Titel: Zur Kenntniss der Kanalgase; von Ferd. Fischer.
Autor: Ferd. Fischer
Fundstelle: Band 247, Jahrgang 1883, S. 501
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Zur Kenntniſs der Kanalgase; von Ferd. Fischer. F. Fischer, zur Kenntniſs der Kanalgase. Bekanntlich behaupten die Gegner des Schwemmsystemes, daſs durch die Gase in den Schwemmkanälen epidemische Krankheiten, Cholera, Typhus, Diphtherie, Scharlach u.s.w., verbreitet würden, ohne sich aber irgendwie der Mühe zu unterziehen, durch vergleichende Untersuchungen der Gase aus Kanälen von Städten mit Schwemmsystem oder Abfuhr Beweise hierfür beizubringen. Ueber die Bewegung der Kanalluft wurden bereits Versuche von Rozsahegyi (1881 241 238) und SoykaZeitschrift für Biologie, 1882 S. 104. ausgeführt, indem sie die Richtung des Luftzuges durch Eintretenlassen von Rauch, Schwefelwasserstoff u. dgl., die Stärke desselben im Kanal selbst mittels Anemometer bestimmten. Um nun die Druckschwankungen jederzeit beobachten zu können, lieſs ich im November 1881 ein enges Glasrohr von dem Kanäle der Gustav-Adolſstraſse in Hannover bis in mein Laboratorium führen und verband es hier mit einem kleinen Zugmesser (1882 244 * 207). In der Kegel ergibt sich Morgens ein schwacher, 1 bis 3mm Wassersäule entsprechender Ueberdruck der Kanalluft nach auſsen. Dieser nimmt bald ab, wird gegen Mittag Null, um Nachmittags in einen Ueberdruck der äuſseren Atmosphäre von 1 bis 6mm überzugehen, welcher bis in die Nacht hinein anhält, so daſs im Allgemeinen das Bestreben der äuſseren Luft, in die Kanäle einzudringen, wesentlich vorherrscht. Temperatur der äuſseren Luft und Windrichtung haben hierauf weniger Einfluſs als rasche Barometerschwankungen. Ganz besonders scheinen aber diese Druckverhältnisse von den eingeleiteten Flüssigkeiten abzuhängen. Wenn des Morgens von allen Seiten die Spül- und Waschwasser in die Kanäle treten, so muſs die Kanalluft – die hiesigen Kanäle sind im Wesentlichen als geschlossen zu betrachten – mehr oder weniger zurückgedrängt werden; es entsteht ein Ueberdruck nach auſsen, der sich durch Entweichen der Luft an den Kanalmündungen und den wenigen sonstigen Oeffnungen allmählich ausgleicht, um, wenn des Nachmittags weniger Wasser zugeführt wird, einen negativen Druck zu geben. Bei eintretendem Regenwetter entsteht anfangs meist ein Ueberdruck von 4 bis 9mm Wassersäule; nur einmal wurden bei sehr heftigem Gewitter 19mm beobachtet. Nach einiger Zeit nimmt derselbe ab, bis er bei anhaltendem Regen allmählich in einen negativen Druck von 2 bis 4mm übergeht, nach dem Aufhören des Regens aber nicht selten auf – 6 bis 10mm fällt, offenbar in Folge des Wasserabflusses. Zuweilen nimmt aber schon bei Beginn des Regens der Druck ab, so daſs ich schon nach wenigen Minuten – 4 bis 5mm beobachtet habe; hier scheint das durch die Kanäle strömende Wasser die Luft kräftig anzusaugen. Während 14 Monaten hat der Ueberdruck der Kanalluft 9mm Wassersäule nur einmal überstiegen, der der äuſseren Luft nach dem Kanal höchstens 10mm betragen, so daſs eine Wassersäule von 20 bis 25mm genügt haben würde, das Eindringen der Kanalgase in die Häuser zu verhüten. Wesentlich geringer werden die Druckschwankungen dort sein, wo die Kanäle nicht geschlossen, sondern mit Lüftungsröhren versehen sind. Wenn demnach dennoch Wasserverschlüsse von Kanalgasen durchbrochen werden, so ist dies lediglich eine Folge unrichtig ausgeführter Hausanschluſsleitungen. Wie sehr hierin oft gefehlt wird, hat LissauerVierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege, 1881 * S. 341., namentlich aber RenkF. Renk: Die Kanalgase, deren hygienische Bedeutung und technische Behandlung. (München 1882.) gezeigt. Mit der Kanalisation selbst hat dieses Durchbrechen der Wasserverschlüsse nichts zu thun.Auch die Versuche von Carmichael (Gesundheitsingenieur, 1881 S. 499) gelten nur für die fragliche, anscheinend mangelhafte Hausanlage. Um über die Zusammensetzung der Kanalgase einigen Aufschluſs zu erlangen, wurden durch dasselbe Rohr zunächst etwa 100l Gase mittels eines Glockengasometers angesaugt, um etwa in der Leitung befindliche fremde Gase zu entfernen. Dann wurden in einer frisch angesaugten Probe Kohlensäure und Sauerstoff, zeitweilig auch Kohlenwasserstoffe volumetrisch bestimmt. Auf Schwefelwasserstoff wurde nur qualitativ mittels Bleipapier geprüft, über welches das Gas gesaugt wurde. Von Zeit zu Zeit wurden auch etwa 300l Gase durch 1/20-Normalsäure gesaugt und durch Zurücktitriren der Ammoniakgehalt bestimmt. Der Kohlensäuregehalt betrug bei Frostwetter 0,90 bis 1,25 Proc. stieg bei Thauwetter auf 1,31 bis 1,80 Proc. Im Sommer und Herbst schwankte derselbe zwischen 2,1 bis 3,53 Proc. Der Gehalt an Sauerstoff betrug im Winter 19,6 bis 19,0 Proc, fiel allmählich und betrug im Sommer und Herbst nur 18,2 bis 16,9 Proc. Kohlenwasserstoffe waren im Sommer bis 1,2 Proc. vorhanden. Schwefelwasserstoff war gar nicht oder nur in geringen Mengen nachweisbar, Ammoniak in Spuren bis 50mg in 1cbm. Vergleicht man diese Resultate mit den bereits vorliegenden Analysen aus anderen StädtenRenk: Kanalgase, S. 13., so ergibt sich, wie folgende Zusammenstellung zeigt, daſs die Kanalgase aus Städten mit sogen. Abfuhr weit Kanäle in KohlensäureProc. SauerstoffProc. Ammoniakmg in 1l Schwefel-wasserstoffProc. London, nach Letheby 0,532 viel Spur Desgl.      „    Miller   0,106 bis 0,307 20,7 Paddington, nach Russel 0,51 wenig 0 Boston, nach Nichols 0,082 bis 0,24 München, nach Beetz   0,217 bis 0,443 7 bis 168 Paris, nach Glaubry   2,3 bis 3,4 17,4 1,25Diese Zahl bedarf wohl der Bestätigung. Dgl., Levy (1881 240 454) 0,09 Hannover, nach F. Fischer,    Winter   0,9 bis 1,8 19,3 Spur 0 bis Spur Desgleichen Sommer     2,1 bis 3,53 16,9 bis 18,2 Spur bis 50 Spur stärker verunreinigt sein können als aus Schwemmkanälen. Dies erklärt sich daraus, daſs man in Städten mit Abfuhr die Kanäle nicht oder doch sehr mangelhaft spült, anscheinend, weil man dies nicht für nothwendig hält, und daſs die Massen, welche der Wasserabort den Kanälen zuführt, verschwindend klein sind gegen die übrigen Stoffe, die den Kanälen zugeführt werden.Vgl. Ferd. Fischer: Die menschlichen Abfallstoffe, Braunschweig 1882 S. 107. Bei der hochgradigen Verunreinigung der Hannoverschen Kanalluft war eine Prüfung auf niedere Organismen besonders angezeigt. Es wurden daher wiederholt 200 bis 300l Kanalgase durch Nährlösungen geleitet, ohne daſs es gelang, nach einigen Tagen Spaltpilze o. dgl. nachzuweisen. Die Infection der Lösungen trat aber sicher ein, sobald nur etwa 1l Luft von einer Abortgrube hindurchgesaugt wurde. Es erscheint in der That sehr unwahrscheinlich, daſs Kanalgase, weil völlig mit Wasserdampf gesättigt, organisirte Keime enthalten. Ueberdies ist von NägeliSitzungsberichte der Münchener Akademie, 1879 S. 389., MiquelAnnuaire de Montsouris, 1881., HansenMeddelelser fra Carlsberg Laboratoriet, 1882 S. 209., A. FitzBerichte der deutschen chemischen Gesellschaft, 1882 S. 868. u.a. wiederholt nachgewiesen, daſs sich Bacterien nur von trocknen Flächen abheben, welche wohl nie in Kanälen, wohl aber in Abortgruben, Abortkübeln u. dgl. vorkommen. Wenn es daher mindestens sehr zweifelhaft ist, ob die Kanalgase überhaupt Krankheiten verbreiten können, so ist doch festzuhalten, daſs der Inhalt der Schwemmkanäle mindestens nicht schlechter ist als der aus Abfuhrstädten, daſs aber die aus allen Aborten ohne Wasserspülung aufsteigenden Gase weit bedenklicher sind als aus Schwemmkanälen.Ferd. Fischer; Die menschlichen Abfallstoffe, S. 77 und 104.