Titel: Apparat von C. Linde zur Darstellung flüssiger Luft.
Fundstelle: Band 303, Jahrgang 1897, S. 41
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Apparat von C. Linde zur Darstellung flüssiger Luft. Mit Abbildungen. Apparat von Linde zur Darstellung flüssiger Luft. Die kritische Temperatur ist diejenige, oberhalb welcher sich ein gasförmiger Körper durch keinen Druck in den tropfbaren Zustand überführen lässt, oder richtiger, oberhalb welcher kein scharfer Unterschied mehr besteht zwischen flüssigem und gasförmigem Zustand. In einer bei 20° geschlossenen, halb mit flüssiger Kohlensäure gefüllten Glasröhre sieht man genau die Grenze zwischen Flüssigkeit und der darüber befindlichen noch gasförmigen gesättigten Kohlensäure. Erwärmt man auf 31°, so verschwindet diese Grenze; diese Temperatur ist daher für Kohlensäure die kritische Temperatur. Für Sauerstoff ist die kritische Temperatur – 118° und für Stickstoff – 145°. Will man diese Gase flüssig machen, so muss man sie zunächst unter die kritische Temperatur abkühlen und comprimiren. Für die Erzielung dieser niedrigen Temperaturen ist bisher davon ausgegangen worden, dass zunächst solche Gase comprimirt und condensirt wurden, deren kritische Temperatur mit gewöhnlichen Mitteln erreichbar war (z.B. Kohlensäure). Indem man dieselben alsdann unter niedrigem Drucke verdampfen liess, gewann man diejenige Temperatur, bei welcher ein schwerer condensirbares Gas demselben Processe unterworfen werden konnte, und stieg auf diesem Wege stufenweise zu der gewünschten bezieh. erreichbaren Temperatur hinab. Den letzten Theil der Abkühlung führten verschiedene Experimentatoren so aus, dass sie das zu verflüssigende Gas stark comprimirten und alsdann ausströmen liessen, wobei sich vorübergehend Nebelbildungen bezieh. Flüssigkeitsstrahlen zeigten. In dem Apparate von Prof. C. Linde in München wird unter Beseitigung der vorausgehenden Hilfsprocesse zur Verflüssigung eines Gases ausschliesslich die Abkühlung benutzt, welche beim Ausströmen desselben Gases stattfindet. Da aber bei einmaligem Ausströmen nur eine relativ geringe und zur Verflüssigung schwer condensirbarer Gase, selbst bei Anwendung sehr grosser Druckdifferenzen nicht ausreichende Temperaturerniedrigung gewonnen werden kann, so werden die Wirkungen beliebig vieler Ausströmungen in der Weise vereinigt, dass jede vorhergehende zur Vorkühlung des Gases vor der nachfolgenden Ausströmung dient. Der in Fig. 1 nur im Princip angegebene Gegenstromapparat besteht aus zwei concentrischen, je 100 m langen, spiralförmig aufgewundenen Röhren von 3 und 6 cm lichtem Durchmesser, deren Gänge mittels roher Schafwolle gegen einander und nach aussen hin sorgfältig isolirt sind, damit von der äusseren Luft möglichst wenig Wärme zu den Röhren gelangen kann. Das an den Gegenstromapparat anschliessende Sammelgefäss war ebenso gut isolirt. Das Gewicht des Gegenstromapparates mit dem daran anschliessenden Sammelgefässe für die verflüssigte Luft und mit Zubehör beträgt ungefähr 1300 k. Textabbildung Bd. 303, S. 41 Fig. 1.Linde's Apparat zur Darstellung flüssiger Luft. a Kühler; b Compressor; c Gegenstromapparat; d Regulirventil; e Sammelgefäss. Die durch den Compressor vom Drucke p1 auf den Druck p2 gebrachte Luft strömt zuerst durch einen Kühler und erhält hier die Temperatur t1, gelangt dann in das innere Rohr des Gegenstromapparates und nimmt daselbst die Temperatur t2 an. Lässt man jetzt diese comprimirte Luft durch das Drosselventil ausströmen, so kühlt sie sich bei der Ausdehnung auf ein grösseres Volumen um den Betrag t2t1 ab. Mit der Temperatur t3 kommt die Luft in den ringförmigen, durch die beiden Rohre des Gegenstromapparates gebildeten Zwischenraum, strömt der im inneren Rohr comprimirten Luft entgegen und überträgt auf diese die erlangte niedrige Temperatur. Da die jetzt ausströmende Luft stark abgekühlt ist, sinkt die Temperatur t3, die comprimirte Luft wird dadurch noch stärker abgekühlt und so fällt die Temperatur t3 fortwährend, bis durch äussere Wärmezufuhr und durch die bei der Verflüssigung frei werdende Wärme Beharrungszustand eintritt. Die sich nicht verflüssigende Luft kehrt, nachdem sie den Rücklauf durch den Gegenstromapparat vollendet hat, mit dem Drucke p1 und einer Temperatur t4 zum Compressor zurück. Diese Temperatur t4 liegt der anfänglichen t2 um so näher, je vollkommener durch den Gegenstromapparat der Wärmeaustausch bewirkt wird. Fig. 2 stellt den Verlauf der Temperaturänderungen der Luft während eines Versuches dar, bei welchem der Druck p1 ungefähr 22 at und der p2 im Durchschnitt 65 at betrug. Der Compressor bewegte ungefähr 20 cbm Luft vom Drucke p1 und in 1 Stunde. In dem Sammelgefäss wurden nach Erreichung des Beharrungszustandes stündlich mehrere Liter flüssige Luft gewonnen. Textabbildung Bd. 303, S. 41 Fig. 2.Linde's Apparat zur Darstellung flüssiger Luft. Die Angaben, welche von Thomson und Joule für die Abkühlung ausströmender Luft gemacht wurden, sind bei diesen Versuchen innerhalb weiter Grenzen bestätigt worden. Bezeichnet T1 die Temperatur der ausgeströmten und T diejenige der ausströmenden Luft, so findet man T1 nach der Formel T_1=0,276\,(p_2-p_1)\,\left(\frac{273}{T}\right)^2. Die Abkühlung ist somit für eine gegebene Druckdifferenz dem Quadrate der absoluten Ausflusstemperatur umgekehrt proportional. Holborn und Wien haben die Siedetemperatur der mit diesem Apparat erhaltenen flüssigen Luft bestimmt. Zu diesem Zwecke brachte man etwa 1,5 1 flüssige Luft unter 1 at Druck in ein dünnwandiges Becherglas, das gegen Zuleitung der Wärme von aussen gut isolirt war. Man erreicht auf diese Weise eine so langsame Verdampfung, dass die Temperatur 10 Minuten lang sich nicht merklich änderte. Die flüssige Luft sieht schwach bläulich aus und war milchig getrübt durch herumschwimmende Theilchen von fester Kohlensäure, die sich wahrscheinlich aus der Atmosphäre allmählich gesammelt hatten. Aus der flüssigen Luft verdampft der Stickstoff in grösserer Menge, da seine Siedetemperatur tiefer liegt als die des Sauerstoffs. Die zurückbleibende Flüssigkeit wird folglich an Sauerstoff immer reicher und ihre Siedetemperatur steigt. Die Temperatur schwankte, je nachdem mehr oder weniger Stickstoff schon verdampft war, zwischen den Grenzen – 186,4 und – 190,2°. Vollständig constant verhalten sich dagegen Bäder aus reinem flüssigen Sauerstoff. Der käufliche Sauerstoff enthielt noch 7,6 Stickstoff und der Siedepunkt desselben wurde zu – 184,2° bestimmt. Bisher liegen Bestimmungen von Wroblewski und Olszewski vor. Ersterer gibt – 181,5° und letzterer neuerdings – 182,5° bei 1 at Druck an. Die Temperaturen wurden mit einem Wasserstoffthermometer gemessen und dabei auch ein Thermoelement kalibrirt. Die Versuche ergaben, dass für diese niedrigen Temperaturen ein Thermoelement aus Platin- und Constantandraht noch am empfindlichsten ist. Constantan ist eine Legirung aus Kupfer mit 40 Proc. Nickel. Diese Legirung hat die Eigenschaft, dass der elektrische Widerstand sich mit der Temperatur fast gar nicht ändert. In Verbindung mit einem Zeigergalvanometer ist das Thermoelement sehr bequem für die praktische Messung tiefer Temperaturen, da man damit ohne geringe Mühe auch an solchen Stellen messen kann, die sonst schwer zu erreichen sind. Die Vergleichung des Wasserstoffthermometers mit einem Luftthermometer ergab gut übereinstimmende Temperaturen. Die Angaben des Luftthermometers waren nur um 0,6° höher als die des ersten. Eine weitere Bestimmung bei der Siedetemperatur der Luft war die des elektrischen Widerstandes von Platin. Der Widerstand der Metalle nimmt bekanntlich mit sinkender Temperatur ab. Der 0,05 mm starke Platindraht war auf Glimmer gewickelt und befand sich im Thermometergefäss, so dass Platin und Wasserstoffgas sicher immer gleiche Temperatur hatten. Die Temperatur lässt sich als Function des Widerstandes durch eine Gleichung zweiten Grades bis auf 1° Genauigkeit darstellen. Die Gleichung lautet t = – 258,3 + 5,0567 W + 0,005855 W2. Wenn es gestattet wäre, diese Formel für Temperaturen unter – 190° zu extrapoliren, so würde für die Temperatur – 258,3° der Widerstand von Platin Null werden.