Titel: Neuerungen und Fortschritte in der Gasindustrie.
Autor: W. Leybold
Fundstelle: Band 267, Jahrgang 1888, S. 31
Download: XML
Neuerungen und Fortschritte in der Gasindustrie. (Fortsetzung des Berichtes Bd. 266 S. 327.) Neuerungen und Fortschritte in der Gasindustrie. Ueber Theervergasung. W. Bäcker in Budweis (Journal für Gasbeleuchtung, 1887 Bd. 30 S. 910) macht Angaben über Versuche betreffs Vergasung von Theer. 100k Theer mit 100k Koksmehl gemischt sollen 50 bis 60cbm Gas von etwa 30 Kerzen Lichtstärke gegeben haben und auſserdem 120 bis 125k Koks bester Qualität. Beim Mischen von 100k Theer mit 100k Kalkhydrat erhielt Bäcker angeblich 100cbm Gas von 30 Kerzen Lichtstärke, als Rückstand kohlensauren Kalk mit Koks. Dieser Rückstand soll auch verwerthet werden können durch Ausbrennen und Regeneration mit Wasserdampf. Es läſst sich also annehmen, daſs aus 100k Theer 50cbm Gas und 20 bis 25k Koks entstehen; in Folge des Kokszusatzes vermehrt sich der Koksgewinn auf 120k. Der Kalkzusatz soll den Gasgewinn von 50cbm auf 100 vermehren. Nach Bäcker verbindet sich bei Kokszusatz der Kohlenstoff des Koks mit dem Wasserstoff des Theeres, bei Kalkzusatz umgekehrt der Kohlenstoff des Theeres mit dem Wasserstoff des Kalkes (eine bedenkliche chemische Spekulation. D. Ref.). Nach Angabe des Verfassers ist es nicht mehr zeitgemäſs, die Retortenöfen mit Theer zu heizen, weil ein Gas von minderer Leuchtkraft aus der Kohle producirt wird, und das Material, welches ein intensiv leuchtendes Gas geben soll, zur Feuerung verwendet wird; eher wäre es zu erwarten, daſs die Oefen mit Kohlengas geheizt und Theergas damit erzeugt würde. Bäcker bezeichnet das bisher aus der Kohle gewonnene Gas nur als Abfall, während der eigentliche Leuchtstoff noch im Theer und dem Koks stecken soll. Die früheren Versuche, Theer zu vergasen, sollen aus dem Grunde nicht gelungen sein, weil nicht anzunehmen, daſs sich die Theerdämpfe mit den Stücken von glühendem Koks, über welche sie geleitet werden, verbinden. Diese Verbindung könne nur stattfinden, wenn die Zusatzmaterialien fein gemahlen und mit dem Theer innig gemischt sind. Wir haben schon früher darauf hingewiesen (vgl. Krämer 1887 266 328), daſs ein normal gewonnener Theer kein gutes Gas mehr geben könne, weil die brauchbaren, lichtgebenden Bestandtheile eben schon im Gas geblieben sind. In Budweis mag es aber wohl der Fall sein, daſs der Theer noch leuchtkräftiges Gas gibt; das producirte Gas wird dafür um so schlechter sein. A. Grebel in Guise (Journal des usines à Gaz, 1887 Bd. 11 S. 343) stellte genaue Versuche an über Theervergasung in verschiedenen Mischungen des Theeres mit Koks und Sägespänen. Die Mischungen waren: 1) Theer 100k 4hl,74 Sägespäne 100k Kalk 20k –––– Gesammt 220k Diese 220k wurden in 13 Retorten vergast, auf die Retorte etwa 17k. 2) Theer 100k 5hl Koksstaub 250k ––– 35k. Davon trafen auf die Retorte etwa 27k. Die Destillation ging, wie später gezeigt wird, genügend rasch vor sich. Die Steigrohre wurden bei beiden Destillationsversuchen nicht verstopft, die Absätze von Theerpech und Naphtalin waren bedeutend geringer als bei der Vergasung von 120k Kohlen. Die erhaltene Gasmenge wurde viertelstündlich notirt, ebenso viertelstündlich die Leuchtkraft gemessen; die Leitung hierzu ging vom Ausgang der Reiniger aus. Folgende Tabelle enthält die viertelstündliche Production, sowie die Mengen Gas, welche nothwendig sind, um im französischen (Bengel) Normal-Argandbrenner 1 Kerze Leuchtkraft zu erzeugen. Zeit nach Beginn derVergasung Production Leuchtkraft Mischung I Mischung II Mischung I Mischung II   ¼ Stunde  ½     „  ¾     „1        „1¼     „1½     „1¾     „ 19211611  6  2  1   310  5  2  1  1  1 30474949424243 33332927313131 Gesammt-ProductionLeuchtkraft im Mittel     76cbm     21cbm    42,9    31,4 Liter Gas proStundenkerze Daraus ergibt sich, daſs die 100k Theer 21cbm Gas geliefert hatten, während die 100k Sägespäne von den 76cbm der ersten Mischung 55cbm producirten. Die zur Herstellung von 1 Kerze Leuchtkraft in der Stunde nothwendige Gasmenge beträgt bei Kohlengas 10l,4; hier dagegen 42l,9 bei Mischung I und 31l,4 bei Mischung II. Demnach ist die Leuchtkraft kaum 25 Proc. bezieh. 33 Proc. des Kohlengases. Weitere Versuche über die Theervergasung wurden nach dem Journal des usines à gaz, 1887 Bd. 11 S. 318 in einem Gaswerk in der Nähe von Paris ausgeführt. 1. Versuch. Zum Versuch dienten 5 runde Retorten in gutem Zustand. Die Ladung betrug 400k, pro Retorte 80k. und war zusammengesetzt aus Kohle aus Maries von guter Beschaffenheit 375k Gemisch aus 13k,36 Theer  9k,0 Sägespäne  2k,64 Kalk   25k ––– 400k Das Laden geschah mittels der Lademulde. Die Dauer der Destillation war 5 Stunden 10 Minuten. Die Gasausbeute betrug 128cbm. Die Leuchtkraft, am Jouanne'schen Apparat gemessen, wurde 45 Minuten nach Beginn des Versuches zu 130mm Flammenhöhe = 1,23 Carcel gemessen, 3 Stunden 5 Minuten nach Beginn zu 100mm = 0,95 Carcel. Die mittlere Gasausbeute aus der Kohle von Maries wurde in diesem Gaswerk zu 31cbm pro 100k gefunden, für die Sägespäne 23cbm,1. Demnach berechnet sich: Für 375k Kohle 116cbm,250 Gas     9k Sägespäne     2cbm,079 Der Rest für 13k,36 Theer     9cbm,671 –––––––– 128cbm Gas und die Gasausbeute aus dem Theer zu 72cbm,38 pro 100k. 2. Versuch. Wie vorher wurde geladen eine Mischung von Kohle aus Maries 125k Kohle aus Ferfay 250k Gemisch aus 13k,36 Theer  9k,6 Sägespäne  2k,64 Kalk   25k –––– 400k. Die nachstehende Gasausbeute für Sägespäne ist zweifellos zu gering; denn dieselben enthalten, abgesehen von der Feuchtigkeit, nach der chemischen Formel der Cellulose 72 G.-Th. Kohlenstoff auf 80 Sauerstoff und 10 Wasserstoff. 100k enthalten demnach 44k,44 Kohlenstoff, 6k,17 Wasserstoff und 49k,38 Sauerstoff. Das Gewicht des Cubikmeters Wasserstoff zu 90g angenommen, würden 100k Sägespäne von diesem Gas allein 68cbm Gas liefern. Es ist diese Rechnung zwar nur eine theoretische, doch sticht die Zahl 68cbm gar zu sehr von der angegebenen 23cbm,1 ab: auſserdem ist bei ersterer das entstehende Volumen Kohlensäure noch gar nicht berücksichtigt. Die Gasausbeute aus dem Theer wird hierdurch sehr in die Höhe getrieben. Der zur Vergasung beigemischte Theer wird sicherlich nicht ganz zerlegt, sondern findet wich etwa zur Hälfte wieder in den Kühlapparaten. Derselbe ist seiner leichter flüchtigen Bestandtheile beraubt und ohne jeden Werth. Die Destillationsdauer war diesmal 4¾ Stunden. Viertelstündlich wurde die Gasproduction und die Leuchtkraft, letztere mittels des Jouanne'schen Apparates in Millimeter Flammenhöhe, abgelesen und folgende Zahlen erhalten: Viertelstundennach Beginn desVersuches Gasproductioncbm Leuchtkraftmm   1 11   2   8   3   8 135 = 1,28 Carcel = 12,5 Vereinskerzen   4   7 130 = 1,23 = 12,1   5   8 120 = 1,14 = 11,2   6   6 117   7   7 115   8   7 113 = 1,07 = 10,5   9   7 110 10   6 110 11   6    105,5 = 1,00 =   9,8 12   7    105,5 13   6    105,5 14   6 100 = 0,95 =   9,3 15   5   95 = 0,90 =   8,8 16   5   95 17   4   95 18   4   95 19   4   95 ––––––––– 122cbm Die Kohle von Maries gibt 30cbm, von Ferfay 29cbm Gas pro 100k. Danach berechnet sich für 125k Marles-Kohle 38cbm,750 Gas 250k Ferfay-Kohle 72cbm,500     9k Sägespäne   2cbm,079   13k,36 Theer, der Rest   8cbm,671 ––––––––––––– 123cbm Gas und eine Gasausbeute von 64cbm,90 pro 100k Theer. Bei diesen Versuchen wurden etwa 3,5 Proc. an Theer zur Kohle beigemischt und diese Zahl für praktisch befunden; nachdem die verwendeten Kohlen aber 4 bis 5 Proc. Theer liefern, wird das producirte Theerquantum gar nicht voll verbraucht. Es wäre von Interesse zu wissen, ob bei der Theervergasung nicht unangenehme Störungen, wie z.B. Naphtalinverstopfungen, vermehrter Ruſsabsatz in den Steigrohren u. dgl., beobachtet werden. Das Journal of the Franklin Institute bringt einige Versuche mit der Albo-Carbonlampe von Kitson und Co., sowie mit dem Siemens-Lungren-Regenerativbrenner, welche wir kurz wiedergeben: 1) Albo-Carbonlampe von Kitson und Co. Gasverbrauch pro Stunde 135,5 139,8l Leuchtkraft in Kerzen (9 Kerzen = 1 Carcel)   29,7   41,10 Kerzenleuchtkraft pro Cubikmeter carburirtes    Gas 219 294 Naphtalinverbrauch pro 100cbm Gas     4,61k Leuchtkraft des angewendeten Gases im 140l (5 Cubik-    fuſs) Brenner   17,25 Kerzen Kerzenleuchtkraft pro Cubikmeter des angewendeten Gases 123 Die Carburation des Gases mittels Naphtalin vergröſserte hier die Leuchtkraft desselben auf das Doppelte bis 2½ fache. 2) Siemens-Lungren-Regenerativbrenner. Die angewendeten Modelle waren a) ein aufrecht stehender Brenner, dem Siemens-Brenner ähnlich, ferner b) ein Brenner mit nach abwärts gerichteter Flamme. a) Siemens-Brenner mit aufrechter Flamme, in horizontaler Richtung gemessen. Leuchtkraft des angewendeten Gases   17,71 Kerzen bei 140l Kerzenleuchtkraft pro Cubikmeter Gas 125 Drei Versuche ergaben: Gasverbrauch pro Stunde 1445 1445 1355l Leuchtkraft in Kerzen   364,65   463,11   396,52 Kerzenleuchtkraft pro Cubikmeter Gas   252   320   292 b) Brenner mit umgekehrter Flamme. α) In horizontaler Richtung: Gasverbrauch pro Stunde   464   504   487l Leuchtkraft in Kerzen   124,71   155,84   157,62 Kerzenleuchtkraft pro Cubik-    meter Gas   269   309   323   Unter 45°: Gasverbrauch pro Stunde   457   471   486l Leuchtkraft in Kerzen   197,16   231,78   230,64 Kerzenleuchtkraft pro Cubik-    meter Gas   431   492   474 β) Senkrecht abwärts: Gasverbrauch pro Stunde   452l Leuchtkraft in Kerzen   223,86 Kerzenleuchtkraft pro Cubikmeter Gas   495 Das zu den Lichtmessungen am umgekehrten Brenner verwendete Stadtgas hatte eine Leuchtkraft bei 140l Consum von   18,60 Kerzen Kerzenleuchtkraft pro Cubikmeter Gas 133 Ueber den Gebrauch des Kalkes bei der Vergasung von Kohle. Ueber die Wirksamkeit des Cooper-Prozesses, des Zusatzes von Kalk zur Kohle bei der Gasfabrikation behufs Bindung des Schwefels und vermehrter Entwickelung von Ammoniak sind die Meinungen sehr getheilt. SpiceMr. Spice, A treatise on the purification of coal gas, London 1884. stellte eine groſse Reihe von amerikanischen und englischen Versuchen zusammen und es ist überraschend, neben Zunehmen des Ammoniaks um 100 Proc. auch Abnehmen bis zu 7 Proc. durch das Kalken angegeben zu finden. Schon von Schilling sind Versuche über den Einfluſs des Kalkens auf die bei uns üblichen Kohlensorten angestellt; er fand für die verschiedenen Kohlen sehr verschiedene Resultate, nämlich bei der untersuchten schlesischen und böhmischen Kohle, sowie bei der böhmischen Plattelkohle und Falkenauer Braunkohle fast keine Zunahme an Ammoniak, dagegen ergab die westfälische und Saarkohle etwa 11 Proc. mehr Ammoniak, die englische Kohle 31 Proc., die sächsische 84 Proc. Walton Clark versuchte (nach einem im Amerikanischen Gasfachmänner-Verein gehaltenen Vortrag) das Kalken der Kohle im Groſsen; die Proben wurden in der Gasanstalt zu Jefferson City mit englischer Kohle angestellt. Das Gas ging durch die in einer kleineren Fabrik üblichen Apparate, nämlich von der Vorlage durch einen 19m,5 langen Kühler, aus U-förmigen Rohren zusammengesetzt, letztere von 200mm Weite, gelangt zum Exhaustor: dann folgt ein Pelouze-Audouin-Apparat, ein vertikaler Luftkühler und ein 6m hoher Koksscrubber. Eine Gruppe von 4 Reinigern zu 3qm,25 dient, mit Laming'scher Masse gefüllt, zur Entfernung des Schwefelwasserstoffes aus dem Gase. Der Theer und das Gaswasser liefen zusammen in die Theergrube und wurden dann getrennt: der angewandte Kalk wurde mit dem gleichen Gewicht Wasser gelöscht und nach dem Erkalten auf die Kohlen geschüttet: beim Mischen wurde noch dasselbe Volumen Wasser wie zuerst zugegeben. Auf diese Art trat keinerlei Verlust an Kalk ein; durch das Lagern vor den Oefen kamen die gekalkten Kohlen oft schon ganz getrocknet zum Laden. Der Versuch dauerte 25 Tage; in den ersten 12 Tagen wurde die Kohle kleiner als sonst üblich geschlagen, dann wurde die frühere Gröſse der Stücke wieder eingeführt. In Betreff der Ammoniakausbeute wurden die besten Resultate bei stark zerkleinerten Kohlen erhalten. Das angewandte Kalkquantum betrug anfangs 3 Proc. der angewandten Kohle, bald aber wurde 2,7 Proc. als genügend befunden. Diese Menge Calciumoxydhydrat reicht hin, um die 1,13 Proc. Schwefel in der Kohle in Sulfid umzuwandeln. Die erhaltenen Resultate sind folgende: Aus 1000k Kohle ohne Kalkzusatz wurden 2k,36 Ammoniak erhalten, entsprechend 9k,13 reinem schwefelsaurem Ammoniak oder 9k,75 der gewöhnlichen Handelswaare. 1000k gekalkte Kohle ergaben 3k,30 Ammoniak, entsprechend 12k,79 schwefelsaurem Ammoniak; somit eine Zunahme von 3k,66 schwefelsaurem Ammoniak. Die Ammoniakausbeute wurde um 39,8 Proc. vermehrt. 100cbm Gas enthielten am Eingang der Koksscrubber: bei ungekalkter Kohle 887g Schwefelwasserstoff bei gekalkter Kohle 567 am Ausgang der Koksscrubber: bei ungekalkter Kohle 656g Schwefelwasserstoff bei gekalkter Kohle 377 somit an letzterer Stelle eine Abnahme des Schwefelgehaltes um 309g SH2 d. i. 47 Proc. Es ist dies eine wesentliche Erleichterung für die Reinigungsmasse, welche ungefähr im selben Verhältniſs länger ausdauert. Der Kohlensäuregehalt ergab sich in 100cbm Gas am Ausgang der Koksscrubber: bei ungekalkter Kohle 2943g Kohlensäure bei gekalkter Kohle 2340 somit eine Abnahme um   603g = 20 Proc. Die Gesammtmenge Schwefel im Stadtgas war bei ungekalkter Kohle 35g in 100cbm, bei Kalkzusatz dagegen 15g, hatte also um 57 Proc. abgenommen, der Gehalt an Kohlensäure um 22 Proc. Zwei Proben Theerpech aus den Kühlern enthielten keinen Kalk. Der von der gekalkten Kohle stammende Koks enthielt zahlreiche kleine weiſse Punkte von 0,5 bis 6mm Durchmesser, wechselnd, mit einem weiſslichen Ring von 25mm und mehr Durchmesser. Ein Reinigerkasten reinigte während der Probezeit um etwa 50 Proc. mehr Gas als sonst. Aber drei Tage nach dem Beginn des Versuches beklagten sich die Ofenheizer über eine Vermehrung der angeschmolzenen Schlacken am Host der Oefen. Sie brechen zwar leichter ab als sonst beim Abstoſsen, die Arbeit ihrer Entfernung war weniger mühsam, aber die Ansätze waren viel zahlreicher als früher. Der Rost muſste vor jedem Aufschütten von Heizmaterial gereinigt werden. Auſser den genannten Beobachtungen, Vermehrung des Ammoniaks, Verringerung den Schwefels und der Kohlensäure im Gas, stellt Walton Clark fest, daſs weder die Leuchtkraft noch die Gasausbeute sich irgendwie verändert halte. Auch in der Heizkraft des Koks war irgend eine Veränderung nicht zu bemerken. (Nach Journal des usines à gaz, 1887 Bd. 11 S. 101.) W. Leybold.