Titel: Die Constructionen der Schützenwechsel an den neuesten mechanischen Webstühlen.
Fundstelle: Band 276, Jahrgang 1890, S. 168
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Die Constructionen der Schützenwechsel an den neuesten mechanischen Webstühlen. Mit Abbildungen. Die Construction der Schützenwechsel. Seitdem sich die Geschmacksrichtung wieder mehr den bunten Geweben zugewandt hat, wurde bei den an den Webstühlen vorgenommenen constructiven Verbesserungen ganz besonders der Mechanismus berücksichtigt, welcher dazu dient, die Verwendung einer gröſseren Anzahl verschiedenfarbige Einschlagfäden enthaltender Schützen zu ermöglichen. Die Vervollkommnungen dieser, mit dem Namen Schützenwechsel bezeichneten Apparate erstrecken sich aber nicht nur auf die Vermehrung der zur Aufnahme der Schützen dienenden Zellen, sondern auch auf eine zweckmäſsigere, selbst bei groſser Tourenzahl des Webstuhles ein ruhiges und sicheres Arbeiten bedingende Construction des, das beliebige Vortreten der einzelnen Kasten bewirkenden Mechanismus. Man unterscheidet hauptsächlich zwei Arten von Schützen wechseln, die sogen. Revolverwechsel, bei welchen die Schützenzellen kreisförmig angeordnet sind und die Steigkastenwechsel, bei welchen die einzelnen Zellen über einander liegen. Die letzteren erfreuen sich in der Buntweberei einer weit gröſseren Beliebtheit, weil bei ihnen der Fehler des Revolverwechsels, durch Drehung der Einschlagfäden um einander ungleichmäſsige Kanten zu bilden, vermieden wird, und deshalb beziehen sich die, besonders in den letzten Jahren zahlreich angemeldeten Patente auf Schützenwechsel fast nur auf solche mit Steigkasten. Bei allen früheren, den gleichen Zweck verfolgenden Mechanismen geschah das Emporheben der Zellen durch Stufenexcenter, welche der Zahl der zu hebenden Kasten entsprechend Absätze hatten und so, bei einer mehr oder weniger groſsen Drehung des Excenters, die einzelnen Schützenzellen in die Höhe der Ladenbahn brachten. Fig. 1., Bd. 276, S. 169 Um den Unterschied von den neueren Wechselvorrichtungen besonders hervorzuheben, bringen wir zunächst eine Beschreibung des durch Fig. 1 erläuterten, mit Stufenexcenter construirten alten Hartmann'schen Schützenwechsels, für Stühle mit drei Steigkasten an jeder Seite der Weblade. Auf der Hauptwelle a befindet sich die Excenterscheibe b, welche bei der Drehung der Welle den Schieber c mit Hülfe einer Feder d abwechselnd nach rechts und links bewegt. Der Schieber c trägt Fallen e und e1, welche derartig mit einander verbunden sind, daſs nur entweder die obere oder die untere mit den Nasen der Scheibe f in Berührung kommen kann. Eine zweite, gleichfalls auf der Welle a befestigte Excenterscheibe vermittelt, zusammen mit der Gegenzugfeder g, eine oscillirende Bewegung des Hebels h. Letzterer trägt die sogen. Wendegabel k, welche je einen Zapfen der Scheibe i fassend, mit dieser gleichzeitig den mit ihr verbundenen Cylinder um ein Sechstel seines Umfanges dreht. Um den aus, mit je sechs Nuten versehenen Scheiben bestehenden Cylinder ist die Wechselkarte gelegt, welche aus kettenförmig mit einander verbundenen Stäben zusammengesetzt ist. Auf die Stäbe sind Rollen in drei verschiedenen Gröſsen aufgesteckt, und indem nun je nach der Gröſse dieser Rollen der Hebel l und mit ihm die Stöſser e und e1 mehr oder weniger hoch gehoben werden, treffen letztere gegen die Nasen der Scheibe f und ertheilen derselben eine mehr oder weniger groſse Drehung nach rechts oder links. Durch diese Drehung wird die entsprechende der drei Stufen des Excenters m über die Rolle n gebracht und so das Heben der Schützenzellen bewirkt. Ein bei den neueren Wechselmechanismen beseitigter, durch gröſsere Tourenzahl des Stuhles sich immer nachtheiliger äuſsernder Fehler sind die nicht zu vermeidenden Stöſse beim Uebergang von der ersten Stufe auf die dritte und zurück. Es läſst sich, da der Kasten auch auf der mittleren Stufe zeitweise, während des Schützendurchganges, ruhig verharren muſs, nicht umgehen, daſs die steigende Form der Excenterscheibe hier eine Unterbrechung erfährt, welche die vorgenannte unruhige Bewegung verursacht. Das Bestreben, diesen Fehler zu beseitigen, hat zu dem allen neuen Schützenwechseln gemeinsamen Prinzip geführt, das Heben um einen und dasjenige um zwei Kasten durch gesonderte Mechanismen zu erzeugen, letztere aber gemeinsam und gleichzeitig in Wirkung treten zu lassen, sobald es sich um das Heben von drei Kasten handelt. Hiermit gelangte man zu einem Schützenwechsel mit vier über einanderliegenden Schützenzellen, von welchen die oberste für gewöhnlich in der Höhe der Ladenbahn steht, während die andern in der vorerwähnten Weise eingestellt werden. Dieses gemeinsame Prinzip der sämmtlichen neueren Wechselvorrichtungen bedingt eine gewisse Aehnlichkeit der Constructionen, welche schon zu vielen Patentstreitigkeiten geführt hat. In der Regel aber, und mit vollem Recht, sind die Einsprüche oder Nichtigkeitsklagen der älteren Patentnehmer abgewiesen worden, da das Patent nur die neue Combination der Mechanismen, nicht aber ein Prinzip vor Nachahmung schützen soll. – Der erste derartige Schützenwechselmechanismus wurde von Louis Schönherr für seinen Excenterbuckskinstuhl construirt. Wie in Fig. 2 dargestellt, geschieht das Heben der Schützenzellen durch die Drehung zweier Scheiben a und b, deren excentrische Form derartig gewählt ist, daſs die hintere b den Hebel d um das Doppelte zurückdrücken kann, als wie die vordere a dies beim Hebel c bewirkt. Beide Hebel sind an einer Kette e befestigt, welche um die an dem Winkelhebel f befindliche Rolle geführt ist. Der eine Schenkel dieses Winkelhebels bildet einen Zahnbogen, welcher in Eingriff mit den, als Ersatz der Zähne dienenden Rollen des Kastenträgers g steht. Wird das Excenter a allein gedreht, so hebt es durch Anziehen der Kette die Höhe eines Kastens, bringt also den zweiten Kasten in die Höhe der Ladenbahn; wird Excenter b allein gedreht, so hebt es vermöge seiner entsprechend construirten Form um das Doppelte, bringt also den dritten Kasten vor die Ladenbahn, während das gleichzeitige Drehen beider Excenterscheiben die Summe der Einzelwirkungen, also das Vorbringen des vierten Kastens bewirken wird. Da die entgegengesetzte Drehung ebenso das Niederlassen ermöglicht, so ist es nur erforderlich, durch eine entsprechend construirte Vorrichtung eine beliebige Rechts- und Linksdrehung der Excenterscheiben zu bewirken, um jeden beliebigen Schützenkasten in die Höhe der Laden bahn einstellen lassen zu können. Zur Erreichung dieses Zweckes bedient sich Schönherr der an beiden Seiten mit, einander entgegengesetzt stehenden Nasen versehenen Platinen h, deren untere Enden an den, einen Theil der Excenterscheiben a und b bildenden Hebeln verzapft sind. Fig. 2., Bd. 276, S. 171 Wie in Fig. 3 dargestellt ist, wird durch eine auf der Hauptwelle befestigte excentrische Scheibe k der Hebel i, und mit diesem das Bogenstück l in schwingende Bewegung gesetzt, welche das wechselweise Auf- und Niederschieben der Schienen m und m1 veranlaſst. Durch diese Schienen werden die Platinen, je nachdem sie gegen die rechte oder linke Schiene gedrückt sind, auf oder nieder geschoben. Der obere Theil der Platinen ist in einer an dem Winkelhebel o angebrachten Gabel geführt und so wird durch das Heben oder Niederlassen dieses Fig. 3. Winkelhebels mittels einer Wechselkarte p das Andrücken der Platinen an die Hubschienen in einer ähnlichen Weise, wie das Heben der Hebel bei dem durch Fig. 1 erläuterten Schützenwechsel bewirkt. Hierzu kann ebensowohl die Kette mit auf Stiften aufgesteckten Rollen von zwei verschiedenen Gröſsen, als auch die in Fig. 2 gezeichnete aus Holzbrettchen, mit eingeschraubten Stiften bestehende Musterkarte verwendet werden. Neuerdings hat man statt dessen auch am Schönherr'schen Stuhle durchlochte Pappdeckelkarten, ähnlich wie bei den Jacquardmaschinen, zur Einstellung der Platinen benutzt. Mit der Einführung des Kurbelbuckskinstuhles in der Schönherr'schen Fabrik wurde für diesen ein in ähnlicher Weise arbeitender Schützenwechsel geschaffen, von welchem Fig. 4 ein Bild gibt. Die Bewegung zweier Excenterscheiben mittels der Platine finden wir auch bei diesem Wechsel festgehalten, in der übrigen Construction zeigen eich aber bedeutende Abweichungen. Fig. 3., Bd. 276, S. 172 Der Winkelhebel P O S, welcher die Schützenkasten trägt, greift nicht mit Zähnen in die Hubstange, sondern letztere ist mit einer Kette an den Seetor P gehängt. Der Winkelhebel ist durch eine Zugstange mit einem Hebel L verbunden, welcher, indem er durch Drehung des Excenters K nach links gedrängt wird, den dritten Kasten in die Höhe der Ladenbahn bringt. Während diese Vorrichtung derjenigen des vorher beschriebenen Schützenwechsels entspricht, ist für das Heben des zweiten Kastens eine andere Anordnung getroffen. Das obere Ende des Hebels L ist nämlich nicht auf einem an die Stuhlwand geschraubten Bolzen gelagert, sondern in der Gabel eines zweiten, doppelarmigen Hebels M verzapft, welch letzterer seine Lagerung auf einem an der Stuhl wand befestigten Bolzen hat. Auf die am unteren Arm des Hebels M befestigte Rolle wirkt die zweite Excenterscheibe K1 und verstellt dadurch den Drehpunkt des Hebels L in der Richtung des Pfeiles derart, daſs durch die alsdann in entgegengesetzter Richtung erfolgende Schwingung des unteren Theiles dieses Hebels der Hub um eine Kastenhöhe erfolgt. Auch hier erzeugt das gleichzeitige Arbeiten beider Excenter die Summe ihrer Einzelwirkungen, nämlich das Heben des vierten Kastens vor die Ladenbahn. Die Schwingung des die Platinen bewegenden Bogenstückes E erfolgt nicht von einer excentrischen Scheibe, sondern von dem Kurbelrad B aus. – Das Anlegen der Platinen an einen der beiden Schuber G und G1 kann bei dieser Wechselvorrichtung ebenfalls durch eine Wechselkette erfolgen, bei Jacquardstühlen zieht man aber häufig vor, dies von der Jacquardmaschine aus bewirken zu lassen, da es eine Erleichterung für den Weber ist, wenn mit der Jacquardkarte auch stets die Einstellung des richtigen Schützenkastens erfolgen muſs. Die Construction des diesen Zweck verfolgenden Apparates ist gleichfalls aus Fig. 4 ersichtlich. Eine auf der Kurbelwelle befestigte Kurbelscheibe A setzt mittels der Zugstange v und dem Winkelhebel w die Stöſser 2 in schiebende Bewegung. Fig. 4., Bd. 276, S. 173 Mit den Platinen der Jacquardmaschine stehen die Stöſser durch Schnüre und an dem Jacquardträger angebrachte zweiarmige Hebel derartig in Verbindung, daſs die Stöſser beim Heben der zugehörigen Platine niedergelassen werden. Ist nun z.B. der Stöſser 2 gehoben, so drückt eine an demselben befindliche Nase gegen den Stützhebel 7, der auf demselben ruhende Hebel 9 fällt nieder und mit diesem gleichzeitig der mit Gewicht versehene Platinenführer 3, dessen Arm 5 die Platine gegen den dieselbe aufziehenden Schuber G drückt. Wird dagegen der Stöſser 2 niedergelassen, so drückt er gegen die Nase 1 des Hebels 9, hebt diesen dadurch so hoch, daſs sich der Stützhebel 7 darunter stellen kann und zugleich durch das Heben des Platinenführers 3 dessen Arm 6 die Platine gegen den, dieselbe niederdrückenden Schuber G1 drängt. Bemerkenswerth ist noch eine Vorrichtung, welche dazu dient, Bruch zu verhüten, wenn einmal durch irgend einen Umstand die Schützenzellen am freien Aufsteigen verhindert sind. Zu genanntem Zwecke besteht der Winkelhebel P O S aus zwei Theilen P und S. Diese beiden Theile sind in der Weise mit einander verbunden, daſs ein an S befestigter Stift e mittels einer Druckfeder in einer an dem Sector des Hebels P befindlichen Nuthe festgehalten wird, welche Verbindung sich nur in dem Falle durch Ausspringen des Stiftes aus der Nuthe löst, wenn, wie vorerwähnt, ein das regelrechte Aufsteigen der Zellen hindernder Umstand eintritt. Die Vortheile, welche die beschriebenen beiden Schützen Wechsel boten, veranlaſsten die Sächsische Maschinenfabrik, vormals Richard Hartmann, ihren seitherigen Wechselmechanismus durch einen das gleiche Prinzip wie die Schön herrischen verfolgenden Apparat zu ersetzen. Daſs die Hartmann'sche Fabrik hierbei sich auch der Platinen bediente, veranlaſste einen Patentprozeſs mit der Schönherr'schen Fabrik, welcher jedoch in letzter Instanz zu Gunsten ersterer Firma entschieden wurde. (Fortsetzung folgt.)