Titel: Bemerkungen zu dem Artikel von C. W. über „Darstellung des Bleidisaccharats nach dem Verfahren Kassner-Wohl und dessen praktische Anwendbarkeit im Grossbetriebe“.
Autor: Georg Kassner
Fundstelle: Band 300, Jahrgang 1896, S. 118
Download: XML
Bemerkungen zu dem Artikel von C. W.In D. p. J. 1896 300 94. über „Darstellung des Bleidisaccharats nach dem Verfahren Kassner-Wohl und dessen praktische Anwendbarkeit im Grossbetriebe“. Von Dr. Georg Kassner. Bemerkungen zu dem Artikel über Darstellung des Bleidisaccharats. Es sei mir gestattet, zu dem angeführten, mit C. W. gezeichneten Aufsatz, welcher anscheinend aus den Kreisen der Strontianentzuckerungsanstalten stammt, einige Bemerkungen zu machen. Ich hätte solches bereits auch zu der mit W. gezeichneten Besprechung meines Aufsatzes (aus D. p. J. 1895 298 65) in dem von C. W. citirten Centralblatt für die Zuckerindustrie der Welt, 1895 Nr. 12, gethan, wenn ich nicht erst hätte etwas bestimmtere Ansichten aus technischen Kreisen abwarten wollen. Damit habe ich auch bereits den Vortheil erreicht, dass jener mit C. W. gezeichnete Aufsatz in einzelnen nicht unwichtigen Stücken bereits eine Correctur der von W. herrührenden Besprechung bringt, welch letztere wohl ebenfalls aus den Kreisen der Strontianentzuckerungsfabriken eingesandt wurde. Während zum Beispiel der Autor W. noch nicht sicher von der Möglichkeit der Herstellung bleifreier Zucker überzeugt ist, gibt C. W. diese Möglichkeit zu, und während ferner ersterer für die Entfernung der Kohlensäure aus Bleicarbonat eine Temperatur von 800° C. für nothwendig hält, spricht letzterer übereinstimmend mit mir von einer etwa dreimal niedrigeren (von 250° C). Derartige Klärungen der Ansichten wird die Zukunft noch weiter bringen, je mehr sich technische Kreise mit dem von mir publicirten Verfahren beschäftigen werden. Aus diesem Grunde will ich mich heute nur mit den wichtigsten der in dem Aufsatze von C. W. meinem Verfahren gemachten Einwände befassen. Ehe ich aber darauf eingehe, möchte ich zuvor auf einen Druckfehler bezieh. einen Verstoss gegen die Regeln der Nomenclatur aufmerksam machen, welcher in meinem Aufsatz in Nr. 268 an mehreren Stellen enthalten ist. Dort ist der Körper C12H18O11 . 2PbO stets Bleidisaccharat genannt worden, während er richtiger Dibleisaccharat heissen muss, sofern man unter Saccharat eben eine Rohrzuckerverbindung versteht. Wenn man indessen die analoge Strontiumverbindung im gewöhnlichen Sprachgebrauche der Fabriken auch als Strontiumdisaccharat bezeichnet, so erscheint die Uncorrectheit des Ausdruckes nicht erheblich. – Unter die ungünstigen Momente, welche nach C. W. in dem Verfahren Kassner-Wohl enthalten seien, rechnet der Einsender der Kritik zunächst ein hohes Dampfverbrauchsconto, dann einen gleichfalls hohen Bleiverbrauch. Daneben werden schlecht zu verwerthende Restmelassen, hohe Arbeitsspesen und endlich theure Betriebseinrichtungen genannt. Zum Beweise des ersten Punktes beruft sich der Verfasser in erster Linie auf meine AngabeD. p. J. 1895 298 65., dass ich zum Auswaschen des Saccharats aus 300 g Melasse etwa das 7fache von dem Gewichte letzterer an Waschwasser verbraucht hatte. Hierzu muss ich bemerken, dass es bei jenem Versuch nicht meine Absicht gewesen war, ökonomisch mit dem Waschwasser umzugehen und überhaupt ein systematisches Auswaschen zu bewirken. Solches ist im Kleinen überhaupt schlechter durchführbar als bei Verarbeitung grösserer Massen. Jedenfalls wird man beim Arbeiten im Grossen rationeller verfahren und die dünnen Waschwässer, nicht bloss die letzten, wie C. W. meint, stets zum Decken frischen Saccharats benutzen. Die letzten Ablaugen aber wird man zweckmässig an Stelle reinen Wassers zum Auflösen frischer Melasse verwenden bezieh. zum Verdünnen des Reactionsgemisches. Dann aber dürfte an Wasser nicht mehr das 5,5fache des Melassengewichtes, nach Meinung von C. W., und noch viel weniger das 7fache, gemäss meiner in dieser Beziehung völlig unmaassgeblichen ersten Mittheilung, sondern wohl nur das 3fache und vielleicht noch weniger verdampft werden müssen. Es geht also nicht an, aus meiner ersten Angabe über das Auswaschen des Saccharats definitive Schlüsse über Brennmaterialverbrauch zu ziehen. In zweiter Linie, wenn auch in nebensächlicherer Weise, bezieht C. W. den grösseren Dampfverbrauch auf den Umstand, dass nach seiner Meinung nur Zuckersäfte von 13 bis 15° Bx. zum Einkochen kommen dürften, da in höherer Concentration die Ausfällung des Bleies durch H2S unvollkommen werde. Gesetzt den Fall, dass die von dem Verfasser beigebrachten Zahlen richtig sind, so hat derselbe doch nicht beachtet, dass die Empfindlichkeit bleihaltiger Säfte gegen Schwefelwasserstoff bei weitem stärker ist, wenn man die Säfte vor der Behandlung mit Schwefelwasserstoff schwach, aber deutlich alkalisch macht, z.B. durch Zusatz von Kalk, als wenn man sie in neutralem Zustande mit dem Reagens zusammenbringt und auch etliche Zeit stehen lässt. Er würde dann wohl gefunden haben, dass selbst in 40procentigen, vorher mit Bleisaccharat versetzten Zuckerlösungen sämmtliches Blei ausgefällt wird, so dass im Filtrat weder direct noch indirect (d.h. nach dem Eindampfen und Veraschen) Blei nachzuweisen ist. Deshalb auch hatte ich in meiner Abhandlung an Stelle von H2S die Benutzung von Schwefelcalcium in Vorschlag gebracht. Uebrigens ist wiederholt darauf hinzuweisen, dass im regelrechten Betriebe und bei Verwendung invertzuckerfreier Melassen das Blei bereits beim Saturiren total gefällt wird. Auch hier ist für eine etwa erforderliche Nachsaturation ein Zusatz von Kalk äusserst vortheilhaft. Bei einem meiner Versuche der Melasseverarbeitung gewann ich bei der Saturation direct eine 25procentige Zuckerlösung ohne jede nachweisbare Spur eines Bleigehaltes. Man würde somit recht wohl höhere Saftconcentrationen verarbeiten und damit auch am Abdampfconto sparen können. Sollte die Entfernung geringer Spuren von Blei mittels Schwefelwasserstoffs bezieh. Schwefelcalciums wegen des unangenehmen Geruches oder sonstiger Unzuträglichkeiten nicht beliebt werden, dann bliebe ja immer noch die Abscheidung winziger Spuren dieses Metalles durch den so sauber und reinlich arbeitenden elektrischen Strom, welcher für die Entfernung von Strontium oder Barium aus Zuckersäften bekanntlich unanwendbar ist. Doch mache ich darauf aufmerksam, dass man auch hier zweckmässig einen vorherigen Kalkzusatz zu machen hat, da Zucker kein Elektrolyt ist und seine Lösung allein den Strom schlecht leitet. Man wird dann finden, dass sich sowohl auf der negativen als auf der positiven Elektrode Blei abscheidet, auf letzterer in Form von Bleisuperoxyd. Der Verarbeitung höherer Concentrationen als von 13 bis 15° Bx. dürften somit im Bleibetriebe keineswegs so grosse Schwierigkeiten, wie C. W. annimmt, entgegen stehen. Was nun den von C. W. in Aussicht gestellten hohen Bleiverlust anbelangt, der durch den Gehalt der Melasse an Chlorkalium und Kaliumsulfat bedingt werde, so sind die von ersteren angeführten Zahlen nicht correct. Derselbe findet 21 Doppelcentner PbO-Verbrauch auf die Hälfte von je 10 Doppelcentnern KCl und K2SO4. Offenbar hat C. W. übersehen, dass erst auf 2 Mol. KCl 1 Mol. PbO zu rechnen sind. Dann aber beträgt die dem Ganzen entsprechende Menge etwa 28 Doppelcentner Bleioxyd, oder die nach Annahme zur Abscheidung kommende Hälfte 14 Doppelcentner (statt 21). Zu der Bindung des Bleioxyds durch Kaliumsulfat der Melasse ist aber zu bemerken, dass ich zwar eine partielle Festlegung des Bleies in Folge dieser Reaction zugebe – auch in meiner ersten Abhandlung in D. p. J. 1895 298 65 habe ich dieselbe nicht rundweg verneint –, dass es aber andererseits Mittel gibt, sie auf ein sehr geringes Maass zurückzuführen. Es ist aber in Frage zu ziehen, ob man nicht besser thut, diese vorläufige Festlegung des Bleioxyds durch Kaliumsulfat ruhig vor sich gehen zu lassen, als sie im Geringsten zu beeinträchtigen. Denn man erhält ja alsdann in den Ablaugen um so viel weniger Sulfate und beim Calciniren der Laugen eine viel werthvollere Potasche. Ich habe soeben nur von einer vorläufigen Festlegung des Bleioxyds in Form von Sulfat gesprochen, und zwar mit gutem Recht. Denn diesen Betrag von Bleisulfat in dem Saccharat- bezieh. Saturationsschlamm als directen Verlust hinzustellen und mit etwa 30 M. für 1 Doppelcentner zu beziffern, wie es C. W. thut, ist durchaus falsch. Ebenso die Behauptung, dass das Bleisulfat nur mit grossen Kosten zu regeneriren sei. Richtiger wäre es daher gewesen, nur die Kosten der Umwandelung des Bleisulfats in Bleicarbonat in Ansatz zu bringen. Dieselben dürften aber nur unwesentlich sein, da zwischen Bleisulfat und einer wässerigen Lösung von Alkalicarbonat bereits in der Kälte eine völlige Umsetzung stattfindet. Es würde somit genügen, den Saturationsschlamm oder vielleicht zweckmässiger das bereits im Regenerirofen erhitzte Product, also das wiedergewonnene, sulfathaltige Bleioxyd, mit Wasser und einem Theil der im Fabrikbetriebe selbst gewonnenen Potasche zu digeriren – beim regenerirten Strontiumoxyd ist solche Manipulation freilich unmöglich bezieh. unvortheilhaft –, um fast sämmtliche Schwefelsäure zu entfernen und das Bleisulfat in Bleicarbonat umzuwandeln. Es kann hinsichtlich des Verbrauches an Materialwerthen somit nur die Differenz zwischen dem Werth von Kaliumsulfat und der äquivalenten Menge Kaliumcarbonat (Potasche) in Betracht kommen. Diese Differenz wird aber durch Erzielung besserer Potasche zum Theil wieder ausgeglichen. Hinsichtlich der vermeintlich resultirenden schlechten, weil stark bleihaltigen Restmelassen, deren Verwendung wegen ihrer Schädlichkeit kaum möglich sein solle, brauche ich wohl nicht erst viele Worte zu machen. Es genüge, darauf hinzuweisen, dass, wenn wirklich in den Restmelassen sich Blei vorfinden sollte, die Entbleiung derselben mittels der oben angegebenen Mittel und zumal mittels des elektrischen Stromes keine erheblichen Schwierigkeiten bieten würde. – Auf andere als die hier kurz besprochenen Hauptpunkte der Kritik (Dampfverbrauch, Bleiverluste, vermeintlich schlechte Restmelassen) einzugehen, erscheint mir heut nicht erforderlich. Denn wenn weitere Verbesserungen des Verfahrens, welche in Bearbeitung sind, erst mitgetheilt sein werden, so dürfte sich ergeben, dass die noch in Frage kommenden Momente, wie Arbeitsconto, Betriebseinrichtung u.s.w., auf ein geringeres Ausgabenmaass, als der Einsender annimmt, sich reduciren lassen. Zum Schluss gebe ich noch einer gewissen Befriedigung Ausdruck, dass das in Rede stehende Verfahren, trotzdem es erst in ziemlich unvollkommener Form bekannt geworden ist, bereits gewürdigt wurde, mit einem bis in die Details ausgearbeiteten und bezüglich der maschinellen Einrichtungen, welche übrigens theilweise auch dem Bleiverfahren zu gute kommen würden, hoch entwickelten Fabrikationsverfahren in eine ernste Parallele gestellt zu werden. Es lässt sich daher für die Zukunft des neuen Verfahrens das Beste erwarten.