Titel: Neuere Bestrebungen bezüglich des Baues und Betriebes von Schiffahrtskanälen.
Fundstelle: Band 302, Jahrgang 1896, S. 278
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Neuere Bestrebungen bezüglich des Baues und Betriebes von Schiffahrtskanälen. (Schluss des Berichtes S. 256 d. Bd.) Mit Abbildungen. Neuere Bestrebungen bezüglich des Baues und Betriebes von Schiffahrtskanälen. Vorschlag zu einer neuen Kanalisirungsweise. Wie im Vorausgehenden erörtert, wirken die Zeitverluste an Kammerschleusen und Hebewerken nachtheilig auf den Schiffahrtsbetrieb, insbesondere verhindern sie bei kurzen Haltungen die Anwendung von Schleppzügen und sind am lästigsten dann, wenn in entgegengesetzter Richtung fahrende Schiffe oder Züge gleichzeitig an den Schleusen ankommen. Es liegt daher nahe, zu untersuchen, ob es nicht möglich ist, Kanäle herzustellen, welche die Nachtheile der Kammerschleusen vermeiden, bei denen die Schiffe also ohne Aufenthalt durch die Schleusen fahren, bei denen ferner die Hebung und Senkung der Fahrzeuge während der Fortbewegung, und zwar in ruhigem Wasser erfolgt, und bei denen endlich lange Schiffszüge ohne Aufenthalt und ohne Theilung gleichzeitig nach beiden Richtungen in den Schleusen an einander vorbeifahren können. Dieses Ziel ist erreichbar; allerdings nicht bei sämmtlichen Kanälen, sondern nur dann, wenn die zu überwindende Steigung massig ist und wenn reichliches Speisewasser zu Gebote steht, im Allgemeinen also nur bei Seitenkanälen grösserer Flüsse oder dort, wo es sich um den Ersatz einer schlecht schiffbaren, natürlichen Verbindung mehrerer Seen durch einen Kanal handelt. Die Anordnung einer derartigen Wasserstrasse ist die nachstehende: Man denke sich einen Kanalschlauch von normalen Querschnittsverhältnissen, dessen Sohle indessen nicht wagerecht ist, sondern der zu überwindenden Steigung folgt. Dieser Wasserlauf führt, ähnlich wie natürliche Flussgerinne, eine gewisse Wassermenge ab. Um jedoch bei dem vorhandenen Sohlengefälle ein rasches Abströmen des Wassers zu verhindern, befinden sich in Abständen von mehreren Kilometern bewegliche Stauvorrichtungen, welche treppenförmige Abstufungen des Kanalwasserspiegels bis zu 1,5 m Höhe herbeiführen und gestatten, den Wasserablauf beliebig zu verzögern, oder auch zu unterbrechen. Diese Anlagen (Fig. 10a bis 10c) müssen folgenden Forderungen genügen: 1) Wenn keine Schiffahrt stattfindet, wenn der Kanal also nur zur Abführung einer gewissen Wassermenge dient, so müssen die Stauvorrichtungen derart eingestellt sein, dass sie bei dem Höhenunterschiede der Wasserspiegel ober- und unterhalb gerade die von oben zufliessende Wassermenge abführen, dass also in jede Haltung oben ebenso viel zuströmt als unten abläuft. 2) Wird der Kanal von Schiffen befahren, so muss die Möglichkeit gegeben sein, zur Erzeugung eines Aufstaues das Abflussprofil zeitweise zu verschliessen. 3) Ist in einer unteren Haltung der Spiegel um die Höhe einer Kanalstufe gestaut, liegt also mit dem Normalspiegel der nächst oberen Haltung auf gleicher Höhe, so muss sich die zwischen beiden Haltungen befindliche Stauanlage vollständig aus dem für die Schiffahrt erforderlichen Raume entfernen lassen. Diesen Forderungen entsprechen eiserne Schiebethore, welche nach Bedarf entweder in eine seitliche Nische zurückgezogen oder in das Kanalprofil vorgeschoben werden. Diese Thore sind von einfachster Construction, haben unter Wasser keine complicirten Mechanismen und werden am besten durch Maschinen vom Ufer aus bewegt, da an einem Karale dieser Anordnung reichliche und billige mechanische Kräfte zu gewinnen sind. Als Nothbehelf kann eine Vorrichtung für Handbetrieb beigegeben werden. Textabbildung Bd. 302, S. 278 Fig. 10a. Textabbildung Bd. 302, S. 278 Fig. 10b. Textabbildung Bd. 302, S. 278 Fig. 10c. Uebrigens könnte man auch eiserne Klappthore oder eiserne Schützen anwenden, welche senkrecht so hoch über Wasser gehoben werden, dass die Schiffe unter ihnen durchfahren. Die durch den Ueberdruck des Oberwassers belasteten Stauthore, welche aus einem Stück für die ganze Breite bestehen, bedürfen einer Mittelunterstützung, damit die freie Spannweite nicht zu gross wird. Durch diese Mittelstützen – eiserne Fachwerkpfeiler – ergibt sich eine zweckmässige Theilung des Profils an den Schleusen für Berg- und Thalfahrt. Betrachten wir nun einen Schleppzug, der vom unteren Kanalende kommt und soeben die unterste Kanalstufe überschreitet. Sowie derselbe passirt hat, wird die Stauwand vorgeschoben und das Kanalprofil vollständig abgesperrt. Da von oben her der Zufluss fortdauert, hebt sich der Wasserspiegel oberhalb der geschlossenen Stauwand. Man kann nun die Beziehungen zwischen Zuflussmenge, Länge der Haltungen und Fahrgeschwindigkeit so wählen, dass der Zug dann an der nächsten Stufe ankommt, wenn der Aufstau die Höhe der nächsten Haltung erreicht hat. Der Zug wird somit während der Fahrt in nicht strömendem Wasser um den Höhenunterschied zweier Haltungen gehoben. Die nächste Stauwand, welche bisher die erforderliche Durchflussöffnung frei liess, wird rechtzeitig so weit in die Nische zurückgezogen, dass das Schiffahrtsprofil frei wird und der Zug ohne Aufenthalt in den nunmehr gleich hoch liegenden Spiegel der nächsten Haltung übertreten kann. Das zurückgezogene Stauthor wird, sobald der Zug vorübergefahren ist, vorgeschoben, so dass nunmehr hier der Aufstau sich bildet. Das Gleiche wiederholt sich in sämmtlichen Haltungen. Die Fahrt zu Thal erfolgt in ähnlicher Weise. Beim Verkehr mehrerer Schiffe oder Züge in verschiedenen Richtungen ist der Vorgang immer der gleiche; lediglich zwei Punkte sind dabei zu beachten: 1) Züge, welche in gleicher Richtung fahren, müssen wenigstens einen Abstand von der doppelten Haltungslänge haben. Dieser Abstand darf nicht vermindert, kann aber beliebig vergrössert werden. 2) Die Kreuzungen sich begegnender Schiffe müssen an den Stauschleusen stattfinden. Die Befürchtung, dass die Einhaltung dieser beiden Forderungen als lästige Fessel auf den Schiffsverkehr wirken und den Kanalbetrieb complicirt gestalten wird, wäre unzutreffend. Denn da auf einer Wasserstrasse der geschilderten Anordnung Schleppzüge bis zu 300 m Länge verkehren können, so ist klar, dass die Zahl der Züge und Kreuzungen klein und somit die Erfüllung obiger Forderungen leicht wird. Dafür zu sorgen, dass nicht einzelne Kähne an den Schleusen ankommen, sondern dass alle den Kanal befahrenden Schiffe zu Zügen vereinigt werden, wäre leichte Aufgabe einer entsprechenden Betriebsorganisation. Es leuchtet ein, dass ein derartiger Betrieb den höchsten Anforderungen an Regelmässigkeit und Pünktlichkeit um so mehr genügen könnte, als die Trennung von Berg- und Thalweg an den Schleusen und die Möglichkeit, Licht zur Beleuchtung der Wasserstrasse billig aus dem Kanäle selbst zu gewinnen, zur Einführung des Nachtbetriebes geradezu auffordert. Zur rechtzeitigen Verständigung der Schleusenwärter über zu erwartende Schiffe bezieh. Züge dient eine telephonische Verbindung sämmtlicher Wärterstationen. Vergleichende Berechnungen hinsichtlich der grössten Leistungsfähigkeit, d.h. jener Gütermenge, welche eine Stelle des Kanals bei grösstmöglicher Inanspruchnahme in einer bestimmten Zeit passiren kann, haben ergeben, dass der Kanal mit Stauschleusen eine um das 1,8fache grössere Leistungsfähigkeit gegenüber doppelten Kammerschleusen hat. Die Ueberlegenheit der ersteren gegenüber einfachen Kammerschleusen beträgt das 3,6fache. Was die Zeitersparniss betrifft, welche das vorgeschlagene System bietet, so beträgt dieselbe unter mittleren Verhältnissen 30 bis 33 Proc. Die Anlagekosten eines Kanals mit Stauschleusen sind niedriger, die Unterhaltungskosten ebenso hoch wie bei Kammerschleusen. Was den Wasserbedarf anlangt, so steht derselbe in engem Zusammenhange mit der Fahrgeschwindigkeit; je rascher man fahren will, desto grösser muss die in dem Stauschleusenkanale abfliessende Wassermenge sein. Ein Maasstab für die Grösse derselben ergibt sich aus Nachstehendem: Der Wasserbedarf für den Rheinkanal Speyer-Strassburg wurde seinerzeit auf 20 bis 28 cbm/Sec. angegeben, wobei 16 bis 18 Kammerschleusen und 1000-t-Schiffe vorgesehen waren. Bei der Anwendung von Stauschleusen und einer Fahrgeschwindigkeit von 1 m/Sec. für Züge erhöht sich der Wasserbedarf auf 32 cbm/Sec., wovon 22 cbm reines Betriebswasser sind, während 10 cbm auf Wasserverluste entfallen. Der Mehrbedarf an Wasser beträgt daher etwa 25 bis 30 Proc. Dieser Umstand, nachtheilig bei Kanälen im Allgemeinen, dürfte bei Seitenkanälen grösserer Flüsse nicht ins Gewicht fallen. Man könnte gegen die dargestellte Kanalisationsweise den Vorwurf erheben, dass sie die Hauptforderung der Grosschiffahrt, den Fahrzeugen möglichst wenig Hindernisse in den Weg zu stellen, dadurch verletze, dass sie an Stelle der Kammerschleusen eine 2- bis 5fach grössere Zahl von Stauschleusen setzt. Hierauf ist zu bemerken, dass die besprochenen Stauanlagen keine Schiffahrtshindernisse sind. Es lässt sich nachweisen, dass, wenn ein kurzer Theil eines etwa 300 m langen Schleppzuges den verengten Wasserquerschnitt an einer Stauschleuse durchfährt, der Kraftbedarf für den ganzen Zug nur um etwa 1,5 Proc. wächst. Diese Zunahme ist praktisch ohne Bedeutung und weniger fühlbar als der Einfluss von Wind- und Wellenbewegung. Auch bedarf es durchaus keiner grossen Steuerfertigkeit, um bei der massigen Fahrgeschwindigkeit von 1 m/Sec. ein 8 bis 9 m breites Schiff durch eine 12 m weite Oeffnung zu steuern, besonders wenn diese Enge nur kurz ist. Durch Prellpfähle, die in der Nähe der Wasserlinie elastische Aussentheile – Gummiringe o. dgl. – besitzen und um ihre Längsachse beweglich sind, kann übrigens allen Folgen eines Steuerversehens unschwer vorgebeugt werden. Ein weiterer Vorwurf könnte dahin gehen, dass die Unterhaltung der vielen Stauanlagen schwierig ist und dass deren Bedienung eine grosse Zahl von Hilfskräften erfordert. Hiergegen ist zu erwidern, dass bei der äusserst einfachen Constructionsart der Stauwände Reparaturen unter Wasser und daher auch Betriebsstörungen nur selten nothwendig sein werden. Die Bewegungsmechanismen befinden sich sämmtlich über Wasser, sind jederzeit zugänglich, verlangen wenig Reparaturen und gestatten raschen Ersatz etwa beschädigter Glieder durch Reservetheile. Was die grosse Zahl von Bedienungsmannschaften betrifft – bei ausschliesslichem Schiffahrtsbetrieb ein Mann, wenn auch Kraftanlagen mit den Schleusen verbunden werden, zwei Mann an jeder Kanalstufe, bei Tag- und Nachtbetrieb mit Ablösung –, so wird sich zeigen, dass dieselben, ausser beim reinen Kanalbetriebe in vortheilhafter Weise gleichzeitig bei der Nutzbarmachung der Kanalwasserkräfte Verwendung finden. Ausser den schon genannten Vorzügen, die der Vorschlag bietet – Fahrt durch die Schleusen ohne Aufenthalt, Hebung während der Fortbewegung und ungestörter Verkehr langer Schleppzüge – verdient noch der Umstand Erwähnung, dass die massige Strömung, die in jenen Haltungen herrscht, in denen keine Schiffe fahren, durch leichte Spülung ein Verschlammen des Kanals verhindert und denselben im Winter länger eisfrei hält. Auch ist hervorzuheben, dass die Einfachheit der Stauthore jährliche, regelmässige Kanalsperren entbehrlich macht und es ermöglicht, die in grösseren Zwischenräumen erforderlichen Ausbesserungen ohne Sperrung der Schiffahrt vorzunehmen. Die bisherige Darlegung hatte den Kanal nur als Schiffahrtsweg im Auge. Es ist noch zu zeigen, dass die Stauschleusen denselben auch anderen Zwecken dienstbar zu machen gestatten. Zunächst vermag die geschilderte Wasserstrasse der Landwirthschaft zu dienen, indem sie die Einrichtung einer Ländereienbewässerung ermöglicht. Bestimmte Bewässerungsbezirke können ohne nennenswerthe Beeinträchtigung des Schiffahrtsbetriebes in regelmässigem Wechsel mit dem nöthigen Wasser versorgt werden. Diese landwirthschaftliche Seite des Stauschleusenkanals dürfte einigen Werth haben; denn grosse Kanalprojecte werden ohne Zweifel viel rascher allgemeinen Beifall finden, wenn sie nicht nur die Interessen von Handel und Industrie vertreten, sondern auch der Landwirthschaft Vortheile zu bieten vermögen. Die Darstellung dieser Bewässerungsweise würde hier zu weit führen und wird dieselbe an anderer Stelle gegeben werden. Eine weitere Nebennutzung der geschilderten Kanalisationsart bietet die Ausbeutung der vorhandenen Wasserkräfte, indem man an jeder Kanalstufe Wasserkraftmaschinen anbringt und deren mechanische Arbeit in elektrische Energie umwandelt. Ein geringer Theil der gewonnenen Kraft kann für den Kanalbetrieb selbst, also für die Bewegung der Fahrzeuge und Stauthore, sowie für die Beleuchtung der Wasserstrasse bei Nacht verwendet werden. Der weitaus grössere Theil der Kraft dagegen steht der Industrie zur Verfügung, ein Umstand, der das Entstehen industrieller Unternehmungen längs des Kanals sehr fördern wird. Es lässt sich nachweisen, dass derartige Kraftanlagen, wenn sie einmal längs des ganzen Kanals vollkommen ausgenutzt werden können, eine 2procentige Rente für die ganze Wasserstrasse erbringen. Dies ist deshalb wichtig, weil bekanntlich das berechtigte Streben nach möglichst niederen Kanalabgaben eine nennenswerthe Verzinsung der künstlichen Wasserstrassen durch Schiffahrtsabgaben ausschliesst. Die geschilderte Kraftausnutzung dagegen im Verein mit dem Ertrage einer massigen Kanalgebühr, einer kleinen Abgabe für Bewässerung, sowie mit Hinzurechnung des Pachterträgnisses von Hafenlagerplätzen und Grasnutzung auf den Kanaldämmen, lässt eine 3procentige Nettorente erhoffen. Der Hauptvortheil der Kraftausnutzung liegt jedoch darin, dass die billigen und bequemen Betriebskräfte längs des ganzen Kanals die Entstehung lebhafter Industrie begünstigen, da diese ihre Hauptbedürfnisse vorfindet, nämlich billige Zu- und Abfuhrgelegenheit und billige Betriebskraft. Die geschilderte Kanalisationsweise dürfte daher sehr geeignet sein, Handel und Industrie in ihrer Umgebung zu wecken und zu fördern, sich also selbst ihre Lebensbedingungen zu schaffen.