Titel: Ueber die Kältemischungen; von Berthelot.
Fundstelle: Band 213, Jahrgang 1874, Nr. LXVI., S. 239
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LXVI. Ueber die Kältemischungen; von Berthelot. Aus den Comptes rendus, 1874 t. LXXVIII p. 1173. Berthelot, über die Kältemischungen. 1) Die von mir angestellten Untersuchungen über die krystallisirten Hydrate der Schwefelsäure gaben die erforderlichen Daten für die Berechnung der Abnahme der Temperatur, welche dieselben beim Vermischen mit Schnee oder gestoßenem Eise erleiden. Ich halte es für nützlich, dabei in einige Einzelnheiten einzugehen, und mich über die Kältemischungen im Allgemeinen zu verbreiten. 2) Die thermische Wirkung, welche beim Vermischen von Schnee mit dem festen krystallisirten Bihydrate der Schwefelsäure stattfindet, ist die Summe dreier Wirkungen nämlich: der Schmelzung dieser Säure, welche dabei Wärme absorbirt, – der Schmelzung des Eises, welches ebenfalls Wärme bindet, – und der Verbindung der beiden Flüssigkeiten, wobei Wärme frei wird. Denken wir uns z.B. 3 Th. Säure und 8 Th. Wasser, d. i. in Aequivalenten SO₄H, HO (58 Grm.) und 17 HO (153 Grm.), die beiden Körper fest und die Temperatur = 0°: Calorien SO₄H, HO absorbirt beim Schmelzen nach meinen Versuchen –   1,840 17 HO absorbiren nach Desains 0,715 × 17 – 12,155 Bei der Verbindung von SO₄H, HO mit 17 HO werden frei (die beiden       Körper flüssig) +   4,900 –––––––– –   9,095 das ist die von 211 Gramm der Mischung absorbirte Wärmemenge. Um die Temperatur-Abnahme zu finden, braucht man nur mit dem Producte des Gewichtes der Mischung und seiner specifischen Wärme zu dividiren, also 211 × 0,813 = 171,5; so findet man – 52,6°. Wenn man bei einer anfänglich anderen Temperatur und mit im voraus abgekühlten Verbindungen operirt, so zeigt eine auf die Formel, welche den Wechsel der Wärme der Reactionen mit der Temperatur ausdrückt, gegründete Berechnung, daß die absorbirte Wärme von U-V = – (0,1715 Cal. – 0,089) wächst, nämlich ungefähr 1/110 für jeden Grad unter der anfänglichen Temperatur. Geht man von – 20° aus, so beträgt die noch hinzukommende Abnahme – 62°; sie wächst in dem Grade, als die anfängliche Temperatur niedriger ist, aber langsam. Wendet man das Bihydrat der Schwefelsäure im flüssigen Zustande bei 0° an, so würde die absorbirte Wärme nur – 7,155 Cal. und die Temperatur-Erniedrigung – 42° betragen; von – 20° ausgegangen, würde sie – 50° betragen, mithin die Endtemperatur – 70° sein. Das liquide Monohydrat der Schwefelsäure = SO₄H, mit 18 HO im festen Zustande bei 0° zusammengebracht, absorbirt nur 4,025 Cal. und erzeugt – 23,7°. Diese Wärme-Aufnahme und Temperatur-Erniedrigungen wechseln, wie man sieht, ein wenig je nach der anfänglichen Temperatur; die End-Temperaturen werden also um so tiefer sein, als man von einem bereits mehr erkalteten Gemische ausgeht. Die einzige Grenze ist der Erstarrungspunkt des Gemisches von Wasser und Schwefelsäure; aber dieser Punkt liegt sehr tief. 3) Wie man angegeben findet, läßt sich mit 3 Th. Schnee und 1 Th. flüssiger Schwefelsäure, welcher vorher 1/5 ihres Gewichtes Wasser zugesetzt worden ist, eine Kälte von – 32,5° erzeugen. Eine eben solche Mischung mit zuvor auf – 7° abgekühlten Materialien würde die Temperatur bis – 51° herabdrücken. Schon im 18. Jahrhundert gelang es mit ähnlichen Mischungen von Schnee und verdünnter Schwefelsäure Quecksilber zum Erstarren zu bringen. Pierre und Puchot haben jüngst mit einer Mischung von 3 Th. krystallisirten Bihydrats und 8 Th. gestoßenen Eisens nur – 26° erhalten. Alle diese Zahlen stehen unter denjenigen der Theorie. Aber man muß beachten, daß die Wärme sich unter die gemischten Substanzen und ihre Umhüllungen vertheilt; die Ausstrahlung verursacht beträchtliche Verluste. Außerdem – und das ist die Hauptursache der gefundenen Differenzen – bleibt ein Theil des Eises fest und vermindert in diesem Verhältniß die erzeugte Kälte. Daher verdient zu diesen Versuchen der Schnee dem Eise vorgezogen zu werden. 4) Zum Zweck der Solidificirung des Quecksilbers bediente man sich im vorigen Jahrhundert besonders der Mischungen von verdünnter Salpetersäure und Schnee. Unterziehen wir eine der am meisten gebrauchten Mischungen dem Calcül. Angenommen, die Salpetersäure sei NO₆H + 3 HO und sie käme mit ihrem zweifachen Gewichte Schnee zusammen; von 0° ausgegangen, beträgt die absorbirte Wärme – 11,000 Cal., die Erniedrigung der Temperatur – 56°. 5) Im Allgemeinen beruht die künstliche Erzeugung von Kälte auf einen der drei folgenden Kunstgriffe, welche in einer Action entweder für sich allein oder zusammen zur Anwendung gelangen: a) Ueberführung einer Flüssigkeit oder einer festen Substanz in die Gasform (Verdunstung des Aethers, der schwefeligen Säure; Behandlung von Bicarbonat durch eine Säure); b) Verflüssigung eines festen Körpers vermittels eines flüssigen (Lösung von Salzen) oder eines anderen festen Körpers (krystallisirte Schwefelsäure und Eis; Eis und Chlorcalcium etc.); c) Chemische Reaction in Mitte einer Flüssigkeit unter Bildung von Substanzen, deren Lösung mehr Wärme verschluckt, als jene der ursprünglichen Verbindungen enthält (Lösungen von alkalischen Acetaten und Weinsteinsäure, nach meinen Erfahrungen); oder auch Bildung von Körpern, welche sich in Berührung mit Wasser in gewissem Grade zersetzen, wie die Salze der schwachen Säuren (kohlensaures Ammoniak erzeugt durch Vermischen von Lösungen eines kohlensauren Alkalis und des schwefelsauren oder salpetersauren Ammoniaks), die sauren Salze etc. 6) Welches auch die angewendete Reaction sein mag, so kann die Erniedrigung der Temperatur tt, nach der Kenntniß der bei der Reaction absorbirten Wärme Qt, des Gewichtes p, p' der Producte, unter welche sie sich vertheilt, und ihrer specifischen Wärmen c, c' berechnet werden: tt₁ = Qt/∑pc. Diese Erniedrigung wechselt langsam mit der anfänglichen Temperatur t, immerhin ist aber Qt beträchtlich, und die specifischen Wärmen können als constant betrachtet werden, wie es die eben gegebene Formel zeigt. Uebrigens ist sie durch die Gefrierpunkte der Salzlösungen beschränkt, welche die unbegrenzte Abnahme der Temperatur nicht gestatten. Keine Methode ist fähig eine Abkühlung zu erzeugen, welche derjenigen einer Flüssigkeit zu vergleichen wäre, die gänzlich in Gas übergeht, wie sich leicht durch die Rechnung ergibt. So z.B. würde der Aether beim Verdunsten eine theoretische Abkühlung von – 192° erleiden, der Schwefelkohlenstoff von – 530°, das liquide Ammoniak von – 460°, das Stickoxydul von 440°. Aber die Abkühlung steht weit unter diesen rein theoretischen Grenzen, und von da an wird die Tension des sich in Gas verwandelnden Dampfes so schwach, daß die in einer gegebenen Zeit erzeugte Kälte durch die umgebende Ausstrahlung, welche den Apparat wieder erwärmt, compensirt wird. In der That gestattet die durch die Verdunstung einer Flüssigkeit – selbst im Vacuum – entstandene Kälte nicht, die Temperatur mehr als 60 bis 80° unter den bei gewöhnlichem atmosphärischen Drucke stehenden Siedepunkt dieser Flüssigkeit herabzudrücken; nur in einem einzigen Falle, nämlich beim Gefrieren des Wassers im Vacuum, hat man bis jetzt den Grad 100 erreicht. Wie dem auch sei, diese Zahlen – ob theoretisch oder praktisch – stellen fest, daß kein Abkühlungsverfahren sich mit der Verdunstung vergleichen läßt; die Industrie ist auf praktischem Wege zu demselben Resultate gelangt. Wenn ich hier daran erinnere, so geschieht es um zu zeigen, daß die Kältequellen, welche wir in den verflüssigten Gasen besitzen, ihr letztes Wort noch nicht gesprochen haben. Durch eine besser geleitete Anwendung der von der Theorie angedeuteten Quellen muß man weit tiefer gehen können, als es bis jetzt geschehen ist, und sich mehr der absoluten Null nähern, welche etwa – 273° zu sein scheint. W.