Titel: Das elektrische Pianino.
Fundstelle: Band 218, Jahrgang 1875, S. 457
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Das elektrische Pianino. Das elektrische Pianino. Im Anschluß an die in diesem Journal (1875 217 429) enthaltene, einer amerikanischen Quelle entnommene Mittheilung über eine von den HH. Schmöle in Philadelphia ausgestellten elektrischen Maschine, welche die Orgel spielt, mögen nachfolgende historische Bemerkungen hier ein Plätzchen finden, aus welchen klar hervorgeht, daß die Erfindung des elektrischen Pianinos sowohl rücksichtlich der Erfassung des Gedankens als der Ausführung desselben in Deutschland schon vor einer längeren Reihe von Jahren gemacht worden ist. Den Anlaß zur Ausführung eines elektrischen Claviers gab der Verwaltungsactuar Andreä in Sindelfingen (vergl. 1867 183 200), welcher auch im April 1861 in Württemberg ein Patent auf ein elektrisches Clavier nahm. In der Ausführung selbst aber stieß Andreä auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Da sich nun Matthias Hipp (welcher zu jener Zeit noch in Reutlingen war) schon damals günstig über die Ausführbarkeit des Gedankens ausgesprochen hatte, so wandte sich Andreä zu Anfang 1866 an Hipp, und dieser ließ in der Telegraphenfabrik zu Neuenburg, deren Leitung er inzwischen übernommen hatte, zunächst ein Muster-Clavier von blos 1 Octave herstellen, mit welchem Andreä die Aufgabe für gelöst ansah und die Erfindung wieder selbstständig ausbeuten zu können glaubte. Hipp dagegen machte das bereits angefangene, in dem ersten Februarhefte von 1867 dieses Journals (183 201) beschriebene, wirkliche Clavier fertig und schickte es zur Pariser Ausstellung; dort kam es jedoch nicht vor die Jury, weil es nur sechs Wochen vor Schluß der Ausstellung eintraf. Später machte Hipp auf Bestellung noch zwei elektrische Claviere, welche in die Hände des Musikhändlers Heller in Bern kamen. Das eine davon war auf der Ausstellung in Wien, ohne daß jedoch Hipp's Name genannt wurde. Das andere verkaufte Heller an einen herumreisenden Besitzer von Kunstwerken. Auch Hermann Spieß, welcher zur Zeit der Erbauung des ersten Claviers bei Hipp in Arbeit stand, stellte ein elektrisches Pianino her, welches im Wesentlichen mit dem von Hipp gebauten übereinstimmt. Spieß verkaufte dasselbe an F. Kaufmann und Sohn in Dresden, und in deren akustischem Cabinet ist dasselbe seit dem Sommer des Jahres 1872 öffentlich ausgestellt und spielt den Besuchern größere und kleinere Stücke vor. Der wesentlichste Schritt zur glücklichen Ausführung eines elektrischen Pianinos war die Herstellung eines Elektromagnetes, welcher einen dem Anschlage mit der Hand gleichenden Anschlag der Saiten erzielen läßt; dazu mußte der angezogene Anker seine Bewegung mit größter Kraft beginnen und mit geringster Kraft beenden, wie die Hand anfangs mit starker, dann rasch abnehmender Kraft wirkt. Dies ermöglicht der in diesem Journal a. a. O. bereits beschriebene und abgebildete eigenthümliche Elektromagnet, welcher auch bei dem in dem Kaufmann'schen Cabinet befindlichen Pianino Anwendung gefunden hat. Letzteres umfaßt 6 Octaven, und es sind (ganz ähnlich wie bei dem von Hipp gebauten) die wagrecht liegenden Elektromagnete in 6 Reihen über einander im oberen Theile des Pianinos angeordnet. Ihre Anker bewegen leichte Holzstäbe, welche nach der Hammer-Mechanik herabgehen, beim Anschlagen der Saiten jedoch die gewöhnlichen Tasten des Pianinos nicht mit bewegen. Als Spielmaschine dient ein kleines Instrument, in welchem für jede Taste eine federnde Metallspitze vorhanden ist; diese Spitzen liegen mit entsprechendem Drucke auf einer Metallwalze auf und senden bei jeder Berührung dieser Walze den elektrischen Strom durch den zugehörigen Elektromagnet, lassen also dann den betreffenden Ton anschlagen. Ueber die Walze und zwischen ihr und den Spitzen hindurch läuft (wie beim Bain'schen Telegraphen) ein breites durchlochtes Papierband; die Stellung der Löcher quer über dem Streifen bestimmt die Höhe oder Tiefe der gleichzeitig anzuschlagenden Töne, die Länge der Löcher in Richtung der Länge des Streifens die Dauer jedes Tones. Die richtige Führung des Papierbandes wird bei dem Hipp'schen Pianino durch Führungsspitzen an jener Metallwalze bewirkt, indem dieselben in Führungslöcher an den beiden Rändern des Papierbandes eingreifen; bei dem Pianino im Kaufmann'schen Cabinet muß eine Person den richtigen Ablauf des Bandes überwachen. Um in der Stärke des Anschlages eine Abwechselung zu erlangen, brachte Hipp eine einfache Vorrichtung an, welche durch Einschaltung von entsprechenden Widerständen die Stromstärke und damit die Tonstärke in 12 Abstufungen vom Forte bis zum Piano schwächte. Das Pianino im Kaufmann'schen Cabinet dagegen besitzt blos einen Forte- und einen Pianozug; für jeden Zug sind zwei federnde Spitzen vorhanden, die eine für das Ziehen, die andere für die Zurückbewegung des Zuges; fällt eine Spitze in ein Loch des Streifens, so sendet sie den Strom durch einen (beim Ziehen des Forte durch zwei) Elektromagnet von derselben Einrichtung wie für die Hammerbewegung. Bei einer elektrischen Orgel sind rücksichtlich der Tonstärke geringere Schwierigkeiten zu überwinden, weil dieselbe durch Ziehen der Register bewirkt wird. Z–e.