Titel: Ueber einige Wirkungen des Eindringens der Geschosse in verschiedene Medien, und über die Unmöglichkeit einer Schmelzung der Bleikugeln in den durch Schußwaffen hervorgebrachten Wunden; von Prof. L. Melsens.
Fundstelle: Band 205, Jahrgang 1872, Nr. XVII., S. 36
Download: XML
XVII. Ueber einige Wirkungen des Eindringens der Geschosse in verschiedene Medien, und über die Unmöglichkeit einer Schmelzung der Bleikugeln in den durch Schußwaffen hervorgebrachten Wunden; von Prof. L. Melsens. Aus den Comptes rendus, t. LXXIV p. 1192; April 1872. Melsens, über die Temperaturerhöhung abgefeuerter bleierner Geschosse. Wenn eine Bleikugel von 0° Temperatur, welche sich mit einer Geschwindigkeit von 291,75 Meter per Secunde bewegt, aufgehalten und ihre ganze lebendige Kraft in Wärme verwandelt würde (eine für die Praxis unzulässige Annahme), so würde sie die Schmelztemperatur des Bleies, nämlich 325° C. erreichen, ohne jedoch zu schmelzen; bei einer Geschwindigkeit von 360 Metern würde sie vollständig schmelzen; bei 400 Metern Geschwindigkeit wäre die Temperatur der geschmolzenen Masse 415°, also 90° über dem Schmelzpunkt des Bleies.Wenn eine mit der Geschwindigkeit der Erde bei ihrem Lauf um die Sonne (30800 Meter) sich bewegende Bleikugel von 40 Grammen aufgehalten und ihre ganze lebendige Kraft in Wärme umgewandelt würde, so würde hieraus eine Temperatur von nicht weniger als 3622837° resultiren. Das Wärmequantum, welches diese – ohne Zweifel unmögliche – Temperatur repräsentirt, wäre im Stande, die Temperatur eines Bleiblockes im Gewichte von 445,89 Kilogrm., also das 11147fache Gewicht jener Kugel von 0° bis auf 325° zu erhöhen, oder einen 292,2 Kilogrm. schweren Block d.h. das 7305fache Gewicht der Bleikugel vollständig zu schmelzen. Ich habe mich bei meinen Schüssen hauptsächlich sphärischer Bleikugeln bedient; ihr Gewicht betrug 26,5 Gramme, ihr Durchmesser 0,0166 bis 0,0167 Met. Der Vergleichung wegen wandte ich auch Kugeln aus der bei 95° schmelzbaren d'Arcet'schen Legirung an. Die Rechnung ergibt, daß eine Kugel aus einer leichtflüssigen Legirung, von 0° Temperatur angenommen, die sich mit einer Geschwindigkeit von 250 Metern per Secunde bewegt, vollständig schmelzen würde, wenn ihre ganze lebendige Kraft durch ein plötzliches Hinderniß in Wärme verwandelt würde; bei einer Geschwindigkeit von 400 Metern würde sich die Temperatur der geschmolzenen Masse auf nicht weniger als 385°, also 290° über den Schmelzpunkt erhöhen. Die Bleikugeln wurden, ohne zu schmelzen, mit Geschwindigkeiten von 250 bis 400 Meter per Secunde abgeschossen auf Blei, ferner auf harten und polirten Kalkstein; mit mehr oder weniger tiefem Eindringen auf weiches oder sehr hartes, feuchtes oder trockenes Holz, parallel oder senkrecht zu den Fasern; auf Papierbogen, senkrecht, schief oder parallel zu den Blättern, also auf Stoffe von denen einige einen weit größeren Widerstand darbieten, als der Körper von Thieren. Ich habe große Blöcke von Oolithenkalk aus der Umgegend von Metz unter Geschwindigkeiten bis zu ungefähr 400 Metern zerschmettert, ohne bestimmte Anzeichen der Schmelzung der Bleikugeln zu finden; die Kugeln verloren in diesem Falle im Allgemeinen nur einen schwachen Bruchtheil ihres Gewichtes. Eine Kugel aus einer leichtflüssigen Legirung traf mit einer Minimalgeschwindigkeit von 380 bis 400 Metern einen Oolithenkalkblock von Jaumont bei Metz; sowohl der Block als die Kugel gingen in Stücke, man fand aber 4/5 der Fragmente wieder (8 große und 15 kleine); kaum zeigten sich Spuren einer Schmelzung bei einigen derselben, denn sie boten im Allgemeinen einen eckigen, krystallinischen oder faserigen Bruch im Inneren dar, während ihr Aeußeres die Kugelgestalt beibehalten hatte. Bei einer Geschwindigkeit von 250 Metern (hinreichend um die ganze Kugelmasse zu schmelzen, unter der Annahme daß ihre lebendige Kraft sich vollständig in Wärme umwandle) waren die Bruchstücke weniger zahlreich, folglich voluminöser; ein einziges derselben zeigte deutliche Spuren einer theilweisen Schmelzung. Wie bei dem vorhergehenden Schusse wurden 4/5 der Kugel in kristallinischen Fragmenten wiedergefunden. Analoge, von ähnlichen Resultaten begleitete Versuche wurden angestellt, indem man auf Pferdeknochen schoß, und dann die Knochenfragmente und Kugeltrümmer sammelte. Im Kriege wendet man zum Laden der Gewehre und Mitrailleusen im Allgemeinen nur bleierne Kugeln an. Ein einziger Versuch wird hinreichen, um klar und unbestreitbar nachzuweisen, daß eine Bleikugel in dem Momente wo sie die Knochen der Thiere zerschmettert und durchdringt, nicht schmilzt. Die innere sehr feste Kinnlade eines Pferdes wurde von einer mit 380 Meter Geschwindigkeit sich bewegenden Bleikugel durchbohrt. Die Kugel machte zwei bedeutende Oeffnungen, zerschmetterte oder vielmehr zermalmte die vier Seiten und nahm von jeder Seite den vierten Backenzahn hinweg; sämmtliche Zähne waren zerbrochen und in kleine Fragmente zertrümmert. Die abgeplattete Kugel schlug noch gegen Papier, ohne jedoch in dasselbe einzudringen; sie war mit fest anhaftendem, gleichsam inkrustirtem Knochenpulver bedeckt, und hatte nur 1/18 ihres Gewichtes verloren. Die beiden Oeffnungen hatten folgende Dimensionen: Eingang 17 Millimeter, Ausgang unregelmäßig ellipsoidisch, mit Durchmessern von ungefähr 45 und 60 Millimetern; Eingang der anderen Seite, ellipsoidische Oeffnung von 45 bis 60 Millim. Durchmesser, unregelmäßiger Ausgang von 55 und 70 Millim. Durchmesser. Die Dicke der Knochenschichten oder der Zähne betrug im Ganzen mindestens 60 bis 65 Millimeter. Was die Formveränderung und vermeintliche Schmelzung der Bleikugeln bei den Versuchsschüssen und den Schüssen im Kriege anbelangt, so ist zu bemerken, daß die Wunden im Kriege öfters nach erfolgtem Ricochettiren, wodurch die Kugeln bereits ihre Form verloren haben, beigebracht werden. Man kann aus den sorgfältigsten Beobachtungen keinen Schluß ziehen, weil man in den meisten Fällen die Umstände welche die Verwundung begleiteten, wie Ricochettschuß, von dem Projectil mitgerissene Gegenstände u.s.w., nicht kennt. Ich glaube nicht, daß man den Schuß auf ein lebendes Geschöpf mit dem Schuß auf feste Hindernisse, wie eiserne Scheiben u.s.w., in gleiche Kategorie bringen kann. Untersuchen wir jedoch, was in letzterem Falle geschieht: Bei einer Kugel aus einer leichtflüssigen Legirung, welche mit einer Geschwindigkeit von 400 Metern per Secunde einen gegen eine Mauer gelehnten Amboß trifft, findet nur eine theilweise Schmelzung statt; sie zerbricht in Stücke, welche unbestreitbar nicht der Schmelzung unterlegen haben, und wird in Pulver verwandelt. Ich habe in einem dunkeln Raume Kugeln aus Natrium, Zink, Wismuth, Zinn und Blei auf einen an eine dicke Mauer befestigten Amboß abgeschossen; im Momente wo die Kugel das Hinderniß traf, zeigte sich ein mehr oder weniger lebhafter Lichtschein, woraus man schließen muß, daß Theile der Kugel nicht allein bis zur Temperatur der Schmelzung, sondern sogar bis zum Glühen erhitzt worden sind. Diese Erscheinung hat viel Aehnlichkeit mit derjenigen welche man beobachtet wenn, man sich mit Stahl und Stein Feuer verschafft. Aber bei der Bleikugel welche den Amboß trifft, zeigt sich eine bemerkenswerthe Erscheinung. Findet eine Schmelzung des Bleies statt, so ist diese jedenfalls von geringem Belang; Fragmente der Kugel bewahren eine beträchtlichebeträchliche lebendige Kraft; das so weiche Metall verwandelt sich in Pulver, und ein Theil dieses Pulvers ist so zart, daß er zum Wischen einer Zeichnung dienen könnte; dieser Staub enthält Bleioxyd, welches in verdünnter Essigsäure löslich ist, während das zu diesen Schießversuchen verwendete Blei frei von Oxyd war. Man sammelt dieses feine Pulver und die Fragmente, indem man aus einem 2 Meter langen Stück Zinkfolie eine Röhre bildet, an deren Boden sich der Amboß befindet. Mikroskopische Fragmente behalten noch hinreichende lebendige Kraft, um in einem Zinkblatte Nr. 8 kleine mikroskopische Löcher hervorzubringen; die größten Bruchstücke durchschneiden das Blatt sauber in der Ebene des Amboßes, indem sie nur einige anhaftende Punkte hinterlassen. Ich habe versucht, jedoch ohne Erfolg, ähnliche Löcher mittelst directen Schusses hervorzubringen, indem ich mich des Feilstaubes vom Blei bediente; man zerreißt aber die Folie, ohne sie zu durchlöchern, oder man macht eine weit größere Oeffnung. Alle diese Versuche können mit einer Scheibenpistole wiederholt werden.