Titel: Beitrag zur Technologie des Chlorkalkes; von Dr. Ferdinand Hurter in Widnes, Lancashire, England.
Autor: Ferdinand Hurter
Fundstelle: Band 223, Jahrgang 1877, S. 417
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Beitrag zur Technologie des Chlorkalkes; von Dr. Ferdinand Hurter in Widnes, Lancashire, England. Hurten, zur Technologie des Chlorkalkes. Die Bereitung des Chlorkalkes zerfällt in zwei große Operationen: Die Darstellung des Chlorgases und die Absorption desselben durch das Kalkhydrat. Mit der letztern Operation will die folgende Abhandlung sich hauptsächlich beschäftigen. Wir werden dabei beachten können: I) Den Verlauf der Absorption des Chlorgases, als von der Zeit, der Concentration des Chlorgases und der Dicke und Ausdehnung der Kalkschichte abhängig, und II) die störenden Einflüsse der dem Chlore beigemengten Gase, Kohlensäure, Salzsäure, Wasserdampf, und den Einfluß der bei der Absorption sich entbindenden Wärme. Ehe wir zum Gegenstand selbst übergehen, möchte ich noch zufügen, daß sämmtliche Versuche zur Beantwortung gewisser Fragen, welche mit Deacon's Proceß in innigem Zusammenhange stehen, gemacht worden sind, und das Folgende hauptsächlich auf die Bereitung von Chlorkalk mit durch Luft verdünntem Chlor sich bezieht. I) Der Verlauf der Absorption des Chlorgases durch Kalkhydrat. Jeder, der sich über den Deacon'schen Proceß zur Darstellung von Chlorgas informirt hat, weiß, daß zur Absorption von so erzeugtem Gase Kammern verwendet werden, welche dem Gase eine sehr große absorbirende Oberfläche von Kalk darbieten, und daß der Kalk auf diese Oberfläche in nur sehr geringer Dicke aufgestreut wird. Bei der ältern Methode der Darstellung des Chlorkalkes wird, nachdem der Kalk schon nahezu 30 Proc. Chlor enthält, derselbe aufgelockert, wie man sagt: gekehrt. Diese Arbeit würde bei der ungeheuren Ausdehnung der Schichte und ihrer geringen Dicke bei Deacon's Kammern sehr theuer zu stehen kommen, und es fragte sich also: Wie kann man diese Arbeit ganz vermeiden? Natürlich lautet die Antwort: Dadurch daß man die Kalkschichte so dünn wählt, daß in nicht allzu langer Zeit die ganze Schichte durchdrungen wird. Um nun das Maximum dieser Schichthöhe zu bestimmen, mußte man entweder kostspielige Versuche an Apparaten von größerm Maßstabe machen, oder aber man konnte im Kleinen (durch Laboratoriumsversuche) die Gesetze der Absorption studiren und daraus die Dimensionen der Apparate für den Großbetrieb bestimmen. Man that beides. Jeder, der es versucht hat, von Laboratoriumsresultaten auf die Dimensionen von Apparaten für den Fabrikbetrieb zu schließen, wird wissen, wie sehr man sich bei solchen, sogar mit großer Vorsicht gezogenen Schlüssen täuschen kann. Daß es aber unter Umständen gelingt, recht annähernd die Größe von Apparaten aus kleinern Versuchen zu bestimmen mag folgende Arbeit andeuten. a) Einfluß derOberflächeOberfächeund Schichthöhe des Kalkes. Um zunächst zu erfahren, welchen Einfluß die Dicke einer Kalkschichte auf die Schnelligkeit der Absorption von Chlorgas ausüben kann, wurde ein großer, etwa 20l fassender Glascylinder mit Chlorgas gefüllt und in demselben zwei Glasschalen, deren Durchmesser sich zu einander verhielten wie 7,5 : 4,9 so aufgehängt, daß sie ganz nahe am Boden des Cylinders schwebten. Ueber dem Cylinder war eine Wage aufgestellt derart, daß man abwechselnd bald die eine, bald die andere Schale, ohne diese aus dem Chlorgas zu entfernen, wägen konnte. Hierzu konnte natürlich wegen der schädlichen Einwirkung des Chlorgases keine feine Wage gewählt werden. Nachdem man erst einige Vorversuche gemacht hatte, um über die allernöthigsten Verhältnisse Aufschluß zu erhalten, wurde zu den eigentlichen Versuchen geschritten, deren Resultate nachstehend mitgetheilt sind. In dem eben beschriebenen Apparat wurden die beiden Schalen a und b, jede mit 20g Kalkhydrat (so wie es in der Fabrik verwendet wird) chargirt, der Einwirkung des Chlorgases ausgesetzt. Jede 5 Minuten wurde eine dieser Schalen an die Wage gehängt und die Gewichtzunnahme bestimmt. Dies war natürlich nicht sehr genau möglich, einestheils, weil das Gewicht namentlich anfangs sehr rasch sich änderte, und anderseits, weil der Wagebalken, wie erwähnt, große Genauigkeit nicht zuließ. Der Versuch dauerte 60 Minuten. Nach beendigter Absorption wurde die Totalzunahme und die absorbirte Quantität Chlor noch bestimmt. Genau dieselben Maßregeln wurden auch bei allen weitern Versuchen getroffen. Die Schalen a und b waren immer dieselben, und sie wurden immer mit 20g Kalkhydrat chargirt. Schale a hatte 7cm,44 Durchmesser, Schale b 4cm,88. Die Oberflächen verhielten sich wie 2,32 : 1 und natürlich die Schichthöhe umgekehrt, nämlich wie 1 : 2,32. Die Tabelle I gibt die Resultate dieses Versuches in übersichtlicher Form. Tabelle I. Absorption von Chlorgas. Schale a. Schale b. Zeit. Total-gewicht. Gewichts-zunahme. Differenz. Total-gewicht. Gewichts-zunahme. Differenz. Min. g g g g g g   0 43,6 48,5   5 46,2 2,6 2,6 10 50,3 1,8 1,8 15 48,8 5,2 2,6 20 51,0 2,5 0,7 25 50,2 6,6 1,4 30 51,6 3,1 0,6 35 51,2 7,6 1,0 40 52,0 3,5 0,4 45 52,0 8,4 0,8 50 52,3 3,8 0,3 55 52,6 9,0 0,6 60 52,9 9,3 0,3 52,6 4,1 0,3 Der Versuch zeigt, 1) daß das Chlorgas mit rasch abnehmender Geschwindigkeit absorbirt wird, 2) daß die in gleichen Zeiten absorbirten Quantitäten Chlor sich zu einander verhalten wie die Oberflächen der betreffenden Schalen. Es ist nämlich 9,3 : 4,1 = 2,37 : 1, also fast genau dasselbe Verhältniß wie bei den Oberflächen. Daraus schließen wir, daß die Schichthöhe des Kalkes auf die Absorption keinen Einfluß habe, sondern daß das Chlorgas in gleichen Zeiten einfach bis zur selben Tiefe eindringe. Ich könnte noch weitere ähnliche Versuche hier anführen, die Sache ist aber so selbstverständlich (nachdem sie bewiesen), daß ich es unterlasse, den Beweis durch weitere Versuche noch zu unterstützen. Von der Totalabsorption des Chlorgases wollen wir aber später eine wichtige Anwendung machen, und weil in diesem Versuche das Chlorgas nicht vollständig concentrirtes war, so führe ich noch die Resultate zweier weiteren Versuche an, um die in der Stunde stattfindende Totalabsorption von Chlorgas im concentrirtesten Zustande zu bestimmen. Dabei wenden wir aber nicht die Schalen a und b an, sondern zwei Schalen vom Durchmesser 7cm,88 bezieh. 7cm,32, die Schalen a und c. Um zu wissen, ob das Befeuchten des Kalkhydrates auf die Totalabsorption einen wichtigen Einfluß habe, setzen wir der Schale a noch 6 Proc. Wasser zu. Die folgende Tabelle II gibt die Resultate dieser beiden Versuche. Tabelle II. Absorption von Chlorgas. Schale a mit 6 Proc. Wasser. Schale b ohne Wasser. Zeit. Total-gewicht. Gewichts-zunahme. Differenz. Total-gewicht. Gewichts-zunahme. Differenz. Min. g g g g g g   0 45,1 50,9   5 48,6 3,5 3,5 10 55,7 4,8 4,8 15 51,2 6,1 2,6 20 57,7 6,8 2,0 25 52,5 7,4 1,3 30 58,7 7,8 1,0 35 53,6 8,5 1,1 40 59,6 8,7 0,9 45 54,1 9,0 0,5 50 60,3 9,4 0,7 55 54,6 9,5 0,5 60 60,6 9,7 0,3 Ein Blick auf diese Tabelle zeigt, daß kleine Schwankungen in der Feuchtigkeit des Kalkhydrates wohl auf die Absorptionsgeschwindigkeit von nur untergeordnetem Einfluß sind. Wie wir später sehen werden, macht sich dieser Einfluß namentlich in den spätern Perioden geltend, anfangs gar nicht. Das zu diesem Versuch verwendete Chlorgas war frisch bereitet und so concentrirt wie möglich. Der Glascylinder, der es enthielt, war während des Versuches geschlossen. Sein Deckel von Blei hatte nur zwei kleine Durchbohrungen, durch welche die Platindrähte geführt wurden, an denen die Schalen hingen. Da auch die Totalabsorption in den beiden Schalen, wenn man deren Oberflächen berücksichtigt, ziemlich dieselben sind, so werden wir diesen Versuch als den mit reinem Chlorgase ausgeführten betrachten, wenn auch Spuren von Luft nicht ganz vermeidlich waren. b) Theorie des Verlaufs der Absorption. Außer der absoluten Absorption sollen aber diese Versuche namentlich auch über die Abhängigkeit der Absorptionsgeschwindigkeit von der Zeit uns belehren; grade dieser Punkt ist in den Rechnungen über Chlorkalkkammern von der größten Bedeutung, da von dieser Function der Zeit die Productionsfähigkeit des Apparates abhängt. Um uns viel Mühe zu ersparen, könnten wir einfach es versuchen, eine Reihe zu finden, welche die Resultate der Versuche repräsentirt. Man könnte also, mit Q die zur Zeit t absorbirte Quantität Chlor bezeichnend, folgendermaßen die Abhängigkeit beider Größen ausdrücken: Q = α + βt + γt² + . . . . und dann die nöthigen Constanten berechnen. Allein das Verfahren gibt uns dann auch nicht den mindesten Aufschluß über die Bedeutung dieser Constanten, und man könnte eine so gefundene Formel nicht allen Umständen anpassen, also auch nicht zur Rechnung gebrauchen. Wir müssen uns deshalb von dem bei der Absorption vorgehenden Processe Rechenschaft ablegen. Folgendes ist nun meiner Ansicht nach der Vorgang: Der Kalk als sehr feines und poröses lockeres Pulver, dessen specifisches Gewicht (Luft mit eingerechnet) nur 0,5 beträgt, kann vom Chlor nur langsam durchdrungen werden, weil die eingeschlossene Luft nicht stürmisch entweichen kann. Es bildet sich ein langsamer Strom (durch das Verschwinden der Chlormolecüle im Innern), welcher um so langsamer wird, je tiefer das Chlor einzudringen hat. Es handelt sich also zunächst darum, die Gesetze kennen zu lernen, welche das Durchströmen eines Gases durch den Kalk, oder eine ihm ähnliche Masse, reguliren. Zu diesem Zweck unternahm ich eine Reihe von Versuchen, nicht mit Kalk, aber mit sehr feinem Sand. Ich füllte eine Glasröhre, deren eines Ende durch ein sehr feines Drahtnetz verschlossen war, nach und nach mit Sand an und zog einen Luftstrom mittels eines Aspirators hindurch. Ich bestimmte die in der Zeiteinheit durchgehende Quantität Luft, ebenso den Druck, welchen diese Geschwindigkeit bedingte. Die Luft wurde, weil die dabei angewendeten Drücke nur sehr kleine waren, einfach der aus dem Aspirator ausgeflossenen Quantität Wasser gleichgesetzt. Der zugehörige Druck wurde an einem mit Aether gefüllten ManometerDerselbe soll später beschrieben werden. abgelesen. In folgender Tabelle III gibt L die Schichthöhe in engl. Zollen, T die Zeit in Secunden, Q die Quantität. Tabelle III. Versuche über das Durchströmen von Luft durch Sandschichten. L T Q P V P/V P/(VL) Schicht-höhe. Zeit.Secunden. Ausgefl.Wasser. Druck.Aether. RelativeGeschw. 1 190 51000 2,055 268 0,0078 0,0078 1   60   3900 0,450   65 0,0070 0,0070 2   87   4150 0,750     47,7 0,0157 0,0078 3   90   3900 1,055     43,3 0,0243 0,0081 4   90   5500 2,010     60,1 0,0326 0,0081 4   70   4050 1,910     57,8 0,0330 0,0082 5   60   3500 2,320     58,2 0,0400 0,0080 Luft in englischen Granen (15,4 = 1cc), P den beobachteten Druck in Zollen Aethersäule, V die relative Geschwindigkeit, P/V das Verhältniß des Druckes zur Geschwindigkeit und P/(VL) das Verhältniß des Druckes zum Product aus der Geschwindigkeit in die Schichthöhe des Sandes. Man sieht, daß das Verhältniß P/(VL) eine Constante ist, oder mit andern Worten: Wenn ein Gas durch eine solche Masse wie feinen Sand etc. durchströmt, so ist die Geschwindigkeit direct proportional dem Drucke und umgekehrt proportional der Schichthöhe. Das Gesetz weicht wesentlich ab von dem allgemeinen Gesetz für die Bewegung der Gase, und von den von Girard Memoires de l'Académie de l'Institut de France, t. v. aufgestellten Regeln für capillare Röhren. Kehren wir nun zu unserer eigentlichen Aufgabe zurück, die Absorption als Function der Zeit auszudrücken. Nach den neueren Theorien über den gasförmigen Zustand muß die momentane Absorption nothwendig proportional sein der Quantität Chlor, welche in der Volumeinheit enthalten ist, oder, wie man sich auch ausdrücken kann, proportional der Spannung oder Tension des Chlorgases. In Folge der Absorption nimmt diese Tension im Innern der absorbirenden Kalkschichte allmälig ab. Hiedurch wird ein theilweises Vacuum erzeugt. Nennt man P den Partialdruck oder die Spannung des Chlorgases außerhalb des Kalkes, und Px den in der um die Größe x von der Oberfläche entfernten Schichte Kalk stattfindenden Partialdruck desselben Gases, so ist die Druckdifferenz PPx die Ursache eines langsamen Stromes, welcher der Schichte in der kleinen Zeit dt die kleine Menge dQ frischen Chlores zuführt. Das Verhältniß dQ/dt stellt uns die Geschwindigkeit des Stromes vor. Wir setzen dieselbe obiger Erfahrung gemäß direct proportional der Druckdifferenz PPx und umgekehrt proportional der Schichthöhe x, also dQ/dt = α (PP x)/x,       (1) wo α eine von den obwaltenden Umständen abhängige Constante bedeutet. Bei der Fabrikation des Chlorkalkes hat man oft Gelegenheit, zu beobachten, daß das Chlorgas nicht sehr tief eindringt, sondern ganz allmälig die Schichte in Chlorkalk umwandelt – derart, daß man oben fertigen Chlorkalk hat, während unten noch fast frischer Kalk sich befindet. Es ist also bei der Absorption nur eine dünne Schichte thätig. Im obern Theile der Schichte, da wo fertiger Chlorkalk sich befindet, ist die Absorptionsfähigkeit schon ganz erloschen; bis zum untersten Theil gelangt kein Chlor. Denkt man sich eine dünne Schichte von Kalk, welche im Ganzen die Quantität q von Chlorgas absorbiren könnte, aber nur die Quantität qx enthält, so kann deren Absorptionsfähigkeit gemessen werden durch den Bruch (qqx)/q,       (2) multiplicirt mit einer Constanten γ, welche abhängt vom Verhältniß des ganzen Volums der Schichte zu dem Volum, welches der Kalk wirklich einnimmt. Der obige Bruch entspricht der Procentmenge von Chlor, welche überhaupt noch absorbirt werden kann, und von dieser muß offenbar das Absorptionsvermögen abhängen und ihr proportional sein. Eine sehr ausführliche Besprechung dieser Sache würde hier zu weit führen und gehört in eine folgende Abhandlung. Die ganze an der Absorption Theil nehmende Schichte besteht nun aus unendlich vielen dünnen Lagen von Kalk, in welchen alle möglichen Grade der Sättigung vorkommen, vom vollgrädigen Chlorkalk bis zum reinen Kalkhydrat. Das durchschnittliche Absorptionsvermögen dieser Schicht beträgt aber, wenn man obige Bezeichnung fest hält, ungefähr 0,5 γ.Genau läßt sich dies ohne ganz bestimmte Einsicht in die Constitution des Chlorkalkes nicht angeben. Bezeichneten wir nun dieses Absorptionsvermögen irgend einer Schichte mit γ (qq x)/q, so ist dasjenige des frischen Kalkes, für welchen eben q x = 0 ist, einfach γ und damit ist dieser Constanten eine ganz bestimmte Bedeutung gegeben. Es folgt nun aus dieser Betrachtung, daß die Absorptionsfähigkeit der ganzen absorbirenden Schichte, wenn sie mit schon fertigem Chlorkalk bedeckt ist, nur ungefähr halb so groß ist als diejenige des frischen Kalkes. Beim Beginn der Operation wird also die momentane Absorption sehr rasch verlaufen, bis eine Schichte fertigen Chlorkalkes vorhanden ist; dann fällt das Absorptionsvermögen auf ungefähr die Hälfte und bleibt constant, bis das Chlor die letzte Kalkschichte trifft, von welchem Zeitpunkt an das Absorptionsvermögen langsam abnimmt und endlich, wenn sämmtlicher Kalk mit Chlor so weit als möglich gesättigt ist, gänzlich verschwindet. Man kann also im Verlauf der Absorption drei Perioden unterscheiden: Die erste Periode, während welcher die Absorptionsfähigkeit von γ auf ungefähr 0,5 γ reducirt, die zweite, während welcher sie constant bleibt, und eine dritte, während welcher sie allmälig verschwindet Da die mittlere Periode ungleich die längste ist, so lassen wir die beiden andern, welche uns nur zu complicirten Verhältnissen führen würden, außer Acht und wenden uns zur genauen Betrachtung dieser für praktische Zwecke wichtigsten mittlern Periode. Nach schon vorausgesagtem ist die momentane Geschwindigkeit des Chlorstromes dQ/dt = α (PP x)/x, und wir haben ebenfalls angenommen, daß das Chlorgas nicht weiter als auf eine gewisse Tiefe auf einmal eindringt. Es gibt also immer eine Schichte (wenigstens während der betrachteten Periode), in welcher der Partialdruck P x = 0 ist, weshalb wir statt der Differenz PP x ganz einfach P setzen. Die Schichthöhe x rechnen wir von der Oberfläche an bis zu dem Punkte, wo der Strom anfängt, durch Absorption sich zu vermindern, also bis zum obersten Punkte der absorbirenden Schichte. Hat nun eine gewisse Schichte Kalk schon die Quantität Q x Chlorgas absorbirt, nachdem die Zeit t verflossen, und enthält die absorbirende Schichte selbst die Quantität Chlor Q₀, so ist die Schichthöhe proportional der Differenz Q xQ₀. Die letztere Quantität Q₀ ist nun aber auch genau gleich der während der von uns besprochenen ersten Periode absorbirten Quantität Chlorgas; denn die erste Periode schließt, sobald diese Schichte sich constituirt hat. Wir können also jetzt schreiben: dQ/dt = cP/(QQ₀)       (3) Diese Gleichung muß integrirt werden 1) in Bezug auf Zeit, zwischen den Grenzen t₀ und t, wo t₀ die zum Beschluß der ersten Periode nöthige Zeit vorstellt; 2) in Bezug auf die Quantität Q zwischen den Grenzen Q₀ und Q. Man erhält natürlich, wenn c = 2 c₀ gesetzt wird: (QQ₀)2 = cP (tt₀),       (4) oder auch Textabbildung Bd. 223, S. 424 Hierin bedeutet nun c eine vom Apparat und sonstigen Umständen abhängige Größe. Die hier vorgetragene Theorie ist in manchen Punkten etwas unklar geblieben, was ich nicht vermeiden konnte, wenn ich mich nicht allzu weit von meinem eigentlichen Zwecke entfernen wollte. Sie gibt uns aber die Mittel, die gefundene Formel sofort verschiedenen Umständen anzupassen, weshalb ich sie – als kurz und zur Rechnung gut geeignet – der empyrischen Regel und dem Gesetze vorzog, welches auch die erste und letzte Periode mit einschließt, aber wegen darin vorkommender Exponentialgrößen zur Rechnung nicht geeignet ist. Es ist natürlich leicht, die Formel unsern verschiedenen Schalen a und b anzupassen, weil, wie wir wissen, die in einer gewissen Zeit absorbirte Quantität Chlor einfach der Oberfläche proportional ist. Man setze nun: Textabbildung Bd. 223, S. 425 so bedeuten jetzt A die Oberfläche der Kalkschichte, Q₀ die von der Flächeneinheit während der ersten Periode absorbirte Menge Chlor. Schreitet man nun zum Vergleich der Resultate der Theorie mit den durch die bisher angeführten Versuche erhaltenen Zahlen und berechnet aus drei Versuchen die Constanten Q₀, c und t₀. Für die mit Schale a erhaltene erste Versuchsreihe nahm ich die nach 25, 35 und 45 Minuten erhaltenen Zahlen; ich wählte diese, damit ich weder in die erste, noch in die letzte Periode der Absorption greife und doch weit von einander abstehende Versuche hatte. Hat man diese Constanten gefunden, was so leicht ist, daß ich es hier nur andeuten will, so läßt sich dann für jede bestimmte Zeit das bis dahin absorbirte Chlor berechnen, und zwar sowohl für Schale a als auch für Schale b. Nennt man die in drei Versuchen erhaltenen Zahlen beziehungsweise Q₁, Q₂, Q₃ und t₁, t₂, t₃, so ergibt sich aus drei Gleichungen von der Form Textabbildung Bd. 223, S. 425 Führt man diese Rechnungen mit den Werthen Q₃ = 9,0, Q₂ = 7,6, Q₁ = 5,2 und t₃ = 55, t₂ = 35, t₁ = 15 aus, so erhält man folgende Formel für Schale a: Textabbildung Bd. 223, S. 425 Für Schale b ergibt sich einfach der kleinern Oberfläche entsprechend: Textabbildung Bd. 223, S. 425 Um dieselben Constanten auch noch für die andern zwei Versuche zu benutzen, nahm ich an, wie die Umstände es verlangten, daß das Chlorgas beim zweiten Versuch sehr viel concentrirter war als beim ersten. Die Gase waren nicht analysirt worden, somit konnte ich nur aus dem Verlaufe der Reaction selbst auf deren Zusammensetzung schließen. Ich wußte blos, daß das beim zweiten Versuche benutzte Chlorgas ganz frisch bereitet war und mit Sorgfalt vor Diffusion bewahrt wurde. Nun haben wir schon früher gesagt, daß nach den neuesten Ansichten über die Constitution der Gase die Absorption dem Partialdruck des Chlores proportional sein muß, und zwar namentlich während der ersten Minuten. Es absorbirte Schale a im ersten Versuch 2g,6, im zweiten 3g,5 Chlor während der ersten 5 Minuten. Das Verhältniß beider Zahlen ist 0,743. War also die Absorption während dieser Zeit der Tension proportional, so mußte der Partialdruck des Chlores im ersten Versuch = 0,743 gesetzt werden, wenn er im letzten Versuch = 1 war. Nun wissen wir, daß die Constante c der Tension proportional ist. Um also aus der für den ersten Versuch gefundenen Constanten diejenige für den zweiten zu berechnen, braucht man jene nur durch 0,743 zu dividiren. Man erhält so 0,86 als die im zweiten Versuch zu verwendende Constante. – Die Constante Q₀ bleibt sich gleich für beide Versuche; denn man kann die Tiefe der absorbirenden Schichte nicht als veränderlich betrachten. Dagegen wird bei concentrirterm Gas weniger Zeit zu ihrer Bildung erforderlich sein und zwar um so weniger, je concentrirter das Gas ist. Multiplicirt man den für den ersten Versuch gefundenen Werth der Constanten t₀ mit 0,743, so wird sich der für dieselbe Größe im zweiten Versuch geltende Werth ergeben. Auf diese Weise findet man für Schale a im zweiten Versuch: Textabbildung Bd. 223, S. 426 Die Schale c hatte 7cm,32 Durchmesser, während Schale a 7cm,44 maß. Multiplicirt man obige Formel mit dem Verhältniß der beiden Flächen, so erhält man die für Schale c giltige Formel: Textabbildung Bd. 223, S. 426 Mit diesen Formeln sind die unter der mit „Berechnet“ überschriebenen Rubrik folgender Tabelle IV erhalten worden. Bedenkt man die geringe Genauigkeit der Versuche und die approximative Natur der Theorie, so hat man Ursache über die Uebereinstimmung der Zahlen sich zu wundern. Die Endresultate des zweiten Versuches weichen am meisten von der Theorie ab. Bei Schale a muß man nicht vergessen, daß 6 Proc. Wasser zugesetzt werden. Wir werden später sehen, wie langsam die Absorption von Kohlensäure vor sich geht, und wie das dabei ausgeschiedene Wasser wohl die Ursache davon ist; wir schieben deshalb die große Abweichung der Endresultate auf das Wasser. Tabelle IV. Vergleich der Versuchsresultate mit der Theorie. 1. Versuch 2. Versuch Zeit.Min. Schale a. Schale b. Schale a. Schale c. Gefunden. Berechnet. Gefunden. Berechnet. Gefunden. Berechnet. Gefunden. Berechnet.   5   2,6 ? 3,5 ? 10 1,8 ? 4,8 4,75 15 * 5,2 5,19 6,1 6,07 20 2,5 2,60 6,8 6,64 25   6,6 6,65 7,4 7,48 30 3,1 3,08 7,8 7,77 35 * 7,6 7,60 8,5 8,49 40 3,5 3,44 8,7 8,65 45   8,4 8,34 9,0 9,32 50 3,8 3,74 9,4 9,40 55 * 9,0 9,00 9,5 10,0 60   9,3 9,29 4,1 4,00 9,7 10,05 * Diese Zahlen dienten zur Berechnung der Constanten. Bei Schale c war der Kalk schon so weit gesättigt, daß die letzte Wägung wohl schon in die von uns besprochene dritte Periode fällt. Wie dem auch sei, die Zahlen, welche auch mit noch andern Versuchen recht gut stimmten, waren mir anscheinlich gut genug, um dieselben zur Berechnung einer Chlorkalkkammer für eine wöchentliche Production von 25t Chlorkalk zu verwenden. Und nach sechsjähriger Erfahrung kann ich sagen, daß hier die Praxis mit der Theorie gestimmt hat. In andern Fällen ist es mir bei ähnlichen Berechnungen nicht ebenso gegangen. Ich lasse also hier die Art, wie diese Versuche zur Berechnung verwendet werden, folgen. (Fortsetzung folgt.)