Titel: Eine neue Methode zur Unterscheidung der Pflanzen- von der Thierfaser; von Dr. Hans Molisch.
Autor: Hans Molisch
Fundstelle: Band 261, Jahrgang 1886, S. 136
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Eine neue Methode zur Unterscheidung der Pflanzen- von der Thierfaser; von Dr. Hans Molisch. Molisch's Unterscheidung der Pflanzen- von der Thierfaser. Die Chemiker haben sich seit Langem vielfach bemüht, Mittel ausfindig zu machen, um rasch zu entscheiden, ob eine Faser thierischer oder pflanzlicher Abkunft ist. Die Art und Weise, wie die Faser beim Verbrennen riecht, verkohlt und verascht, das Verhalten der Faser gegen sine bestimmt concentrirte Aetzkalilösung, gegen Salpetersäure, Kupferoxydammoniak, gegen ein Gemisch von Schwefelsäure und concentrirter Salpetersäure u. dgl. werden mit Vorliebe zu dem genannten Zwecke als Erkennungsmittel benutzt. Der Chemiker weiſs zwar, daſs jedes dieser Mittel für sich angewendet, keine Sicherheit gewährt und daſs immer mehrere von diesen Reactionen ausgeführt werden müssen, wenn man zu einem halbwegs sicheren Schlusse gelangen will. Nichts desto weniger greift er doch gern zu diesem Auskunftsmittel, da er das Mikroskop gewöhnlich nicht zu handhaben versteht. Im Gegensatze zu dem geübten Mikroskopiker, der durch einen einzigen Blick ins Mikroskop die Entscheidung zu treffen vermag, ist der Chemiker aus dem angeführten Grunde auf derlei Reactionen förmlich angewiesen. Dieser Umstand, sowie die anerkannte Unvollkommenheit der bisherigen chemischen Unterscheidungsmittel ermuntern mich, zwei neue Methoden zur Unterscheidung der pflanzlichen von der thierischen Faser bekannt zu geben, welche an Sicherheit, Bequemlichkeit und Anschaulichkeit wohl alle bisherigen übertreffen. Mein Verfahren beruht auf der Verwerthung zweier neuen Zuckerreactionen, welche ich in diesem Jahre auffand und ausführlich beschrieb.Vgl. Sitzungsberichte der k. Akademie der Wissenschaften zu Wien, Mai 1886 Bd. 93. Abtheilung II. Wie ich a. a. O. aus einander setzte, zeigen nämlich die Zuckerarten (Rohrzucker, Traubenzucker, Maltose, Milchzucker und Fruchtzucker) gegenüber α-Naphtol oder Thymol bei Gegenwart von Schwefelsäure ein eigenartiges, höchst charakteristisches Verhalten. Werden beispielsweise 0cc,5 einer Zuckerlösung mit zwei Tropfen einer 15-bis 20 procentigen alkoholischen α-Naphtollösung versetzt und hierauf concentrirte Schwefelsäure in Ueberschuſs hinzugefügt, so entsteht beim Schütteln sofort eine prachtvolle tiefviolette Färbung. Verdünnt man sodann mit Wasser, so fällt nach einiger Zeit ein blauvioletter Niederschlag heraus. Verwendet man anstatt α-Naphtol bei sonst gleichem Verfahren Thymol, so entsteht eine zinnober-rubin-carminrothe Färbung und bei nachheriger Verdünnung mit Wasser ein carminrother flockiger Niederschlag. Die Empfindlichkeit dieser Zuckerproben ist eine ganz auſserordentliche und, wie ich mich überzeugte, jedenfalls gröſser als die der Trommer'schen und Fehling'schen Probe. Dies geht wohl am deutlichsten aus der bemerkenswerthen Thatsache hervor, daſs normaler menschlicher Harn, der ja gewiſs nur sehr geringe Zuckermengen enthält, die Reaction sogar noch zeigt, wenn derselbe auf das 100- bis 300 fache seines Volumens mit Wasser verdünnt wird. Dieselbe Reaction wie die Zuckerarten geben indirekt auch die Kohlenhydrate und Glykoside, da ja bei Behandlung derselben mit Schwefelsäure je nach Umständen entweder sofort, oder nach kurzer Zeit Zucker entsteht. Auch die pflanzliche Zellwand besteht in der Regel ihrer Hauptmasse nach aus einem Kohlenhydrat – Cellulose –; selbst dann noch läſst sich dieselbe nachweisen, wenn in der Membran schon weitgehende chemische Metamorphosen Platz gegriffen haben, wie dies z.B. im Kork oder Holz der Fall ist. Beim Zusammentreffen von Cellulose mit Wasser und Schwefelsäure wird nun die Cellulose u.a. in Zucker umgewandelt und dies ist der Grund, warum Pflanzenfasern (Baumwolle, Lein, Hanf, Jute u.a.) indirekt die Zuckerreaction geben. Thierische Fasern enthalten weder Zucker, noch Kohlenhydrate; siezeigen daher jenes Verhalten zu α-Naphtol oder Thymol nicht. Hierdurch ist man in den Stand gesetzt, durch eine einfache und bequeme Reaction sofort zu entscheiden, welcher Abkunft eine vorliegende Faser ist. Nach vielfachen Versuchen hat sich folgendes Verfahren als das zweckmäſsigste herausgestellt: Ungefähr 0g,01 der gut ausgekochten und mit viel Wasser abgespülten Faserprobe wird in der Proberöhre mit etwa 1cc Wasser, sodann 2 Tropfen einer alkoholischen 15- bis 20 procentigen α-Naphtollösungβ-Naphtol gibt, obwohl mit α-Naphtol isomer, die Reaction nicht. versetzt und schlieſslich concentrirte Schwefelsäure (beiläufig so viel als Flüssigkeit vorhanden ist) hinzugefügt. Liegt eine Pflanzenfaser vor, so nimmt die ganze Flüssigkeit beim Schütteln sofort eine tiefviolette Färbung an, wobei sich die Faser auflöst. Ist hingegen die Faser thierischer Abkunft, so wird die Flüssigkeit mehr oder minder gelb- bis röthlichbraun. Bei Verwendung von Thymol tritt anstatt der Violettfärbung eine schöne zinnober-carminrothe Farbe auf, die letztere besonders dann, wenn man mit Wasser verdünnt. Ich habe mit den verschiedensten Pflanzenfasern (mit Baumwolle, Lein, Hanf, Jute, Sunn, Chinagras, Ramie, Phormium-, Aloë-, Musa-, Cocos-, Piassave-, Strohfaser u. dgl.) Versuche angestellt und erhielt immer ein günstiges Ergebniſs. Da Zellwände, in denen der Cellulosenachweis nur auf Umwegen möglich ist, wie im Holz, Kork und den Pilzen, sich ebenso verhalten, so können wir schlieſsen, daſs jede Pflanzenmembran bei dem oben vorgeschlagenen Verfahren die besagte α-Naphtol- oder Thymol-Zuckerprobe gibt. Dagegen bleibt bei Thierfasern (wie Schafwolle, Mohair-, Alpaca-, Vicunnawolle, Kameelhaar u. dgl.) die Reaction aus, da sie weder Zucker, noch irgend einen Körper enthalten, der unter Einwirkung der Schwefelsäure in Zucker übergeführt wird. Ein gleiches Verhalten wie die Thierhaare zeigt die Seide. Nur sei bemerkt, daſs manche Sorten sowohl der echten Seide, wie der sogen. Wild Silk eine ganz schwache, rasch vorübergehende Reaction geben und zwar auch dann, wenn man die Seide lange Zeit gekocht hat. Offenbar ist in der Seide ein Körper in Spuren vorhanden, welcher durch die Schwefelsäure erst in Zucker übergeführt wird; Zucker selbst ist ursprünglich jedenfalls nicht vorhanden, da ja ausgekochte und somit von Zucker befreite Seide die Reaction nicht mehr zeigen dürfte. Uebrigens ist die Reaction, wenn sie überhaupt auftritt, so gering und so kurz andauernd, daſs man nie in Zweifel kommen wird, ob die Färbung von Seide oder einer Pflanzenfaser herrührt. Mit Rücksicht auf die groſse EmpfindlichkeitObwohl dieselbe bei beiden Zuckerproben annähernd gleich ist, möchte ich doch der α-Naphtol-Zuckerprobe den Vorzug geben, da ihre Färbung eine schönere und der Kostenpreis des α-Naphtols ein viel geringerer ist als der des Thymols. der beiden Proben ist es nothwendig, bei Prüfung von thierischer Wolle möglichst reines Material auszuwählen, nicht etwa solches, welches von sogen. „Wollläusen“ oder Kletten durchsetzt ist. Diese würden wegen ihres pflanzlichen Ursprunges die Reaction hervorrufen und so zu Täuschungen Veranlassung geben. In der oben angeführten Vorschrift zur Ausführung beider Proben ist die Rede von ausgekochten Fasern. Es geschah dies deshalb, weil bei der Appretur verschiedener aus Thierfasern gefertigter Gewebe, namentlich Seidengeweben, Gummi, Flohsamenschleim oder Zucker verwendet wird, um den Glanz derselben zu erhöhen. Das Auskochen und Abspülen der Faserprobe hat den Zweck, diese Stoffe, welche die Reaction geben würden, zu entfernen. Von vornherein möchte man vermuthen, daſs die beschriebenen Reactionen nur auf ungefärbte Fasern praktische Anwendung finden können, nicht aber auf gefärbte, da die in denselben vorhandenen Farbstoffe die Reaction verdecken dürften. Dies ist nun ganz und gar nicht der Fall. Die Färbungen, welche gefärbte thierische Fasern und die Flüssigkeit bei der Ausführung der α-Naphtolprobe annehmen, weichen vom Violett in der Regel ab und wenn sie sich auch diesem Farbentone nähern, so ist dieser seiner geringen Stärke und seiner kurzen Dauer wegen sofort von dem, wie er durch Zucker und mittelbar durch jede Pflanzenfaser hervorgerufen wird, zu unterscheiden; die Farbstoffe verdecken weder, noch verhindern sie die Reaction. Es ist mithin für unsere Zwecke vollständig gleichgültig, ob die zu prüfenden Fasern gefärbt sind oder nicht. Unter Zuziehung der α-Naphtolprobe und bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Löslichkeit oder Unlöslichkeit der Faserprobe kann man auch entscheiden, ob ein Gewebe nur aus pflanzlichen oder nur aus thierischen Gespinnstfasern oder aus einem Gemenge der beiden, oder aus Seide besteht: Gewebe gibt die α-Naphtol-Zuckerprobe nicht oder nur schwach und                              vorübergehend 1 Gewebe prachtvoll 2 1) Gewebe löst sich hierbei sogleich vollständig auf                        Seide. nicht auf Thierische Wolle. theilweise Thierische Wolle + Seide. 2) Gewebe löst sich hierbei sogleich auf: Reine Pflanzenfaser oder mit Seide    gemengt. theilweise auf: Pflanzenfaser + Wolle, möglicher-    weise noch mit Seide gemengt. Dadurch daſs man nicht ganze Gewebestücke, sondern die Ketten- und die Schuſsfäden für sich prüft, wird man die Grenzen noch viel enger ziehen und in vielen Fällen alle Faserarten eines Gewebes bestimmen können. Pflanzenphysiologisches Institut der Wiener Universität.