Titel: Ueber Bessemer- und Tiegel-Gußstahl.
Fundstelle: Band 205, Jahrgang 1872, Nr. XLII., S. 113
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XLII. Ueber Bessemer- und Tiegel-Gußstahl. Aus dem Organ für die Fortschritte des Eisenbahnwesens, 1872 S. 125. Ueber Bessemer- und Tiegel-Gußstahl. Gegen Bessemer-Gußstahl herrscht in Deutschland und Oesterreich stellenweise ein Vorurtheil, welches in anderen Ländern (wir meinen England, Belgien und Frankreich) längst überwunden ist. Diese Thatsache ist wohl dem Umstande zuzuschreiben, daß der Bessemer-Gußstahl in ersteren Ländern, dem Herde der Tiegel-Gußstahl-Fabrication, auf besonders starke, oft wohl nicht ganz ehrliche Concurrenz stößt. Es hat sich so nach und nach bei Vielen die Ansicht festgesetzt, daß der Bessemer-Gußstahl zu diesem oder jenem Zwecke nicht zulässig sey. So schreibt man denn für manche Lieferungen Tiegel-Gußstahl vor und schließt also den Bessemer-Gußstahl aus, ohne zu bedenken daß es je nach Güte des verwendeten Rohmateriales ebenfalls geringere und bessere Sorten des einen wie des anderen dieser Producte gibt. Der Bessemer-Gußstahl wird einfach von der Concurrenz ausgeschlossen und der Consument versperrt sich so selbst den Weg, Erfahrungen mit einem weit billigeren, bei guter Fabrication gleich guten Producte, wie der beste Tiegel-Gußstahl zu machen. Mehr als das: viele Gußstahlwerke fabriciren sowohl Bessemer-Gußstahl als auch Tiegel-Gußstahl. Der erstere, billigere, wird von der Concurrenz ausgeschlossen. Man stellt also die Preise für den zweiten, theureren. Wird aber die Waare auch stets in Tiegel-Gußstahl geliefert? Wir möchten dieses bezweifeln. Es ist beinahe unmöglich, Tiegel-Gußstahl und Bessemer-Gußstahl bei gleich sorgfältiger Fabrication von einander zu unterscheiden. Wir haben die besten Arbeiter und Meister durch vergleichende Versuche irre gemacht, so daß sie nicht mehr die Herkunft der verschiedenen Proben unterscheiden konnten. Wir selbst sind daran irre geworden und das Laboratorium allein konnte stets den Unterschied herausfinden. Es enthält nämlich der Tiegel-Gußstahl einen stets höheren Procentsatz von Sicilium als der Bessemer-Gußstahl. Durch Ausschließung des Bessemer-Gußstahles von der Concurrenz, selbst wenn der Fabrikant die geforderte Garantie übernehmen will, schafft sich der ConsumentCosument also eine Preisvertheuerung, ohne im Geringsten die Sicherheit zu erlangen, bessere Waare zu erhalten. Es werden durch solche Ausschließungen einfach diejenigen Werke abgehalten, sich an der Submission zu betheiligen, welche nur Bessemer-Gußstahl bereiten und es verschmähen, pro forma eine kleine Tiegelgußanlage zu bauen, wenn auch dieselbe fast unbenutzt liegen bliebe, um in der Lage zu seyn, Tiegel-Gußstahl offeriren zu können. Wie wollen übrigens die Anhänger des Tiegel-Gußstahles es erklären, daß dieser Stahl höheren Anforderungen genügen könne, als gut bereiteter Bessemer-Gußstahl? Für guten Bessemer-Gußstahl verwendet man Roheisen der allerbesten Marken. Aus solchem Eisen wird der Gußstahl direct erblasen. Tiegel-Gußstahl dagegen wird meist aus Schmiedeeisen und Stahlabfällen verschiedenster Herkunft dargestellt. Für guten Tiegel-Gußstahl wendet man nur diejenigen Arten Schmiedeeisen an, welche durch ihre Reinheit und Güte allein geeignet sind, ein gutes Product zu geben. Diese Schmiedeeisen (Luppeneisen) können aber selbstverständlich auch nur aus den allerbesten Roheisenmarken erzeugt werden. Die ursprünglichen Rohstoffe für guten Stahl sind mithin immer dieselben, „gute Roheisenmarken“, nur die Fabricationsmethode variirt für die verschiedenen Stahlgattungen. In den Fabricationsmethoden an und für sich läßt sich aber nun kein Grund finden, der zu Gunsten des Tiegel-Gußstahles gegen den Bessemer-Stahl spricht. Man kann den Satz aufstellen, daß bei gleich guter Beschaffenheit des verwendeten Rohmateriales und bei gleich sorgfältiger Fabrication auch das erzeugte fertige Product in beiden Fällen ein gleich gutes seyn wird. Die Fabrication des Gußstahles nach der Bessemer-Methode scheint uns sogar für den Consumenten den Vortheil zu bieten, daß die Controlle über die Herkunft und Güte des verwendeten Rohmateriales eine weit sichere ist. Diese so wichtige Controlle ist in der That hier eine leicht zu bewerkstelligende, während sie bei der Fabrication von Tiegel-Gußstahl beinahe unmöglich ist. Ein näheres Eingehen auf die Herkunft des für die Tiegel-Gußstahl-Fabrication verwendeten Eisens wird dieß erläutern. Derselbe wird in großem Maaßstabe sowohl aus Luppeneisen, als auch aus Stahl- und Eisenabfällen und aus altem Schmiedeeisen der verschiedensten Herkunft producirt. Selbst die Abfälle der Bessemer-Gußstahl Fabrication werden durch einfaches Umschmelzen im Tiegel in Tiegel-Gußstahl verwandelt. In Birmingham und Sheffield werden beispielsweise in einzelnen Werken nur ausschließlich die Abfälle der umliegenden Bessemer-Werke so zu Gute gemacht. Vorzügliche Arten Tiegel-Gußstahl werden aus den besten bekannten Arten Schmiedeeisen hergestellt; doch sind solche Eisensorten selbstverständlich sehr theuer und werden daher nur in kleineren Quantitäten fabricirt. Solcher Tiegel-Gußstahl dient nur zur Fabrication von feineren kleineren Stahlwaaren (Scheren, Messern etc.). Für Stücke von bedeutendem Gewichte wird derselbe nicht verwendet; diese werden nur aus dem erstgenannten, dem aus Luppeneisen, Bessemer-Gußstahl und Eisenabfällen und altem Schmiedeeisen hergestellten Tiegelstahl hergestellt. Es läßt daher der Tiegel-Gußstahl in Bezug auf die Reinheit des verwendeten Rohmateriales oft viel zu wünschen übrig. Wenigstens bietet die Fabricationsweise desselben nicht die leichte Controlle, welche beim Bessemer-Gußstahl geboten ist, daß nur reine Eisensorten verwendet werden. Hier kann sich in der That der Abnehmer leicht Gewißheit darüber verschaffen, welche Eisenmarken für seine Bestellungen verwendet werden. Beim Tiegel-Gußstahl dagegen ist dieses beinahe unmöglich; die obengenannten Umstände zeigen klar, daß es in vielen Fällen nicht einmal dem Fabrikanten selbst möglich ist, die Herkunft und die vollkommene Gleichmäßigkeit der verwendeten Eisensorten zu kennen. In diesem Umstande scheint uns also ein Vortheil eher auf Seiten der Verwendung von Bessemer-Gußstahl zu liegen. Ein anderer Umstand, welcher in vielen Fällen die Verwendung von Bessemer-Gußstahl vorziehen läßt, ist die größere Gleichmäßigkeit der Producte, welche man bei der Verwendung von Bessemer-Gußstahl erzielen kann. Der Tiegel-Gußstahl wird in kleinen Schmelztiegeln eingeschmolzen, von denen jeder ca. 50 Pfd. hält. Um schwere Stücke zu gießen, werden viele solcher Tiegel in eine Form geleert. Nur bei vollkommen gleicher Beschaffenheit des verwendeten Eisens, des Zuschlages und gleichem Gehalte der Tiegel an Silicium, sowie bei vollkommen gleichem Hitzegrade beim Einschmelzen in den Tiegeln, wird man in allen diesen eine gleiche Stahlqualität erzielen. Es ist daher bei Tiegelguß sehr selten, daß derselbe vollkommen homogen ausfällt. Das Laboratorium lehrt, daß die beiden Enden einer aus einem Tiegel-Gußstahlblock geschmiedeten Achse fast immer eine nicht unbedeutende Gehaltsdifferenz an Kohlenstoff aufweisen. Die oft so großen Schwierigkeiten bei der Bearbeitung des Gußstahles rühren von dieser Verschiedenheit des Kohlenstoffgehaltes her. Diese bei der Fabrication von schweren Stücken constatirte, höchst schädliche Verschiedenheit in der Zusammensetzung läßt sich selbstverständlich ebenso bei verschiedenen kleinen Blöcken nachweisen. Es ist diese Verschiedenheit in der Beschaffenheit des erzielten Productes der Grund, warum für manche Zwecke der Tiegel-Gußstahl vollkommen vom Bessemer-Gußstahl aus dem Felde geschlagen wurde, weil der letztere stets in einer größeren Partie (ca. 4 Tonnen) erblasen wird, deren Beschaffenheit vollkommen homogen ist, es auch bei einiger Aufmerksamkeit, der großen Gleichförmigkeit im verwendeten Rohmaterial halber, ein Leichtes ist, aus verschiedenen Güssen ein vollkommen gleichmäßiges Product zu erzielen. Diese große Gleichmäßigkeit in der Production ist der Grund, welcher es den Fabrikanten des Bessemer-Gußstahles in Frankreich und Belgien möglich gemacht hat, den Tiegel-Gußstahl selbst da zu verdrängen, wo man an das verwendete Material die allergrößten Ansprüche stellt, bei der Gewehrfabrication. Die Chassepot-Gewehre der französischen Armee sind ausschließlich aus Bessemer-Gußstahl, besonders von den Werken der Herren Petin und Godet, fabricirt. In Belgien hat das Bessemer-Werk der Gesellschaft John Cockerill den Tiegel-Gußstahl für die Gewehr-Fabrication (besonders der Albini-Gewehre) gänzlich verdrängt. Es wurde hier früher Bergischer Tiegelstahl verwendet. So ist auch in anderen Fabrications-Fächern der Tiegel-Gußstahl vom Bessemer-Gußstahl geschlagen worden. Achsen und Bandagen für Locomotiven und Tender kennt man in ganz England kaum noch in anderem Material als in Bessemer-Gußstahl. Die London- und North-Western-Bahn besitzt ihr eigenes Bessemer-Werk (zu Crewe) mit einer jährlichen Production von ca. 16,000 Tonnen Bandagen, Achsen, Schmiedestücken und Schienen. Die Schnellzuglocomotiven dieser Bahn, welche 50 bis 60 englische Meilen in der Stunde durchlaufen, besitzen Treibrad-Bandagen aus Bessemer-Gußstahl (2,30 Met. äußerer Durchmesser). Kurbelachsen, Kurbel- und Kuppelstangen, kurz alle Theile dieser Locomotiven, welche von großer Widerstandsfähigkeit seyn müssen, fertigt die Gesellschaft in ihren eigenen Werken aus Bessemer-Gußstahl. Diese Werke in Crewe werden vom Ingenieur Ramsbottom dirigirt, einem Manne welcher auf dem Continente im Ingenieurfach seines Gleichen sucht. Die große Ausdehnung, welche ein solcher Techniker der Anwendung des Bessemer-Gußstahles gibt, ist wohl schon an und für sich eine Garantie dafür, daß derselbe dem besten Material anderer Herkunft ohne Bedenken zur Seite gestellt werden darf. Auch in Belgien wird für sämmtliche Achsen, Krummachsen, und Bandagen für Locomotiven, Tender und Waggons, nur Bessemer-Gußstahl verwendet. Interessant ist vielleicht noch die Mittheilung, daß bei den letzten großen Versuchen von Geschützen schwersten Kalibers in Belgien, die neuen gußeisernen, mit Reifen aus Bessemer-Gußstahl verstärkten, 11zölligen Kanonen, Vorzügliches leisteten, während die beiden dagegen versuchten Krupp'schen Tiegel-Gußstahl-Kanonen während des Versuches außer Dienst kamen. Diese Angaben mögen genügen, um darzulegen daß es weniger darauf ankommt, nach welcher Fabrications-Methode die verwendete Stahlart erzeugt worden, als auf die Sorgfalt und Sachkenntniß, mit welcher bei der Herstellung und Verarbeitung verfahren wurde. Die Güte der Producte, festgestellt durch die bei jeder Lieferung ausbedungenen Versuche, und die zu leistenden Garantiebedingungen sollten allein bei Entscheidung über die zu verwendende Qualität maaßgebend seyn, einerlei nach welcher Methode der Stahl erzeugt ist. Eingehende Proben bei Abnahme der Lieferung würden das Publicum weit besser vor Unglücksfällen schützen, und würden Eisenbahn-Technikern auch eine größere Sicherheit für die gute Fabrication geben, als der heute so oft befolgte Weg. Man verfährt nämlich bei den Versuchen oft auf folgende Weise: Außer der von uns gerügten Bedingung, daß eine gewisse Material-Qualität für das Fabricat verwendet werden soll, wird meist eine Probe vorgeschrieben, etwa mit dem 50sten oder 100sten Stücke. Diese Probevorschriften enthalten in manchen Fällen so schwierige Bedingungen, daß sie nur von ganz außergewöhnlichen Stücken überstanden werden können, wie man sie in der Fabricationspraxis nicht als gewöhnliches Fabricat und zu mäßigen Preisen erhalten kann. Wir möchten solche Stücke „Ausstellungsstücke“ nennen. Solche seltene Fabricate kann man wohl für den Versuch unterschieben, wenn man das gelinde Verfahren mancher Bahnverwaltungen kennt, welche nicht die volle Zahl der ausbedungenen Versuche ausführen, sondern es, um Zeit und Kosten zu ersparen, bei einem einzigen für eine ganze Lieferung bewenden lassen. Rationeller dünkt uns das bei anderen angewendete Verfahren, wo die Versuchsbedingungen gelinder sind, so daß jedes gut gearbeitete Stück, wie es eine gewissenhafte Fabrication liefert, bei den vorgeschriebenen Proben existiren kann. Solche Versuchsbedingungen werden besonders bei einigen königlichen Directionen vorgeschrieben. Die Versuche werden dann aber auch mit äußerster Strenge in Gegenwart eines hochgestellten Beamten an der ganzen Zahl der ausbedungenen Probestücke ausgeführt. Wenn eine Lieferung solche Proben bestehen kann, so hat man die volle Gewißheit, daß dieselbe jeder Anforderung des Dienstes widerstehen wird. Wir heben als Gegenstück besonders die österreichische Verfahrungsmethode hervor. Dort scheinen die Versuche von reinen Theoretikern vorgeschrieben zu werden. Sie sind sehr rationell, aber meist so streng, daß z.B. die bestgearbeitete Achse den Versuchsvorschriften nicht genügen könnte, wenn dieselben wirklich mit aller Strenge gehandhabt würden. Wo ist aber die Grenze, wenn eine Bahndirection dem abnehmenden Beamten erlaubt, bei der Abnahme die vorgeschriebenen Versuchsbedingungen nicht mit ganzer Strenge zu beobachten? Uns scheinen gelindere, aber strenger und im größeren Maaßstabe ausgeführte Versuche eine weit größere Garantie für gute Fabrication zu geben. Was nun endlich die vergleichenden Versuche zwischen Bessemer-Gußstahl- und Tiegel-Gußstahl-Fabricaten betrifft, so ist zu bedauern, daß sich bis jetzt so wenige Bahnen auf vollkommen unparteiischen Standpunkt gestellt haben. Der Stahlfabriken welche sich in Deutschland an den Lieferungen für Eisenbedarf betheiligen, sind so viele nicht, daß nicht eingehende Versuche bald die Güte der Fabricate der meisten großen Werke feststellen könnten. Unseres Wissens sind solche Versuche noch nicht in wirklich größerem Maaßstabe durchgeführt worden. Interessant wäre z.B. der Versuch, unter einer großen Anzahl, vielleicht 100 Waggons, je eine Achse aus Tiegel- und eine aus Bessemer-Gußstahl zu legen. Man hätte freilich einige Zeit zu warten, ehe man das Endresultat durch Bruchproben an den Achsen mit Gewißheit feststellen könnte, aber das Resultat eines solchen Versuches wäre aus der Praxis genommen und würde entscheidend seyn. Ein ähnlicher Versuch ließe sich mit sicherem Endresultate auch für Bandagen machen. Solche Versuche wären entscheidend, und wir hegen die feste Ueberzeugung, daß Bessemer-Gußstahl-Fabricate aus guten Werken daraus siegreich im Kampfe mit dem Tiegel-Gußstahl hervorgehen würden. K ... r.