Titel: Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und Sprengtechnik.
Fundstelle: Band 267, Jahrgang 1888, S. 419
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Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und Sprengtechnik. (Patentklasse 18. Fortsetzung des Berichtes S. 370 d. Bd.) Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und Sprengtechnik. Major Philipp Heſs in Wien hat im Laufe des J. 1887 (Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und Genie-Wesens, 1887 Bd. 1 S. 11, Bd. 8 S. 393, Bd. 12 S. 579) Versuche mit detonirenden Zündschnüren angestellt, und schlieſslich eine Knallquecksilber-Zündschnur erfunden, welche von einer österreichischen Militärcommission eingehend geprüft, und als Bestandtheil der Feldausrüstung eingeführt wurde. Diese Heſs'sche Knallquecksilber-Zündschnur verdient in hohem Grade die Aufmerksamkeit aller Sprengtechniker, denn wir sind der Ansicht, daſs damit nicht nur ein bequemer und billiger Ersatz für die elektrische Zündung, sondern durch passende Einrichtungen auch die gefahrlose Zündung in Schlagwetter-Gruben gefunden ist. Heſs versuchte zuerst – wie es Victor und Polglase schon im J. 1863 (vgl. 1862 165 395) empfohlen, und wie es in Frankreich für die Tubes détonantes geschieht – Bleiröhren mit Schieſsbaumwolle zu füllen, und dieselben dann in einem Drahtzuge auszuziehen. Auf diesem Wege konnte er die ursprüngliche Länge 17 mal vergröſsern, wobei sich die Dichtigkeit um mehr als die Hälfte erhöhte. Da ein derartiges Ausziehen und Pressen von Explosivstoffen und die langjährige Aufbewahrung von Schieſswolle in Bleiröhren Bedenken erregte – man ist in Oesterreich seit den Hirtenberger Explosionen gegen Schieſsbaumwolle sehr ablehnend – so hat Heſs das Knallquecksilber als Mittel zur Fortpflanzung der Detonation gewählt, und ein ebenso einfaches als verläſsliches Verfahren zur Herstellung angegeben. Heſs stellt einen Brei von Knallquecksilber und Wasser her, führt vier Baumwollfäden durch diesen Brei, vereinigt sie sodann zu einer Zündader, und überspinnt diese mit Baumwolle, worauf sie getrocknet und mit etwa noch nöthigen Schutzhüllen versehen wird. 1m Zündschnur enthielt dann etwa 6g,75 Knallquecksilber. Die vom Militärcomité versuchten Zündschnüre hatten zuerst ein Kautschukband und dann eine Baumwollhülle, die später zu erwähnende Eigenschaft dieser Zündschnüre wird jedoch für die Civiltechnik eine einfache, dichte Baumwollüberspinnung, höchstens noch mit einem Firniſs, vollkommen ausreichend erscheinen lassen. Es hat sich nun bei diesen Versuchen gezeigt, daſs das Knallquecksilber sowohl verbrennen, wie auch detoniren kann, wobei das Verbrennen dem Ohre allerdings wie eine Detonation erscheint. Eine Heſs'sche Zündschnur entzündet oder mit einem Eisenwerkzeuge geschlagen, brennt bloſs ab, indem sie bei einer Verbrennungsgeschwindigkeit von bloſs 10m in 1 Secunde auf einer Brettunterlage unregelmäſsige Spuren, Quecksilberbeschlag und zusammenhängende, gewundene Schnurreste zurücklieſs, während, wenn die Zündschnur mit einem Zündhütchen detonirt wurde, eine ganz gerade Furche, und nur wenige Stückchen der Umhüllung zurückblieben; die Explosionsgeschwindigkeit, mit Le Boulengé's Fallstab-Chronographen gemessen – wobei die Schnur mit Streifen, von Zinnfolie an die Leitung geschlossen wurde – fand man mit 3651m und zwar in einer 35m langen, 28 Zündhütchen und 3 Verbindungen enthaltenden Linie, während nasse Zündschnüre eine Geschwindigkeit von 3273m zeigten. Um zu ermitteln, ob die Zündung mehrerer Punkte vollkommen gleichzeitig stattfinde, hing Heſs eine Reihe von Zündhütchen an einem Drahte auf, die nach unten durch Gummifäden gespannt waren, und auf einer Blechplatte lagen, also bei einer Unterbrechung der Verbindung sofort von der Blechplatte weggeschnellt wurden; es zeigte sich, daſs stets sämmtliche Platten von den Zündhütchen durchschlagen waren, die Zündung also gleichzeitig erfolgte. Wenn die Zündschnur in einem Zuge geschnitten, jedesmal der Knallquecksilberstaub weggeblasen, und die Schnur mit einem Brettstückchen statt mit der bloſsen Hand niedergehalten wird, ist das Schneiden derselben ohne jede Besorgniſs auszuführen, was durch über 2500 Versuche der Commission wohl genügend bestätigt ist. Als in einem Falle durch gar zu heftige Einwirkung die Schnur brannte, verspürte der Betreffende nur eine starke Prellung ohne jede Folge. Zwischen zwei Hölzern geschlagen, verbrannte die Schnur nicht, dagegen geschah dies, wenn sie auf einer Holzunterlage mit einem Eisenwerkzeuge behandelt wurde. Unter dem Fallapparate (stählerner Bär und Amboſs) war das zur Verbrennung erforderliche Arbeitsminimum 0,75mk (wie für Dynamit) für die ihrer Hülle entblöſste und 2,5mk für die unentblöſste Schnur. Die Zugfestigkeit ergab sich zwischen 30 und 32k, und mit 25k, wenn die Schnur gedreht war. Auflegen von einem 20k-Gewicht oder Abwürgen mit Draht verhinderten nicht die Fortpflanzung der Detonation. Entblöſste Schnur verbrannte durch heftige Reibung, aber nicht die übersponnene. Kälte war ohne Einwirkung, und, was das Interessanteste ist, ebenso auch Feuchtigkeit; absichtlich beschädigte Zündschnüre, 120 Stunden lang im Wasser gelegen, also ganz durchnäſst, detonirten anstandslos. Die chemische Beständigkeit wurde in sehr sinnreicher Weise geprüft. Da die gewöhnliche Probe nicht verwendbar ist – Knallquecksilber läſst bei seiner Zersetzung den Nitrokern nicht frei – wurden 0g,5 des Explosivstoffes in einem Probirglase zwischen 90 und 95° ausgesetzt, wobei nach 34 Stunden eine allmähliche Veränderung des Knallquecksilbers beginnt, die in etwa 100 Stunden dasselbe zu einem braungelben, nicht explosiven und schwer verbrennbaren Pulver von unveränderter Krystallform der Bestandtheile verwandelt; aus der zur ersten Herabminderung und zur vollständigen Aufhebung der Explodirbarkeit nöthigen Zeit läſst sich ein guter Schluſs auf die Beständigkeit ziehen. Da man fürchtete, daſs von der Waschung etwa zurückgebliebene Salpetersäure schädlichen Einfluſs üben könne, so wurden Proben mit 10procentiger Salpetersäuremischung übergössen und nach dem Trocknen geprüft. Die chemische Beständigkeit war immer mindestens gleich der des gewöhnlichen, seit Jahrzehnten erprobten Knallquecksilbers. Beim Beschieſsen mit dem Werndl-Gewehre auf 200 Schritte brannte die Schnur ab, ohne zu detoniren. Fig. 1., Bd. 267, S. 421Fig. 2., Bd. 267, S. 421Fig. 3., Bd. 267, S. 421Fig. 4., Bd. 267, S. 421Fig. 5., Bd. 267, S. 421 Bei den unter den verschiedensten Formen und Verbindungen durchgeführten Versuchen haben sich dann noch andere, sehr wichtige Ergebnisse gezeigt. Es genügt vollkommen, die Zündschnur ohne Zündhütchen in eine Dynamitpatrone einzuführen, um die Explosion der letzteren herbeizuführen, ohne deren Schlagkraft zu vermindern. Verlängerungen der Schnur, sowie Abzweigungen sind durch einfache Knoten herzustellen, wie dies aus den Fig. 1 bis 6 ersichtlich ist. Die Verbindung des die Detonation einleitenden Zündhütchens mit den Zündschnüren geschieht am besten mit einer Glockenmuffe (Fig. 7 und 8), jedoch genügt auch eine Verbindung durch bloſse Umwickelung beider. Man wird aus den vorstehenden Versuchsergebnissen die Ueberzeugung gewonnen haben, daſs wir hier vor einer für die Sprengtechnik wichtigen Erfindung stehen, vor Allem hervorzuheben ist die groſse Leichtigkeit, mit welcher die Zündleitung herzustellen ist, und die Sicherheit und Schnelligkeit der Uebertragung. Das Ersparen des Zündhütchens bei jedem Bohrloche ist ein weiterer Vortheil, weil man dadurch auch viel fester besetzen, also das Dynamit wird besser ausnutzen können, als dies bisher aus Furcht, das Zündhütchen zur Explosion zu bringen, geschehen durfte. Nach den Versuchsergebnissen scheint es uns auch nicht zweifelhaft, daſs die Heſs'sche Zündschnur im nassen Zustande versandt und verbraucht werden kann, wodurch dieselbe ganz gefahrlos wird. Der Preis für 1m Schnur dürfte sich bei der Erzeugung im Groſsen auf etwa 8 Pf. stellen, was nur ungefähr das Doppelte bis Dreifache der gewöhnlichen Zündung mit Schnur und Kapsel an Kosten verursacht. Fig. 6., Bd. 267, S. 422Fig. 7., Bd. 267, S. 422 Als Nachtheil ist zu erwähnen, daſs man entweder von jedem Bohrloche eine besondere Schnur zum gemeinsamen Zündhütchen führen, oder in jede Patrone ein doppeltes Schnurstück stecken muſs, war die Kosten erhöht. Fig. 8., Bd. 267, S. 422 Wir sind nun auch der Ansicht, daſs die Heſs'sche ZündschnurVgl. 1887 265 276. ein ausgezeichnetes Mittel zum Abthun von Schüssen in Schlagwetter-Gruben bietet. Während man in gewöhnlichen Gruben das die Detonation einleitende Zündhütchen einfach mit gewöhnlicher Zündschnur abthun wird, bietet es gar keine Schwierigkeit, eine geeignete Vorrichtung herzustellen, um das Zündhütchen durch Schlag zu detoniren, wenn man in Schlagwetter-Gruben sprengen will. Die Versuche in Neunkirchen und die Erwägungen, welche wir vorhin daran knüpften, haben gezeigt, daſs Knallquecksilber, der brisanteste, praktisch verwendete Explosivstoff, selbst 10procentige Gasgemenge nicht zündet es kann also keine Gefahr drohen, wenn man die Heſs'sche Zündschnur hier verwendet. Hoffentlich werden wir bald von weiteren Versuchen auf diesem Wege hören, zu welchen wir vorläufig nur die Anregung geben wollten. Silesit nennt sich ein Sprengmittel, auf welches Dr. Pietrowicz und Siegert in Breslau ein Patent nahmen (Oesterreichisch-Ungarisches Patent Nr. 2219 vom 12. November 1887). Dasselbe besteht aus 60 Th. chlorsaurem Kali, 10 Th. fünffach Schwefelantimon und 30 Th. Zucker. Zuerst werden im Porzellanmörser Schwefelantimon und Zucker zerrieben, und dann das chlorsaure Kali langsam hinzugefügt, wobei man 3 Proc. Wasser allmählich zutropft. Die Masse wird dann auf einem Brette mit einem hölzernen Stempel unter mäſsigem Drucke verrieben. Wieso die Bereitung und Verwendung dieses Sprengstoffes gefahrlos ist, wie es die Erfinder behaupten, ist uns nicht verständlich. Von D. Johnson in South-Hamstead (Oesterreichisch-Ungarisches Patent Nr. 2387 vom 25. November 1887) rührt ein neuer Vorschlag für ein Schieſspulver aus Nitrocellulose her, welches neben leichter Brennbarkeit auch Härte und Dichte genug hat, um langsam zu verbrennen, ohne jedoch die den sogen. chemischen Pulvern meist eigene sprengende Wirkung zu besitzen. Zur Erzeugung von Jagdpulver mischt Johnson 68 Th. Dinitrocellulose, 25 Th. salpetersauren Baryt, 6 Th. salpetersaures Kali und 1 Th. Ultramarin unter Wasserzusatz innig durch, körnt in einer Trommel und trocknet. 100 Th. dieser Körner werden mit einer Lösung von 10 Th. Kampher in 50 Th. Benzin getränkt, und 15 Minuten lang der Einwirkung überlassen. Sie werden hierauf in runde mit Rührwerk und Helm versehene Pfannen gegeben, diese durch Warmwasser, Dampf oder Heiſsluft erwärmt, und das Benzin durch eine Kühlschlange aufgefangen, wodurch das zurückbleibende Pulver mit krystallinischem Kampher durchsetzt ist. Durch fortgesetzte Erwärmung schlägt sich dann der Kampher am Helme als Sublimat nieder. Hierauf wird das Pulver ausgeräumt und kurze Zeit nicht über 100° erwärmt und schlieſslich der Luft ausgesetzt, um die Luftfeuchtigkeit aufzunehmen. Für Militärpulver werden 35 Th. Dinitrocellulose, 60 Th. salpetersaurer Baryt, 5 Th. Holzkohle oder Lampenruſs genommen. Zur Erzielung gröſserer Dichte werden die Körner auf Pressen behandelt und gekleint, oder direkt in Formen gepreſst. Die härtende Einwirkung des Kamphers auf die Nitrocellulose und der Gebrauch, den man davon in der Industrie macht, sind seit Langem ebenso bekannt, wie die Wahrscheinlichkeit, daſs auf diesem Wege ein allen Anforderungen entsprechendes Pulver nicht zu erreichen ist. (Schluſs folgt.)