es deßhalb vorziehen, die Producte unter laufender Nummer einzustellen und die Namen der Fabriken gänzlich wegzulassen. Die Bestimmung der Schwefelsäure geschah in der Weise, daß eine größere Menge des zu untersuchenden Zuckers in einer geräumigen Platinschale verkohlt, die Kohle mit salzsaurem Wasser erschöpft, getrocknet und verbrannt wurde. Der Rückstand wurde, soweit er sich in verdünnter Salzsäure noch löste, mit der übrigen Flüssigkeit vereinigt, und in dem Ganzen die Schwefelsäure wie gewöhnlich bestimmt, eine Methode die bei großer Genauigkeit rasch zu arbeiten gestattete. In der folgenden Tabelle sind die bezüglichen Resultate zusammengestellt. Nr. 2–10 sind Analysen von nach Dr. Seyferth gearbeiteten Zuckern; Nr. 1 und Nr. 11–13 sind ohne schweflige Säure dargestellt, ebenso wie Nr. 14–18, die einzigen für unseren Zweck genügenden Analysen, welche ich in der mir zu Gebot stehenden Literatur habe auffinden können. Davon sind Nr. 14–16 von Heidepriem Zeitschrift des Vereines für die Rübenzucker-Industrie im Zollverein, 1867 S. 516., Nr. 17 und 18 von Grouven Ebendaselbst, 1860 S. 373. veröffentlicht worden. Die Untersuchungsmethode ist in allen Fällen fast dieselbe, ein Vergleich mit den übrigen Analysen also sehr wohl gestattet. Ausgenommen hiervon ist die Salzbestimmung, welche bei meinen Analysen nach der Scheibler'schen Methode ausgeführt wurde. In 100 Theilen Nr. Bezeichnungund Farbe Reaction Zucker Wasser Salze Schwefelsäure OrganischerNichtzucker GesammterNichtzucker   1 Farin neutral 99,4  0,21 0,20 0,007 0,1 0,3   2 I. Product, weiß sauer 93,9 3,5 1,32 0,115 1,3 2,6   3 I. Product, gelblich alkalisch 93,8 3,1 1,65 0,106 1,5 3,1   4 I. Product, gelblich alkalisch 93,6 2,5 1,74 0,031 2,2 3,9   5 I. Product, gelb alkalisch 94,4 2,4 1,66 0,120 1,6 3,2   6 I. Product, gelb alkalisch 93,4 3,2 1,92 0,126 1,5 3,4   7 I. Product, gelb alkalisch 93,5 2,4 1,73 0,079 2,4 4,1   8 Nachproduct,schmutzig gelb alkalisch 90,3 3,8 2,31 0,099 3,6 5,9   9 Nachproduct,schmutzig gelb alkalisch 90,1 3,8 2,38 0,156 3,8 6,1 10 Nachproduct,schmutzig gelb alkalisch 91,0 3,7 2,22 0,118 3,1 5,3 11 I. Product, gelblich alkalisch 95,9 2,3 1,10 0,102 0,7 1,8 12 I. Product, gelblich alkalisch 93,5 3,4 1,36 0,088 1,8 3,1 13 Nachproduct,schmutzig gelb alkalisch 93,1 2,8 1,91 0,107 2,2 4,1 14        –           – 92,5 3,4 1,13 0,096 3,0 4,1 15        –           – 94,0 1,8 0,93 0,066 3,3 4,2 16        –           – 96,1 1,1 0,77 0,089 2,1 2,9 17        –           – 97,5 0,6 1,5 0,282 0,4 1,3 18        –           – 83,5 6,5 2,6 0,308 7,4 10,0   Das Resultat ist klar und sofort ersichtlich, es findet durch die Behandlung mit schwefliger Säure eine bemerkenswerthe Erhöhung des Gehaltes an Schwefelsäure nicht statt, eine Erfahrung welche auch von anderen Seiten bestätigt wird. Es ist nun die Vermuthung ausgesprochen worden, daß die schweflige Säure unter Bildung einer mit den organischen Säuren gepaarten Schwefelsäure in der Zuckermasse Aufnahme fände. Diese sogenannten Sulphosäuren pflegen zwar an und für sich nicht die bekannte Reaction mit Chlorbaryum zu geben, müßten aber doch, da sie nicht ohne Zersetzung flüchtig, außerdem als an nichtflüchtige Basen gebunden zu betrachten sind, bei der Verkohlung des Zuckers sich unter Zurücklassung von Sulphaten zersetzen. In diesem Falle müßte immer sich ein Plus an Schwefelsäure in den Zuckern zeigen, und da dieß, wie bewiesen, nicht der Fall ist, so wird auch dieser Hypothese der Grund entzogen. Für die Knochenkohle hat man also von Seiten des Seyferth'schen Verfahrens nicht mehr und nicht minder zu befürchten, als von jedem anderen Verfahren, und mancher Fabrik droht in dem ihr zur Verfügung stehenden Wasser ein viel ärgerer Feind, wie die Analyse Nr. 18 zeigt. Der fragliche Zucker verdankt nach den Angaben von Dr. Grouven seinen hohen Schwefelsäuregehalt lediglich dem stark gypshaltigen Fabrikwasser. Indessen gab es nun immer noch die Möglichkeit, daß die schweflige Säure unverändert im Zucker vorhanden war, und bei der Verkohlung wenigstens theilweise unzersetzt entwich. Da es nun nicht gelang, in Bezug auf den Schwefelsäuregehalt eine bemerkenswerthe Differenz nachzuweisen, so durfte es wenigstens nicht schwer fallen, die schweflige Säure selbst zu bestimmen, wenn das Verfahren wirklich den von seinem Urheber angegebenen Nutzen, Bildung von schwefligsauren Salzen und Austreibung und Verflüchtigung organischer Säuren, haben sollte. Die qualitative Nachweisung der schwefligen Säure hatte keine Schwierigkeit. Zunächst mag bemerkt werden, daß der Geschmack der nach Dr. Seyferth gearbeiteten Zucker ganz charakteristisch ist, und bei einiger Uebung sich wohl zum Erkennen derselben benutzen läßt, wie es von Dr. H. Schulz gelegentlich der letzten Vereinsversammlung bemerkt wurde. Die von Bädecker (Fresenius' qualitative Analyse, 13. Auflage, S. 210) angegebene Reaction auf schweflige Säure mit Nitroprussidnatrium und Zinkvitriol ist ohne Weiteres nur bei hellen, klar sich lösenden Zuckern anwendbar, dagegen sehr empfindlich, und überall anwendbar ist die auf die Reduction der schwefligen Säure zu Schwefelwasserstoff begründete Reaction, bei welcher die saure Zuckerlösung mit reinem Zink, oder besser mit Aluminium in Berührung gebracht wird. Im Falle der Gegenwart von schwefliger Säure tritt dann Schwefelwasserstoff auf, von dem nur sehr geringe Spuren genügen, um ein darüber gehaltenes, mit alkalischer Bleilösung getränktes Papier zu bräunen. Mit Ausnahme von Raffinade und besserem Melis trat die eben erwähnte Bräunung aber fast bei jedem Zucker ein, denn es genügte, ein stecknadelgroßes Stück Aluminiumdraht in eine saure Lösung von ungefähr 3 Grm. Zucker zu bringen, um in fast allen Fällen eine sehr deutliche Reaction zu erhalten. Selbstverständlich wurde durch Versuche die Ueberzeugung gewonnen, daß das Aluminium für sich die Reaction nicht gab, und es ist jedenfalls interessant die Gegenwart der schwefligen Säure zu constatiren, welche ihren Ursprung wenn nicht aus dem Scheidekalke selbst, doch aus dem Saturationsgase genommen haben muß. Die quantitative Ermittelung der schwefligen Säure scheiterte daran, daß die sonst bekanntlich so genau arbeitende Jodlösung außer der schwefligen Säure auch noch organische Substanzen oxydirte, so daß es nie gelang, eine constante Bläuung der stärkehaltigen Flüssigkeit zu erzielen. Dieselbe Erscheinung trat bei den Versuchen, durch Destillation der salzsauren Lösung in einer Atmosphäre reinen Wasserstoffes zu einem Resultat zu kommen, ebenfalls ein, und übrigens mußte von dieser Methode schon deßhalb Abstand genommen werden, weil die Unveränderlichkeit der schwefligen Säure unter den gegebenen Verhältnissen nicht erwiesen werden konnte. Jedenfalls enthielt aber keine der zur Untersuchung vorliegenden Proben mehr als einige Hundertstel Procente an schwefliger Säure, denn es genügten stets 1 bis 2 Kubikcentimeter von 1/10 Normaljodlösung auf 20 Grm. Zucker, welche höchstens 0,03 Proc. Säure entsprechen, um eine längere Zeit andauernde Bläuung durch Jodstärke zu erhalten. Ein Blick auf die in der Tabelle enthaltenen Zahlen zeigt zunächst, daß zwischen den vorliegenden Zuckern zwar die größten Verschiedenheiten in der Zusammensetzung vorhanden sind, daß aber zwischen den nach Dr. Seyferth gearbeiteten und anderen Zuckern eine bestimmte Grenze nicht zu constatiren ist, da sich unter beiden Sorten Zucker mit hohem und mit niedrigem Schwefelsäure- und Nichtzucker-Gehalt finden. Sodann ist festgestellt, daß die zur Anwendung gekommene schweflige Säure nur in sehr geringer Menge noch vorhanden ist, so gering, daß ihre Messung zweifelhaft und es fraglich wird, ob diese Beimischung noch als charakteristisch zu betrachten ist. In seinem vom December 1869 datirten CircularZeitschrift des Vereines für die Rübenzucker-Industrie, 1870 S. 925. sagt nun Herr Dr. Seyferth: „Im Vacuum ist die Möglichkeit geboten, durch die heftige Bewegung der kochenden Massen in kürzester Zeit alle Theile einer Lösung mit der (schwefligen) Säure in Berührung zu bringen, und demnach jeden Ueberschuß von Säure durch die Wirkung der Wärme und Luftleere sofort zu verdampfen. Die schweflige Säure verbindet sich nicht nur mit den freien und kohlensauren Alkalien, sondern sie treibt auch organische Säuren aus ihren Verbindungen mit den Alkalien aus, und da der größte Theil derselben mit Wasserdampf gemischt verdampft, so werden durch dieses Verfahren wesentliche Mengen organischer Säuren und jene Producte, welche durch Reduction organischer Stoffe mit schwefliger Säure gebildet werden, aus den Säften entfernt.“ Bedenkt man, welche bedeutende Mengen kohlensaurer Salze jede Zuckerasche enthält, deren Kohlensäure den ursprünglich im Zucker enthalten gewesenen organischen Säuren ihren Ursprung größtentheils verdankt, und vergleicht damit die oben erhaltenen Resultate, so liegt es auf der Hand, daß entweder sehr wenige flüchtige organische Säuren in der Zuckerlösung enthalten sind, oder daß die schweflige Säure als noch flüchtiger, abgesehen von oberflächlicher Bleichung, gänzlich wirkungslos entweicht. Daß es sich hier aber in der That um weiter nichts als eine oberflächliche Bleichung handelt, geht z.B. aus dem Umstande hervor, daß der sehr weiße saure Zucker Nr. 2 bei längerem Aufbewahren wieder völlig gelb geworden war, indem durch die fortschreitende Säuerung des Zuckers die bleichende Wirkung der schwefligen Säure wieder aufgehoben wurde. Aehnliches findet ja bekanntlich bei der Bleichung von Blumenblättern durch schweflige Säure statt, da z.B. so gebleichte Rosenblätter durch eine stärkere Säure, wie Schwefelsäure, ihre ursprüngliche Farbe wiedererlangen. Daß andere, nach Dr. Seyferth gearbeitete Zucker dieses Gelbwerden nicht zeigten, ist noch kein Beweis für die Unrichtigkeit obiger Ansicht, sondern zeugt nur von der im Allgemeinen sorgfältigeren Arbeit der betreffenden Fabriken. In eigenthümlichem Contrast zu der oben citirten Ansicht des Hrn. Dr. Seyferth über die Wirkung der schwefligen Säure auf flüchtige organische Säuren steht die ungefähr ein Jahr später von demselben mitgetheilte Erfahrung, daß zur Neutralisation der Alkalien auch die flüchtige organische Essigsäure an Stelle der schwefligen Säure treten kann. Daß dem chemischen Publicum mit dieser Entdeckung gerade etwas wesentlich Neues geboten worden wäre, soll wohl nicht behauptet werden, jedenfalls ist es aber wünschenswerth, daß Hr. Dr. Seyferth sich dazu versteht, den Nachweis zu führen, daß in einem Falle die Entfernung flüchtiger organischer Säuren, im anderen jedoch der Zusatz derselben von Nutzen zu erachten ist. Eine günstige Wirkung des Zusatzes von schwefliger Säure ist also auf alle Fälle nicht abzusehen, und die Fabriken welche in der Lage waren, dem Verfahren ein günstiges Zeugniß auszustellen, würden sich sehr verdient machen, wenn sie zur Aufklärung der vortheilhaften Wirkung der schwefligen Säure, besonders mit Rücksicht darauf, daß dieselbe ebensogut durch Essigsäure soll ersetzt werden können, ihre Ansichten ebenfalls mittheilen wollten.