Titel: Die Darstellung des Bleidisaccharates nach dem Verfahren Kassner-Wohl und dessen praktische Anwendbarkeit im Grossbetriebe.
Autor: C. W.
Fundstelle: Band 300, Jahrgang 1896, S. 94
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Die Darstellung des Bleidisaccharates nach dem Verfahren Kassner-Wohl und dessen praktische Anwendbarkeit im Grossbetriebe. Die Darstellung des Bleidisaccharates. In der Zeitschrift für die Zuckerindustrie der Welt erschien vor kurzer Zeit eine mit W. bezeichnete kurze Kritik des genannten Verfahrens, welche auf die schwere Durchführbarkeit desselben in einigen sehr bemerkenswerthen Punkten hinwies. Ich schliesse mich den dort ausgesprochenen Ansichten vollkommen an und will im Folgenden auf einiges nicht Unwesentliche, das mir geeignet scheint; die Ausübung des Verfahrens auch nur mit einigem Erfolg in Frage zu stellen, aufmerksam machen. Die Herren Patentinhaber denken, wie ich glaube, in erster Linie daran, ihren Betrieb an die bestehenden Rohfabrikbetriebe anzuschliessen, eine Idee, welche von vornherein deswegen als unrichtig bezeichnet werden muss, weil die Kosten der Bleientzuckerung nicht nur die Verarbeitungskosten für den Doppelcentner Melasse bei weitem überschreiten, sondern weil sie eine solche Höhe erreichen würden, dass eine Rohfabrik mit Bleientzuckerung mit Verlust arbeiten müsste, wie ja schon das Beispiel der mit Osmose, Elution oder Ausscheidung entzuckernden Rohfabriken zeigt. Die Verdienste dieser Fabriken kommen gewöhnlich in dem Momente in Frage, in welchem die Melassepreise auch nur einigermaassen anziehen. Die grossen Strontianentzuckerungen prosperiren auch eben nur, weil, wenn man von den momentan niedrigen Melassepreisen absieht, ihre grosse Verarbeitung ein kleines Betriebsunkostenconto bedingt, und es würde vielleicht – von meinen folgenden Erörterungen ganz zu schweigen – das Unkostenconto des Bleiverfahrens, verglichen mit den Betriebsunkosten der Strontianfabriken in früheren Jahren einen Vergleich nicht haben scheuen müssen. Die technischen und chemischen Einrichtungen der Melasseentzuckerungen haben im Laufe der Jahre einen solchen Grad der Entwicklung erreicht, dass es schwierig sein wird, die Unkosten eines neuen Verfahrens auf solchen minimalen Stand herabzudrücken. Ich muss es mir versagen, zahlenmässige Vergleiche des Blei Verfahrens mit dem Strontian verfahren zu bringen, allein ich kann erklären, dass das Bleiverfahren zweifellos höher zu Buche stehen würde, und zwar würden das Arbeitsconto, das Dampfverbrauchs- und das Bleioxydverbrauchsconto höher belastet werden. W. hat in der Zuckerindustrie der Welt schon auf das ungünstige Verhältniss der Aequivalente zwischen Zucker und Blei hingewiesen und zum Theil thut dies auch Kassner in der Beschreibung seines Verfahrens (D. p. J. 1895 298 68). Aus 342 Saccharose entstehen gegen 800 Bleidisaccharat, bei einer Verarbeitung von 500 Doppelcentner Zucker (in der Melasse) würden resultiren etwa 1160 Doppelcentner C12H22O11 . 2PbO. Rechnen wir nun hinzu den Wassergehalt des Saccharates mit minimal 25 Proc., so ergibt dies eine Saccharatmenge von 1500 Doppelcentner, welche bewegt werden muss. Hierzu kommt noch eine sehr beträchtliche Quantität zu bewegender Waschflüssigkeit; nach Kassner beträgt dieselbe das Siebenfache des Melassegewichtes. Ausserdem sind noch die Kosten für Arbeitskräfte bei der Entbleiung und die allerdings unwesentlichen Kosten dieser selbst in Ansatz zu bringen. Der Dampfverbrauch wird höher wegen der grossen Menge zu verdampfenden Bleisaccharatwaschwassers, denn selbst wenn, wie ich dies versuchsweise festgestellt habe, 1,5 Th. des letzten Waschwassers immer wieder als Vordecke für neues Saccharat gebraucht werden können, so würde doch, auf Melasse bezogen, die 5,5fache Menge an Wasser zu verdampfen sein. Dies würde, in Geldwerth gering angenommen, 0,50 M. für den Doppelcentner Melasse mehr betragen als in den Strontianbetrieben. Dieses Werthverhältniss verschiebt sich nur unwesentlich zu Gunsten der Bleientzuckerung durch die bei diesem nicht nothwendige Anwärmung der Decklaugen und den Dampfverbrauch der Scheidung. Im Folgenden ersieht man, dass die Ausfällung des Bleis durch Schwefelwasserstoff am besten in Concentrationen der Säfte von 13 bis 15° Bx. erfolgt, und dass wir mit dem Blei verfahren, von anderen Gründen abgesehen, Concentrationen wie im Strontianbetriebe nicht werden überschreiten dürfen. Es enthielt Saft von 40° Bx. PbO 0,04 Proc., durch H2S ausgefällt 0,01 Proc. 30° 0,04 0,01 25° 0,03 0,015 15° 0,027 0,018 13° 0,027 0,022 Kassner ist ferner der Meinung, dass bei seinem Verfahren überhaupt keine Blei Verluste möglich seien. Ich muss auch dieser Ansicht entgegentreten. Eine Fabrik von 1000 Doppelcentner Melasseverarbeitung hätte nach Kassner, um 500 Doppelcentner Zucker zu scheiden, etwa 1200 Doppelcentner Bleioxyd nothwendig. In diesen 1000 Doppelcentnern Melasse sind minimal 10 Doppelcentner KCl und 10 Doppelcentner K2SO4 vorhanden. Es ist nun nicht richtig, zu sagen, dass sämmtliches K2SO4 in die Laugen übergeht, es wird davon reichlich die Hälfte an PbO gebunden. Dies geschieht übrigens auch bei der Strontianentzuckerung trotz der starken Alkalitat. Aus den Aequivalenten von (KCl + K2SO4) : PbO ergibt sich ein Verlust von 21 Doppelcentnern Bleioxyd, was, in Geld ausgedrückt, einen beiläufigen Entgang von 600 M. bedeutet; das Bleichlorid und das schwefelsaure Bleioxyd sind nur mit grossen Kosten regenerirbar. Dieser Verlust fällt schwer in die Wagschale und stellt jedenfalls nur den niedersten Grenzwerth dar, dass aber noch andere wesentliche Bleiverluste stattfinden werden, und dass die Regeneration event. gewonnener Sulfide und Sulfate ganz ohne Kosten verlaufen soll, möchte ich bezweifeln. Kassner zerlegt weiter das gewonnene Bleidisaccharat durch Kohlensäure; es werden, wenn wir wieder die Verhältnisse für eine Fabrik, welche 1000 Doppelcentner verarbeitet, zu Grunde legen, erhalten werden aus 1200 Doppelcentner Bleioxyd etwa 1440 Bleicarbonat. Unter Berücksichtigung des mitabgeschiedenen Calciumcarbonates und eines Wassergehaltes von 30 Proc. würden wir reichlich 2000 Doppelcentner auf Filterpressen zu bewegen und zunächst zu trocknen haben. Wenn wir auch annehmen können, dass es möglich sein würde, Bleicarbonat durch abziehende Gase vorzutrocknen, so würden doch noch immer zunächst 400 Doppelcentner Wasser zur Verdampfung übrig bleiben, welche Arbeit 80 M. für das obige Quantum an Brennmaterial oder 0,08 M. für den Doppelcentner Melasse kosten würde. Hierzu kommen noch die Kosten für die Erhitzung von 1500 Doppelcentner Bleicarbonat auf 250° C., die ich für den Doppelcentner Melasse mit minimal 15 Pf. annehme. Es resultirt also für die gesammte Ueberführungsarbeit von Bleicarbonat in Bleioxyd ein Betrag, welcher jeden, der die Strontianentzuckerung kennt, veranlassen wird, sich ein dem Bleiverfahren wenig günstiges Urtheil zu bilden. Kassner gegenüber sei constatirt, dass alle diese Zahlen Grenzwerthe sind, und dass die thatsächlichen Verhältnisse wohl noch zu weit ungünstigeren Zahlen führen würden. Der Vortheil des mangelnden Kühl- und Salzhausbetriebes wird durch die nothwendigen und äusserst sorgfältig zu handhabenden Entbleiungen paralysirt werden. Ich möchte ferner, und die ausserordentlich grosse Menge Waschwasser, die Kassner zur Reinigung seines Saccharates benöthigt, weist darauf hin, bemerken, dass mir die leichte Filtrirfähigkeit des Saccharates und des Bleicarbonates sehr zweifelhaft erscheint. Dann aber wäre eine ins Riesige gehende Filtrirstation für die besprochenen Producte nothwendig. Versuche im kleinen Maasstabe haben meine Behauptung in dieser Richtung besonders an der Hand von Vergleichsversuchen mit Strontiumbisaccharat bestätigt. Wenn es auch angeht, mit dem Kassner-Wohl'schen Verfahren völlig bleifreie Zucker darzustellen, wird es doch nicht möglich sein zu verhindern, dass sich Bleiverbindungen in den Restmelassen derartiger Fabriken anhäufen. Diese sind dann aber zur weiteren Verwendung, sei es zur Speisesyrupfabrikation, sei es als Viehfutter, völlig unbrauchbar. Ich habe nun, genau nach den Vorschriften Kassner's arbeitend, aus Melassesäften Syrupe dargestellt und gefunden, dass diese, auf dem Stammer'schen Farbmaasse mit Strontiansäften verglichen, um gut 30 bis 40 Proc. dunkler waren als letztere, und ich möchte daher bezweifeln, ob es möglich sein wird, mit dem Bleiverfahren auch nur gleich gute Ausbeuten zu erzielen wie mit dem Strontiumbisaccharatverfahren. Die Verluste, welche heute die Strontianzuckerindustrie bei der Scheidung selbst hat, sind so minimal, dass dieses Entzuckerungsverfahren – wenn ich mich präciser ausdrücke, wie Kassner in seiner Patentbeschreibung – fast die wirkliche in der Melasse anwesende Rohrzuckermenge in den Säften wiederergibt. Damit, dass Kassner, wie es den Anschein hat, einfach die Polarisation seiner Füllmassen bezieh. Syrupe feststellte und sie mit dem eingeführten Zucker (Polarisationsprocente ?) verglich, ist noch nicht der Beweis erbracht, dass die Arbeit mit diesem Verfahren eine vorzügliche, was die Ausbeute anlangt, sein werde, sondern nur der Beweis für eine quantitative Abscheidung des Zuckers der Melasse geliefert. Der Hinweis auf die Arbeit mit den giftigen Barytsalzen scheint mir deshalb nicht glücklich gewählt, weil die toxischen Wirkungen der Bleisalze doch ungleich stärkere sind, und weil – ich erlaube mir auch hier entgegengesetzter Anschauung zu sein wie Prof. Kassner – beim Bleiverfahren leichter Betriebsverstösse vorkommen können als beim Strontianverfahren. Aus meiner früheren Praxis, in der ich den Schwefelwasserstoff in grossen Massen verwendete, kenne ich die Kette von Unannehmlichkeiten, die der Gebrauch dieses Gases verursacht, und ich glaube auch nicht, dass der Geruch nach Schwefelwasserstoff leicht aus den Säften zu entfernen ist; jedenfalls würde er in den Fall- und Brüdenwässern wieder recht unliebsam sich bemerkbar machen. Die anderen Entbleiungsverfahren (Schwefelsäure, kohlensaures Natron) scheinen mir aus Gründen, die ich wohl nicht näher ausführen muss, noch ungeeigneter. Wenn ich meine Ansicht über das Kassner-Wohl'sche Verfahren zum Schlusse nochmals kurz präcisiren soll, so komme ich zu dem Ergebniss, dass das Bleientzuckerungsverfahren wegen einer äusserst kostspieligen Betriebseinrichtung, eines hohen Brennmaterialverbrauchs, nicht leicht die Herstellung von sofort Consumzucker ergebenden Füllmassen (bezieh. Säften) gestattet und, im Zusammenhang damit, schlechte Ausbeuten liefern wird. Dieses Verfahren dürfte auch wegen der voraussichtlich schlecht zu verwerthenden Restmelassen, wegen der ganz bedeutenden Blei Verluste und endlich der gefährlichen Arbeit (Entbleiung) wenig Aussicht auf praktische Verwirklichung haben. C. W.