Titel: Ueber die Ursache der sauren Gährung in Gerbebrühen.
Autor: F. H. Haenlein
Fundstelle: Band 291, Jahrgang 1894, S. 186
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Ueber die Ursache der sauren Gährung in Gerbebrühen. Von Dr. F. H. Haenlein. Mit Abbildungen. Ueber die Ursache der sauren Gährung in Gerbebrühen. Jeder Gerber weiss, dass die Gerbebrühen in doppelter Beziehung einer Veränderung unterworfen sind, wovon theils die Gerbstoffe, theils die gleichzeitig in Lösung befindlichen „Nichtgerbstoffe“ betroffen werden. Die Veränderung des Gerbstoffes besteht in der Hauptsache in einer successiven Abnahme seiner Quantität in demselben Maasse, als er durch die in der Brühe befindliche thierische Haut aufgenommen und mithin aus der Lösung ausgeschieden wird. Ob der Gerbstoff auch qualitativen Veränderungen unterliegt, ist noch nicht entschieden. Ganz anders gestaltet sich die Sache für die „Nichtgerbstoffe“. Sie sind es hauptsächlich oder allein, welche durch ihre Anwesenheit eine qualitative Veränderung der Gerbebrühen bedingen, als deren Endstadium die vollkommene Säuerung der Brühen zu betrachten ist. Zahlreiche Substanzen, welche in den sauren Brühen vorhanden sind, in den frischen, süssen Brühen aber fehlen, sind uns durch die Untersuchungen von Wladika„Zur Kenntniss der organischen Säuren in Fichtenbrühen von Julius Wladika, Der Gerber, 1890 Nr. 368. bekannt geworden. Es sind dies hauptsächlich flüchtige organische Säuren, besonders Essigsäure, und nichtflüchtige organische Säuren, namentlich Milchsäure. Das Material zur Bildung der genannten Stoffe liefern nun die organischen „Nichtgerbstoffe“ und unter diesen insbesondere der Zucker und andere diesem ähnliche Kohlehydrate, welche daher in den Brühen im Laufe der Zeit ebenso an Menge abnehmen, wie die Säuren zunehmen. Man hat sich schon lange gewöhnt, den ganzen Process der Säuerung als eine Gährung zu bezeichnen, und man ist auch dazu berechtigt, einerseits deshalb, weil die Endproducte des Processes, die Säuren, einfachere chemische Verbindungen darstellen als die Kohlehydrate, aus denen erstere entstanden sind, und andererseits darum, weil die äusseren Bedingungen der Säuerung erfahrungsgemäss mit den günstigsten Gährungsbedingungen übereinstimmen. Ueber die meisten Punkte aber, deren Kenntniss zu einer wissenschaftlichen Erklärung der gesammten Gährungsvorgänge in den Gerbebrühen nothwendig ist, herrscht noch vollkommenes Dunkel. Besonders bedürfen noch folgende Fragen der wissenschaftlichen Beantwortung: Sind ausser dem Zucker noch andere Kohlehydrate der Zersetzung unterworfen? Welche Zwischenproducte treten auf? Liefert der Zucker allein verschiedene Endproducte? Können dieselben Endproducte verschiedenen Ursprung haben? Welche Fermente sind als Gährungserreger betheiligt? Sind es ungeformte Fermente oder sind es Bakterien, Hefe, Schimmelpilze u.s.w.? Hört die Gährung schliesslich auf aus Mangel an Gährungsmaterial oder bildet die entstandene Säuremenge ein Hinderniss? Gehen gewisse Zersetzungen unabhängig von einander gleichzeitig vor sich? Oder ist für den Eintritt gewisser Gährungen Bedingung, dass andere Zersetzungen vorher begonnen haben oder vollendet sein müssen? u.s.w.    u.s.w. Da es bei einer so complicirten Sache wohl schwerlich gelingen dürfte, mit einem Schlage Licht über alle Einzelheiten zu verbreiten, so müssen wir uns begnügen, in der Erkenntniss schrittweise vorzudringen. Die nachfolgenden Mittheilungen, welche einige neue Beobachtungen enthalten, sind auch dazu bestimmt, einen Beitrag zur Kenntniss der Gährungsvorgänge in den Gerbebrühen zu liefern. Zuvörderst kam es mir darauf an, zu versuchen, ob sich nicht der Beginn der Gährung in einfacherer und bequemerer Weise feststellen lässt, als durch eine umständliche und zeitraubende chemische Untersuchung über die etwa gebildeten Säuren. Es lag dabei der Gedanke nahe, zu prüfen, ob nicht – wie bei vielen anderen Gährungsvorgängen – auch in den Gerbebrühen gasförmige Zersetzungsproducte sich bildeten. Textabbildung Bd. 291, S. 186Fig. 1. Zu diesem Zwecke construirte ich mir folgenden Apparat (siehe Fig. 1): Der Glaskolben A ist mit einem doppelt durchbohrten Kork versehen. Durch die eine Bohrung reicht eine lange Glasröhre B bis nahe auf den Boden. Durch die andere Bohrung ist eine kurze Glasröhre C gesteckt, welche nach unten gar nicht und nach oben nur wenig über den Kork hervorragt. Ueber dem Kolben ist ein oben geschlossenes, cylindrisches Rohr F in einem Halter befestigt. Das Rohr ist mit einer Gradeintheilung versehen, welche bequem 0,5 cc abzulesen gestattet. Die nach unten gekehrte Oeffnung des Rohres ist mit einem einfach durchbohrten Kork verschlossen, durch welchen die kurze Glasröhre E geht. Schliesslich sind die Glasröhren C und E noch durch den Gummischlauch D mit einander verbunden. Die Füllung des ganzen Apparates mit Gerbstofflösung bezieh. mit der zu untersuchenden Flüssigkeit geschieht in folgender Weise: Zunächst wird der Glaskolben A mit der Flüssigkeit bis zum Rande gefüllt und darauf der Kork sammt den Röhren B und C auf den Hals des Kolbens gesetzt und fest eingedrückt, und zwar so weit, dass die in die Röhre C eintretende Flüssigkeit dieselbe vollständig bis zum oberen Rande ausfüllt, eventuell auch etwas überläuft. Hierauf wird das Rohr F gleichfalls bis zum Rande gefüllt und dann mit dem Korke verschlossen, der bereits mit dem Glasröhrchen E und dem Gummischlauche D versehen ist. Man drückt den Kork so tief ein, bis die Flüssigkeit eben zur Mündung des Gummischlauches hervorquillt. In diesem Zustande kann man getrost das Rohr F sammt Gummischlauch umkehren, ohne befürchten zu müssen, dass Luftblasen durch den Gummischlauch eintreten oder Flüssigkeit verloren geht. Das Rohr F wird nun in einen Halter gespannt und das offene Ende des Gummischlauches über das Glasröhrchen C geschoben. Um zu verhindern, dass während der Versuchsdauer Staub oder sonstige fremde Dinge in die Flüssigkeit gelangen, wird endlich noch die äussere Mündung der Röhre B mit Watte verschlossen, oder man wendet überhaupt eine am Ende hakenförmig umgebogene Röhre an. Wenn nun in dem so vorbereiteten Apparate eine Gasentwickelung stattfindet, so sammelt sich an dem oberen Ende des Rohres F das Gas an, indem eine entsprechende Menge Flüssigkeit in die Röhre B gedrängt wird. Es ist darauf zu achten, dass die Verbindungsstücke C, D und E nicht zu eng (etwa 6 mm weit) sind, weil sich Gasblasen in engeren Röhren nur schwer fortbewegen. In einen Kolben von etwa 600 cc Inhalt wurde zum Zwecke eines Vorversuches eine Quantität von etwa 25 g feingemahlener Fichtenrinde gebracht, mit kaltem Wasser übergossen und mehrfach durchgeschüttelt. Nach einigem Stehen, bis die mechanisch an den Rindentheilchen haftende Luft in Bläschen entwichen war, wurde die mit Wasser gefüllte Aufsatzröhre in der oben beschriebenen Weise mit dem Kolben verbunden und nun das Ganze bei Zimmertemperatur sich selbst überlassen. Fichtenrinde wurde für diesen Vorversuch deshalb gewählt, weil dieselbe erfahrungsmässig in den Brühen leichter und schneller Veränderungen erleidet als die meisten anderen vegetabilischen Gerbmaterialien. Ich wurde in meiner Erwartung nicht getäuscht; denn nach Verlauf von drei Wochen hatten sich in dem Aufsatzrohre etwa 50 cc eines farblosen Gases angesammelt. Gleichzeitig konnte man beobachten, dass die Gasentwickelung aus der zu Boden gesunkenen Rinde immer noch fortdauerte. Dieses Resultat bewog mich, den Versuch zu wiederholen und zugleich einen zweiten Versuch zur Beantwortung der Frage anzusetzen, ob die Gasentwickelung die Folge einer in dem angewandten Material eingetretenen Gährung ist oder eine andere Ursache hat. Zu diesem Zwecke wurden zwei Apparate mit je 20 g Fichtenrinde und Wasser in der oben geschilderten Weise vorgerichtet, mit dem Unterschiede jedoch, dass der gesammte Inhalt des einen Kolbens erst erwärmt und einige Zeit im lebhaften Kochen erhalten wurde, bevor man den ganzen Apparat sich selbst überliess. Nach 9 Tagen begann in dem nur mit kaltem Wasser beschickten Apparat die Entwickelung des Gases, dessen Menge dann täglich wuchs und am 23. Tage 49,5 cc betrug. In dem anderen Apparate, dessen Inhalt dem Kochen unterworfen worden war, zeigte sich noch keine Spur von Gasentwickelung und eine solche trat auch fernerhin nicht ein, obgleich der Versuch fortgesetzt wurde bis zu einer Dauer von 77 Tagen! Durch das Unterbleiben der Gasentwickelung nach dem Kochen wird diese selbst offenbar als eine Folge- oder Begleiterscheinung eines Gährungsprocesses charakterisirt. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die Fichtenrinde auch in den kalt bereiteten Brühen in den Gerbereien denselben Gährungsvorgängen unterliegt, wie die wesentlich in gleicher Weise behandelte Rinde im Laboratorium. Deshalb erschien es mir wohl der Mühe werth, der Ursache dieser merkwürdigen Erscheinung, den Bedingungen ihres Eintrittes, ihrem Zusammenhang mit anderen stofflichen Veränderungen in den Brühen und ihrem etwaigen directen oder indirecten Einfluss auf die Gerbung etwas näher nachzuforschen. Bevor ich indessen auf die weiteren darauf gerichteten Versuche eingehe, muss ich zuvor noch einige mehr äusserliche Umstände kurz berühren. Schon in den ersten beiden Versuchen hatte es sich als ein Misstand herausgestellt, dass einzelne kleine Theilchen der Fichtenrinde in Folge ihres geringen specifischen Gewichtes sich nicht zu Boden setzten, sondern in der Flüssigkeit emporstiegen, in die Verbindungsstücke C, D und E gelangten, diese verstopften und so den aufsteigenden Gasblasen den Durchgang erschwerten oder ganz verwehrten. Zur Vermeidung dieses Uebelstandes genügt es nicht, dem Verbindungswege aus dem Kolben in die Aufsatzröhre einen grösseren Durchmesser zu geben, weil dann die leichten Partikelchen in den oberen Theil der Röhre F gelangen und so einen Fehler in der Ablesung des entwickelten Gasvolumens bewirken. Ich versuchte daher, ob sich nicht die Gegenwart der festen Rinde ganz umgehen liess, indem ich 12 g Fichtenrinde etwa 1 Stunde lang mit 600 cc Wasser kalt extrahirte und nur den filtrirten Extract in den Apparat brachte. In der That wurden nach 6 Tagen 10 cc und nach 13 Tagen 31 cc Gas entwickelt. Dieses Resultat veranlasste mich, in allen folgenden Versuchen nur noch die filtrirten Extracte anzuwenden, wo nicht der Zweck des Versuches die Gegenwart der festen Rinde erforderte. Zugleich stellte sich heraus, dass das Arbeiten mit Extracten noch einen anderen Vortheil bietet, indem es gestattet, wegen der Abwesenheit von suspendirten kleinen Rindentheilchen gewisse Veränderungen in der Flüssigkeit selbst leichter zu beobachten, wovon weiterhin noch des Näheren die Rede sein wird. Da ferner schon die bisherigen Versuche erkennen liessen, dass es immer einer Dauer von mehreren Tagen, ja selbst Wochen bedurfte, bis die Gasentwickelung so weit fortgeschritten war, dass der Versuch ein brauchbares Resultat lieferte, so war natürlich viel daran gelegen, diese Zeitdauer thunlichst abzukürzen oder, falls sich dies als nicht möglich erweisen sollte, wenigstens in einer bestimmten Zeit eine möglichst grosse Menge Gas zu gewinnen und überhaupt eine möglichst weitgehende Veränderung der Brühe zu erzielen. Es musste daher ein passendes Verhältniss zwischen der angewandten Rindenmenge und der Wasserquantität bezieh. eine geeignete Concentration der Brühe ausprobirt werden. Fünf Apparate von je etwa 720 cc Inhalt wurden beschickt mit den kalt hergestellten Extracten von je 2, 5, 10, 20 und 50 g Fichtenrinde und wieder bei Zimmertemperatur sich selbst überlassen. Das Resultat waren folgende Zahlen, welche die producirte Gasmenge in Cubikcentimeter angeben: Angewandte Rindenmenge: 2 g 5 g 10 g 20 g 50 g Entwickelte Gasmenge nach     7 Tagen 0,2   1 2 12 4,5   15     „ 0,5   22,5 38,5 39 6   21     „ 31 54 46 Es geht hieraus hervor, dass zur Erzielung eines grossen Effectes in kurzer Zeit eine starke Concentration ebenso wenig geeignet ist, als eine sehr schwache, während die mittleren Concentrationen sich am vortheilhaftesten erweisen, unter einander aber nur unwesentlich differiren. Das günstigste Verhältniss scheint zwischen 10 und 20 g Rinde auf eine Wassermenge von 720 cc zu liegen oder (in runden Zahlen) zwischen 13 und 27 g auf 1 l. Ich nahm daher in den folgenden Versuchen, wo nicht anders angegeben, das Mittel, also immer 20 g Rinde auf 1 l Wasser (beiläufig dasselbe Verhältniss, wie es bei Untersuchung des Gerbstoffgehaltes der Fichtenrinde gebräuchlich ist). Vor dem näheren Studium der ganzen merkwürdigen Erscheinung und insbesondere bevor es mir statthaft erschien, aus den Beobachtungen Schlüsse auf das Verhalten der Fichtenrinde überhaupt zu ziehen, war aber noch ein Einwurf zu beseitigen, der mir zwar schon von vornherein wenig stichhaltig erschien, der aber immerhin erhoben werden könnte, nämlich der, dass die beobachtete Gasentwickelung eine mehr zufällige Zersetzungserscheinung sei, bedingt durch die specifische Beschaffenheit der bisher gebrauchten Rinde, welche aus mehreren Restbeständen des Tharander Laboratoriums gemischt war. Ich nahm daher noch drei andere Fichtenrinden von verschiedener Herkunft und abweichender Zusammensetzung. Die eine davon (A) stammte aus Jöhstadt im Erzgebirge, die andere (B) von der Oberförsterei Oderhaus im Harz und die dritte (C) von einer Versuchsfichte aus der Lohmühle zu Tharand. Die chemische Analyse dieser drei Rinden hatte folgende procentische Zusammensetzung ergeben: A B C Wasser 14,50 14,50 14,50 Gerbende Substanzen 10,71 18,14 13,00 Organische Nichtgerbstoffe 13,22   9,75 Extractasche   1,55   0,75 Unlösliches 52,59 62,00 Von jeder dieser drei sowohl nach ihrem Ursprung, als bezüglich ihres Gerbstoffgehaltes sehr verschiedenen Rinden wurde in dem angegebenen Verhältniss von 20 g auf 1 l ein kalter Extract bereitet und in einen Gasentwickelungsapparat gebracht. In allen drei Fällen ging auch thatsächlich eine Gasentwickelung vor sich, und zwar betrug die producirte Menge in Cubikcentimeter: Bei A B C Nach  8 Tagen 20,0 31,5 23,0    „   14     „ 39,0 41,5 44,5 Diese Zahlen sind sowohl unter einander, als auch mit den oben für das Mischmuster erhaltenen so nahe übereinstimmend; dass es gerechtfertigt ist, es als eine Eigenschaft der Fichtenrinde überhaupt hinzustellen, beim Verweilen unter Wasser gasförmige Zersetzungsproducte zu liefern, und dass die weiterhin zu besprechenden Ergebnisse, welche die Untersuchung der von mir gebrauchten Fichtenrinde geliefert hat, ihrem wesentlichen Inhalte nach ohne weiteres auf alle Fichtenrinden übertragen werden können. Wenn wir nun dem Wesen der Gasentwickelung etwas näher nachforschen, so wurde dieselbe schon oben beiläufig als eine Gährungserscheinung bezeichnet, und sie charakterisirt sich auch als solche durch ihren zeitlichen Verlauf. Die meisten Gährungen gehen unter Voraussetzung einer gleich bleibenden Temperatur so vor sich, dass sie zuerst schwach beginnen, dann eine Zeitlang an Intensität zunehmen, bis ein gewisses Maximum erreicht ist, darauf langsam wieder schwächer werden und allmählich ganz aufhören. Auch in den zahlreichen von mir angestellten Versuchen mit Fichtenrinde war der Verlauf der Gährung in den Hauptzügen der gleiche, wenn die Menge des entwickelten Gases als ein Maasstab für die Intensität der Gährung betrachtet wird. Folgendes Beispiel mit täglichen Beobachtungen mag den Gang der Erscheinung näher veranschaulichen. Aus dem Extracte von 20 g Fichtenrinde wurde Gas entwickelt in je 24 Stunden: am 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. Tage 0 0 8,7 37,9 20,2 21,0 8,1 2,7 1,2 0,9 0,4 0,1 cc Wie die vorstehenden Zahlen zeigen, charakterisirt sich speciell diese Gährung dadurch, dass ihre Intensität bald nach dem Beginne sehr rasch anwächst und nach dem Uebersteigen des Maximums anfangs schnell und zuletzt nur langsam wieder abnimmt. Haben wir es nun aber hier mit einer wirklichen Gährungserscheinung zu thun, so muss auch ihre Ursache eine analoge sein, d.h. sie muss durch ein Ferment hervorgerufen werden. Weil nun einerseits die Isolirung und Reindarstellung der ungeformten Fermente ausserordentliche Schwierigkeiten darbietet und weil andererseits schon zahlreiche Bakterien als Erreger von Gährungen bekannt sind, so lag es nahe, zunächst auf die letzteren zu fahnden. Schon früher hatte ich nachgewiesen, dass die Eichenrinde zahlreiche Bakterien beherbergtDeutsche Gerberzeitung, 1892 Nr. 48., und es konnte nicht zweifelhaft sein, dass sich auch die Fichtenrinde als der Sitz vieler Bakterien erweisen würde. Da es für den vorliegenden Zweck zunächst nicht darauf ankam, welche Mengen von Bakterien vorhanden waren, sondern vielmehr darauf, ob eine der vorhandenen Arten als Gährungserreger functionirte, so wurde sofort dazu geschritten, die etwa vorhandenen Bakterienarten zu trennen und zu isoliren. Hierzu diente das bekannte Koch'sche Plattenculturverfahren. Die Mannigfaltigkeit der Colonien, welche die Fichtenrinde hierbei lieferte, war übrigens geringer, als ich erwartet hatte. Es waren nämlich nach Verlauf einer Woche nur zweierlei Colonien erschienen, die einen fast weiss aussehend, flach, im Umriss fast kreisförmig, aber mit etwas unregelmässigem Rande; die anderen kleiner, schwach gelblich, im Umriss mehr länglich elliptisch. Nach weiteren 7 Tagen zeigten sich noch zwei andere Arten von rosafarbigem und intensiv gelbem Aussehen, aber in so spärlicher Menge, dass sie vorläufig von der weiteren Untersuchung ausgeschlossen wurden. Die ersten beiden Arten bildeten bei weitem die Hauptmasse, und es war deshalb wohl eher zu vermuthen, dass ihnen eine Bedeutung zukommt. Sie sollen vorläufig als Nr. 50 und Nr. 51 bezeichnet werden. Diese beiden Bakterienarten dienten nun zur Anlegung von Reinculturen. Nach 14 Tagen hatten sie sich so weit vermehrt, dass sie genug Material für weitere Experimente liefern konnten. Es wurde nun wieder eine genügende Menge Fichtenrinde in dem früheren Verhältniss von 20 g auf 1 l mit Wasser kalt extrahirt, filtrirt und das Filtrat ½ Stunde in einem grossen Kolben in lebhaftem Kochen erhalten, wobei die Mündung des Kolbens immer mit einem Wattepfropfen verschlossen blieb. Nach dem Erkalten wurde die Flüssigkeit in drei der eingangs beschriebenen Apparate vertheilt und die erste Portion mit etwas Bakterienmasse aus einer Reincultur von Nr. 50, die zweite mit Nr. 51 versetzt, während die dritte überhaupt nicht geimpft wurde. Schon nach 7 Tagen stellte sich folgendes Resultat heraus: Geimpft mitNr. 50 Geimpft mitNr. 51 Nichtgeimpft cc cc cc Entwickelte Gasmenge 36,5 35,0 0 Durch das Kochen war also offenbar das Ferment, welches die Gasentwickelung verursachte, getödtet worden. Die Bakterien Nr. 50 und 51 riefen aber durch ihre Gegenwart die Erscheinung in gleicher Weise hervor. Die Unwahrscheinlichkeit indessen, dass ein so charakteristisches Verhalten zwei verschiedenen Bakterienarten in gleicher Weise zukomme, ferner das übereinstimmende Aussehen der Reinculturen auf allen Nährsubstraten und die Unmöglichkeit, beide unter dem Mikroskop zu unterscheiden, legten die Vermuthung nahe, dass beide identisch seien. Die weitere Untersuchung hat dies denn auch bestätigt and zwar in der Weise, dass die kleineren, schwach gelblichen und etwas elliptischen Colonien, von denen die Reinculturen Nr. 51 gewonnen waren, nur Jugendzustände von Nr. 50 darstellen. Die betreffende Bakterienart mag fernerhin, weil sie zuerst auf Rinde gefunden wurde, als Bacillus corticalis oder Rindenbacillus bezeichnet werden. Es war weiter oben ein Versuch erwähnt worden, bei welchem ein ½ Stunde gekochter Fichtenrindenextract selbst nach 77 Tagen noch keine Spur von Gasentwickelung zeigte. Diese Flüssigkeit wurde nunmehr auch mit Reincultur von Bacillus corticalis geimpft und bereits nach 7 Tagen war ein Volumen von etwa 100 cc Gas entwickelt. Ich habe diesen Fundamentalversuch später noch mehrfach wiederholt und jedesmal mit demselben Erfolg. Die durch ½stündiges Kochen sterilisirte Fichtenbrühe producirte nach mehr wöchentlichem und selbst monatelangem Stehen kein Gas; die Gasentwickelung stellte sich aber immer nach dem Impfen mit dem Rindenbacillus in wenig Tagen ein. Zur Controle wurde mehrmals der sterilisirte Extract nach längerem Stehen und ohne stattgehabte Gasentwickelung und andererseits der Extract, nachdem er bereits eine Quantität Gas entwickelt hatte, als Material für Plattenculturen benutzt. Stets blieben im ersteren Falle die Colonien von Bacillus corticalis aus und waren im letzteren Falle reichlich vorhanden. Auf Grund dieser Resultate lässt sich nun wohl der Satz aussprechen: Die Zersetzung einer in der Fichtenrinde enthaltenen Substanz unter Wasser (in den Brühen), welche ein gasförmiges Zersetzungsproduct liefert, wird verursacht durch eine die Fichtenrinde selbst bewohnende Bakterienart, den Bacillus corticalis. Betrachten wir nun den Bacillus corticalis selbst und seine Lebensbedingungen etwas näher. Es ist dies nicht unwichtig, weil die Lebensbedingungen des Bacillus zugleich die Bedingungen für die in Rede stehenden Zersetzungserscheinungen der Fichtenrinde sind, insofern als die letzteren eben nur durch die Lebensthätigkeit des Bacillus hervorgerufen werden. Textabbildung Bd. 291, S. 189Fig. 2. Untersucht man eine Reincultur von Gelatine, Agar-Agar oder Kartoffeln unter dem Mikroskop, so zeigen sich die einzelnen Individuen als äusserst kleine und sehr kurze Stäbchen, oft so kurz, dass sie nur wenig von der Kugelform der Gattung Micrococcus abweichen. Die Länge beträgt nur das 1½- bis 2fache des Querdurchmessers und schwankt von etwa 0,7 bis 1 Mikromillimeter (1 Mikromillimeter = 0,001 mm). Die Stäbchen liegen meist einzeln; selten hängen sie in geringer Anzahl zu zwei oder mehreren zusammen (Fig. 2). Anders dagegen verhält sich der Bacillus corticalis bei seinem Wachsthum in der Fichtenbrühe. Letztere stellt von vornherein eine zwar mehr oder weniger intensiv gefärbte, hellgelbe bis rothbraune, nach der Filtration aber stets ganz klare, durchsichtige Flüssigkeit dar. Nach einigen Tagen jedoch stellt sich eine leichte Trübung ein, welche mit dem Beginnen und Fortschreiten der Gasentwickelung zunimmt. Besonders reichlich sammeln sich die trüben Theilchen am Grunde des Gefässes und bilden daselbst einen zarten Bodensatz. Bringt man etwas davon auf einem Objectträger unter das Mikroskop, so erweist er sich als förmliche Reincultur des Bacillus corticalis. Die Stäbchen liegen aber hier nicht vereinzelt, sondern hängen zusammen und bilden mehr oder minder lange Scheinfäden, die oft zu mehreren parallel neben einander liegen (Fig. 3). Der Zusammenhang ist indess ein sehr lockerer, denn ein gelinder Druck auf das Deckglas genügt, um das Zerfallen der Fäden in einzelne Stäbchen zu bewirken. Eine durch Kochen sterilisirte Fichtenbrühe liefert keinen Bodensatz und wird nicht trübe; sie bleibt vollkommen klar und durchsichtig; die Trübung tritt aber alsbald nach der Impfung zugleich mit der Gasentwickelung ein. Dieses Verhalten bietet, wie nebenbei bemerkt werden möge, ein Mittel zur bequemen und sicheren Gewinnung von Reinculturen. Benutzt man den Bodensatz aus einem kalt bereiteten und filtrirten Fichtenrindenextract, wie er sich in einem mit Watte verschlossenen Gefäss nach etwa einer Woche gebildet hat, zur Herstellung von Plattenculturen, so erhält man von vornherein fast nur Colonien des Bacillus corticalis. Textabbildung Bd. 291, S. 190Fig. 3. Die Colonien erscheinen auf der Platte nach 3 bis 5 Tagen als kleine, stecknadelkopfgrosse, weisse Pünktchen mit einem Stich ins Gelbliche. Ihre Form ist anfangs oft etwas länglich-elliptisch, beim weiteren Wachsthum aber gehen sie in flache, porzellanartig glänzende Auflagerungen von annähernd kreisförmigem Umriss über mit manchmal mehr oder weniger ausgebuchtetem, schwachgelapptem Rande. Mit zunehmender Grösse werden die Colonien reiner weiss und später durchscheinend. Betrachtet man eine Platte in diesem Stadium unter einem schiefen Winkel von unten her, so zeigen die Colonien einen auffälligen blauen Schimmer. Das ganze Wachsthum auf der Platte hat grosse Aehnlichkeit mit dem des Milchsäurebacillus (Bacillus acidi lactici). Die Reinculturen auf Gelatine im Probirröhrchen bieten anfangs nichts Auffälliges dar. Das Wachsthum ist ein ziemlich langsames. Nach 4 bis 5 Wochen beginnt die Gelatine sich allmählich sackartig nach unten zu verflüssigen und hierdurch unterscheidet er sich unter anderem von dem Milchsäurebacillus. Auf Agar-Agar wächst er als ein grauweisser, glänzender, schmieriger Belag, welcher mit zunehmendem Alter immer mehr grau und durchscheinend wird. Auf Kartoffeln bildet er einen blass bräunlich-gelben, anfangs etwas runzeligen, matten, später glatten und glänzenden schmierigen Belag. Die Ansprüche, welche der Bacillus corticalis an die äusseren Lebensbedingungen stellt, sind ziemlich bescheidener Natur. Wie sein Vorkommen auf den Fichtenrinden des Handels beweist, kann er eine sehr starke Austrocknung vertragen, ohne an Lebenskraft merklich einzubüssen, und gerade diese Eigenschaft ist für die Praxis von hoher Bedeutung. Seine Fähigkeit, selbst nach einer langen Periode der Trockenheit bei Gegenwart von Wasser sofort wieder aufzuleben und seine Thätigkeit zu beginnen, bedingt es in erster Linie, dass auch alte und lange Zeit trocken aufbewahrte Rinden unter Wasser alsbald diejenigen Veränderungen und Zersetzungen erfahren, von denen noch weiterhin die Rede sein wird. Auch bei der Züchtung in Reinculturen macht sich diese Lebenszähigkeit geltend, wie folgender Versuch beweist: Ein in der gewöhnlichen Concentration hergestellter Fichtenrindenauszug wurde am 4. December durch ¾stündiges Kochen mit den gebräuchlichen Vorsichtsmaassregeln sterilisirt und in drei Gasentwickelungsapparate vertheilt. Die drei Flüssigkeiten wurden hierauf mit Bakterienmasse von Agar-Agar-Reincultur verschiedenen Alters geimpft und ergaben folgendes Resultat: Geimpft mit Reincultur vom 24 April 26. Juni 4. Sept. Entwickelte Gasmenge am cc cc cc     12. December   6,0   4,5 14,0     18.        „ 16,5 13,0 24,5 Soweit man berechtigt ist, aus der producirten Gasmenge einen Schluss auf die Lebensenergie des Bacillus zu ziehen, lässt sich zwar eine Abschwächung nicht verkennen, sie ist indessen lange nicht so bedeutend, als man es in Erwägung der zarten Organisation der Mikroorganismen erwarten könnte. Nehmen wir als Mittel der Gasmenge, welche frisches Impfmaterial in der gleichen Zeit von 14 Tagen aus der gleichen Menge Extract entwickelt, in runder Zahl 40 cc an, so haben wir folgende Vergleichszahlen: Frisches Material 13 Wochen altes 23 Wochen altes 32 Wochen altes 40 24,5 13 16,5 Hiernach scheint es, dass die Einbusse an Lebensenergie im Anfang rasch, später aber langsamer erfolgt. Die scheinbare Zunahme, wie sie in der letzten Zahl zum Ausdruck kommt, erklärt sich daraus, dass es mit den vorhandenen Hilfsmitteln unmöglich ist, die Quantität des Impfmaterials immer gleich gross zu bemessen. Der Bacillus corticalis ist aber auch in Bezug auf das Medium, in dem er lebt, ziemlich anspruchlos. Er wächst an der Luft ebenso gut wie unter ausgekochtem, luftfreiem Wasser, d.h. er gedeiht sowohl bei Gegenwart, wie bei Abwesenheit von freiem Sauerstoff. Unser Bacillus corticalis gehört demnach zu den facultativ anaeroben Bakterien. Ueber das Wärmebedürfniss liegen abschliessende Versuche noch nicht vor. So viel hat sich aber bereits ergeben, dass er noch bei etwa 6° C. fortkommt. Die obere Temperaturgrenze liegt jedenfalls über 40° C. und die für seine Lebensthätigkeit günstigste Temperatur scheint zwischen 30 und 40° C. zu liegen. Gegen Siedehitze aber, welche manche andere Bakterien unter Umständen selbst stundenlang ertragen, besitzt er gar keine Widerstandskraft. Nach meinen Erfahrungen wenigstens, die sich auf zahlreiche Versuche gründen, wird er durch ½stündiges Kochen sicher getödtet. Das Verhalten des Bacillus corticalis bei verschiedenen Temperaturen eröffnet uns nun interessante Ausblicke auf die praktische Gerberei. Wenn wir im Auge behalten, dass er die erste Ursache der Gährung in den Fichtenbrühen ist, so stimmt dieses Verhalten vollkommen mit den Erfahrungen der Praxis über die Abhängigkeit der Gährung von der Temperatur überein. Einen bemerkenswerthen Einfluss auf das Leben unseres Bacillus übt das Licht aus. Während nämlich viele Bakterien das Licht scheuen oder bei intensiver und langer Einwirkung des Lichtes ganz zu Grunde gehen, ist der Bacillus corticalis ein entschiedener Freund des Lichtes. Er kann zwar auch im Dunkeln noch leben, seine Lebensthätigkeit ist aber dann sehr erheblich abgeschwächt, wie ein weiterhin noch zu erwähnender Versuch näher illustriren wird. (Schluss folgt.)