Titel: Allgemeines.Englische Handelsmethoden.
Fundstelle: Band 310, Jahrgang 1898, S. 117
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Allgemeines.Englische HandelsmethodenIm Nachstehenden geben wir eine dem Engineering vom 21. October 1898 entnommene Betrachtung wieder, welche sowohl wegen der darin freimüthig ausgesprochenen Anerkennung der Tüchtigkeit unserer Kaufleute und Techniker, als auch wegen der Offenheit in der Selbsterkenntniss des englischen Autors von einigem Interesse sein dürfte. Um unseren Lesern einen kleinen Einblick in das englische Geistesleben, soweit es sich in diesem Aufsatz widerspiegelt, zu gewähren, geben wir denselben in seiner ganzen Breite und mit allen seinen Naivetäten wieder.D. R.. Englische Handelsmethoden. Der britische Fabrikant ist wie ein Knabe, der von einer altjüngferlichen Tante erzogen wurde. Er bekommt Rathschläge im Ueberfluss, aber die meisten derselben sind so unpraktisch, dass sie ihn nichts nützen. Es wird ihm das, was er thun soll, mit grosser Weitläufigkeit in aufreizender Weise immer wiederholt, aber niemand hilft ihm, die bewundernswerthen Grundsätze, die unaufhörlich in seine Ohren tönen, in Thaten umzusetzen. In der letzten Zeit haben ihn die Zeitungen gründlich ausgescholten; das Thema dazu lieferte ein Blaubuch der „Ansichten der diplomatischen und Consularbeamten Ihrer Majestät über die britischen Handelsmethoden“, welches eben von der „Abtheilung für Handel, Arbeit und Statistik“ des Handelsamts herausgegeben worden ist. Es ist dies eine Wiedergabe (Abdruck) von vielen Berichten, welche die Regierung seit dem Anfang des Jahres 1896 erhalten hat. Es werden darin die Ursachen der Abnahme der englischen Ausfuhr besprochen, und enthalten dieselben auf mehr als 100 Seiten Klagen über das Geschäftsverfahren der britischen Fabrikanten. Glücklicher Weise können wir dazu bemerken, dass an der Qualität ihrer Erzeugnisse kaum etwas ausgesetzt wird; im Gegentheil besteht ihr Hauptfehler darin, dass sie zu gut sind – so gut, dass der Abnehmer die Bezahlung nicht erschwingen kann. Dieselben werden überall bewundert und gelobt, und jedermann würde sie gerne kaufen, aber häufig kann der Käufer den Preis dafür nicht bestreiten. Dies ist zu begreifen, denn auch bei uns gehen die besten Waaren nur sehr langsam ab. Wir wissen ebenso gut, dass das Beste bei längerem Gebrauch das Billigste ist, aber trotzdem begnügen wir uns häufig mit einem Artikel von zweiter Güte, weil uns augenblicklich die Ausgabe einer grösseren Summe nichtpasst. Auf dem Continent und in fremden Ländern, wo das Geld seltener ist, als bei uns, sind für die Masse des Volkes wirklich gute Artikel oft ganz unerreichbar; entweder müssen dieselben billiger sein oder man verzichtet auf dieselben ganz. Der Rath, billigere und folglich geringere Waaren herzustellen, ist nicht ohne Gefahr. Den Ruf erstklassiger Arbeit gefährdet man nicht gern, und es ist begreiflich, dass der britische Fabrikant zögert, einen solchen Rath zu befolgen. Er muss die Anklagen in ihrer Gesammtheit gründlich studiren, um zu erfahren, welche Ursachen ihnen zu Grunde liegen, und muss sich dann bemühen, das Heilmittel dafür selbst zu finden. Das Durchlesen des Blaubuchs zeigt uns, dass es im Geschäft mit dem Ausland als eine Hauptsache gelten muss, mit der Kundschaft in Berührung zu kommen, ihre Bedürfnisse, ihre Hilfsquellen und sogar ihre Eigenheiten kennen zu lernen. Wer dies thun kann, hat die Factoren des Problems gefunden und kann binnen kurzem entscheiden, ob es gelöst werden kann, und ob das Ergebniss, wenn gelöst, von irgend welchem Werth ist. Dies ist natürlich alles sehr abgedroschen. Der Handlungsreisende ist keine Erfindung von gestern, und sein Nutzen ist überall genau bekannt. Der britische Geschäftsreisende hat jedoch einen grossen Fehler – nur zu oft spricht er keine Sprache ausser der englischen und ist folglich in fremden Ländern gar nicht zu gebrauchen. Um diesen einen Punkt drehen sich neun Zehntel des abfälligen Urtheils über den britischen Händler. Wir versuchen mit Leuten Geschäfte zu machen, deren Sprache wir nicht sprechen und deren Eigenheiten und Bedürfnisse wir erst aus zweiter Hand erfahren können. Kein Wunder also, dass wir schlechte Geschäfte machen, und dass der gewandte Deutsche davon den Vortheil hat. Bis unser Erziehungssystem so geändert ist, dass Männer, die fremde Sprachen fliessend sprechen, mit massigem Gehalt angestellt werden können, müssen unsere Interessen auswärts nothwendiger Weise geschädigt werden. Wir sind jetzt oft wie Menschen, die mit verbundenen Augen nach einem Ziel schiessen; wenn wir treffen, so ist es mehr Glück als Verstand. Es ist geradezu beklagenswerth, zu sehen, wie Fabrikbesitzer ihren Söhnen eine klassische Erziehung geben lassen und dabei das Erlernen der lebenden Sprachen vernachlässigen, bloss weil die Sitte verlangt, dass ein gebildeter Mann einst ein wenig Griechisch und Latein kennen gelernt haben soll. Da wir aber gegenwärtig um unsere Stellung in den neutralen Weltmärkten zu kämpfen haben, so ist es wichtig, dass alle Firmen, die mit dem Ausland Geschäfte machen, wenigstens einen Vertreter haben, der im Stande ist, mit den Kunden nicht bloss in den verschiedenen Sätzen des Phrasenbuchs zu verkehren, sondern in dem leichten Conversationston, der von den Lippen eines Mannes kommt, welcher in derselben Sprache denkt und spricht. Es gibt eine beträchtliche Anzahl von Engländern in der Welt, die viele Sprachen sprechen, aber gewöhnlich sind sie in anderer Beziehung von höherer Begabung, und sind ihre Dienste nicht billig zu gewinnen. Ausserdem gehören sie nicht zu den Handelskreisen und haben nicht die nöthige Ausbildung genossen, um Absatzgebiete aufzusuchen. Das Publicum sollte einsehen, dass der Kaufmann für sein Geschäft ebenso sorgfältig und gründlich ausgebildet werden muss, wie der Gewerbetreibende. Wenn der Arzt, der Ingenieur, der Architekt, der Advocat, der Actuar und viele andere viele Jahre ernsten Studiums brauchen, nachdem sie die Schule absolvirt haben, warum wendet der Geschäftsmann nicht dieselbe Mühe zur Vorbereitung auf seine Laufbahn auf? Warum soll der junge Mann vom Bureau seine Abende mit Musik, Litteratur oder Courmacherei zubringen dürfen, während sein Bruder, der Student der Medicin, sich mit Physiologie oder Anatomie abmüht? Nicht dass der junge Mediciner glänzendere Aussichten auf Belohnung für seine Selbstverleugnung hätte; ein Blick auf die Anzeigen im Lancet zeigt uns, dass seine Dienste sehr schlecht bezahlt werden. Die Wichtigkeit von Kenntnissen wird bei einem Doctor anerkannt, aber in Beziehung auf einen Geschäftsmann wird sie es nicht. Man denkt, dass er durch seinen eigenen Verstand vorwärts kommt, oder durch Erwerbung von Gepflogenheiten, die einem erprobten Muster abgelauscht sind. Wenn wir den Kesselflicker, den Schneider, den Metalldrucker technisch erziehen, dann ist es ein Fehler, eine Klasse zu übersehen, welche Kunden für die Waaren finden muss, welche diese Leute herstellen wollen. Ein kurzer Auszug aus den vielen Vorwürfen, die dem britischen Kaufmann in dem blauen Buch gemacht wurden, würde einige Spalten füllen, aber sie laufen fast alle darauf hinaus, dass er seine Kunden nicht genau genug kennt, weil er mit ihnen nicht zu verkehren versteht. Er versendet Massen von Katalogen – englisch gedruckt, mit englischen Gewichten, Maassen und Preisangaben. Er führt die Preise an ab englischer Hafen und überlässt es dem Leser, alles Nähere über Fracht, Versicherung, Zollabgaben und ähnliches herauszufinden. Er gewährt kurzen Credit und verlangt oft eine Anzahlung vor der Ablieferung. Er zieht nie die Eigenthümlichkeiten fremder Tarife in Betracht, ebenso nicht, wie man sich mit ihnen abfindet oder sie umgeht. Zweifellos sind diese Anklagen in Beziehung auf manche Firmen zutreffend, und es ist ebenso sicher, dass ihre Ursachen zu existiren aufhören würden, wenn der Fabrikant entweder persönlich oder durch Vermittelung eines befähigten Vertreters seine Kunden kennen lernen würde. Kein Mensch würde ein englisches Buch an Leute schicken, von denen er wüsste, dass sie nur italienisch sprechen; kein Mensch würde englische Gewichte angeben, wenn er durch praktische Erfahrungen gelernt hätte, dass sie unbekannte Werthe sind; kein Mensch würde es seinem Kunden überlassen, die Frachtsätze herauszufinden, wenn er wüsste, dass sein deutscher Concurrent die Preise einschliesslich dieser Bedingungen anführt. Aber alles das kommt, wie uns die Consuln versichern, täglich vor, und die einzige Erklärung dafür ist die, dass es aus Unwissenheit geschieht. Die ungereisten Engländer bilden sich ein, dass der Durchschnittsausländer jede Sprache gut beherrscht, er meint, dass er alles von Tons und Yards verstellt, weil es ihm selbst so einfach scheint, während er über Fracht und Zollabgaben schweigt, weil er darüber keine Erkundigungen eingezogen hat und nicht weiss, wie er solche einziehen könnte. Zweifellos haben viele Fabrikanten den unbehaglichen Argwohn, dass ein solches Geschäftsverfahren unvollkommen ist, aber sie sehen keinen Weg, es zu verbessern. Es ist fast unmöglich, befähigte Reisende, die fremde Sprachen sprechen, zu bekommen, ausgenommen zu unerschwinglichen Gehältern. Es stehtfest, der junge Deutsche ist da besser am Platze, aber die meisten Leute schrecken vor dieser Alternative zurück. Wirklich grosse Firmen vermeiden diese Schwierigkeit dadurch, dass sie in allen wichtigen Centren Agenten anstellen, entweder Engländer oder Einheimische. Unter ihrer Führung lernen sie die Forderungen des Marktes kennen und entscheiden, ob es sich lohnt, auf dieselben einzugehen. Oft lohnt es sich nicht; die Consuln sind in solchen Fällen unzufrieden damit, dass kleine Aufträge verachtet werden, aber sie müssen bedenken, dass grosse Unternehmungen solche Geschäfte nicht übernehmen können, besonders wenn der Käufer seine persönlichen Wünsche berücksichtigt haben will. Kleine Aufträge ergehen natürlich an kleine Firmen, wenn sie nicht durch Vorräthe am Platze selbst erledigt werden können, und gerade da fasst der Deutsche Fuss. Für ihn ist es ganz leicht, sogar wenn er nur ein mittelmässiges Geschäft hat, sich einen Geschäftsreisenden in einem fremden Land zu halten. Der Mann ist mit einem massigen Gehalt zufrieden und passt sich den Hotels am Platze an. Ein Engländer von gleichen Fähigkeiten kostet seinen Prinzipal dreimal soviel, und bringt folglich nicht das ein, was er kostet. Bei dem gegenwärtigen Stand unserer kaufmännischen Ausbildung kann die kleine englische Firma keinen Vertreter im Ausland halten, und deshalb sind es nur die grossen Firmen, die ihre Geschäfte auf einer geeigneten Grundlage machen, jedoch können sich diese nicht mit kleinen Aufträgen abgeben, welche dadurch anderen Nationalitäten zufallen. Wenn dies der ganze Schaden wäre, so wäre er nicht bedenklich, aber der Mann, der die kleinen Aufträge erhält, ist auf dem besten Wege, mit der Zeit die grossen zu bekommen. Er ist auf dem Platz und schnappt jeden Kunden weg, den der Engländer zufällig oder durch seine selbstherrliche Weise verliert, während er selbst selten einen von den seinigen einbüsst. Der sicherste Weg, eine Geschäftsverbindung zu gewinnen, ist der, v+n unten anzufangen und sich heraufzuarbeiten, und das ist es gerade, wozu den Deutschen seine Sprachkenntnisse befähigen. Wenn wir auch geneigt sind, viele Misserfolge des englischen Fabrikanten der Unwissenheit zuzuschreiben, so müssen wir doch zugeben, dass sein Mangel an Kenntnissen oft auf Eigensinn beruht. Firmen mit weitverzweigten Organisationen und befähigten Vertretern am Platze weigern sich oft, auf die Zeichen der Zeit zu achten, bis es zu spät ist. Unser Handel mit Mühleneinrichtungen nach Russland ist solch ein Fall. Einst hatten ihn die Fabrikanten von Lancashire ganz in Händen. Dann versuchten es die Deutschen damit und verlangten nicht nur niedrigere Preise, sondern boten auch noch Garantien für den Dampfverbrauch an. Allerdings war das gewagt, und wir können es den Fabrikanten nachfühlen, welche davor zurückschreckten, ihre Waaren auf einen probeweisen Betrieb hin Tausende von Meilen weit zu versenden, auf die Gefahr hin, dass diese zurückgewiesen werden. Nichtsdestoweniger hätte ein weitblickender Mann erfassen müssen, dass er, nachdem der Brauch nun einmal eingeführt war, hier mitmachen müsse. Jedoch die englischen Ingenieure sträubten sich dagegen; sie meinten, ihr Ruf sei so gut wie eine deutsche Garantie, und so kam es, dass die Deutschen und die Schweizer heute den ganzen Handel zu vollen englischen Preisen in ihren Händen haben. Dieser Fehler, welcher von zu grossem Erfolg herrührt, wird hoffentlich mit der Zeit abnehmen. Wenn die kleinen Firmen im Handel mit dem Ausland nur Fuss fassen könnten, so würden sie nothwendiger Weise den anderen allerlei Kunstgriffe ablernen; aber das werden sie so lange nicht können, bis in unserem Lande der Sprachunterricht eine grössere Bedeutung gewonnen hat.