Titel: Chemisches Schnellverfahren zur Strohstoff-Fabrikation; von Eugen Dieterich in Helfenberg.
Fundstelle: Band 216, Jahrgang 1875, Nr. , S. 176
Download: XML
Chemisches Schnellverfahren zur Strohstoff-Fabrikation;Königl. sächsisches Patent vom 11. September 1873. von Eugen Dieterich in Helfenberg. Dieterich, chemisches Schnellverfahren zur Strohstoff-Fabrikation. Alle bisherigen Methoden der Herstellung von Strohstoff gipfeln darin, daß Stroh mittels einer Häckselmaschine zu schneiden, unter Hochdruck behufs Entfärbung und „Entkieselung“ mit Aetznatronlauge zu kochen, dann auszuwaschen und schließlich mit Chlorkalk zu bleichen. Die dabei hervortretenden Uebelstände bestehen darin, daß der Stoff beim Mahlen im Holländer großen Widerstand leistet, die Entfärbung nie gleichmäßig erreicht und in Folge dessen oft ungewöhnlich viel Chlorkalk erforderlich wird, um hochweißen Stoff zu erhalten. Bekannt mit diesen Mängeln, hatte ich bei verschiedenen anderen Gelegenheiten die Wahrnehmung gemacht, daß reine Natronlauge — und sei sie noch so concentrirt — nicht im Stande ist, alle löslichen Theile bez. Farbstoffe der vegetabilischen Faser, Flachs, Hanf oder Stroh, zu entziehen, daß eine solche bis zur Erschöpfung mit Natronlauge behandelte Faser bei nachherigem Kochem in Seifenwasser noch eine sehr große Menge Farbstoff an dieses abgibt, weshalb auch mit Recht in allen Bleichereien die Seifenbäder eingeführt sind. Angestellte Versuche zeigten mir ferner, daß der Bleichproceß, wenn der Farbstoff möglichst vollständig hier durch Seifenzusatz zur Lauge entzogen war, viel weniger Chlorkalk oder Chlorgas erforderte, zugleich aber der Seifenaufwand nicht den vierten Theil des Kostenaufwandes für Chlor betrug, wie im entgegengesetzten Fall. Ich gebrauchte oben den Ausdruck „Entkieselung“. Es ist darunter von Vielen, besonders Strohstoff-Fabrikanten, ein Auflösen der die Strohoberfläche bildenden Kieselsäure verstanden; thatsächlich findet eine solche nur zu geringem Theile statt, vielmehr beschränkt sich die Einwirkung der Lauge auf die Kieselsäurekruste zum größten Theile darauf, sie von der Faser abzulösen und die letztere bloszulegen. So wichtig die Entfärbung des Strohes durch Lauge für die Bleiche ist, so hohe Beachtung beansprucht die möglichst vollkommene Ablösung und nachherige Auswaschung der Kieselsäure für die Herstellung eines weichen und festen Stoffes. Ich glaubte daher, die Fähigkeit der Lauge, die Kieselsäure von der Faser abzulösen, erhöhen zu müssen und zwar durch einen Ammoniakzusatz, über dessen lösende Eigenschaften Struckmann, Liebig, besonders aber Pribram berichteten; nach den Erfahrungen des letzteren, wonach die vom Ammoniak gelöste Kieselsäure, selbst wenn das Ammoniak durch Kochen verjagt wurde, in Lösung blieb, war die Anwendung von Ammoniak während des Kochens im Kugelkocher auf Stroh völlig zulässig. Zur Prüfung dieser Annahme entfärbte ich zwei gleiche Gewichtsmengen Stroh in Halmen durch Kochen in Lauge, der etwas grüne Seife zugesetzt war, unter gleichen Bedingungen, wusch sorgfältig aus, brachte die eine (a) sofort ins graduirte Chlorbad, die andere (b) dagegen in ein Bad von verdünntem Ammoniak. Nachdem letztere Probe drei Stunden darin verblieben und dann gut ausgewaschen war, kam sie ebenfalls in die Bleiche. Die Probe a war blendend weiß mit Seidenglanz und das Stroh zeigte noch seine ursprünglichen Formen. Als Probe b dagegen in Chlorkalklösung gebracht wurde, belegten sich die einzelnen Halme sofort mit einer Flaumhülle von feinen weißen Stoff-Fasern, die sich vom Halme gelöst hatten. Diese Stoffpartikelchen vermehrten sich zusehends auf Kosten der Halme, so daß schließlich sämmtliches Stroh ohne jede mechanische Einwirkung in eine homogene hochweiße Stoffmasse verwandelt war. Es konnte somit keinem Zweifel mehr unterliegen, daß sowohl ein Seifenzusatz zur Lauge die Menge des Chlorkalkes und die Zeit des Bleichens reducirt, als ein weiterer Zusatz von Ammoniakflüssigkeit die Kieselsäure vollständiger wie bisher entfernt und die raschere Gewinnung eines schöneren Stoffes herbeiführt. Dem entsprechend stellte ich das neue Verfahren in Folgendem fest. Ich brachte einerseits 500 Kg. Stroh-Häcksel in den Kugel-, sog. Hadernkocher; andererseits bereitete ich eine Lauge aus 75 Kg. kaustischer Soda, 7,5 Kg. grüner Seife, 15 Kg. Salmiakgeist von 0,970 sp. Gew. und 1000 bis 1500 Liter Wasser, ließ die Lauge in demselben Kocher und fügte noch so viel Wasser dazu, daß der Kochapparat zu 80 Proc. gefüllt war. Der hermetisch verschlossene Kocher wurde in Rotation gebracht und durch Oeffnen des Dampfventils (der Dampf darf inzwischen nicht unter 4 Atmosphären sinken) das Kochen begonnen und 4 Stunden fortgesetzt. Nach Ablauf dieser Zeit ließ ich das Dampfventil schließen und den Kocher noch 1 Stunde lang ohne Druck rotiren, um die gespannten Dämpfe zu condensiren. Ist nun in einer Fabrik keine besondere Waschvorrichtung in Waschholländern mit je zwei Trommeln — Waschscheiben fördern zu wenig und bringen zu viel Stoffverlust mit sich — vorhanden, in welchem Falle das gekochte Stroh sofort in diese Holländer zu bringen wäre, so wäscht man im Kochapparat selbst, und zwar am erschöpfendsten und schnellsten mit durch Rückgangsdampf erhitztem Wasser aus. Meine Erfahrungen gehen dahin, daß auf das Auswaschen des gekochten Strohes die größte Sorgfalt zu verwenden ist; ich ziehe daher die Holländerwäsche dem Waschen im Kocher, obgleich bei letzterer Methode etwas weniger Stoff verloren geht, bei Weitem vor; sie findet gleichmäßiger und unter heftigerer Bewegung statt und ist so lange fortzusetzen, bis das Wasser farblos abläuft. Das gewaschene Stroh geht nun in die Halbzeugholländer, wird hier zu einem Stoff gemahlen, welcher in Feinheit einem Ganzzeug nahe steht, dann durch den sogen. Raffineur, in welchem zwischen zwei großen Mühlsteinen die vielleicht noch vorhandenen Theile von Knoten und Rispen des Strohes völlig zerrieben werden, und wird jetzt in die Bleiche gebracht. Auf alle Arten von Bleichen wirkt die Bewegung fördernd; die Bleiche von Papierstoffen wird daher stets in eigenen Holländern vorgenommen. Die oben angenommene Quantität von 500 Kg. Stroh beansprucht 50 bis 60 Kg. Chlorkalk, dessen klare Lösung, die man wenigstens 12 Stunden vorher mit warmem Wasser angesetzt hat, der ganzen Stoffmenge möglichst gleichmäßig zugesetzt wird. Der Proceß muß in mindestens 3 Stunden vollendet sein; am Schluß desselben setzt man auf obige Quantitäten 10 Kg. Kammerschwefelsäure zu. Es entwickelt sich Chlorgas, zugleich verschwindet die letzte Spur eines gelblichen Tones, indem der Stoff nun ein blendendes Weiß zeigt. Der in den Bleichholländern gewonnene Stoff wird zum Schluß in Filterpressen gepumpt, hier zu Kuchen gepreßt, welche nicht mehr als 60 Proc. Wasser enthalten sollen, und in dieser Form in den Handel gebracht. Die beschriebene Methode liefert aus obigen Quantitäten durchschnittlich 325 Kg. trockenen Stoff, welcher an Weiße, Weichheit und Zähigkeit die höchsten Anforderungen befriedigt. Wo es möglich ist, soll man immer Roggenstroh verarbeiten; es hat die schönste Faser und gibt die größte Ausbeute. Bezüglich des Kochens sei noch erwähnt, daß ein zu langes Kochen den Stoff hart und braun, d. h. völlig unbrauchbar macht. Es verbrennt ihn, wie der Empyriker sagt. In Strohstoff-Fabriken, wo Hunderte von Centnern kaustischer Soda verarbeitet werden, verlohnt es sich, dieselbe aus der Lauge, welche aus dem Hadernkocher vom Stroh nach dem Kochen abläuft, durch Eindampfen und nachheriges Glühen als kohlensaures Natron wieder zu gewinnen.