Titel: Der Hanfseilbetrieb bei Walzenstrassen.
Fundstelle: Band 293, Jahrgang 1894, S. 226
Download: XML
Der Hanfseilbetrieb bei Walzenstrassen. Der Hanfseilbetrieb bei Walzenstrassen. Die Ansprüche, die mit der stets zunehmenden Leistungsfähigkeit der Walzwerke an die zur Kraftübertragung dienenden Mechanismen gestellt werden, sind namentlich durch die stetig wachsende Bedeutung des Stahldrahtes allmählich gestiegen; war früher in der Verbesserung dieser Mechanismen ein langsamer Fortschritt zu beobachten, so hat gegenwärtig ein förmlicher Wettbewerb in der Vervollkommnung dieser wichtigen Einrichtungen platzgegriffen. Der Räderbetrieb erwies sich den gesteigerten Anforderungen gegenüber als unzureichend. Radbrüche, welche in Folge der grösseren Geschwindigkeit häufiger vorkommen, haben Anordnungen, in denen Räder und Riemen vereint sind, entstehen lassen, bis schliesslich der Riemenbetrieb ganz allgemein eingeführt wurde. Bei Schnellwalzwerken, die mittels Riemen vom Schwungrade der Maschine aus betrieben wurden, hatte man Gelegenheit, die Schattenseiten des Riemenbetriebes kennen zu lernen. Die Herstellung von Lederriemen in einer Breite von 600–700 mm, wie sie zur Uebertragung der Kraft bei Stahldrahtwalzwerken erforderlich ist, ist wegen der beschränkten Grösse und der Ungleichmässigkeit des Rohmaterials schwierig. Im Gegensatz zu Hanfseilen oder Baumwollenriemen, die bei sorgfältiger Verarbeitung des Rohmaterials überall gleich fest und specifisch schwer sind, ist die absolute Gleichmässigkeit, wenn seitliche Verbiegung oder unruhiger Gang vermieden werden sollen, bei Lederriemen schwer erreichbar. Werden die verwendeten Lederstücke nach Stärke und specifischem Gewichte sortirt, unter entsprechender Belastung gedehnt, genau gerade gerichtet und wird ausserdem beim Auflegen auf richtige Verbindung geachtet, so lassen Lederriemen nichts zu wünschen übrig. Genähte Riemen entsprechen diesen Anforderungen nur theilweise, besser sind auf einander geklebte oder gekittete. Schnellgehende Riemen erfordern, wenn rasche Zerstörung durch heftiges Schlagen gegen die Scheibe vermieden werden soll, zeitweises Nachspannen. Gerade bei Schnellwalzwerken ist es von besonderer Wichtigkeit, festzustellen, ob Riemen oder Seile vorzuziehen sind. Die ersten Versuche, den Seilbetrieb einzuführen, datiren aus dem Jahre 1879. Die Ansichten über die Brauchbarkeit und die Vortheile derselben gingen anfangs weit auseinander. (Auch jetzt noch. Die Red.) Das Ueberspringen der Seile aus einer Rille in die andere und ein mehr oder minder starkes Schlagen derselben wurden als die hauptsächlichsten Nachtheile des Seilbetriebes betrachtet. Hingegen gewährt die Uebertragung der Kraft durch Seile eine grössere Sicherheit, da in Folge der konisch geformten Rillen des Scheibenkranzes die Seile eine bedeutend grössere Adhäsionskraft besitzen. Thatsächlich haben Versuche nur unbedeutende Geschwindigkeitsunterschiede zwischen Scheibe und Seilen in Folge Gleitens der letzteren ergeben. Für Gleiten des Riemens nimmt man in der Regel 5 Proc. an, welche Zahl auch gelegentlich der Feststellung des Kraftbedarfes der Walzenstrassen gefunden wurde. In Folge der nicht genau gleichen Stärke der Seile legen sich dieselben ungleich tief in die Rillen ein und haben daher verschiedene Geschwindigkeiten. Ein Verschieben der Seile gegen einander, verschiedene Spannung und mit dieser zusammenhängend ungleiches Durchhängen der Seile dürfte wohl nicht zu vermeiden sein. Ebenso wie Riemen müssen auch Hanfseile vor Feuchtigkeit geschützt und möglichst straff aufgelegt werden. Es empfiehlt sich, da sich die Seile durch Trocknen längen, dieselben vor dem Auflegen einer Temperatur von 40–50° durch mehrere Tage hindurch auszusetzen, um sie möglichst geschmeidig und zur Spleissarbeit geeigneter zu machen. Auf diese Art ergaben sich Verlängerungen von 3 bis 3½ Proc. der ursprünglichen Länge. Ausserdem soll ein periodisch zu wiederholendes Einfetten der Seile mit einem Gemische aus Talg, Graphit und Theer vorgenommen werden. Sollte trotzdem das Längen eines Seiles während des Betriebes Störung verursachen, was aber bei gewissenhafter Beaufsichtigung nicht vorkommen dürfte, so können auch einige Seile fehlen, ohne eine übermässige Materialanstrengung der übrigen eintreten zu lassen. Die Seilscheiben erhalten aus diesem Grunde 2 bis 3 Rillen mehr, als die Rechnung ergibt. Als Material wählt man mit Vortheil Manilahanf wegen grösserer Elasticität und längerer Faser, oder badischen Schleisshanf. Verursacht das Abspringen oder Reissen eines Seiles nur geringe oder gar keine Betriebsstörungen, so erfordert nur das Kürzen eines Riemens einen mehrstündigen Stillstand der Walzenstrasse und kann das Abschleudern derselben wegen des nicht unbedeutenden Eigengewichtes in der Nähe befindlichen Personen gefährlich werden, ein Umstand, der die erhöhte Betriebssicherheit beim Seilbetriebe erkennen lässt. Die Dauer der Seile ist bei ruhigem, gleichförmigem Gange der Maschine und ebensolcher Kraftabgabe, wie beispielsweise bei Maschinenfabriken, 5 bis 6 Jahre. Wesentlich verschieden gestaltet sich der Betrieb bei Walzenstrassen, da, abgesehen von den im Verhältnisse zur Seildicke meist kleineren Scheiben, als sie beim Maschinenfabriksbetriebe üblich sind, die Seilgeschwindigkeit bedeutend grösser ist und naturgemäss ein rascherer Verschleiss eintreten muss. – Für den Durchmesser der Seilscheibe soll man, wenn δ die Seildicke bezeichnet, nicht unter den Wert 35 δ gehen, nach Möglichkeit 40 bis 45 δ wählen und die Entfernung der Vorwalzen von der Fertigwalzenachse nicht zu klein nehmen. Bei vielen Anlagen wurde sowohl für Riemen- als Seilbetrieb die Entfernung von 10 m zweckentsprechend gefunden. Als Grenze der Seilgeschwindigkeit gilt 50 m/Sec., doch kommt auch diese nur selten zur Ausführung, da man vorzieht, 30 bis 35 m nicht zu überschreiten. Zur Erzielung einer grösseren Walzgeschwindigkeit müsste, eine gleichbleibende Seilgeschwindigkeit vorausgesetzt, der Durchmesser der Walzen vergrössert oder bei kleinerem Durchmesser der Seilscheibe die Umdrehungszahl der Maschine erhöht werden. Bei den ersten Ausführungen von Seilscheiben mit grosser Umfangsgeschwindigkeit sind mehrere Fälle vorgekommen, dass Scheiben aus nicht erklärten Ursachen sprangen. Der Einführung dieser vortheilhaften Neuerung waren im Verhältniss zu den im Betriebe befindlichen Seilscheiben zahlreiche Unglücksfälle hemmend im Wege, weshalb es vor allem nothwendig war, durch Feststellung der Thatsachen nachzuweisen, ob Seilscheiben der Gefahr des Zerspringens mehr ausgesetzt seien, als Riemenscheiben. Viele Techniker waren der Meinung, die Ursache sei in der äusseren ungünstigen Form des Kranzes zu suchen, die sehr dünn ausgedrehte Rippen aufwies und, mit geringen Materialfehlern behaftet, die Neigung der Seilscheiben zum Zerspringen zu erklären schien, und wollten durch eine zweckmässige Verbindung von Guss- mit Schmiedeeisen diesen Uebelstand beseitigen. Ein Fall aus der Praxis, ein zweitheiliges verzahntes Schwungrad betreffend, dessen Hälften am Kranze derart mangelhaft verbunden waren, dass bei Ueberschreiten einer gewissen Umfangsgeschwindigkeit ein Bruch unvermeidlich schien, belehrte uns eines besseren. Es ist anzunehmen, dass sich die Mehrzahl der Unglücksfälle auf eine ähnliche Kranzverbindung zurückführen lassen wird, und im Interesse der Walzwerkstechnik wäre es gewesen; die Beseitigung der Unvollkommenheiten dieser Neuerung nicht unnöthiger Weise zu erschweren. Seilscheiben mit grosser Umfangsgeschwindigkeit müssen ganz exact rund laufen, auf das genaueste bearbeitet und ausbalancirt sein. Die Lagerung der zugehörigen Wellen muss vorzüglich ausgeführt werden. Schnell laufende Seilscheiben werden so angeordnet, dass zwischen je 2 Rillen eine kräftige Rippe fällt. Allerdings hat diese Construction den Nachtheil, dass der Scheibenkranz breiter ausfällt. Die Arme erhalten zweckmässig den bei Zahnrädern gebräuchlichen doppelt ⊤-förmigen Querschnitt, um ein seitliches Abbrechen zu verhindern; die ovale Querschnittsform ist thunlichst zu vermeiden. Vergleicht man schliesslich den Riemen- mit dem Seilbetrieb, so dürfte wohl kein Zweifel bestehen, welchen von beiden der Vorzug zuzusprechen ist, und so verschieden die Urtheile über die Brauchbarkeit bei den ersten Ausführungen lauteten, so rasch haben sich seither die Ansichten geändert und sind im Allgemeinen dem Seilbetriebe günstige zu nennen.