Titel: Bedeutung der technischen Rohstofflehre (techn. Waarenkunde) als selbstständiger Disciplin und über deren Behandlung als Lehrgegenstand an techn. Hochschulen; von Dr. Julius Wiesner, o. ö. Prof. an der Wiener Universität.
Autor: Julius Wiesner [GND]
Fundstelle: Band 237, Jahrgang 1880, S. 319
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Bedeutung der technischen Rohstofflehre (techn. Waarenkunde) als selbstständiger Disciplin und über deren Behandlung als Lehrgegenstand an techn. Hochschulen; von Dr. Julius Wiesner, o. ö. Prof. an der Wiener Universität. Wiesner, über technische Rohstofflehre. Bei der im J. 1866 erfolgten Umgestaltung des Wiener polytechnischen Institutes zur Hochschule wurde in die Reihe der lehrplanmäſsigen Gegenstände der chemischen Fachschule auch die Waarenkunde aufgenommen, welche bis dahin wohl an commerziellen, nicht aber an technischen Schulen eine Vertretung gefunden hatte. Selbstverständlich wurde diese Neuerung nicht etwa deshalb eingeführt, um den so wohl vorbereiteten Studirenden der technischen Hochschule jenes bunte Gemisch von Naturgeschichte, Chemie, Technologie und verschiedenen kaufmännischen Details, wie es – zumeist in sehr oberflächlicher Weise vorgetragen – in den Büchern über „Waarenkunde“ vorliegt, zu bieten; offenbar lieſs man sich von der Absicht leiten, den Technikern in den projectirten Vorträgen jene auf naturwissenschaftlichen Grundlagen beruhenden, auf Waaren bezugnehmende Kenntnisse vorzuführen, welche für sie brauchbar sind, aber in den anderen Lehrfächern der technischen Hochschule unberücksichtigt gelassen werden. Man hatte also nicht jenen commerziellen Wissenszweig, der gewöhnlich mit dem Namen der allgemeinen Waarenkunde belegt wird, sondern eine wissenschaftlich begründete technische Waarenkunde vor Augen.Auf Antrag des Professorencollegiums wurde mir die ehrenvolle Aufgabe zu Theil, diese gröſstentheils wohl erst wissenschaftlich zu begründende, Jedenfalls aber erst zu organisirende Disciplin einzuführen. Ich war damals Privatdocent der physiologischen Botanik am polytechnischen Institute und hatte mehrfach schon den Versuch gemacht, die Methoden naturwissenschaftlicher Forschung, speciell die mikroskopischen, zur Lösung technischer Fragen – wie ich heute wohl sagen darf – nicht ohne Glück anzuwenden, und dieser Umstand ist wohl zur Veranlassung geworden, das Lehramt der technischen Waarenkunde in meine Hände zu legen.Nach reiflicher Ueberlegung wurde mir meine Aufgabe im Allgemeinen und mit dem Fortschreiten auf der eingeschlagenen Bahn immer mehr und mehr im Detail klar. Durch eine Reihe von Jahren strebte ich neben meinen rein wissenschaftlichen, der Anatomie und Physiologie der Pflanzen gewidmeten Arbeiten der Lösung des gestellten Problems nach. Ein groſser Theil meiner einschlägigen, den Aufbau der technischen Waarenkunde bezweckenden Untersuchungen habe ich der Oeffentlichkeit übergeben, das übrige in meinen Vorträgen verwerthet. Die Erwartungen, welche man in Betreff des neuen technischen Faches hegte, scheinen nicht ganz unerfüllt geblieben zu sein; denn bald folgte man dem Beispiele Wiens, indem man die technische Waarenkunde auch anderwärts einführte, und heute wird dieselbe an allen technischen Hochschulen Oesterreich-Ungarns als lehrplanmäſsiges Fach tradirt und ist sowohl Gegenstand der Staats-, als der Diplomsprüfung für Chemiker. In den nachfolgenden Blättern will ich versuchen, mich ausführlicher über die Bedeutung der technischen Waarenkunde und über ihre Behandlung als Lehrgegenstand an technischen Hochschulen auszusprechen. Was ich vorbringe, ist kein Project, sondern das Resultat einer 14jährigen Erfahrung als Lehrer und Arbeiter auf dem genannten Gebiete.Es sei mir verstattet, in Kürze die Veranlassung zur Veröffentlichung des vorliegenden Aufsatzes anzugeben.Ich habe das Lehramt der technischen Waarenkunde auf den Wunsch meiner Collegen an der technischen Hochschule noch weitergeführt, als ich (i. J. 1871) aus dem Verbände des Professorencollegiums jenes berühmten Instituts schied, da damals eine zweckmäſsige Neubesetzung der Lehrkanzel noch nicht zu gewärtigen war. Ich harrte, obwohl meine Stellung an der Universität, namentlich die Direction des pflanzenphysiologischen Instituts mich genügend in Anspruch nahm, so lange aus, bis eine passende Kraft für das bezeichnete Lehrfach in Aussicht stand. Da diese Zeit gekommen, so trete ich zurück. Und in diesem Zeitpunkte scheint es mir angezeigt, meine auf die Sache bezüglichen Erfahrungen an dieser Stelle zu veröffentlichen, um hierdurch vielleicht Anregung zu geben, daſs dieser Gegenstand als selbstständige Disciplin auch anderwärts, namentlich an den so ausgezeichneten technischen Hochschulen Deutschlands und der Schweiz, eingeführt werde.Auch komme ich durch Veröffentlichung dieser Zeilen zum – freilich nur sehr geringen – Theile einer oft an mich ergangenen Aufforderung nach, meine Vorträge über technische Waarenkunde durch den Druck allgemeiner bekannt zu machen. Was ich wissenschaftlich bearbeitete – es sind dies vornehmlich die Rohstoffe des Pflanzenreiches, welche wohl den ausgiebigsten Theil des Gegenstandes repräsentiren – das habe ich zum gröſsten Theile veröffentlicht und zwar in folgenden Werken: 1) Einleitung in die technische Mikroskopie. Wien 1867. – 2) Die technisch verwendeten Gummi-Arten, Harze und Balsame. Erlangen 1869. – 3) Mikroskopische Untersuchungen, ausgeführt im Laboratorium für technische Waarenkunde und Mikroskopie am k. k. polytechnischen Institute zu Wien. Stuttgart 1872. – 4) Die Rohstoffe des Pflanzenreiches. Versuch einer technischen Rohstofflehre des Pflanzenreiches. Leipzig 1873. Es ist deshalb einer neuerlichen Publication nicht werth, wenngleich ich manche Erweiterung und Verbesserung zu bieten vermöchte. Was ich über die technisch verwendeten Rohstoffe des Thierreiches vortrug, über welche Materie ich bisher nur sehr wenig im Drucke erscheinen lieſs, halte ich für zu unvollständig, als daſs ich mich gedrängt fühlen sollte, es zu veröffentlichen. So bleibt also nur die Einleitung in den Gegenstand über, in welcher ich mich stets über die Bedeutung und Behandlung der technischen Waarenkunde und in ausführlicher Weise über die Methode der Untersuchung auslieſs. Meine in den einleitenden Vorträgen ausgesprochenen Ideen will ich nun hier zunächst zum Ausdrucke bringen und so die Ziele der neuen Disciplin und ihre theils natürlichen, theils durch das Bedürfniſs aufgezwungenen künstlichen Grenzen bezeichnen. Daran anschlieſsend werde ich einiges über die praktischen Unterrichtserfolge mittheilen. Hin und wieder werde ich, bei Auswahl der nöthigen Beispiele, in den nachfolgenden Zeilen einige Daten bringen, die ich hier zum ersten Male veröffentliche. Indem man über die Aufgaben einer praktischen Disciplin nachdenkt, kommt man wohl bald zur Ueberzeugung, daſs man sich bei ihrer Präcisirung nicht von theoretischen Gesichtspunkten leiten lassen darf, sondern blos durch bestimmte Bedürfnisse der Praxis. Durch alle praktischen Wissenszweige, z.B. durch die praktische Geometrie, Technologie, Landwirthschaftslehre u. dgl., zieht als leitender Gedanke nicht etwa ein oder mehrere theoretische Sätze, sondern eine oder mehrere auf praktische Ziele lossteuernde Ideen; der Grundgedanke solcher Disciplinen ist also kein wissenschaftlicher, sie selbst deshalb auch keine Wissenschaften. Damit soll aber nicht gesagt sein, sie wären einer wissenschaftlichen Behandlung nicht fähig. Im Gegentheile, gerade dies macht ihr wahres Wesen aus, daſs sie rein praktische Probleme nach dem Principe und vor allem anderen nach der Methode der reinen Forschung lösen, und gerade hierdurch unterscheiden sie sich auf das Wesentlichste von jenen „Künsten“ im engern Sinne des Wortes, welche durch blose Empirie zum Können führen wollen. So ist es denn ganz klar, daſs auch die Waarenkunde, als technische Disciplin aufgefaſst, bei der Stellung ihrer Probleme sich von praktischen Bedürfnissen leiten lassen, daſs sie aber bei der Lösung derselben sich streng wissenschaftlicher Principien und Methoden bedienen muſs. Erfüllt sie aber diese ihre Aufgabe in der hier bezeichneten Weise, dann stellt sie sich ebenbürtig in die Reihe der anderen technischen Disciplinen. Von vorn herein schon ist klar, daſs die Aufgabe der technischen Waarenkunde in der auf Unterscheidung und Werthbestimmung loszielenden Prüfung aller technisch wichtigen oder technisch interessanten Waaren besteht. Zieht man den Kreis so weit als möglich, so fallen in ihren Bereich alle in der chemischen und mechanischen Industrie verwendeten Rohstoffe und alle aus diesen Industrien hervorgehende Fabrikate. Es scheint mir zweckmäſsig, zunächst bezüglich des einzubeziehenden Materials die mir passende Grenze zu ziehen und dann erst die Frage zu erörtern, welche Ziele bezüglich der Untersuchung des einzubeziehenden Stoffes hauptsächlich ins Auge gefaſst werden sollen. Es hat sich früher die allgemeine Waarenkunde mit der Prüfung und Unterscheidung der Waaren beschäftigt und namentlich die gründenden Arbeiten eines Beckmann, welcher ausgezeichnete Mann sowohl als der Begründer der Waarenkunde, wie der Technologie angesehen werden muſs, genügten allen Anforderungen, welche damals – am Ende des vorigen Jahrhunderts – billiger Weise an das Fach gestellt werden konnten. Die Waarenkunde kam aber alsbald wieder in Verfall und gerieth bis auf die neuere Zeit fortwährend auf Irrbahnen, da sie sich bezüglich des zu bewältigenden Stoffes gar keine Beschränkung auferlegte, sich mit der empirischen Prüfung der Waare begnügte und sich immer mehr und mehr zu einem blos für den Kaufmann berechneten Wissenszweig ausbildete. So entfremdete sie sich der streng wissenschaftlichen Richtung überhaupt und zog – um den angehenden Handelsbeflissenen zu belehren – vieles auf Waaren Bezugnehmende aus der Chemie, Technologie und Naturgeschichte in ihr Gebiet, wodurch sie ihren Charakter als selbstständige Disciplin immer mehr verlor. Merkwürdigerweise schöpfte die Technologie vielfach aus der allgemeinen Waarenkunde. Freilich fühlten die Technologen häufig das Ungenügende der aus dieser Quelle gezogenen Belehrungen und trachteten aus Eigenem jenen Partien ihres Lehrgegenstandes, welche auf Waaren Bezug hatten, gerecht zu werden. Bei der Verschiedenartigkeit der rein technologischen und der waarenkundlichen Probleme, namentlich aber bei dem Umstände, daſs die Methode, welche sich der Technologie bedient, und jener, welche der Waarenkundige anwenden soll, stark divergiren, ist es wohl begreiflich, daſs auch von dieser Seite unsere Disciplin, von manchen höchst schätzbaren Einzelnheiten abgesehen, keinen groſsen Gewinn erwarten konnte. Der Irrweg, den die sogen, allgemeine Waarenkunde einschlug, ist für uns, die wir eine auf streng wissenschaftlichen Grundlagen fuſsende technische Waarenkunde anstreben, eine eindringliche Warnung. Es muſs uns zunächst daran gelegen sein, nur das in unser Gebiet hineinzuziehen, was von technischem Werth oder doch Interesse ist, und Probleme zu lösen, die nicht schon gelöst sind. Im erhöhten Maſse muſs diese Beschränkung in diesem Gebiete, wenn er als Lehrgegenstand auftritt, geübt werden. Wählte der Vortragende unter den Rohstoffen nicht aus, so würde er den Studirenden vielfach Dinge vortragen, die ihnen schon aus den Vorlesungen über Chemie, Mineralogie und Geologie vollkommen bekannt sind. Vor Allem scheint es ganz klar, daſs in der technischen Waarenkunde in erster Linie der Rohstoff zu berücksichtigen ist. Die Rohstoffe sind entweder unmittelbare, oder doch nur sehr wenig veränderte Naturproducte, denen bestimmte naturhistorische Eigenschaften anhaften und die deshalb nach den Methoden der naturgeschichtlichen Forschung in ähnlicher Weise wie die Naturkörper selbst charakterisirt werden können. Es unterliegt also gar keinem Zweifel, daſs die Rohstoffe z.B. bezüglich ihrer Unterscheidung einer wissenschaftlichen Untersuchung vollkommen zugänglich sind. Wie steht es nun in diesem Betrachte mit den Fabrikaten? Das chemische Fabrikat kann in nutzbringender Weise in der technischen Waarenkunde nicht erörtert werden. Es gehört bezüglich seiner Prüfung ganz und gar in den Bereich des Chemikers. Die Producte der mechanischen Industrie sind ihrer Substanz nach entweder ganz, oder fast ganz unveränderte Naturproducte (Gespinnste, Gewebe aus Pflanzen- oder Thierfasern, Fabrikate aus Holz u. dgl.) und dann können sie bezüglich ihrer Substanz nur nach jenen Methoden untersucht werden, welche auch für die Prüfung der Rohstoffe in Anwendung stehen; oder sie sind structurlose Stoffe, die ihrer Substanz nach nur auf chemischem Wege geprüft werden können und der waarenkundlichen Untersuchung keinen Spielraum gönnen. Ihrer Form nach sind sie aber höchst wechselvolle Körper, bezüglich welcher die Praxis an die Wissenschaft in der Regel keine Frage zu stellen hat. Hingegen sind die Processe, durch welche die Formbildung der Fabrikate erfolgt, dasjenige, was einer wissenschaftlichen Untersuchung nicht nur zugänglich, sondern bedürftig ist; damit beschäftigt sich aber die Technologie. Man sieht also, daſs die technische Waarenkunde sich nur durch eine wissenschaftliche Bearbeitung der Rohstoffe und durch Prüfung solcher Fabrikate, welche bezüglich ihrer Substanz noch als Rohstoffe angesehen werden können, nützlich machen kann, daſs sie also, unserer Auffassung nach, eine Naturgeschichte der Rohstoffe ist. Indem sie dieses weite, zum groſsen Theile noch unbekannte Gebiet betritt, übernimmt sie eine wichtige Aufgabe. Als Disciplin betrachtet, reiht sie sich in die Technologie im weitesten Sinne des Wortes ein. Die technische Waarenkunde bildet die Lehre von den Rohstoffen, die Technologie im engern Sinne die Lehre von deren Bearbeitung oder Verarbeitung zu Fabrikaten. So aufgefaſst, trägt sie mit gröſserem Rechte den Namen Rohstofflehre, der auch in so fern passender gewählt erscheint, als die Reminiscenz an die allgemeine Waarenkunde leicht zu der Ansicht verleiten konnte, als betriebe die technische Waarenkunde wie ihre Namensschwester hauptsächlich das Compiliren und begnügte sich mit bloser empirischer Unterscheidung der Waaren. Da sie aber zur Lösung ihrer Fragen sich durchwegs streng wissenschaftlicher Methoden bedient, so gebührt ihr wohl mit gröſserem Recht der Name einer „Lehre“ als der einer „Kunde“. Indeſs kommt es auf den Namen nicht an, und als Lehrgegenstand führte sie bis jetzt ihren früheren bescheidenen Titel. Doch will ich mich in den nachfolgenden Zeilen des jedenfalls passenderen Ausdruckes „technische Rohstofflehre“ bedienen. Eine eingehendere Betrachtung der verschiedenen Rohstoffe zeigt, daſs ihre Bedeutung für die Rohstofflehre eine höchst verschiedene ist. Eine ganz untergeordnete Rolle in unserer Disciplin spielen die mineralischen Rohstoffe. Es läſst sich denselben von unserem Stand-Punkte fast keine neue Seite abgewinnen. Die mineralischen Rohstoffe sind eben Mineralien und ihnen gegenüber ist die Mineralogie, z. Th. auch die Geologie, schon selbst die Rohstofflehre. Was lieſse sich beispielsweise in Vorträgen über technische Rohstofflehre in Betreff es Steinsalzes und der Kohle Wichtiges sagen, was dem Studirenden Eicht schon aus den Vorlesungen- über Mineralogie und Geologie her bekannt wäre. Ein Gleiches gilt für die übrigen mineralischen Rohstoffe. Manche technisch wichtige in jenen Fächern nicht erörterte Einzelnheiten würden sich allerdings finden, welche aber, wie ich glaube, sich im Vortrage nur gelegentlich vorbringen lassen, z.B. über die verschiedenen Arten der Denaturirung des Steinsalzes, über künstliche Minerale (Bimsstein, Kreide zum Tapetendruck, Schreibkreide) u. dgl. m. Eine weitaus gröſsere Rolle spielen in der technischen Rohstofflehre die organischen Rohstoffe. Ich will gleich darauf hinweisen, daſs Botanik und Zoologie diesen Rohstoffen in ganz anderer Weise gegenüber stehen als die Mineralogie den anorganischen Rohstoffen gegenüber. Diese beiden Wissenszweige lehren über die Rohstoffe des Pflanzen- und Thierreiches nichts, sie stehen diesen Rohstoffen eigentlich ganz interesselos gegenüber, bieten aber der Rohstofflehre die Methode, nach welcher sie zu prüfen sind. Einige Beispiele werden dies noch deutlicher machen. Die in technischer Beziehung so wichtigen Pflanzenfasern liegen dem Botaniker ganz fern. Er würde seine Aufgabe als Botaniker auch ganz verfehlen, wenn er sich mit all den Einzelnheiten beschäftigen würde, welche zu der für die Praxis so wichtigen Unterscheidung dieser Rohstoffe führen. Für ihn sind Flachs, Hanf und Jute nichts als Basttheile dicotyler Gefäſsbündel, weiter nichts. Die Aufgabe der Rohstofflehre ist es nun, mit Zuhilfenahme der histologischen Untersuchungsmethoden diese dem Werthe nach so verschiedenartigen Fasern auf das strengste aus einander zu halten. – Oder sehen wir uns die in gewerblicher Beziehung so wichtigen Harze an. Dem Botaniker genügt es zu wissen, daſs eine Pflanze ein Harz liefert und wie dasselbe in den Geweben sich bildet. Welche nähere Eigenschaften diesen Harzen zukommen, wie selbe zu unterscheiden seien, geht den Botaniker nicht an; diese Aufgabe fällt naturgemäſs der Rohstofflehre zu. Man sieht also schon an diesen Beispielen, daſs die Botanik und Zoologie uns die Naturgeschichte der organischen Rohstoffe nicht vorführen. Und so wie die Pharmakognosie zur selbstständigen Disciplin sich heranbilden muſste, weil die reine Naturgeschichte für die Erkennung und Unterscheidung der Medicinaldroguen nichts leistet und auch naturgemäſs nichts leisten kann, so muſs auch die technische Rohstofflehre in dem Momente, in welchem sie zu einer praktischen Nothwendigkeit wird, sich auf eigene Füſse stellen. Unsere Betrachtungen haben uns bis jetzt dahin geführt, die Hauptaufgabe der technischen Rohstofflehre zu fixiren. Es besteht dieselbe – um es kurz zusammen zu fassen – in der Prüfung der rohen Pflanzen- und Thierstoffe. Die Rohstofflehre ist also in erster Linie eine Naturgeschichte der organischen Rohstoffe. Ehe ich weiter untersuche, welche Kategorien von organischem Rohproducte in unserer Lehre besonders zu berücksichtigen sind, möchte ich gerade an dieser Stelle hervorheben, daſs eben jetzt die Zeit gekommen scheint, diese Disciplin eifriger denn je zu pflegen. Wie gering war im Anfange dieses Jahrhunderts die Zahl der technisch verwendeten Rohstoffe des Pflanzen- und Thierreiches. In den industriell vorgeschrittenen Ländern Europas mit groſsem Colonialbesitz traten zuerst überseeische Rohstoffe in die Gewerbe ein. Aber erst den Weltausstellungen war es vorbehalten, das reiche und mannichfaltige Rohmaterial, welches namentlich die gesegneten Tropenländer für die Industrie bereit halten, den weitesten Kreisen vorzuführen, und von da an steigerte sich die Zahl dieser Stoffe, welche den europäischen Fabriken zugeführt werden, immer mehr und mehr. Mit den weiteren Fortschritten in Handel, Verkehr und Industrie nähert man sich immer mehr dem Ziele, die Rohstoffe für die chemischen und mechanischen Gewerbe aus den reichsten Quellen, aus den von der Natur in überreichem Maſse mit organischen Erzeugnissen gesegneten warmen und heiſsen Ländern zu ziehen. Wie groſs ist schon jetzt die Zahl der vegetabilischen Fasern, der zum Färben und Gerben dienenden Rinden, der chemisch und mechanisch verarbeiteten Hölzer, der Oelsamen, Harze, Gummiarten u. dgl. geworden. Hat sich auch vieles aus diesem wahren Heer von Rohstoffen noch nicht in den Gewerben eingebürgert, so ist es doch Gegenstand des Experimentes, und eine um so lebhaftere Controverse entspinnt sich über die wahre Bedeutung aller dieser Körper, je weniger die wissenschaftliche Untersuchung sich derselben bemächtigt hat, also je unsicherer das Urtheil über all diese Rohstoffe dermalen sich noch gestaltet. Wer möchte da läugnen, daſs nunmehr die Zeit gekommen ist, diese so zahlreichen und verschiedenartigen organischen Rohmaterialien einer wissenschaftlich begründeten, also einer wahrhaft exacten Untersuchung zu unterziehen. Beherrschte früher der Technologe den Rohstoff vollkommen – es konnte dies ohne groſsen wissenschaftlichen Aufwand geschehen – heute vermag er es nicht mehr. Der Technologe ist naturgemäſs vorwiegend entweder Chemiker oder Mechaniker und weder der eine, noch der andere ist zur streng wissenschaftlichen Bearbeitung der organischen Rohstoffe befähigt. Dieselbe kann nur in der Hand eines mit der Methode der Botanik und Zoologie völlig vertrauten Mannes, der Interesse und Verständniſs für Technologie besitzt, gedeihen. Man darf die Hoffnung aussprechen, daſs unsere technischen Hochschulen selbst jene Männer hervorbringen werden, welchen der Ausbau unserer Disciplin zu danken sein wird. Unter allen naturwissenschaftlichen Methoden tritt die naturgeschichtliche am spätesten in die Technik ein und sie wird noch Rauchern Vorurtheil begegnen, bis sie in gleicher Weise von dem Techniker geschätzt sein wird, wie die heute fest eingebürgerten anderweitigen wissenschaftlichen Methoden. Es ergeht ihr und wird ihr für längere Zeit nicht besser ergehen, als es beispielsweise der für die Industrie so segensreich gewordenen chemischen Methode ergangen ist, und sie mag sich damit trösten. So viel wird aber jeder gebildete und einsichtsvolle Techniker zugeben müssen, daſs – gerade mit Rücksicht auf das Einströmen überseeischer organischer Rohstoffe – die naturgeschichtlichen Methoden zu technischen Zwecken herangezogen werden müssen, mit einem Worte, daſs eine technische Rohstofflehre in dem oben bereits geschilderten Sinne zu einem technischen Bedürfnisse geworden ist. (Fortsetzung folgt.)