Titel: Ueber ein explosives Gemisch von salpetersaurem Kali und essigsaurem Natron; von Henri Violette.
Fundstelle: Band 203, Jahrgang 1872, Nr. XCVII., S. 393
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XCVII. Ueber ein explosives Gemisch von salpetersaurem Kali und essigsaurem Natron; von Henri Violette. Aus den Annales de Chimie et de Physique, 4. série, t. XXIII p. 306; Juli 1871. Violette, über ein explosives Gemisch aus Kalisalpeter und essigsaurem Natron. Durch einen im Laboratorium vorgekommenen Unfall lernte ich die eigenthümliche Reaction zwischen salpetersaurem Kali und essigsaurem Natron kennen; ein aus diesen Salzen bestehendes Gemenge detonirt nämlich unter dem Einfluß der Wärme mit der Heftigkeit des Schießpulvers. Im Verlauf von Untersuchungen für eine Monographie des Salpeters hatte ich in einem kleinen Kolben einige Gramme salpetersaures Kali und einige Gramme essigsaures Natron mäßig zu erhitzen; beide Salze waren vorher geschmolzen und wasserfrei. Ihr Gemenge schmolz zu einer farblosen und durchsichtigen Flüssigkeit, wornach es einige Gasblasen entwickelte; in diesem Augenblicke trat eine von Feuererscheinung und Rauch begleitete Explosion ein, die Trümmer des Kolbens wurden im Laboratorium umhergeschleudert und zerbrachen mehrere Glasgegenstände. Glücklicherweise wurde ich von den Splittern nicht getroffen; aber die Augenbraunen und Wimpern wurden mir verbrannt und die Augen durch die Flamme schwach angegriffen. Es war plötzlich eine neue Verbindung zwischen den Elementen beider Salze entstanden, eine ganz gasförmige Verbindung mit Hinterlassung eines geringen Rückstandes von kohlensauren Alkalien. Im Folgenden theile ich das experimentelle Studium dieser neuen Thatsache mit. Ich schmelze in einer kleinen Platinschale 1 Gramm salpetersaures Kali; diesem geschmolzenen Salze füge ich 1 Grm. vorher geschmolzenes essigsaures Natron hinzu; letzteres kommt rasch in Fluß. Bei einer constant erhaltenen Temperatur von ungefähr 300° C. bleibt die geschmolzene Mischung flüssig, durchsichtig, unverändert, so lange die Temperatur constant bleibt; wird dieselbe aber etwas erhöht, bis ungefähr 350° C., so zeigt sich ein schwaches Sieden und in diesem Augenblick erfolgt die Explosion unter Knall und Entwickelung von Licht und Rauch, ganz so wie bei der Verbrennung des Schießpulvers. In der Schale bleibt nur ein sehr geringer Rückstand von kohlensauren Alkalien. Wenn man, während beide Salze bei gehörig gemäßigter Temperatur in ruhigem Flusse sind, einen kleinen, ohne Flamme brennenden Körper, z.B. das glimmende Ende eines Zündhölzchens oder eines Baumwollfadens in die Flüssigkeit taucht, so erfolgt die Explosion sogleich. Wenn man die genügend in Fluß gerathene Salzmasse auf einen kalten Gegenstand ausgießt, so erhält man nach dem Erkalten eine weiße, Harte, spröde und ziemlich hygroskopische Substanz, welche leichter schmilzt als Kalisalpeter. Wird dieselbe geschmolzen und bis auf die oben angegebene Temperatur erhitzt, so detonirt sie, wie erwähnt, mit derselben Heftigkeit wie Schießpulver. In festem Zustande entzündet sie sich in Berührung mit einem brennenden Körper nicht; wird sie jedoch zu feinen Körnern zerkleinert und in einen kleinen in der Mitte mit einem gewöhnlichen Zündröhrchen versehenen Cylinder aus starkem Papier gefüllt, so entzündet sich, wenn man das Zündrohr in Brand steckt, das Ganze, indem es mit Geräusch und lebhaftem Lichte heftig verbrennt; offenbar erfolgt die Verbrennung nur in dem Maaße als die Theile des Gemisches durch die entwickelte Wärme zum Schmelzen kommen. Die explosive Eigenschaft des Gemisches von salpetersaurem Kali und essigsaurem Natron zeigt sich nur dann, wenn diese Salze in geeigneten Verhältnissen gemischt sind. Ich habe durch Versuche gefunden, daß diese Verhältnisse zwischen 100 Theilen Kalisalpeter auf 100 Theile Essigsäuresalz, und 100 Th. des ersteren auf 50 Th. des letzteren liegen. Das die stärkste Explosivkraft besitzende Gemenge besteht aus gleichen Gewichtstheilen beider Salze; es kommt in Bezug auf Heftigkeit und Augenblicklichkeit der Explosion dem Schießpulver am nächsten. Wenn der Salpeter vorherrscht, so findet eine rasche Verbrennung nicht statt; sie ist nur eine theilweise von kurzer Dauer. Ist das essigsaure Natron in überwiegender Menge vorhanden, so brennt das Gemisch langsam wie leichtes Holz. Das Gemenge von salpetersaurem Natron und essigsaurem Kali besitzt gleiche explosive Eigenschaften wie das bisher besprochene Präparat; es ist aber hygroskopischer. Ich habe die Salze vor ihrer Vereinigung stets geschmolzen; das essigsaure Natron bereite ich durch Fällen von essigsaurem Bleioxyd mit kohlensaurem Natron. Das Gemisch von Kalisalpeter mit einigen anderen Essigsäuresalzen (z.B. essigsaurem Baryt, essigsaurem Kupferoxyd) gab mir kein explosives Product. Ich habe über die praktische Verwendbarkeit des explosiven Gemisches von Kalisalpeter und essigsaurem Natron einige experimentelle Untersuchungen ausgeführt, welche ich nun erörtern will; diese Versuche deuten jedoch nur den Weg an, welchen man möglicher Weise mit Vortheil verfolgen kann. 1) Gießt man das geschmolzene Gemisch beider Salze zu Platten aus und körnt dann dasselbe fein oder verwandelt es in feines Pulver, so findet eine Verbrennung oder Verpuffung bei der Berührung mit einem rothglühenden Eisen oder einem glimmenden Körper nicht statt; bringt man aber das Gemisch in einen kleinen Behälter, versieht es in seiner Mitte mit einem Zündröhrchen und setzt dieses in Brand, so erfolgt unter lebhafter Lichtentwickelung ein allmähliches, langsames Verpuffen. Versetzt man das Gemisch mit 1/10 Schwefel, so ist die Verbrennung lebhafter, kräftiger, mit stärkerer Lichterscheinung verbunden. 2) Wenn man, anstatt das Gemisch zu Platten zu gießen, beide Salze einfach zusammenreibt, so daß sie ein sehr homogenes Gemenge bilden, so erfolgt die Verbrennung unter denselben Umständen wie bei dem vorigen Versuche; je inniger die Salze durch längeres Zusammenreiben gemengt werden, desto intensiver ist die Verbrennung. Ein vorläufiges Zusammenschmelzen der mit einander gemengten Salze ist daher zur Erzielung einer lebhaften Verbrennung nicht nothwendig, was die fabrikmäßige Darstellung dieses explosiven Productes erleichtert. Der neue Explosivstoff dürfte für Feuerwerkssätze, Brandkugeln, zum Laden von Minen, in Fällen wo eine langsame Verbrennung von Vortheil ist, Verwendung finden können. 3) Es wurden zwei Pulversorten dargestellt: die eine aus 75 Salpeter, 12,50 Schwefel und 12,50 Kohle bestehend, die andere aus 75 Salpeter, 12,50 Schwefel und 25 geschmolzenem essigsaurem Natron. Die Bereitungsweise war, um die Vergleichung zu gestatten, bei beiden Sorten dieselbe; nämlich Zerreiben der Substanzen im Mörser zu sehr feinem Pulver, geeignetes Anfeuchten behufs des Körnens, längeres Umlaufenlassen in einem langhalsigen Kolben, Durchsieben und Trocknen bei 100° C. Beide Pulversorten, die eine schwarz, die andere weiß, wurden mittelst Zündröhren entzündet; beide brannten mit Lebhaftigkeit und mit Lichterscheinung vollständig ab, das Weiße Pulver verpuffte jedoch lebhafter. Vom schwarzen Pulver aus flogen während des Abbrennens glühende Kohlentheilchen umher, wie dieß bei geringeren Pulversorten gewöhnlich stattfindet; das weiße Pulver verbrannte lebhaft ohne Umherschleudern von verkohlten Theilchen. 4) Zu den folgenden Versuchen wurden Gemenge des aus Kalisalpeter und essigsaurem Natron dargestellten Präparates mit gewöhnlichem Schießpulver verwendet. Das geschmolzene Gemisch der beiden Salze ward fein gekörnt, schwach angefeuchtet, mit Mehlpulver in eine große Flasche gebracht und einem längeren Umlaufen unterworfen. Das Mehlpulver bildete einen Ueberzug um die Körner des weißen Pulvers, wodurch man ein rundkörniges schwarzes Pulver erhielt, welches bei 100° C. getrocknet wurde. Dasselbe brannte bei Berührung mit einem rothglühenden Eisen unter lebhaftem Verpuffen ab. Die hygroskopische Eigenschaft des weißen Kornpulvers könnte also durch diese Fabricationsweise sehr gedämpft oder gänzlich beseitigt werden. 5) Das auf vorbeschriebene Weise dargestellte weiße Kornpulver wurde zu gleichen Theilen mit gewöhnlichem schwarzem Kornpulver gemengt. Bei der Berührung mit einem rothglühenden Eisen verpufften beide Gemengtheile mit Lebhaftigkeit und verbrannten vollständig mit Hinterlassung eines Rückstandes. Es war auch vorauszusehen, daß die durch die Verbrennung des schwarzen Pulvers entwickelte Wärme die Verbrennung des weißen Pulvers veranlassen mußte.