Titel: Ueber die Bewegung einer Glocke; von W. Veltmann, Realschullehrer in Düren.
Autor: W. Veltmann
Fundstelle: Band 220, Jahrgang 1876, Nr. , S. 481
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Ueber die Bewegung einer Glocke; von W. Veltmann, Realschullehrer in Düren. Mit einer Abbildung. Veltmann, über die Bewegung einer Glocke. Als mit der neuen Glocke des Cölner Doms, Kaiserglocke genannt, der erste Läuteversuch nach ihrer Ankunft in Cöln vorgenommen wurde, zeigte sich die eigenthümliche Erscheinung, daß der Klöppel relativ zur Glocke sich gar nicht bewegte, sondern stets in der Mittellinie derselben verharrte. Sobald ich, etwa drei Wochen nach jenem Versuche, von diesem Verhalten der Glocke genauere Kenntniß erhielt, versuchte ich die Umstände, welche dasselbe bedingen, theoretisch zu ermitteln. Mit den Bewegungsgleichungen eines Systems, wie eine Glocke mit ihrem Klöppel, ist nun zwar, da schon die Theorie des einfachen Pendels auf ungefügige Integralausdrücke führt, nicht viel anzufangen; indeß fand ich doch, daß die Beantwortung der speciellen Frage, unter welchen Bedingungen obige Erscheinung eintrete, so einfach wie möglich ist. Daß die gewonnenen Resultate, die ich gleich an den geeigneten Stellen zur Mittheilung brachte, nicht sofort in zweckentsprechender Weise Berücksichtigung fanden, kann nicht befremden; eine rein theoretische Behandlung einer solchen Sache stößt naturgemäß auf einiges Mißtrauen. Ich habe seitdem den weitern Verlauf der Angelegenheit, die vielen vergeblichen Versuche, welche mit Abänderungen der Aufhängungsweise von Glocke und Klöppel gemacht worden sind, die Urtheile, welche darüber von Glockengießern und andern Technikern in der Presse laut wurden u. s. w., aufmerksam verfolgt und bin nicht wenig erstaunt gewesen, als ich mehr und mehr die Wahrnehmung machte, daß hier ein ganz bedeutender und interessanter Zweig der Technik vorliegt, der nach einer wesentlichen Seite hin nicht blos der theoretischen Grundlage, sondern auch jeder bestimmten und sichern, Willkür und Zufall ausschließenden praktischen Regel gänzlich entbehrt. Um so mehr wird es gerechtfertigt sein, wenn ich hier, statt etwa blos die praktischen Resultate mitzutheilen, eine vollständige Darstellung meiner theils mathematischen, theils experimentellen Untersuchungen über den Gegenstand veröffentliche. Textabbildung Bd. 220, S. 482 In nebenstehender Figur sei P der Drehpunkt, PT die Mittellinie, S der Schwerpunkt der Glocke einschließlich der mit derselben zu einer starren Masse verbundenen Theile und T ein Punkt, in welchem vereinigt diese Masse dasselbe Trägheitsmoment in Bezug auf den Drehpunkt P haben würde wie in der Wirklichkeit. Den Abstand PS bezeichnen wir mit s, PT mit t, den Winkel der Mittellinie PT mit der Verticalen PQ oder die Elongation der Glocke mit φ. Die Masse der Glocke nennen wir m und gemäß der Newton'schen Bezeichnung der Fluxionen die Winkelgeschwindigkeit φ, die Winkelbeschleunigung φ Für den Klöppel bezeichnen wir die entsprechenden Punkte, Linien und Größen mit denselben Buchstaben und unterscheiden sie durch den Index 1. Den Abstand PP1 der beiden Drehpunkte nennen wir a, die Accelaration der Schwere g, die Zeit τ. Die Linie PQ und eine im Punkte P darauf Senkrechte nach rechts nehmen wir als positive Coordinatenhalbachsen. Für Punkte der Glocke und des Klöppels seien resp. die Abscissen x und x1, die Ordinaten y und y1. Die lebendige Kraft des Systems in irgend einem Zeitpunkte ist eine Function der Lage des Systems und der Geschwindigkeiten in diesem Zeitpunkte, also eine Function von φ, φ1, φ, φ1. Wir bezeichnen sie mit L. Betrachten wir statt der wirklichen Bewegung des Systems eine andere, bei welcher φ allein sich ändert, φ1 constant bleibt, so sei A d φ die Arbeit, welche die äußern Kräfte verrichten, während φ um d φ wächst. Ebenso sei A1 d φ1 die von denselben Kräften verrichtete Arbeit, während φ1 um d φ1 wächst, φ constant bleibt. Die Bewegungsgleichungen (nach Lagrange) des vorliegenden Systems sind dann: Textabbildung Bd. 220, S. 482 Die lebendige Kraft der Glocke ist ihr halbes Trägheitsmoment in Bezug auf die Drehachse mal dem Quadrate der Winkelgeschwindigkeit, also = m t2/2 φ2 Diejenige des Klöppels besteht aus zwei Theilen: Der eine ist sein halbes Trägheitsmoment in Bezug auf eine zur Drehachse Parallele durch den Schwerpunkt mal dem Quadrate der Winkelgeschwindigkeit, also Textabbildung Bd. 220, S. 483 Der andere ist die lebendige Kraft, welche die Masse des Klöppels haben würde, wenn sie im Schwerpunkte desselben vereinigt wäre. Die Coordinaten x1 und y1 des Schwerpunktes sind nun: x1 = a sin φ + s1 sin φ1 y1 = a cos φ + s1 cos φ1. Die Componenten der linearen Geschwindigkeit dieses Punktes sind daher Textabbildung Bd. 220, S. 483 mithin das Quadrat der Geschwindigkeit Textabbildung Bd. 220, S. 483 und der entsprechende Theil der lebendigen Kraft Textabbildung Bd. 220, S. 483 Die gesammte lebendige Kraft ist demnach Textabbildung Bd. 220, S. 483 mithin Textabbildung Bd. 220, S. 483 Die Gleichungen (1) werden also jetzt, wenn man vorstehende Werthe einsetzt: Textabbildung Bd. 220, S. 483 oder, wenn man die beiden Differentiationen nach τ noch ausführt: Textabbildung Bd. 220, S. 484 Betrachten wir nun die Bewegung des Systems im Beharrungszustande; nehmen wir also an, daß die an demselben thätigen Zugkräfte nur zur Ueberwindung der Reibung dienen. Wir können dieselben dann, sowie letztere, außer Acht lassen. Wenn wir außerdem die Reibung am Drehpunkte des Klöppels vernachlässigen, so ist die Schwerkraft die allein wirkende äußere Kraft. Die Ordinate des Schwerpunktes der Glocke ist y = s cos φ (3) die des Schwerpunktes des Klöppels y1 = a cos φ + s1 cos φ1 (4) Wächst also φ um d φ, so legt der erstere in der Richtung der Kraft einen Weg dy/dφ dφ = - sin φ d φ (nach 3), der letztere einen solchen dy1/dφ dφ = - a sin φ d φ (nach 4) zurück. Die Kräfte sind m g und m1g, also die Arbeit A d φ = - g (ms + m1 a) sin φ d φ. Nimmt φ 1 und d φ1 zu, während φ constant bleibt, so bewegt sich der Schwerpunkt des Klöppels (die Glocke ruht) in der Richtung der Kraft um die Größe dy1/dφ1 dφ1 = - s1 sin φ1 d φ1 (nach 4) und die verrichtete Arbeit ist A1 d φ1 = m1 g s1 sin φ1 d φ1. Man hat also jetzt A = - g (ms + m1 a) sin φ A1 = - m1 g s1 sin φ1, und die Gleichungen (2) werden Textabbildung Bd. 220, S. 484 Wenn nun der Klöppel stets in der Mittellinie der Glocke bleiben soll, so muß beständig φ = φ1 sein, und man hat also, um die Bedingungen hierfür zu erhalten, in den Gleichungen (5) überall φ statt φ1 zu setzen. Dieselben werden dann Textabbildung Bd. 220, S. 485 Aus der ersten Gleichung folgt: Textabbildung Bd. 220, S. 485 aus der zweiten Textabbildung Bd. 220, S. 485 Diese beiden Gleichungen, deren jede eine einfache Pendelbewegung darstellt, müssen übereinstimmen, d. h. es müssen die Längen der entsprechenden mathematischen Pendel gleich sein, also Textabbildung Bd. 220, S. 485 Diese Gleichung ist die nothwendige und, da für φ = φ1 unter Voraussetzung der Gleichungen (6) und (7) den Gleichungen (2) stets genügt wird, auch hinreichende Bedingung dafür, daß Glocke und Klöppel sich genau übereinstimmend bewegen. Wenn man aus der Gleichung (8) a entwickelt, so kann sie die Form Textabbildung Bd. 220, S. 485 annehmen. Hier ist nun nach der Pendeltheorie t2/s die Länge eines mathematischen Pendels, welches mit der Glocke allein gleiche Schwingungsdauer hat. Ebenso ist t12/S1 die Länge eines Pendels von gleicher Schwingungsdauer mit dem für sich bei ruhender Glocke schwingenden Klöppel. Nennt man erstere l, letztere 11, so kann man also vorige Gleichung so schreiben: Textabbildung Bd. 220, S. 485 In derselben kommen jetzt außer dem Abstände der Drehpunkte und den Massen nur die beiden Pendellängen und Schwerpunktsabstände vor, Größen von denen drei sich durch Schwingungs- und Gleichgewichtsversuche leicht bestimmen lassen; nur der Schwerpunktsabstand des Klöppels muß, wenn man diesen nicht aus der Glocke herausnehmen will, durch unmittelbare Berechnung gefunden werden. Man kann jedoch der Gleichung eine für praktische Zwecke in den meisten Fällen genügende, noch einfachere Form geben. Einer praktischen Regel zufolge soll das Gewicht der Glocke ungefähr das vierzigfache desjenigen des Klöppels betragen; der Bruch m1/m in Gleichung (9) wäre demnach ungefähr = 1/40 zu setzen. Da nun zugleich l1 - s1/s ein ziemlich kleiner Bruch ist, so kann man statt der Gleichung (9) annähernd folgende nehmen: a = l - l1 (10) Das fragliche Verhalten der Glocke findet also dann statt, wenn annähernd der Abstand der Drehpunkte gleich der um die Pendellänge des Klöppels verminderten Pendellänge der Glocke ist. Es tritt nun die für die Anwendung wichtige weitere Frage ein: Nach welcher Richtung hin muß der Abstand a von dem Werthe in Gleichung (9) oder (10) abweichen, damit der Klöppel tadellos fungire; muß er größer oder kleiner sein oder darf beides stattfinden? Die Theorie würde diese Frage nur schwierig beantworten können; dagegen läßt sich durch Beobachtungen an Glocken und Versuche mit glockenähnlichen Doppelpendeln dieselbe leicht entscheiden und volle Klarheit in die Sache bringen. Die Theorie liefert nur den nöthigen Anhalts- und Ausgangspunkt für die Beobachtung und das Experiment, so daß man dabei nicht ins Blaue hinein zu operiren braucht. An Versuchen mit Glocken gerade für den vorliegenden Zweck fehlt es nicht gänzlich; denn die Kaiserglocke ist nicht etwa die erste, bei welcher sich der derselben eigene Uebelstand gezeigt hat. Auch hat man bei der Construction der Welle für diese Glocke sehr wohl an die Möglichkeit einer solchen fatalen Erscheinung gedacht und dieselbe zu verhüten gesucht. Die Regeln aber (die Lage des Drehpunktes der Glocke betreffend), die man hierbei angewendet hat, sind nicht die allgemein richtigen; sie mochten wohl für die bei jenen Versuchen benützte Glocke (der evangelischen Kirche in Wiesbaden) passen, aber deshalb noch nicht für jede andere. Die Versuche hatten gar nicht allgemein ergeben, auf was es hier hauptsächlich ankam, und konnten das auch nicht, da ihnen hierzu die nöthige theoretische Grundlage fehlte. Ich habe die Größen in der Gleichung (10) außer der Kaiserglocke auch für die übrigen größern Glocken des Cölner Doms, sowie für diejenigen einiger andern Kirchen bestimmt. Ferner ist auch bei mehreren der Abstand des Punktes, in welchem der Klöppel an die Glocke schlägt, von dem Drehpunkte desselben gemessen worden. Da ungefähr in gleicher Höhe mit dem Anschlagpunkte der Mittelpunkt des Stoßes im Klöppel liegt, so ergibt sich hierdurch die gegenseitige Lage dieses Punktes und des Schwingungspunktes. Damit der Stoß in der richtigen Weise, ohne Kippen des Klöppels und Einbiegung in dem Gelenke desselben erfolge, sollten diese beiden Punkte zusammenfallen. Die Beobachtung lehrt jedoch, daß der Schwingungspunkt wohl ohne Ausnahme stets um eine beträchtliche Größe über dem Anschlagepunkte liegt. Die blose Schätzung nach dem sogen. praktischen Gefühle hat hier offenbar irregeführt; man macht den untern Zapfen des Klöppels viel zu klein, als daß er mit dem obern Theile beim Anschlagen im momentanen Gleichgewichte sein könnte. Die größte von den ältern Glocken des Doms hat früher dieselbe üble Eigenschaft gehabt wie die Kaiserglocke, wenn auch nicht in gleichem Grade; sie ist lange Zeit in der Weise benützt worden, daß man blos den Klöppel in Bewegung setzte. Dem Fehler wurde später dadurch abgeholfen, daß man, sei es durch eine dunkle Ahnung von der wahren Ursache geleitet oder auch auf Grund ganz falscher Anschauungen doch das Richtige treffend, den obern Theil des Klöppels etwas leichter machte. Jedoch überträgt sich auch jetzt die Bewegung der Glocke noch keineswegs in dem Grade auf den Klöppel, wie sie sollte, und da der Schwingungspunkt noch ungefähr 7cm über dem Anschlagepunkte liegt, so könnte durch weiteres Tieferlegen desselben der Klöppel noch in doppelter Hinsicht verbessert werden. Um indeß die von mir an Glocken gemachten Beobachtungen richtig beurtheilen zu können, wird es gut sein, vorher die Resultate einiger Versuche mit einem Pendelapparate mitzutheilen, der vor einer Glocke für diesen Zweck den Vorzug hat, daß an demselben die die Bewegung bestimmenden Größen in mannigfaltiger Weise verändert werden können. Der Apparat hat folgende Einrichtung: Eine hölzerne Latte von 1m,5 Länge, an den Enden mit Gewichten beschwert, stellt die Glocke vor, eine andere kleinere den Klöppel. Drei Schraubklemmen sind so angebracht, daß der Drehpunkt der Glocke an dieser und derjenige des Klöppels an beiden verschoben werden kann, so daß also der Abstand der Drehpunkte und die beiden Pendellängen innerhalb bestimmter Grenzen beliebig verändert werden können. In folgender Zusammenstellung der Resultate einer Versuchsreihe ist unter der relativen Elongation der Winkel φ1, zu verstehen, welchen die Mittellinie des Klöppels mit derjenigen der Glocke macht. Für jeden Abstand ist das Maximum der Elongation angegeben und die Zahl der Schwingungen, nach denen es erreicht wurde, für a = 33 jedoch auch die Elongation nach einer geringern Anzahl Schwingungen. Nummer des Versuches. Abstand der Drehpunkte. Zahl der Schwingungen. Relative Elongation. 1 12cm 6 51° 2 13 6 49 3 15 6 48 4 20 7 42 5 25 7 30 6 30 7 5 7 31,5 0 8 32 8 1 9 32,5 10 14 10 33 20 16 11 33 48 92 12 34 20 113 13 35 18 116 14 37 14 122 15 39 12 123 16 40 10 130 17 50 8 134 Glocke und Klöppel wurden immer gemeinschaftlich um 45° aus der Verticalen entfernt und dann sich selbst überlassen. Zur Bestimmung desjenigen Abstandes der Drehpunkte, bei welchen die relative Bewegung Null war, durfte nur die Gleichung (9), nicht (10) benützt werden. Um nämlich große, mit denen von größern Glocken vergleichbare Pendellängen zu erhalten, war s sehr klein genommen und durfte deshalb in (9) nicht nebst den betreffenden andern Größen vernachlässigt werden. Da überdies mit dem Abstände der Drehpunkte wegen der Verschiebung der Schraubklemme, an welcher der Klöppel hing, der Schwerpunktsabstand s sich nicht unbeträchtlich änderte, so konnte der Abstand a auch aus (9) nicht unmittelbar berechnet werden; er ergab sich durch mehrmalige Anwendung dieser Gleichung nach der Regel falsi bei jedesmaliger Bestimmung der Pendellänge und der Lage des Schwerpunktes. Als zu der relativen Elongation = 0 gehörige Werthe wurden auf solche Weise folgende gefunden: l = 251,25 l1 = 202,77 s = 12,9 s1 = 2,5. m1/m = 29/828 a = 31,4, welcher Werth von a mit dem in Versuch Nr. 7 übereinstimmt. Man sieht aus obiger Zusammenstellung, daß der Klöppel eine um so größere relative Bewegung erhält, je mehr sich der Abstand a von dem Werthe in Nr. 7 entfernt. Jedoch ist der Erfolg wesentlich verschieden, je nachdem die Abweichung nach oben oder nach unten stattfindet. In letzterm Falle, also für a < 31,5, nimmt die relative Elongation nur langsam zu und bleibt stets ziemlich klein. In ersterm Falle dagegen wird die relative Bewegung schon sehr beträchtlich, wenn a nur um einige Centimeter zunimmt. Man kann den Abstand so groß machen, daß der Klöppel sich überschlägt, eine volle Umdrehung macht. Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist der, daß bei a < 31,5 der Klöppel bei jeder Schwingung der Glocke voraneilt, bei a > 31,5 dagegen hinter derselben zurückbleibt. Wie der Unterschied sich bei einer wirklichen Glocke darstellt, sowie auch in welcher Schwingungsphase der letztern das Anschlagen erfolgt, darüber noch folgende Bemerkungen. Wenn eine Glocke, für welche a > ll1 ist, geläutet wird, so nimmt man immer wahr, daß der Klöppel ungefähr in dem Augenblicke, wo die Glocke die größte Elongation hat, an den alsdann höchsten Punkt des Schlagringes anschlägt. Daß dies nothwendig so sein muß, ergibt sich unter der Voraussetzung, daß ein regelmäßiges und gleichmäßiges Anschlagen stattfindet, durch eine sehr einfache Ueberlegung. Sobald nämlich ein solcher Beharrungszustand in der Bewegung der Glocke eingetreten ist, so wiederholen sich die Schwingungen sowohl der Glocke als des Klöppels stets in derselben Weise. Letzterer prallt also beim Stoße gegen den Schlagring mit der nämlichen Geschwindigkeit ab, mit welcher er an demselben anlangte. Nehmen wir nun zunächst an, die Geschwindigkeit der Glocke sei im Augenblicke des Stoßes = 0. Dann würde dieselbe vom Klöppel sowohl moleculare als Massen-Bewegung aufnehmen, und deshalb der letztere mit einer etwas geringern Geschwindigkeit reflectirt werden. Soll dieser Verlust nicht stattfinden, vielmehr obiger Beharrungszustand bestehen, so muß also im Augenblicke des Stoßes die Glocke dem Klöppel mit einer kleinen Geschwindigkeit begegnen; sie muß eben begonnen haben, wieder abwärts zu schwingen. In dem entgegengesetzten Falle, wo a < l1 ist, findet das Anschlagen ebenfalls in einem Zeitpunkte statt, welcher dem der größten Elongation sehr nahe liegt, und zwar aus denselben Gründen wie oben. Der Punkt jedoch, worin der Klöppel die Glocke trifft, ist nicht der höchste, sondern der tiefste Punkt des Schlagringes; er schlägt im Vergleich zum vorigen Falle an der entgegengesetzten Seite an. Eine solche Weise zu läuten ist nun nicht gerade unzulässig; sie findet statt bei einer von dem Pester Großzeugschmied Posdech zuerst angewendeten Aufhängungsart für Glocken, bei welcher der Drehpunkt der letztern ziemlich nahe über dem Schwerpunkte und derjenige des Klöppels noch etwas höher liegt, so daß also a hier negativ ist. Auch für diese Anordnung habe ich einige Versuche gemacht. Die Bewegung des Klöppels ist dabei schwer zu verfolgen; sie nimmt durch die stattfindenden Interferenzen periodisch ab und zu. Bei einer wirklichen Glocke wird nun zwar diese Bewegung durch das Anschlagen an dieselbe modificirt; ob aber nicht doch vielleicht in Folge jener Interferenzen die Töne der Glocke in ihrer Intensität etwas verschieden werden? — Eine solche periodische Aenderung findet übrigens auch dann statt, wenn a positiv, aber sehr klein ist. Nach allem diesem muß also, wenn die Glocke in gewöhnlicher Weise geläutet werden soll, der Abstand a größer sein, als er sich aus der Gleichung (9) oder (10) ergibt. Die Beobachtung lehrt auch in der That, daß wenigstens bei allen größern Glocken der Abstand der Drehpunkte größer ist als die Differenz der Pendellängen. Man vergleiche nur die Angaben in folgender Zusammenstellung, welche die Resultate von Beobachtungen an der Kaiserglocke und mehreren andern Glocken enthält. Textabbildung Bd. 220, S. 490 Pendellänge; Abstand; Quotient; der Glocke.; des Klöppels.; Differenz.; der Drehpunkte.; des Drehpunktes vom Anschlagepunkt d. Klöppels.; aus dem Gewichte der Glocke.; l; l1; ll1;a;a/ll1; Glocken des Kölner Doms.; I Kaiserglocke Nr. 1; Kaiserglocke Nr. 2; II Pretiosa; III Speciosa; IV Hl. drei Könige; Glocken einer Dorfkirche.; V; VI; VII; Glocke der Münsterkirche zu Bonn Die Pendellängen sind hier aus den Schwingungszahlen berechnet worden. Die negativen Abstände des Schwingungspunktes des Klöppels vom Anschlagpunkte bei der Kaiserglocke bedeuten, daß der erstere unter letzterm lag, während gewöhnlich das Umgekehrte der Fall ist. Die Angaben über die KaiserglockeDem freundlichen Entgegenkommen des Dombauvereins, sowie des Fabrikanten, welcher die Kaiserglocke gegossen hat, verdanke ich es, daß ich im Stande bin, die in dieser Abhandlung enthaltenen, die Domglocken betreffenden Beobachtungsresultate mitzutheilen. — Sehr gern hätte ich auch Angaben über die Glocke Maria gloriosa des Doms zu Erfurt in obige Zusammenstellung aufgenommen. Es hat mir jedoch ungeachtet mehrfacher diesbezüglicher Bemühung nicht gelingen wollen, solche zu erhalten. Der Nothbehelf, welchen man bei dieser Glocke anwendet, um beim Läuten den Klöppel zum Anschlagen zu bringen, zeigt recht auffallend, wie jämmerlich es mit der Kunst, Glocken richtig aufzuhängen etc., bestellt ist. beziehen sich auf zwei Versuche, welche im vorigen Jahre am 9. October (Nr. 1) und 2. December (Nr. 2) stattfanden. Bei ersterm fiel der Schwingungspunkt mit dem Anschlagepunkte, also auch mit dem Mittelpunkte des Stoßes fast genau zusammen; er hatte also die für eine centrale Stoßwirkung erforderliche Lage. Gleichwohl lag er noch bei weitem nicht tief genug, damit ein regelmäßiges Anschlagen des Klöppels erfolgte; letzterer bedürfte nach jedem Schlage 5 bis 6 freier Schwingungen, um wieder die Glocke zu erreichen. Den Grund hiervon erkennt man gleich. Der Abstand der Drehpunkte war nur um 1/50 größer als die Differenz der Pendellängen, während er bei Pretiosa und Speciosa das anderthalbfache und bei der Glocke des Bonner Münsters gar mehr als das Doppelte derselben beträgt. Es rührt dieses ungünstige Verhältniß an der Kaiserglocke daher, daß deren Pendellänge, wie aus der letzten Columne der Tabelle zu ersehen, verhältnißmäßig viel größer ist als z. B. bei Pretiosa. Allerdings hat auch Speciosa eine verhältnißmäßig große Pendellänge und dennoch ist hier der Abstand a sogar noch beträchtlicher als bei der größern Pretiosa. Hierbei muß jedoch berücksichtigt werden, daß bei der Kaiserglocke und bei Speciosa die Ursache der großen Pendellänge eine ganz verschiedene ist. Bei der letztern besteht sie darin, daß deren Aufhängungspunkt ziemlich hoch liegt, während dagegen die Kaiserglocke an einer gekröpften Welle so aufgehängt ist, daß ihre Drehachse ungefähr in gleicher Höhe mit der obern Fläche der Glocke liegt. Die Hauptmasse der Welle, deren Gewicht ungefähr 2/5 von dem der Glocke beträgt, befindet sich ziemlich weit über der Drehachse. Hierdurch wird das statische Moment verkleinert, das Trägheitsmoment vergrößert, und es mußte deshalb eine große Pendellänge die nothwendige Folge sein. Um die Glocke läutbar zu machen, hat man (noch vor dem Versuche im October) zwischen Glocke und Welle ein Zwischenstück angebracht und dadurch erstere um 210mm gesenkt; ferner hat man den Drehpunkt des Klöppels bald höher, bald tiefer gelegt. Der Erfolg war bei allen diesen Aenderungen nur gering, ohne Zweifel deshalb, weil dabei immer zwei Größen, der Abstand a und eine Pendellänge zugleich sich änderten — die eine in vortheilhaftem, die andere in nachtheiligem Sinne. So wurde z. B., wenn man den Drehpunkt des Klöppels hinauf rückte, die Pendellänge desselben größer, der Abstand a aber ungefähr um eben so viel kleiner; wenn also vorher nahezu a = l — l1, war, so war es auch nachher noch so. Da jedoch eine kleine Besserung dabei erzielt wurde, so hat man mit Versuchen in dieser Richtung fortgefahren, bis man mit dem Drehpunkte des Klöppels bis dicht unter die Wölbung der Glocke gekommen war.Es ist wohl selbstverständlich, daß es nicht meine Absicht sein kann, aus diesem Verfahren dem Urheber desselben einen Vorwurf zu machen. Niemand ist verpflichtet, in seinem Gewerbe eine höhere Stufe einzunehmen als alle seine Fachgenossen. Nicht der einzelne Fabrikant, sondern die ganze Glockenmontirungskunst tappte hier im Dunkeln. Nach den verschiedenen, manchmal höchst seltsamen Urtheilen, welche in der Presse über das Verhalten der Kaiserglocke zu lesen waren, sowie nach den zur Abhilfe gemachten Vorschlägen muß ich annehmen, daß von dem wirklichen Zusammenhange weder irgend ein Glockengießer, noch sonstiger Techniker, der sich mit der Sache beschäftigt hat, eine Ahnung hatte. Jedem andern Glockengießer hätte es eben so gehen können; wäre er glücklicher gewesen, so hatte er dies nur dem ihm günstigern Zufalle, nicht seiner größern Sachkenntniß zu verdanken. Dann erst wurde der allein richtige Weg eingeschlagen, ohne anderweitige Aenderungen die Pendellänge des Klöppels zu vergrößern. Ich hatte zu dem Zwecke eine Einrichtung des Klöppels vorgeschlagen, bei welcher die Pendellänge durch eine angehängte und mittels Schrauben verschiebbare Gußplatte bis auf 303cm gebracht werden konnte. Der Schwingungspunkt lag dann 26cm unterhalb des Anschlagepunktes — eine Grenze, die schwerlich überschritten werden durfte, wenn keine merklich schlingernde Bewegung des Klöppels eintreten sollte. Unglücklicher Weise sah man sich jedoch durch wenig begründete Rücksichten auf Festigkeits- und andere Verhältnisse veranlaßt, von den vorgeschriebenen Maßen so bedeutend abzuweichen, daß der Schwingungspunkt im Maximum nur um 10cm,5 unter dem Anschlagepunkte lag. Hierdurch war der ursprüngliche Zweck der anzustellenden Versuche, entweder die Bedingungen zu ermitteln, unter denen das Läuten vollständig gelang, oder den Beweis zu liefern, daß es bei der damaligen Aufhängungsweise der Glocke nicht gelingen konnte, vereitelt. Jedoch wurde wenigstens das eine bestimmte Resultat erhalten, daß unter Bedingungen, welche von denen des centralen Stoßes nicht sehr bedeutend abweichen, das Läuten vollständig mißlingen würde. Der Erfolg war nämlich selbst in dem Grenzfalle, wo der Schwingungspunkt um 10cm,5 (obige Zusammenstellung Nr. 2) tiefer lag als der Anschlagepunkt, noch keineswegs befriedigend. Ein regelmäßiges Anschlagen bei jeder Schwingung wurde zwar erreicht; aber die Schläge waren nicht kräftig genug und die Gleichmäßigkeit derselben zu sehr abhängig von zufälligen Ungleichheiten in der Vertheilung der Zugkräfte. Demnächst wurde wieder ein Klöppel von gewöhnlicher Form aus Schmiedeisen angefertigt, jedoch annähernd nach dem Muster jenes Versuchsklöppels bei dessen größter Pendellänge. Meinem Rathe, die Pendellänge noch beträchtlich größer zu nehmen, wurde nicht entsprochen, theils weil es an Raum fehlte, um den untern Theil noch mehr verlängern zu können, theils weil man mit Rücksicht auf die nöthige Festigkeit Bedenken trug, dem obern Theile eine so geringe Dicke zu geben, wie ich vorschlug. Das hier nahe liegende Auskunftsmittel, diesem obern Theil einen rechteckigen Querschnitt zu geben, wo dann an der Masse gespart werden konnte, ohne die Festigkeit zu beeinträchtigen, wurde deshalb nicht angewendet, weil man dann diesen Theil nicht auf der Drehbank bearbeiten konnte. So kam denn ein Klöppel zu Stande, welcher in der Pendellänge von dem Versuchsklöppel nur wenig abwich. Mit dem neuen Klöppel wurde am 11. Februar d. I. eine Probe vorgenommen; dieselbe fiel so aus, wie wegen der Uebereinstimmung der Umstände mit denjenigen am 2. December v. I. zu erwarten stand. Ein regelmäßiges Anschlagen bei jeder Schwingung der Glocke fand wieder statt, ebenso jedoch auch die frühere Verschiedenheit desselben. An der einen Seite gab die Glocke einen volleren Ton, als an der andern, und der Unterschied war bei dem zweiten der beiden vorgenommenen Versuche größer als bei dem ersten, was ohne Zweifel von einer Verschiedenheit der wirkenden Zugkräfte herrührte. Aber selbst wenn man hinsichtlich der Regelmäßigkeit der Bewegung des Klöppels die Aufgabe als ziemlich gelöst hätte betrachten wollen, so blieben doch noch sehr wesentliche Uebelstände übrig. Zunächst entstand nämlich beim Anschlagen ein höchst widerwärtiger klatschender Ton — ähnlich demjenigen, den zwei an einander geschlagene Metallplatten geben. Derselbe dauerte zwar nur einen Augenblick und war auch in größerer Entfernung nicht hörbar; aber der eigentliche Ton der Glocke, welcher gleich darauf eintrat, besaß durchaus nicht die nöthige Intensität. Es trat dies besonders hervor, als einige Tage später die Kaiserglocke mit den übrigen größern Glocken des Doms zusammen geläutet wurde. Selbst wenn sie nur mit einer von denselben, der größten, zusammentönte, wurde ihr Ton von dem der letztern gänzlich verdeckt; nur den Klirrton beim Anschlagen des Klöppels hörte man deutlich. Die Ursache des Klirrtons ist wohl zum größten Theil die, daß der Klöppel mittels eines eisernen Zwischenstückes aufgehängt ist. Daß man gewöhnlich den Klöppel einer Glocke mittels eines ledernen Riemens aufhängt, geschieht wohl nicht blos der Einfachheit wegen. Die geringe Intensität des Tones aber kann nur darin ihren Grund haben, daß der Klöppel noch nicht kräftig genug gegen die Glocke stößt. In der That war dies auch unter Verhältnissen, bei welchen erst eben ein regelmäßiges Anschlagen erreicht wurde, gar nicht zu erwarten. Auch zeigt obige Tabelle, daß bei der Kaiserglocke die die Bewegung bestimmenden Größen, so wie sie bei den letzten Versuchen waren (Nr. 2), noch lange nicht in entsprechender Proportion stehen, wie bei der leicht läutbaren Speciosa oder auch nur der etwas schwerfälligern Pretiosa. Eine weitere Annäherung an das richtige Verhältniß kann nun nicht wohl dadurch geschehen, daß man die Pendellänge des Klöppels noch größer macht. Denn obgleich hier die Grenze, bei welcher entschiedene Nachtheile sich einstellen, nicht, wie es meine Absicht war, durch Versuche festgestellt ist, so läßt sich doch mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß die zulässige Grenze erreicht, wenn nicht schon überschritten ist. Zu dem oben erwähnten Klirrton trägt möglicherweise auch der Umstand bei, daß der Stoß des Klöppels gegen die Glocke von einem centralen Stoße bedeutend abweicht. Dennoch kann eine weitere Verbesserung auch jetzt noch erreicht werden, dadurch nämlich, daß man, statt die Pendellänge des Klöppels zu vergrößern, diejenige der Glocke verringert. Dies würde schon früher geschehen sein, wenn es nicht so sehr umständlich wäre; da aber jetzt nichts anderes übrig bleibt, so wird man sich dazu entschließen müssen. Eigenthümliche Verhältnisse zeigen in obiger Zusammenstellung die Glocken V, VI und VII. Bei VI ist nämlich die Differenz der Pendellängen genau gleich dem Abstände der Drehpunkte und bei V und VII sogar beträchtlich größer. Von diesen Glocken wurde mir aber auch gesagt, daß denselben beim Läuten immer ein kräftiger Ruck gegeben werden müsse, um den Klöppel zum Anschlagen zu bringen. Bei ruhig schwingender Bewegung der Glocke würde dies in der That nicht möglich sein. Es ist begreiflich, daß bei kleinern Glocken, auch wenn sie solche Fehler haben, es doch immer möglich ist, durch ruckweise Bewegung den Klöppel an die Glocke zu schleudern; kann man sie nicht in ruhiger Weise läuten, so rüttelt man sie. Eine Glocke von der Größe derjenigen des Cölner Doms dagegen läßt sich nicht in dieser Weise behandeln. Wenn also, bei der Abwesenheit aller bestimmten Regeln, der Zufall es einmal so fügt, daß eine solche große Glocke in obiger Weise fehlerhaft wird, so kommt die reine Praxis in Verlegenheit und weiß sich nicht zu helfen. Für die praktische Anwendung lassen sich die Hauptresultate der vorstehenden Erörterungen in folgende beiden Regeln zusammenfassen: 1 Man hänge die Glocke so auf, daß ihre Pendellänge möglichst klein wird. Selbst der kleinste Werth, welchen sie erreichen kann, wird nie zu klein sein. 2 Man gebe dem Klöppel eine solche Pendellänge, daß der Schwingungspunkt in gleicher Höhe mit dem Anschlagepunkte liegt. Hierdurch wird eine untadelhafte Stoßwirkung und zugleich die mit dieser vereinbare größtmögliche Leichtigkeit des Läutens erreicht. Ein wirkliches Arbeiten nach diesen Regeln erfordert übrigens einfache Formeln und Tafeln, welche in jedem besondern Falle die Dimensionen der einzelnen Constructionstheile liefern. Solche Formeln und Tafeln gedenke ich aufzustellen und später zu publiciren. Düren, Ende Februar 1876.