Titel: Einige beachtenswerte Faserstoffe; von J. Moeller.
Autor: J. Moeller
Fundstelle: Band 231, Jahrgang 1879, S. 464
Download: XML
Einige beachtenswerte Faserstoffe; von J. Moeller. Moeller, über einige beachtenswerte Faserstoffe Wenn man das reiche Material an Fasern betrachtete, welches die letzte Pariser Ausstellung bot – sie war darin wenig von ihren Vorgängerinnen verschieden – so muſste man sich an die betrübende Thatsache gemahnt fühlen, daſs die Bestrebungen, den Kreis der nutzbaren Fasern zu erweitern, von kläglichem Erfolge begleitet waren. In den letzten Decennien allein sind wir mit Hunderten von Repräsentanten dieses Rohstoffes bekannt geworden, viele derselben sind untersucht, die meisten von den Theoretikern von vornherein verworfen, einige auch praktisch geprüft worden und nur einen, der in Indien schon seit alter Zeit in ausgedehntem Maſse benutzt wird, die Jute, hat sich die europäische Groſsindustrie dienstbar gemacht; denn Ramie, Sunn, Gambo u.a. können doch nur als Lückenbüſser gelten. Diese Erfahrung scheint entmuthigend genug, und doch hat man offenbar die Hoffnung nicht aufgegeben, aus dem geradezu unerschöpflichen Vorrathe von Fasern, welcher in der Pflanzendecke des Erdballs angehäuft ist, einige ausfindig zu machen, die den Kampf mit den Erbgesessenen erfolgreich aufzunehmen vermöchten. Ich wage nicht zu behaupten, daſs die in folgendem angeführten die Fähigkeit dazu besitzen; auch muſs ich es ablehnen, für ihren Entdecker gehalten zu werden. Aber gerade weil sie schon wiederholt auf Ausstellungen vertreten waren und nicht beachtet oder zum mindesten nicht untersucht wurden, sie aber vorzügliche Eigenschaften besitzen, so weit sich vom Mikroskopirtische aussagen läſst, möchte ich sie der Aufmerksamkeit der Interessenten empfehlen. Lagetta funifera. Von dieser unserem Seidelbast verwandten Pflanze hatte die französische Colonie Guadeloupe Stengel, Rinde und die roh abgeschiedene Faser gebracht. Der etwa 1cm dicke, stielrunde Stengel ist von einer nur 0mm,3 dicken, auſsen hellbraunen, innen gelblich weiſsen Rinde bedeckt. Der Kork ist längsfaltig geschrumpft und trägt kleine quergestellte Lenticellen; die Innenfläche der Rinde ist zart gestreift, glänzt und fühlt sich an wie Seide. Einige Zellen der Mittelrinde führen groſse Einzelkrystalle; in der Innenrinde bilden die Bastfasern, als das quantitativ vorherrschende Element, unregelmäſsige Gruppen zwischen den breitzelligen Markstrahlen und werden nur von wenigen weitlichtigen Parenchymzellen und noch spärlicheren Siebröhren unterbrochen. Die Fasern sind hellfarbig und lassen trotz ihrer augenscheinlich primitiven Gewinnungsweise ihre Feinheit und Geschmeidigkeit erkennen. Unter dem Mikroskope sieht man, daſs die meisten Bündel in ihre Elemente zerlegt sind. Die Bastfasern sind 0,03 bis 0mm,06 breit und verhältniſsmäſsig schwach (0mm,01) verdickt. Sie sind auſserordentlich lang, oft spiralig gedreht und fein zugespitzt. Ich habe einzelne Fasern 65mm weit verfolgt und sie an einem Ende abgerissen gefunden. Die Reactionen auf Holzstoff treten in kaum merklichem Grade auf, dagegen jene auf Zellstoff exact. Durch Kupferoxydammoniak werden sie heftiger angegriffen als jede andere bekannte Bastfaser. Fast augenblicklich quellen sie bis auf die fünffache Breite; dabei erweitert sich das Lumen und die streifige Wand wird in dasselbe wulstig vorgetrieben. Die ausgezeichneten Eigenschaften dieser Faser sind so augenfällig, ihre Isolirung gelingt so mühelos, daſs man sich billig wundern darf, daſs ihre technische Ausbeutung nicht weiter gediehen ist, als bis zur Herstellung kleiner Gegenstände der Kunstindustrie. Man könnte vermuthen, daſs sie in gröſseren Mengen nicht beschafft werden kann, wenn nicht berichtet würde, daſs sie auch zur Papierfabrikation verwendet wird. Pipturus argenteus. Mit „Roa“ bezeichnet man auf Tahiti mehrere Pipturusarten, welche auf den Inseln des groſsen Ocean in groſser Menge wild wachsen und aus deren Fasern man Seilerwaaren und Luxusgegenstände verfertigt. Nahe Verwandte dieser nesselartigen Pflanze liefern das Chinagras und die Ramiefaser. Es waren Muster von verschiedenen Stadien der Aufbereitung ausgestellt, welche Zeugniſs gaben von der Leichtigkeit, mit der dieser Rohstoff als feine spinnbare Faser hergestellt werden kann. Einige Millimeter breite, papierdünne, bandartige Streifen bestehen fast ausschlieſslich aus Bastfasern in natürlichem Verbände, denen nur spärliche Reste parenchymatischen Gewebes anhaften. Diese Bänder sind offenbar nicht das Product eines einfachen Röstprocesses, sondern sie sind schon einer Hechelung unterworfen, wahrscheinlich zwischen Schneiden durchgezogen worden, weniger zu dem Zwecke, um die Fasern zu isoliren, als um die schon in natürlichem Zustande bandartig gelagerten Bastbündel vom Weichbaste zu trennen. Es ist dies in höchst vollkommener Weise gelungen. Schon auf dieser Stufe der Aufbereitung besitzt die Faser Farbe und Glanz der besten Flachssorten und ist ein zweckmäſsiges Material für Flecht- und Tauwerk, wo die Steifheit derselben nicht hinderlich ist. Weiters kommt die Faser als blendend weiſses Werg und in äsbestartig glänzenden Strähnen vor. In dem letzteren Zustande kann mit ihr in Farbe, Glanz und Feinheit nur Seide concurriren, der sie aber an Geschmeidigkeit weit nachsteht. Auch in feinst zertheiltem Zustande sind nicht alle Elemente isolirt; doch sind sie so innig mit einander verschmolzen, daſs nicht die Berührungsflächen, sondern die Lumina zur Unterscheidung der einzelnen Bastfasern führen. Diese haben eine mittlere Breite von 0mm,025, die Verdickung ist ungleich, bald vollständig, bald fällt mehr als ein Drittel der Breite auf das Lumen. Immer ist die Wand deutlich geschichtet, an vielen Stellen gebrochen oder geknickt wie Flachs. Ich habe Längen von 6cm gemessen und wahrscheinlich sind die meisten Fasern viel länger. Sie sind in sehr geringem Grade verholzt, werden durch schwefelsaures Anilin nicht gefärbt, in Kupferoxydammoniak quellen sie beträchtlich und ungleichmäſsig auf, Chlorzinkjod färbt sie rosenroth. Die Faser verdient die eingehendste Würdigung; denn verräth sie auch im feinsten Zustande dem Gefühle immer noch eine gewisse Sprödigkeit, so besitzt sie doch auch Eigenschaften, durch die sie alle bekannten Pflanzenfasern übertrifft. Artocarpus sp. Es ist bekannt, daſs der Bast der Brotfruchtbäume zu Seilerwaaren verarbeitet wird und den Eingebornen der Südsee-Inseln zur Bekleidung dient. Ein mehrere Quadratmeter groſser, gebrauchtem Flanell dem Aussehen nach sehr ähnlicher Stoff befand sich unter den Ausstellungsobjecten von Tahiti. Er war wahrscheinlich durch Rotten, Walken und Bleichen der Rinde hergestellt und besteht aus den in mehreren Schichten gelagerten, lose verfilzten Bastfasern, denen ziemlich viele Reste eines dünnwandigen Gewebes beigemischt sind. Die Bastfasern sind 0mm,018 breit, stark verdickt, glatt; ihre Länge ist schwer zu bestimmen, doch jedenfalls ansehnlich, da ich Fasern bis 8mm verfolgen konnte. Sie sind fast gar nicht verholzt, quellen in Cuoxam so rasch wie Baumwolle unter Blasenbildung und Schichtung der Wand. Da diese Bäume unter den Tropen sehr verbreitet sind, ihrer Früchte und des Holzes wegen auch cultivirt werden, so könnten sie groſse Mengen von Bast liefern, und man könnte wohl versuchen, ob die Faser nicht zu etwas mehr zu brauchen wäre, als die primitiven Bedürfnisse der Insulaner zu decken und höchstens hier und da zur Papierfabrikation mitgenommen zu werden. Tacca pinnatifida. Wenngleich die Sparterie an Rohstoffen keinen Mangel leidet, kann ich es mir doch nicht versagen, diese durch Feinheit, schöne Farbe und wohlthuenden Glanz ausgezeichneten Blätter, die auf Tahiti „Pia“ genannt werden, zu empfehlen. Die bandartigen, papierdünnen, seidenglänzenden, gelblichen, fast weiſsen Streifen sind über 1m lang und mehrere Centimeter breit: doch spalten sie sich leicht den parallelläufigen Blattnerven entlang. Da aber diese in Abständen von 2 bis 3mm verlaufen, so ist der Abspaltung eine Grenze gesetzt, innerhalb welcher der Gebrauchswerth des Flechtmaterials kaum beeinträchtigt wird. Die mikroskopische Untersuchung zeigt Lagen von dünnwandigen Parenchymzellen, welche die wetzsteinförmigen, kurzen und breiten, wenig verdickten Bastfasern begleiten. Diese sind stark verholzt, schwefelsaures Anilin färbt sie dottergelb. In trockenem Zustande sind die Bänder in hohem Grade elastisch, durchfeuchtet werden sie geschmeidig.