Titel: Ueber die Bestimmung der Schmelz- und Erstarrungstemperatur bei den Fetten; von Dr. Ch. Wimmel in Hamburg.
Fundstelle: Band 200, Jahrgang 1871, Nr. CXXXIX., S. 494
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CXXXIX. Ueber die Bestimmung der Schmelz- und Erstarrungstemperatur bei den Fetten; von Dr. Ch. Wimmel in Hamburg. Aus Poggendorff's Annalen der Physik und Chemie, 1871, Bd. CXLII S. 471. Wimmel, über Bestimmung der Schmelz- und Erstarrungstemperatur der Fette. Dieses Thema behandelt ein Aufsatz von Fr. Rüdorff in Bd. CXL S. 420 der citirten Annalen,Polytechn. Journal, 1870, Bd. CXCVIII S. 531. welcher auch auf meine in Bd. CXXXIII S. 121 derselben Zeitschrift veröffentlichte Arbeit über diesen GegenstandDeren Resultate im polytechn. Journal, 1868, Bd. CLXXXVIII S. 421 mitgetheilt wurden. Bezug nimmt. Rüdorff meint, die bisher zur Bestimmung des Schmelzpunktes benutzten Methoden treffe sämmtlich der Vorwurf, daß sie einen gewissen Grad der Erweichung und Beweglichkeit ihrer Theile oder des Durchsichtigwerdens für Schmelzen angeben, während man als Schmelzpunkt nur diejenige Temperatur anzusehen habe, bei welcher Wärme latent werde. Diese Ansicht ist gewiß in der Theorie richtig, ihre Richtigkeit läßt sich aber bei den Fetten – wie Rüdorff selbst zugibt – nicht experimentell beweisen, und hat darum für die Praxis keinen Werth. Es gelingt nicht, während des Schmelzens der Fette einen Punkt zu finden, bei welchem die Temperatur selbst nur auf kurze Zeit constant bliebe; sie steigt unausgesetzt, so während des Schmelzens, wie vor und nach demselben. Eine Absorption der zugeleiteten Wärme, wie sie bei anderen Substanzen, z.B. beim schmelzenden Eise sich zeigt, läßt sich bei den Fetten nicht bemerken. Will man daher nicht überhaupt gänzlich auf eine Bestimmung der Schmelztemperatur bei den Fetten verzichten, so bleibt kein anderer Weg übrig, als eine der bisher zu diesem Zwecke benutzten Methoden anzuwenden, von welchen mir die von Bouis empfohlene und bei meinen zahlreichen Versuchen in etwas abgeänderter Form benutzte, die besten Dienste geleistet hat. Wenn man unter Schmelzen die Erscheinung des Uebertretens aus dem festen in den flüssigen Zustand versteht, so läßt sich mittelst des von mir genau beschriebenen Verfahrens für jedes Fett ein Schmelzpunkt bestimmen, der bei wiederholten Versuchen mit einer und derselben Probe wenigstens in den ganzen Zahlen immer übereinstimmende Resultate zeigen wird; und dieß dürfte in den meisten Fällen genügen. Rüdorff macht es dieser und allen anderen Methoden zum Vorwurf, daß dabei das Thermometer in das zum Erwärmen des Fettes dienende Wasser gebracht werde (welcher Vorwurf übrigens die Methode von Pohl nicht trifft), während doch ohne Zweifel jene Methoden nur aus dem Grunde ausgesonnen und zur Anwendung gekommen sind, weil das gewöhnliche Verfahren des Einbringens der Thermometerkugel in das schmelzende Fett selbst, welches Rüdorff für das allein richtige hält, niemals zum Ziele führt. Rüdorff meint ferner, es sey auffallend, daß nach den Angaben anderer Beobachter, namentlich den meinigen, der Schmelzpunkt bei den meisten Fetten merklich höher liege als der Erstarrungspunkt, und daß sich aus dieser Beobachtung die – seiner Meinung nach – irrige Ansicht gebildet habe, daß die Temperatur des Schmelzens und Erstarrens bei den Fetten nicht dieselbe sey. Diese Ansicht hat nun wohl, soweit mir bekannt, so ganz bedingungslos Niemand ausgesprochen, und auch ich habe sie nur unter gewissen Einschränkungen hingestellt, aber eben so wenig dürfte es gerechtfertigt seyn, sie schlechthin als irrig zu bezeichnen; denn sie wird durch das Experiment augenscheinlich gestützt. Alle eigentlichen Fette behalten, wenn sie durch Wärme völlig verflüssigt sind, bis mehr oder weniger weit unter den Schmelzpunkt ihre flüssige Form bei. Endlich sinkt die Temperatur längere Zeit nicht mehr, sondern bleibt constant, bis das Fett anfängt feste Form anzunehmen, worauf bei mehr und mehr zunehmender Festigkeit ein bei manchen Fetten nur geringes, bei anderen sehr beträchtliches Steigen der Temperatur eintritt. Dieser Wendepunkt in der Temperatur ist für jedes Fett ein ganz bestimmter und constanter, und es läßt sich gewiß rechtfertigen, ihn als den natürlichen Erstarrungspunkt zu bezeichnen. Daß die Fette hierbei in dem Zustande der Ueberschmelzung sich befinden, glaube auch ich, und habe ich diese Ansicht auch ausgesprochen; denn es gelingt, wenigstens bei den meisten Fetten, durch ein ähnliches Verfahren, wie Rüdorff es bei dem Japan-Wachs angewendet und genau beschrieben hat, das Erstarren auch bei einer höheren, dem Schmelzen oft sehr nahen Temperatur hervorzurufen, wobei dann in der Regel keine Temperaturerhöhung eintritt. Nichtsdestoweniger ist dieser letztere Fall immer ein künstlich hervorgerufener, während das natürliche Verhalten das erst beschriebene ist. Daß dieses Verhalten nur den eigentlichen Fetten, also den Substanzen eigen ist, welche bei der Verseifung Glycerin geben, ist eine Ansicht, zu welcher mich die Beobachtung geleitet hat, und die sich lediglich auf Versuche mit einer, allerdings nicht unbeträchtlichen Reihe von Fetten und fettähnlichen Substanzen stützt. Bienenwachs und Wallrath, welche nicht den Fetten im engeren Sinne angehören, zeigen beim Erstarren anfänglich ganz dasselbe Verhalten wie die Fette. Werden sie nach dem Schmelzen wieder erkältet, so tritt endlich und zwar, wenn die Temperatur bis auf den Schmelzpunkt gesunken ist, während des beginnenden Erstarrens eine länger dauernde Constanz der Temperatur ein; diese erhöht sich aber selbstverständlich nicht wieder während der zunehmenden Erstarrung, sondern es beginnt vielmehr, wenn die Probe durch ihre ganze Masse breiförmig geworden ist, sogleich ein fortdauerndes Sinken der Temperatur, wobei allmählich völlige Erstarrung eintritt. Bei diesen Körpern fällt also der Schmelzpunkt mit dem Erstarrungspunkt immer zusammen. Rüdorff scheint eine Temperaturerhöhung während des Erstarrens nur bei dem Japan-Wachs und dem Rindertalg beobachtet zu haben, bei welchen die Erscheinung allerdings sehr augenfällig ist, obschon das Fett der Muskatnutz sie in noch höheren: Grade zeigt. Das Analoge im Verhalten der eigentlichen Fette und der übersättigten Salzlösungen beim Erstarren ist gewiß einleuchtend, nur dürfte dabei niemals zu übersehen seyn, daß das, was bei diesen ein künstlich hervorgerufener, abnormer Zustand ist, bei den Fetten als der natürliche sich zeigt, während umgekehrt das natürliche Verhalten der Salzlösungen bei den Fetten nur künstlich hervorgerufen wird. Die Fette zeigen also zwei Erstarrungspunkte, einen natürlichen und einen, den man den künstlichen nennen könnte, von welchen aber gerade der erstere, obschon er mit dem Schmelzpunkt nicht zusammenfällt, der constantere und leichter zu bestimmende ist. Daß dieser bei den Angaben über das Verhalten der Fette beim Schmelzen mehr als bisher und selbst mehr als der Schmelzpunkt berücksichtigt werden möge, ist ein Wunsch, den auch ich nicht unterlasse hier auszusprechen. Wie unzuverlässig und darum für die Praxis unbrauchbar alle früheren Angaben über den Schmelzpunkt der Fette sind, zeigt sich beim bloßen Vergleich der Zahlen, welche die einzelnen Beobachter angegeben haben. Sucht man z.B. nach Angaben über den Schmelzpunkt des Rindertalges, so hat man die Wahl zwischen 37,6 und 59,6° C. und allen Zwischenstufen. Aehnlich beim Japan-Wachs. Die Gefahr des Irrens ist nicht zu vermeiden, wenn man nicht bei den Fetten neben dem Verhallen beim Schmelzen auch das Verhalten beim Erstarren beobachtet, und beide Erscheinungen genau auseinander hält.