Titel: Herstellung von Starkstromanlagen in Frankreich.
Fundstelle: Band 294, Jahrgang 1894, S. 20
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Herstellung von Starkstromanlagen in Frankreich.Zeitschrift für Elektrotechnik 1894. Herstellung von Starkstromanlagen in Frankreich. In Frankreich ist die Herstellung elektrischer Anlagen seit mehreren Jahren im Verwaltungswege geordnet. Das erste Decret über die allgemeine Regelung der Anlage der zur Fortleitung elektrischer Energie erforderlichen Leitungen datirt vom 15. Mai 1888; im September 1893 ist ein Reglement über die Herstellung und den Betrieb von elektrischen Anlagen auf den grossen Staatsverkehrsstrassen hinzugetreten. Sowohl das Decret als auch das Reglement enthalten eingehende Vorschriften zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und der zu Verkehrszwecken dienenden Telegraphen- und Fernsprechleitungen. Das Decret vom 15. Mai 1888 bestimmt zunächst, dass die Errichtung elektrischer Anlagen beim Bezirks- oder Polizeipräfecten anzumelden ist und dass der Telegraphenbehörde davon Kenntniss gegeben werden soll. Sogar Anlagen innerhalb der Grenzen eines Grundstücks unterliegen der Anmeldungspflicht, wenn bei Wechselstrom die Spannung 60 Volt und bei Gleichstrom die Spannung 500 Volt übersteigt. Die Benutzung der Erde, sowie die Verwendung von Gas- und Wasserleitungsröhren zur Rückleitung des Stromes ist nicht gestattet, auch müssen die Leitungen von anderen Leitermassen, insbesondere von Wasser- oder Gasröhren, genügend weit entfernt sein, damit keinerlei störende Inductionserscheinungen auftreten können. Diese Bestimmungen sind von der grössten Bedeutung für die dem öffentlichen Nachrichtenverkehr dienenden Leitungen, die dadurch gegen das Eindringen fremder störender Ströme so weit als möglich geschützt werden sollen. Die Verwendung blanker Leitungen wird erlaubt, jedoch müssen da, wo Gefahren entstehen können, isolirte Drähte benutzt werden. Die Isolirung der Starkstromleitungen ist an Kreuzungsstellen mit Telegraphen- oder Fernsprechleitungen stets zu bewirken, auch an solchen Stellen, wo Starkstromleitungen in geringerem Abstand als 2 m von Schwachstromleitungen oder weniger als 1 m von andern Leitermassen verlaufen. Die Ueberwachung der elektrischen Leitungen liegt nach Artikel 12 im Kapitel III der Post- und Telegraphenverwaltung ob. Weitere Artikel behandeln die Sicherheitsvorkehrungen in Maschinenanlagen; Controlvorschriften können im Wege der Verfügung durch die Präfecten erlassen werden. Das neue Reglement enthält Bestimmungen zur Sicherung des öffentlichen Verkehrs in Betreff derjenigen elektrischen Anlagen, die auf grossen Staatsverkehrsstrassen angelegt werden sollen. Im Eingange wird hervorgehoben, dass ausser den Vorschriften des besprochenen Decrets und des Reglements die von der Strassenaufsichtsbehörde erlassenen bezüglichen Verordnungen, ferner die Reglements der Post- und Telegraphenverwaltung und die zusätzlichen Bestimmungen der Concessionsurkunden zu beachten, dass endlich für den Betrieb elektrischer Bahnen die Vorschriften der zuständigen Aufsichtsbehörde und der Post- und Telegraphenverwaltung anzuwenden sind. Eine Reihe Artikel behandelt Vorschriften, die bei Einreichung der Projecte behufs der Concessionirung der Anlage zu erfüllen sind, ferner die Abnahme und Prüfung der Anlagen, die rege]massige, während des ersten Betriebsjahres mindestens alle drei Monate zu wiederholende Controle des Leitungs- und Isolationswiderstandes, Aufgrabungen, Erweiterungen und Veränderungen von Anlagen u.s.w. Das Kapitel II des Reglements gibt technische Specialvorschriften für oberirdische Leitungen. Zunächst wird bestimmt, dass durch Aufstellung der Stützpunkte auf öffentlichem Grund und Boden der Verkehr nicht behindert werden darf; die Stützpunkte müssen in Betreff ihrer Solidität jegliche Gewähr bieten. Soll die Leitung mit Wechselstrom von mehr als 200 Volt Spannung oder mit Gleichstrom von mehr als 400 Volt Spannung betrieben werden, so liegt die Entscheidung über die Art der anzuwendenden Isolatoren dem Präfecten auf Grund des Berichtes des Ingenieurs der Brücken- und Wegebauverwaltung ob. Ein grösserer Abstand zwischen zwei Stützpunkten als 100 m ist nicht gestattet. Wird Wechselstrom oder Gleichstrom von mehr als 400 Volt Spannung verwendet, so müssen die Stützpunkte mit besonderen Vorrichtungen versehen werden, die eine Berührung der Leitungen durch die Passanten gänzlich ausschliessen. Bei Kreuzungen der Strasse sind die Leitungen mindestens 8 m vom Boden entfernt zu halten, beim Uebergang über schiffbare Flüsse und Kanäle mindestens 17 m über dem höchsten Wasserspiegel. Längs der Strassen ist der geringste Abstand der Leitungen vom Boden auf 6 m festgesetzt. Ueber die Führung in bewohnten Orten wird Folgendes bestimmt: Die Hauptleitungen dürfen in der Regel nur an den Häusern, und zwar mindestens 1 m von den Fassaden und ½ m über den höchstgelegenen Fenstern angebracht werden; auf flachen Dächern müssen sie von den höchsten Dachstellen mindestens 2½ m Abstand besitzen. Uebersteigt bei Wechselstrom die angewendete Spannung 120 Volt und bei Gleichstrom 400 Volt, so dürfen blanke Leitungen nicht angewendet werden. Abzweigungsleitungen sind von den Hauptleitungen ab bis zur Verwendungsstelle isolirt herzustellen. Die Isolationshülle muss mindestens 2½ mm stark sein und genügende Widerstandsfähigkeit bieten. Im Kapitel III sind Vorschriften für unterirdische Leitungen enthalten. Hervorzuheben ist hieraus, dass dieEinbettungstiefe im Bürgersteig, der allein als Lager zugelassen wird, mindestens 60 cm betragen muss, und dass sowohl Kabel in Bohren als auch bewehrte Kabel verwendet werden dürfen, dass ferner bei Kreuzungen von Strassen solche Vorkehrungen zu treffen sind, um eine Besichtigung und Auswechselung der Kabel ohne Aufgrabung des Fahrdammes zu ermöglichen, und dass, falls die elektrischen Leitungen in der Nähe von Gasrohren verlaufen, eine regelmässige Ventilation der Kabelrohre stattfinden muss. Ebenso müssen die Untersuchungsbrunnen ventilirt werden. Der Isolationswiderstand gegen Erde darf nirgends geringer sein als der Werth in Ohm, der sich ergibt, wenn man das Quadrat der Spannung mit der Zahl 5 multiplicirt. Wie das Decret vom 15. Mai 1888, so verbietet auch das Reglement ausdrücklich die Benutzung der Erde als Rückleitung. Bemerkenswerth ist noch, dass die Anwendung einer Spannung von mehr als 10000 Volt der besonderen Entscheidung des Ministers der öffentlichen Arbeiten vorbehalten bleibt. Für die Benutzung der Staatsstrassen zur Führung der Leitungen wird eine besonders zu bemessende Gebühr erhoben. Durch die gegebenen Vorschriften ist den Bedingungen der Sicherheit und des Schutzes des öffentlichen Verkehrs vorläufig in ausreichendem Maass Rechnung getragen worden. Die gesetzliche Regelung der Bedingungen für die Herstellung elektrischer Anlagen ist indessen nunmehr in Aussicht genommen und ein dahin zielender Gesetzentwurf im December vorigen Jahres der Deputirtenkammer vorgelegt worden. Der Entwurf ist aus den Berathungen einer Commission von Gelehrten, Industriellen und Vertretern der Verwaltung hervorgegangen. In den Motiven wird ausgeführt, dass das Decret vom 15. Mai 1888 in manchen Punkten zu enge Vorschriften enthalte, die einer gedeihlichen Fortentwickelung der elektrotechnischen Industrie entgegenständen. An der Hand der gesammelten Erfahrungen erscheine es angängig, erleichternde Bestimmungen im Interesse der Förderung dieses wichtigen Zweiges der nationalen Industrie zu treffen. Der Artikel 8 des Gesetzentwurfes spricht daher die Aufhebung des Decretes vom 15. Mai 1888 aus. Eine der hauptsächlichsten Erleichterungen, welche der Gesetzentwurf im Artikel 1 gewährt, besteht darin, dass die Anlage elektrischer Leitungen ausserhalb der öffentlichen Wege weder einer vorgängigen Genehmigung noch Anmeldung bedarf, sofern die oberirdischen Starkstromleitungen mehr als 10 m von Telegraphen- oder Fernsprechleitungen entfernt bleiben. Ist letzteres nicht der Fall, so bestimmt der Minister für Handel und Industrie die zum Schutz der Telegraphen- und Fernsprechleitungen zu treffenden Maassregeln. Das Gleiche gilt in Betreff derjenigen Anlagen, die gegenwärtig bestehen und weniger als 10 m von Telegraphen- oder Fernsprechleitungen entfernt bleiben. Ist letzteres nicht der Fall, so bestimmt der Minister für Handel- und Industrie die zum Schutz der Telegraphen- und Fernsprechleitungen zu treffenden Maassregeln. Das Gleiche gilt in Betreff derjenigen Anlagen, die gegenwärtig bestehen und weniger als 10 m von Telegraphen- oder Fernsprechanlagen entfernt sind. Dagegen darf ohne Genehmigung des Präfecten weder oberhalb noch unterhalb öffentlicher Wege eine Starkstromleitung verlegt werden; vor Ertheilung der Genehmigung wird die Post- und Telegraphenverwaltung gehört. Nur diejenigen elektrischen Anlagen der Eisenbahngesellschaften im Bereich ihres Gebietes, die im Interesse des Betriebes zur Befriedigung allgemeiner oder örtlicher Bedürfnisse errichtet werden, z.B. Beleuchtungsanlagen auf Bahnhöfen, sind von diesen Vorschriften ausgenommen, weil derartige Anlagen ohnehin der staatlichen Controle unterstehen. Der wichtigste Artikel des Gesetzentwurfes ist der Artikel 6, der den Schutz der Telegraphen- und Fernsprechanlagen gewährleisten soll. Ohne Hervorhebung besonderer Bedingungen wird kurz bestimmt: Jede elektrische Anlage muss derart eingerichtet und unterhalten werden, dass keinerlei Störung des Telegraphen- oder Fernsprechverkehrs, sei es durch Induction, sei es durch Stromübergang oder sonstwie, in den vorhandenen Linien eintritt. Zur Ausführung des Gesetzes soll ein besonderes Reglement vom Minister für Handel, Industrie und Colonien nach Anhörung des Generaldirektors der Post- und Telegraphenverwaltung erlassen werden. Für das Studium der technischen Specialfragen wird bei der Centralstelle ein ständiger Ausschuss gebildet, dem auch Vertreter der elektrotechnischen Industrie angehören werden. Dieser Ausschuss dient zugleich dem Minister für Handel, Industrie und Colonien als Beirath bei Ertheilung der Ermächtigungen an die Präfecten zur Concessionirung elektrischer Anlagen. Falls der Entwurf Gesetzeskraft erlangt, werden die Bestimmungen des Reglements aus dem September vorigen Jahres in Betreff elektrischer Anlagen auf grossen Staatsverkehrsstrassen jedenfalls durch das zum Gesetz zu erlassende neue Reglement ersetzt werden.