Titel: Aus dem Gebiete der Festigkeitslehre.
Fundstelle: Band 270, Jahrgang 1888, S. 311
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Aus dem Gebiete der Festigkeitslehre. Aus dem Gebiete der Festigkeitslehre. Aus dem Gebiete der experimentellen Festigkeitslehre, welche den Zweck verfolgt, durch Elasticitäts- und Festigkeitsuntersuchungen mit Bau- und Constructionsmaterialien deren mechanische Eigenschaften an sich, sowie den Zusammenhang und die maſsgebenden Verhältnisse derselben sicher zu stellen, und derart eine sachgemäſse Grundlage für die theoretische Festigkeitslehre zu schaffen und die für deren Ausbildung und Anwendung, entsprechend den Bedürfnissen der Constructionspraxis, nothwendigen Erfahrungszahlen zu liefern, liegen zwei lehrreiche Arbeiten vor, welche voll geeignet sind, den entscheidenden Werth des mit vollkommenen mechanischen Mitteln durchgeführten wissenschaftlichen Versuches nachzuweisen und deren Ergebnisse sowohl in Beziehung zur reinen Theorie, als auch für die Zwecke der Praxis bemerkenswerth sind, daher im Folgenden eingehend erörtert werden sollen. Prof. C. Bach veröffentlicht in der Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure, 1888 Bd. 32 8. 193, unter dem Titel „Die Biegungslehre und das Guſseisen“ eine Studie, durch welche der wichtige Nachweis erbracht wird, daſs die Voraussetzungen, auf welchen die heute noch eine allgemeine Anwendung findenden Sätze der Biegungslehre auf guſseiserne Körper beruhen, mit den Ergebnissen der Elasticität- und Festigkeitsuntersuchungen des Guſseisens nicht in jenem Einklänge stehen, welcher doch nothwendig vorausgesetzt werden muſs, wenn von der Anwendung der Regeln der Theorie Resultate erhofft werden sollen, welche zur Lösung von Constructionsaufgaben, wie sie die Praxis so zu sagen täglich fordert, unmittelbar, und mit ausreichender Sicherheit für die Brauchbarkeit der Rechnungsergebnisse, geeignet sein sollen. Der erbrachte Nachweis ist von entschiedener Bedeutung, weil er klar stellt, daſs die bisherige Grundlage für die Ermittelung der Festigkeitsdimensionen von guſseisernen Trägern eine höchst unsichere und geradezu unbegründete ist, nachdem insbesondere die seither in Geltung stehenden Anschauungen betreffend die Zugelasticitätsgrenze für Guſseisen und nicht minder jene über die Biegungselasticitätsgrenze desselben Materiales dessen thatsächlichen mechanischen Eigenschaften nicht entsprechen. Es braucht wohl nur auf die einschlägigen Experimente hingewiesen zu werden, um noch begründeter Weise hinzufügen zu können, daſs auch die elastischen Eigenschaften des Guſseisens bei Druck- und Torsionsinanspruchnahme einem analogen Gesetze folgen und entsprechen, wie jene für Zug- und Biegungsinanspruchnahmen, daher auch die bisher übliche Bestimmung der zulässigen Inanspruchnahme für Torsionswellen und solcher auf Druck beanspruchter Guſseisenbestandtheile jeder rationellen Grundlage entbehrt, und nur mit einer gewissen Unsicherheit durchführbar ist, wie die Dimensionirung von guſseisernen Biegungsträgern. Der Verfasser führt im ersten Abschnitte der Abhandlung die bekannten Grundgleichungen der Biegungslehre, mit Rücksicht auf Guſseisen als Constructionsmaterial, vor und stellt fest, daſs dieser theoretischen Grundlage der Mangel ungenügender Uebereinstimmung mit den Ergebnissen von Brechungsversuchen anhaftet, wodurch die Sicherheit der Berechnung der Festigkeitsdimensionen von Biegungsträgern – aus Guſseisen – wesentlich beeinträchtigt wird. Zum Beweise hierfür werden die Ergebnisse eines Zerreiſs- und eines Brechungsversuches mit Stäben aus demselben Guſseisen vorgeführt, aus welchen hervorgeht, daſs die nach den Regeln der Biegungslehre berechnete, gröſste Biegungsspannung für den Brechungsversuch etwa doppelt so groſs ist, als jene Zugspannung, welche sich für den Moment des Zerreiſsens ergibt. (kb = 2700at, kz = 1480at.) Die ermittelte Spannung (kb) entspricht dem quadratischen, die gefundene Spannung (kz) dem kreisförmigen Probequerschnitte des Versuchsstabes. Auf Grund dieses Ergebnisses, d. i. des Verhältniſswerthes kb : kz = 1,83, welcher bei Ausnutzung anderer Querschnittsformen für den Zug- und Brechungsversuchsstab voraussichtlich durch eine andere Zahl auszudrücken sein wird, wird die Frage aufgeworfen, ob die Verwendung von Festigkeitswerthen, welche aus Zugversuchen gewonnen wurden, für die Bestimmung der Festigkeitsdimensionen von Biegungsträgern zulässig ist? Es steht wohl auſser Zweifel, daſs die Verwerthung der Zugfestigkeitswerthe für Berechnung von Biegungsträgern für jedes Material, aber insbesondere für Guſseisen durchaus unrationell ist, weil die Beziehungen zwischen den, den Materialien für Zug- und Biegungsinanspruchnahme zukommenden mechanischen Eigenschaften durchaus noch nicht klar gelegt sind; das gilt selbst noch für Constructionsmaterialien, wie Schweiſseisen, Fluſseisen und ähnliche, über welche vielfach mehr Untersuchungsresultate mechanischer Natur vorliegen, als über Guſseisen, dessen umfassende mechanische Eigenschaften heute noch durchaus ungenügend an sich, wie in ihren wichtigen Beziehungen erkannt sind. Die Methode der Substitution der Werthe (kz) oder ihrer aliquoten Theile für die Werthe von (kb) bezieh. ihre verhältniſsmäſsigen Beträge bei Dimensionirung der Biegungsträger brachte für die Praxis den Vortheil eines höheren Sicherheitsgrades, weil allgemein für alle Constructionsmaterialien, also auch für Guſseisen, die Werthe kb > kz sind; wodurch aber durchaus nicht der Beweis erbracht ist, daſs die eben bezeichnete Methode eine sachgemäſse ist. Indem der Verfasser darauf hinweist, daſs allgemein die eingangs erwähnten Grundgleichungen der Biegungslehre nur im Bereiche der sogen. Elasticitätsgrenzen des verwendeten Constructionsmateriales als gültig erkannt werden, wobei insonderheit die Zug- und Druckelasticitätsgrenze und nicht jene für Biegungsinanspruchnahme als maſsgebend angenommen wird, wird zugleich die Unzulässigkeit dieser Annahm? speciell für Guſseisen durch den Nachweis klar gelegt, daſs dem gewöhnlichen grauen Maschinenguſseisen keine Elasticitätsgrenze weder im Sinne Fairbairn's noch im Sinne der Annahme einer „vollkommenen“ Elasticität zukommt. Diese entscheidende Thatsache bestätigt Referent nicht nur für die in erster Linie in Betracht kommenden Inanspruchnahmen des Guſseisens auf Zug und Druck, sondern auf Grund selbständig durchgeführter Untersuchungen des Verhaltens desselben Materiales für Biegungs- und Torsionsinanspruchnahmen. Durch diese Thatsache wird, wie der Verfasser richtig hervorhebt, der Vorschrift, als zulässige Inanspruchnahme des Guſseisens einen Bruchtheil jener Inanspruchnahme zu nehmen, welche der Elasticitätsgrenze entspricht, in der That jeder Boden entzogen. Das Nichtvorhandensein einer Elasticitätsgrenze für irgend welche elementare Inanspruchnahme des Guſseisens trifft für bearbeitetes und unbearbeitetes Material zu, welch letzteres insbesondere für die Praxis von Bedeutung ist. Es erscheint sonach das Guſseisen wegen Mangels der Elasticität, wie sie für Schweiſs- und Fluſseisen und nicht minder für Fluſsstahl u.s.w. nachgewiesen werden kann, als ein bedenkliches Material für statische und dynamische Inanspruchnahmen und die Frage der Ermittelung der sogen. zulässigen Inanspruchnahme desselben für irgend welche Art seiner Inanspruchnahme heute noch völlig ungelöst und auch durch den Inhalt der vorliegenden Abhandlung nicht erledigt. Der Verfasser prüft im zweiten Abschnitte die Voraussetzungen der Biegungslehre auf ihre Zuverlässigkeit, namentlich gegenüber dem Guſseisen. Die wichtigsten derselben beziehen sich 1) auf die gegenseitige Unabhängigkeit der Fasern, aus welchen der Guſseisenstab bestehend gedacht werden kann bei Biegungsinanspruchnahmen, 2) auf die Unveränderlichkeit der ursprünglich eben gedachten Querschnitte desselben 3) auf die Unveränderlichkeit des Elasticitätsmodulus für alle Fasern, also auf die Unabhängigkeit desselben von der Art und Gröſse der Inanspruchnahme derselben. Die unter 1) hervorgehobene Voraussetzung wird auf Grund der Thatsache, daſs jede Zug- bezieh. Druckinanspruchnahme einer Materialfaser eine (±) Längenänderung und gleichzeitig eine Querverkürzung (Contraction) bezieh. eine Querdehnung hervorbringen muſs, als nicht zutreffend erkannt und weiter nachgewiesen, daſs die Form des Querschnittes des Biegungsträgers einen wesentlichen Einfluſs auf das gegenseitige Verhalten der mit einander verbundenen Materialfasern haben muſs, derart, daſs z.B. bei Querschnittsformen, für welche sich die Querschnittsfläche in zwei schmale, der Nullachse parallele Reifen zusammendrängt, dieser gegenseitige Einfluſs geringer sein muſs, und sich daher für dieselben die Sätze der Biegungslehre unter übrigens gleichen Umständen vollkommener bewähren werden, als für andere, von den obigen entschieden abweichende Querschnittsformen. Es muſs übrigens auch erkannt werden, daſs für solche Querschnittsformen, für welche nothwendig ein lebhafter gegenseitiger Einfluſs der mit einander verbundenen Materialfasern besteht, eine Erhöhung der Widerstandsfähigkeit, d. i. Festigkeit derselben eintreten muſs. Zum Nachweise hierfür wird die thatsächlich bestehende höhere Widerstandskraft starkköpfiger Stahlschienen (Vignolprofil) gegen statische und dynamische Biegungsinanspruchnahme hervorgehoben. Auch die zweite Voraussetzung, betreffend die Unveränderlichkeit der Form der (ursprünglich) ebenen Querschnitte, kann mit Rücksicht auf den Einfluſs der durch das biegende Moment gleichzeitig auftretenden Schubkraft als nicht völlig zutreffend angesehen werden, und insbesondere für das Guſseisen nicht, für welches nachweislich der Elasticitätsmodulus keinen unveränderlichen Werth besitzt. Die sub 3) angegebene Voraussetzung er Konstanz des Elasticitätsmodulus für Guſseisen ist endlich durch zahlreiche einschlägige Untersuchungen mit diesem Constructionsmateriale als den besonderen mechanischen Eigenschaften desselben nicht entgehend befunden worden. Die nachgewiesene Veränderlichkeit des Elasticitätsmodulus, und zwar die Abnahme dieses Werthes bei zunehmender Inanspruchnahme der Materialfasern hat zur wichtigen Folge, daſs jene Materialpartien eines Biegungsquerschnittes, welche zunächst der sogen. Nullachse desselben gelegen sind, verhältniſsmäſsig mehr in Anspruch genommen werden, als jene von dieser mehr entfernten Materialpartien, woraus weiter folgt, daſs das zunächst der Nullachse gelegene Material für sämmtliche Querschnittsformen besser, als bisher angenommen, ausgenutzt wird. Der Verfasser bringt eine graphische Darstellung der Veränderlichkeit der (±) Dehnungen und (±) Spannungen der Materialfaser in Beziehung zur Lage gegen die Nullachse eines Querschnittes, aus welcher die angedeuteten Verhältnisse klar hervorgehen. Hiernach erklärt sich auch die durch unmittelbare Versuche bethätigte Thatsache, daſs unter sonst gleichen Umständen z.B. ein Biegungsstab von kreisförmigem Querschnitte eine gröſsere Bruchspannung ergeben muſs, als ein Biegungsstab von quadratischem Querschnitte, daſs ferner für einen solchen Stab je nach der Lage seines Querschnittes gegen die Richtung der biegenden Kraft verschiedenwerthige Bruchspannungen erzielt werden müssen, so daſs diese also eine Function der Querschnittsform ist. Im dritten Abschnitte werden nun zahlreiche Biegungs-, Brechungs-, sowie Zerreiſsversuche ausführlich dargestellt, um den Einfluſs der Querschnittsform auf die Bruchfestigkeit desselben Guſseisens nachzuweisen, dessen Bruchspannungen übrigens nach den bisherigen Grundregeln der Biegungslehre berechnet wurden. So wurde u.a. durch eine Versuchsreihe mit gehobelten Biegungsträgern, deren Auflagenentfernung 1000mm betrug, für die folgenden Querschnittsformen die Bruchspannungen kbat, sowie die mittlere Zugfestigkeit kzat ermittelt: Querschnittsform: Textabbildung Bd. 270, S. 314(Die mit den Bruchstücken obiger Biegungsträger für die Auflagerentfernung von 500mm neuerdings durchgeführten Brechungsversuche ergaben durchaus etwas gröſsere Werthe von kb.) Diese Ergebnisse zeigen, daſs das Verhältniſs kb : kz für dasselbe Probematerial einen um so gröſseren Werth annimmt, je mehr sich das Material des Probequerschnittes nach der Nullachse hin zusammendrängt und die Biegungsfestigkeit der Zugfestigkeit um so näher kommt, je mehr das Material von der Nullachse entfernt liegt. Die unter 1), 2) und 3) hervorgehobenen Voraussetzungen der Biegungslehre beeinflussen aber auch unvermeidlich die Genauigkeit des Rechnungsergebnisses betreffend die Gröſse der Einbiegung gegossener Biegungsträger, daher auch den Werth des Biegungselasticitätsmodulus, wie auch seitens des Verfassers im zweiten Theile des dritten Abschnittes nachgewiesen wurde. Die bekannte Regel zur Bestimmung der letzteren Gröſse führt unter Benutzung der elastischen (federnden) Einbiegungen, welche im Versuchswege für eine Reihe von Inanspruchnahmegrenzen ermittelt wurden, zu verschiedenen Werthen des Elasticitätsmodulus für Biegung. So wurde für einen Flachstab gefunden: Belastungsgrenzen in k 100/300 300/600 600/900 900/1200 1200/1500 Inanspruchnahmegrenzen    in at 62/185 185/370 370/556 556/741 741/920 Mittlere elastische Durch-    biegungen in cm 0,0225 0,0370 0,0394 0,0405 0,0425 Elasticitätsmodulus für    Biegung in at 1,016,000 bis 807,000 Hiernach ist der Biegungselasticitätsmodulus für Guſseisen eine Function der Biegungsinanspruchnahme und ändern sich dessen Werthe im entgegengesetzten Sinne mit der Biegungsinanspruchnahme und steht Rieses Material in Hinsicht dieser mechanischen Eigenschaft insofern im Gegensatze zu den für die elastischen Transmissionsmittel verwendeten Sondermaterialien, wie Leder, Gummi, Kautschuk, Hanf, Baumwolle u. dgl., als für diese der Zugelasticitätsmodulus mit der Vergröſserung der Zuginanspruchnahme auch stetig einen gröſseren Werth annimmt. Der Biegungselasticitätsmodulus für Guſseisen ist weiter eine Function der Querschnittsform des Biegungsträgers, von welcher nach früher unter sonst gleichen Umständen die Gröſse der elastischen Einbiegung desselben abhängig ist. Eine vom Verfasser durchgeführte Sonderuntersuchung, betreffend die Einbiegung von Biegungsträgern mit unsymmetrischer Querschnittsform ⌶ hat das beachtenswerthe Resultat ergeben, daſs diese auch von der Lage des Querschnittes gegen die gleich gerichtete Biegungskraft abhängig ist, derart, daſs sich für die schmale Flansche als Zugflansche eine groſsere Einbiegung, und zwar noch zunehmend mit der Belastung, ergibt, wie im umgekehrten Falle. (Schluſs folgt.)