Titel: Pneumatische Uhren.
Fundstelle: Band 233, Jahrgang 1879, S. 256
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Pneumatische Uhren. Pneumatische Uhren. In der Abtheilung Oesterreich-Ungarn erregten die von dem Ingenieur C. A. Mayrhofer in Wien (*D. R. P. Nr. 773 vom 6. September 1877) erfundenen pneumatischen Uhren das allgemeine Interesse in um so höherem Grade, als man ein System in Betrieb sah, welches in Wien bereits auf gröſseren Strecken sich praktisch bewährt hatte. Die Einrichtung einer Centralstation umfaſst im Wesentlichen folgende Apparate: die Normaluhr, den Hochdruckcylinder oder den Hauptbehälter (in welchem die Luft bis zu einer Spannung von 4at verdichtet werden kann), den vom Hochdruckcylinder aus gespeisten Betriebskessel, den Nachfüllapparat und den Trockenkessel. Die Function der Normaluhr besteht darin, daſs sie in jeder Minute eine gewisse Menge verdichteter Luft aus dem Betriebskessel in das Röhrennetz einströmen läſst, in welches alle in Gang zu setzenden Uhren, die sogenannten Secundäruhren, eingeschaltet sind. Jede Secundäruhr besteht im Wesentlichen aus einem Zeigerwerk, welches von der Central Station aus dadurch in Gang erhalten wird, daſs die von Minute zu Minute in das Röhrennetz gesendete Luft in diesen Zeiträumen einen Druck auf den pilzartig aussehenden, aus Leder und Metallringen combinirten Kolben eines niedrigen, an der Uhr angebrachten Metallgehäuses ausübt. Ein Hebel überträgt diese kleine Bewegung mit Hilfe einer Sperrklinke auf ein Steigrad, schiebt dieses in jeder Minute um einen Zahn weiter und setzt dadurch das Zeigerwerk in Thätigkeit. Nach jeder dieser Bewegungen wird durch einen Dreiweghahn die Verbindung des Röhrennetzes mit dem Betriebskessel wieder abgesperrt und zugleich mit der äuſseren Luft hergestellt, so daſs nun kein Ueberdruck mehr in der Röhrenleitung vorhanden ist. In die Rohrleitung, welche den Hochdruckcylinder mit dem Betriebskessel verbindet, ist der Nachfüllapparat eingeschaltet, welcher den Luftzutritt dergestalt regulirt, daſs die Spannung im Betriebskessel stets 0at,5 beträgt. Dieser selbstthätige Speiseapparat besteht aus einem durch ein dünnes Seitenrohr mit dem Betriebskessel verbundenen eisernen Quecksilberbehälter und einem bis in die Nähe des Bodens desselben hinabreichenden Eisenrohr, in welchem das Quecksilber bis zu einer der Luftspannung im Betriebskessel entsprechenden Höhe steigt. Auf der Quecksilbersäule liegt ein eiserner Schwimmer, dessen verticale Spindel das Oeffnen und Schlieſsen des Durchlaſsventiles bewirkt. Wenn nämlich die Spannung im Betriebskessel in Folge des Luftverbrauches abnimmt, so sinkt die Quecksilbersäule und mit ihr der Schwimmer herab. Sobald nun diejenige Grenze erreicht ist, wo eine Nachfüllung nothwendig wird, so öffnet der herabsinkende Schwimmer das Nachfüllventil und die verdichtete Luft strömt in den Betriebskessel. Dadurch nimmt die Spannung in dem letzteren wieder zu und bewirkt das Steigen der Quecksilbersäule, deren Schwimmer, sobald der normale Stand erreicht ist, die Hochdruckleitung abschlieſst. Zwischen dem Nachfüllapparat und dem Betriebskessel ist noch der mit Chlorcalcium gefüllte Trockenkessel eingeschaltet, worin die durchstreichende Luft ihre Feuchtigkeit abgibt, um vollkommen trocken in das Röhrnetz zu gelangen. Die Normaluhr, deren Gang durch ein Secundenpendel regulirt wird, ist mit dem System so in Verbindung gebracht, daſs sie sich auf pneumatischem Wege gewissermaſsen selbst aufzieht. Unterhalb derselben sind nämlich zwei Metallstiefel mit luftdicht schlieſsenden Kolben angeordnet, von welchen sich zwei Röhren nach der Straſsenleitung abzweigen. Auf diese Kolben nun übt der in das Röhrennetz abgegebene Luftdruck seinen Impuls aus. Die auf dem Kolben ruhenden Aufzugshebel werden dadurch gehoben und bewirken mittels Sperrklinken, welche auf Sperrräder wirken, das Aufziehen des Geh- und Laufwerkes. Sämmtliche Apparate der Centralstation sind für den Fall, daſs einer derselben dienstuntauglich oder reparaturbedürftig werden sollte, doppelt vorhanden und jeder derselben kann ohne Zeitverlust oder Betriebsstörung mit dem System in Verbindung gebracht oder ausgeschaltet werden. Dem Vernehmen nach soll es dem Erfinder gelungen sein, dem Einwurfe, daſs sämmtliche einem Stationsbezirke angehörigen Secundäruhren augenblicklich still stehen würden, wenn das Röhrennetz an irgend einer Stelle einen Bruch erleiden oder sonst schadhaft werden sollte, durch eine veränderte Construction der Secundäruhren zu begegnen. Danach würde jede derselben mit einem durch eine Feder getriebenen Werke ausgestattet, welches von der Centralstation aus auf pneumatischem Wege stets aufgezogen erhalten und im Falle einer solchen Störung 8 Tage oder noch länger selbstständig fortgehen würde. In Wien sind die pneumatischen Uhren seit dem 24. Februar 1877 in ununterbrochenem Betrieb und haben die am meisten ausgesetzten bei den gröſsten Schneestürmen nicht ein Mal den Dienst versagt. Am 15. Juni 1879 hat sich in Paris eine Gesellschaft gebildet behufs der Ausführung der pneumatischen Uhren in Paris und allen gröſseren Städten des Continentes und Amerikas.