Titel: Chemische und mechanische Veränderung der Silber-Haloidsalze durch das Licht; von C. Schultz-Sellack.
Fundstelle: Band 200, Jahrgang 1871, Nr. CVI., S. 386
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CVI. Chemische und mechanische Veränderung der Silber-Haloidsalze durch das Licht; von C. Schultz-Sellack. Aus den Berichten der deutschen chemischen Gesellschaft zu Berlin, 1871, Nr. 6. Schultz, über die Veränderung der Silber-Haloidsalze durch das Licht. Das Chlorsilber und Bromsilber wird bekanntlich im Licht zersetzt, indem Chlor und Brom in solcher Menge frei wird, daß es durch den Geruch und durch chemische Reagentien nachweisbar ist; das dunkelgefärbte Zersetzungsproduct ist also wahrscheinlich ein Subchlorür und Subbromür. Wenn man einen größeren Ueberschuß von Chlor oder Bromdampf zuführt, verschwindet die Färbung auch bei fortdauernder Belichtung. Bei der Einwirkung des Lichtes auf Jodsilber tritt ebenfalls eine dunkle Färbung ein, man hat indessen kein freies Jod nachweisen können; durch einen kleinen Zusatz von freiem Jod wird die Färbung verhindert. Da diese Zersetzungen abhängig sind von der Dampfspannung des freien Chlors, Broms und Jods, so kann man sie als durch das Licht bedingte Dissociations-Erscheinungen auffassen. Die Dissociationsspannung des Jods beim Jodsilber wäre dann so gering, daß es nicht gelingt das Jod in der Umgebung unmittelbar nachzuweisen. – Da die Dissociationsspannungen im Allgemeinen mit der Temperatur wachsen, so darf man dieß auch beim Jodsilber erwarten; und wenn man, bei höherer Temperatur, das alsdann durch Licht etwa frei werdende Jod durch einen langsamen Luftstrom fortführt und sammelt, kann man vielleicht die Jodreaction erhalten. Ueberdieß macht bei höherer Temperatur die viel dunklere Färbung, also die stärkere optische Lichtabsorption der Silber-Haloidsalze, wie ich schon früher bemerkt habe, eine stärkere chemische Absorption und Zersetzung wahrscheinlich. Durch meine bisherigen Versuche habe ich in dem Luftstrom, welcher über erhitztes sonnenbeleuchtetes Jodsilber geleitet wurde, noch nicht mit Sicherheit Jod nachweisen können; ein entscheidendes Ergebniß ist für die Versuche bei Anwendung der Sommersonne zu erwarten. Man kann Chlorsilber und Bromsilber aus der Lösung in Ammoniak, Jodsilber aus der Lösung in Jodwasserstoff, bei Abschluß des Lichtes, leicht in klaren glänzenden Krystallen erhalten. Wenn man diese Krystalle bei Gegenwart von freiem Chlor, resp. Brom und Jod, in Glasröhren eingeschlossen, dem Licht aussetzt, so findet, wie oben bemerkt ist, keine chemische Veränderung statt, man beobachtet aber eine mechanische Veränderung. Die Jodsilberkrystalle zerfallen zu Pulver, die Bromsilber- und Chlorsilberkrystalle werden trübe und verlieren ihren Glanz. Wie die Krystalle verhält sich auch die klare durchsichtige Jodsilberschicht, welche man durch Jodiren eines Silberspiegels erhält. Die frisch bereitete klare Schicht verwandelt sich im Sonnenlicht in einigen Minuten in eine gelblich graue rauhe Masse, welche im durchgehenden Licht, je nach der Dauer der Einwirkung, verschiedene Farben zeigt; zuerst erscheint sie gelbbraun, dann dunkelbraun und sehr trübe, dann roth und grün und blau, indem sie wieder bedeutend durchsichtiger wird, und endlich hellbläulich weiß. Die schließliche Färbung kann übrigens, je nach der Dicke und dem Alter der Schicht, und der Intensität des Lichtes, verschieden seyn. Diese Farben entstehen durch Beugung des Lichtes, und sind von der Feinheit der durch das Licht bedingten Pulverung des Jodsilbers bedingt. Wenn man die Luft in den Zwischenräumen des Pulvers durch ein anderes Medium ersetzt, die Schicht mit Lack imprägnirt, verändern sich die Farben und verlieren meist bedeutend an Intensität. – Es ist mir wahrscheinlich, daß bei der sogenannten „farbigen Photographie“ die Farben ebenso durch eine Structuränderung entstehen. Am empfindlichsten für die mechanische Veränderung ist das Jodsilber, wenn es so eben in Joddämpfen geräuchert ist; durch längeres Aufbewahren an der Luft oder besser durch Baden mit verdünnter Silberlösung oder anderen jodabsorbirenden Substanzen wird die Empfindlichkeit fast ganz aufgehoben, durch erneutes Räuchern mit Joddämpfen aber wieder hergestellt. Die mechanische Veränderung des Jodsilbers geschieht nur durch diejenigen Farben des Spectrums, welche das Jodsilber photographisch erregen; das Licht, welches durch eine (unempfindlich gemachte) Jodsilberschicht hindurchgegangen ist, ist deßhalb fast völlig unwirksam. Man kann dieses Verhalten des Jodsilbers zur Darstellung photographischer Bilder benutzen und erhält bei Anwendung einer photographischen Negativplatte ein in der Durchsicht braun gezeichnetes Positiv. Läßt man das Licht weiter wirken, so verwandelt sich die braune Färbung in die hellbläuliche, die Schattenpartien des Bildes werden hell, das Positiv verwandelt sich in ein Negativ. Durch unterschwefligsaures Natron wird sowohl das cohärente wie das durch Licht gepulverte Jodsilber gelöst; durch Waschen mit verdünnter Lösung von salpetersaurem Silber oder auch durch Ueberziehen mit einem durchsichtigen Harzlack kann man indessen diese Bilder im Licht haltbar machen. Der Lacküberzug wirkt wahrscheinlich nur, indem er die Theile des Jodsilbers so fest umschließt, daß sie sich nicht trennen können. Diese Bilder, welche ich als mechanische Jodsilberbilder bezeichnen will, entstehen auch auf mit Jod geräuchertem Jodsilbercollodium, welches das Jodsilber schon als gefälltes feines Pulver, das mit gelbbrauner Farbe durchsichtig erscheint, enthält. Die Pulverschicht wird aber durch das Licht noch weiter zertheilt, und bei hinreichendem Belichten unter einem photographischen Negativ erhält man zunächst ein in der Durchsicht dunkelbraun gezeichnetes Positiv, welches durch schöne Farbenabstufungen hindurch zuletzt in ein Negativ übergeht. Wenn man die Schicht von Jodcollodium vor dem Baden mit Silberlösung nahezu trocknen läßt, so wird das Jodsilber in so feinen Theilchen gefällt, daß es unmittelbar ohne Lichtwirkung diese Farben zeigt. Es ist nun zu entscheiden, ob diese durch das Licht bewirkte mechanische Veränderung der Silber-Haloidsalze eine Rolle spielt bei dem gewöhnlichen Photographischen Proceß. Durch hinreichendes Belichten kann man bekanntlich auf der empfindlichen Daguerre'schen Platte oder einer mit salpetersaurem Silber gebadeten Chlor-, Brom- oder Jodsilber-Collodiumplatte unmittelbar ein sichtbares Bild erhalten; dieses Bild ist nicht im unterschwefligsauren Natron löslich, kann also durch dasselbe fixirt werden. Die Substanz dieses Bildes, welche jodärmer ist als Jodsilber,Dieß zeigt am einfachsten der folgende Versuch. Wenn man einen auf Glas erzeugten Silberspiegel oberflächlich jodirt, so daß noch eine dünne Schicht Silber unverändert bleibt, so kann man auf der Platte durch Belichten ein Bild erzeugen, und dasselbe durch unterschwefligsaures Natron fixiren. An den Stellen wo das Licht gewirkt hat, ist die den Untergrund des Bildes abgebende Silberschicht verschwunden das belichtete Jodsilber muß also Jod an das Silber abgegeben haben Moser, welcher diese Bilder zuerst beobachtete, glaubte daß dieselben aus physikalisch modificirtem Jodsilber bestehen. zeigt die photographische Anziehung für Quecksilber- oder Silbertheilchen. Dieses chemische Bild wird durch Jodüberschuß in Jodsilber, löslich in unterschwefligsaurem Natron, übergeführt, seine Färbung verschwindet und es verliert dadurch zugleich seine photographische Eigenschaft, während das oben beschriebene mechanische Jodsilberbild gerade bei Jodüberschuß entsteht, und durch denselben nicht wieder vernichtet wird, und für sich die photographische Eigenschaft nicht hat. Hierdurch scheint mir bewiesen, daß die mechanische Veränderung der Silber-Haloidsalze im photographisch empfindlichen Zustande der chemischen Veränderung zwar völlig parallel geht, aber äußerst gering ist, und daß der photographische Proceß wesentlich mit der chemischen Zersetzung verknüpft ist. Es ist bemerkenswerth, daß die mechanische Veränderung der Silber-Haloidsalze, die Aufhebung der Cohäsion der Molecüle, am stärksten ist, wenn die chemische Veränderung, die Trennung der Atome in den Molecülen, am geringsten ist. Vielleicht findet eine ähnliche mechanische Zertheilung durch das Licht, welche bisher nur beim Realgar bekannt war, auch bei anderen lichtempfindlichen Substanzen statt; anscheinend erleidet dieselbe das krystallisirte Zinnjodid und vielleicht auch das doppelt-chromsaure Kali.