Titel: Altägyptische Weberei.
Autor: Aug. Braulik
Fundstelle: Band 311, Jahrgang 1899, S. 189
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Altägyptische Weberei. Eine Studie von Ingenieur Aug. Braulik. (Schluss des Berichtes S. 175 d. Bd.) Altägyptische Weberei. Wollen wir nun nach diesen Betrachtungen uns die Gewebe Nr. 90 und Nr. 91 der Sammlung, die in Fig. 30 und 31 gezeichnet erscheinen, näher ansehen. Zeichnet man sich das Gewebe aus Fig. 30 so, wie es auf der Oberseite wirklich aussieht, vergrössert auf, so bekommt man ein Bild, das der Fig. 54 nahe kommt. Aus diesem Bilde ist aber auch sofort ersichtlich, dass das ganze Muster aus vier verschiedenen Schuss im Rapporte besteht, die sich nach der Ordnung 1, 2, 3, 4, 3, 2; 1, 2, 3, 4, 3, 2 u.s.w. immer wiederholen. Die ausgefüllten Flächen ( für Gelb, für Schwarz, für Rot) bezeichnen diejenigen Kettenfäden, welche bei dem diesbezüglichen Schusse über dem Schussfaden liegen müssen ( bedeutet Schussfaden oben). Textabbildung Bd. 311, S. 189 Fig. 54. Textabbildung Bd. 311, S. 189 Fig. 55. Halten wir an dem früher angegebenen Prinzipe fest, das wir für die Webe Vorrichtung entworfen haben, so kann dieses Band- mit Vorrichtung Fig. 51 erzeugt werden, wenn man die vier Stäbe nach der Ordnung 1, 2, 3, 4, 3, 2; 1, 2, 3, 4, 3, 2 u.s.w. aushebtNatürlich ist die Reihenfolge der Faden eine andere und eine ganz bestimmte.. Um die richtige Ordnung zu finden, nach welcher die Kettenfäden in der Gewebebreite folgen müssen, braucht man sich bloss die Farbenfolge festzustellen, z.B. Gelb, Schwarz, Rot. Zeichnet man sich in Fig. 55 die vier Schaftstäbe für jede Farbe einzeln untereinander und darauf aus Fig. 54 die für jeden Schuss oben liegenden Kettenfäden auf die Stäbe, so erhalten wir, stets von oben nach unten auf demselben Streifen weiter gehend, die richtige Farbenfolge, wie dieselbe beim Einzug in die Schäfte beobachtet werden muss. Wir finden: 6 gelb; 4 schwarz; 8 gelb; 6 schwarz (1 gelb, 2 schwarz, 1 gelb, 1 schwarz); 4mal 1 gelb, 1 schwarz; 1 schwarz, 1 rot; 1 gelb, 1 schwarz; 1 gelb, 1 rot u.s.w. Textabbildung Bd. 311, S. 190 Fig. 56. Dies ist die Fadenfolge von Streifen I bis X auf Fig. 55. Jetzt kommt: 1 schwarz, 1 rot u.s.w. Nach dieser aufgestellten Methode habe ich mit vier Stäben (wie in Fig. 51) aus Baumwollgarn 50 2 ein Band gewebt, welches infolge der guten Farben wähl mit dem Original vollkommen übereinstimmend war. Auf die Stäbe befestigte ich halbe Helfen, was dasselbe bedeutet, als wenn ich eine Schnur genommen und dieselbe nach Fig. 41, 44 und 46 geschlungen hätte. Man sieht aus den letzten Zeichnungen, dass ein und derselbe Kettenfaden in mehrere Schäfte eingezogen werden muss; die Aushebung des einen Schaftes wird durch die anderen Schäfte (oder Stäbe) nicht gehindert, da jeder Kettenfaden in einer hohen Schlinge frei beweglich ist, gerade so, wie bei der modernen Weberei in einer Fachhelfe des Vorderzeuges oder in einer Helfe für Aufzug. Wollte man dieses ägyptische Bändchen mit modernen Schaftstühlen erzeugen, so müsste man sich nach der Patrone in Fig. 56 richten. In dieser bedeutet A das Gewebebild, B den Einzug in die Schäfte, D sind die Tritte nach der Ordnung 1, 2, 3, 4, 3, 2 u.s.w. getreten, und C ist die Schnürung der Schäfte mit den Tritten. Indem der Einzug B sehr unregelmässig wird, wenn man die Anwendung der minimalen Schäftezahl anstrebt, ist es lohnender, dieses Band mit mehreren Schäften und Schaftmaschine oder mit Jacquard-Maschine zu arbeiten. Gewebe Nr. 91 erscheint in Fig. 31 gezeichnet. Bei seiner näheren Untersuchung findet man die Fadenordnung in der Kette wie folgt: 6 gelb, 4 schwarz, 2 gelb (1 schwarz, 1 gelb, 1 schwarz) 4mal; (1 gelb, 1 schwarz) 6mal; (2 gelb, 1 schwarz) 3mal; 4 schwarz, 6 gelb, 4 schwarz, 6 gelb. Nach diesen kommen noch etliche 20 Fäden gelb, die zum einfarbigen Grund zu zählen sind. Gleichartig wie bei Nr. 90 ist aus Fig. 57 die obere Gewebeseite zu sehen. Es ist einleuchtend, dass das ganze Muster aus vier Schuss besteht, die sich in der Ordnung: 1, 2, 3, 4, 3, 2; 1, 2, 3, 4, 3, 2 u.s.w. im Gewebe wiederholen. Man kann daher zur Erzeugung wieder dieselbe Vorrichtung wie früher benutzen. In Fig. 58 ist wieder die Patrone für moderne Webstühle zur Benutzung. Die Bezeichnungen sind da dieselben wie bei Fig. 56. Textabbildung Bd. 311, S. 190 Fig. 57. Wie ich bereits schon früher bemerkt habe, enthält die Westwand des Ptah-hotep-Grabes (aus der Zeit der 5. Dynastie, minimal 2850 v. Chr., nach Brugsch 3566 v. Ohr.) eine Anzahl polychromischer Ornamente, die uns an Fig. 30 (Gewebe der Sammlung Nr. 90) lebhaft erinnern müssen. Die öfters gemachte AnnahmeSiehe in Perrot und Chipiez „Anhang von Pitschmann S. 883, Anmerkung 2., dass diese bemalten Streifen (in natürlicher Grösse etwa 70 mm breit) uns gestickte oder gewirkte Muster darstellen sollen, wird durch die ThatsacheNach der aufgestellten Methode habe ich 1896 und einigemal später aus Ramiegarnen Nr. 60/2 (es kommt dem Leinengarn am ehesten nah, da die Farben in Flachsgarn ich nicht hatte) ein ca. 12 cm breites Band gewebt, wobei von einer Farbe etliche 10 Fäden auf 1 cm eingestellt gewesen, und jeder Kettenfaden aus 60/2 3fach behufs besserer Deckung genommen wurde. Als Schuss (3½ Faden per 1 cm) benutzte ich einen mitteldicken Teppichfaden schwarz. Das fertige Band hatte denselben Eindruck gemacht wie das Wandgemälde. Eine Photographie dieses Bandes von 70 mm Breite und mit den angegebenen Farben gemalt, ist mit den Abbildungen in Perrot und Chipiez auffallend, ja nahezu überraschend identisch. Indem ich die Originalgrösse des Gemäldes (70 mm breit) auch für ein „Claustra“-Fenster für zu gering halte, habe ich, um die Ueberzeugung zu gewinnen, dass dieses Gewebe in beliebigen Breiten erzeugt werden konnte, mit 16 Schäften einen 0,5 m breiten Teppich, das gleiche Dessin enthaltend, gewebt. Ich kann nicht behaupten, dass die Aegypter mit so viel Schäften gearbeitet hätten, da ich mir vorstelle, gewisse Weberfamilien haben gewisse Dessins nur aus dem Gedächtnis stets mit gleicher Vorrichtung erzeugt, eine Erscheinung, die ja im Oriente bei dem Teppichknüpfen beobachtet werden kann. Bemerken will ich jedoch, dass nach alten Ueberlieferungen der Tempelvorhang in Jerusalem mit 72! Schäften gewebt worden sein soll. etwas abgeschwächt, indem man mit der früher besprochenen Methode und Webevorrichtung dieses Dessin erzeugen kann. Nehmen wir ein beliebiges Muster aus der Wandmalerei, z.B. das in Fig. 59 gezeichnete. Hierin bedeutet: indischrot hell. zinnobergrün mittel. schwarz. ultramarinblau mittel. chromgelb I. Textabbildung Bd. 311, S. 191 Fig. 58. Man kann leicht finden, dass dieses Muster aus sechs verschiedenen Schuss besteht, die sich in der Ordnung: 1, 2; 3, 4, 5, 6, 5, 4, 3, 2; 1, 2, 3, 4, 5, 6, 5, 4, 3, 2 u.s.w. im Gewebe wiederholen. Man kann dieses Muster, um die natürliche Breite von 70 mm zu bekommen, anstandslos mit 6 Schäften und der früher angegebenen ägyptischen Vorrichtung erzeugen, nur müssen diese Schäfte nach der Ordnung 1, 2, 3, 4, 5, 6, 5, 4, 3, 2 u.s.w. ausgehoben werden. Um das Band in beiläufiger Breite der Originalabbildung zu erhalten, nehme man an, wie beim Gewebe Nr. 90, ein ausgefülltes Quadratchen der Zeichnung Fig. 59 bedeutet drei Kettenfäden, und wir können dann nach den früher gemachten Erfahrungen das Gewebebild, den Einzug in die Schäfte, so auch die Fadenfolge genau angeben. In Fig. 60 bedeutet die oberste Figur das Gewebebild, wie es auf der oberen Seite aussieht, a sind die 6 Schuss und darunter für jede Farbe dieselben angegeben (d.h. welcher Faden auf den oder jenen Schaft zu reihen ist). Wir finden leicht, dass dieses Gewebe aus 297 Fäden besteht, welche bestehen aus: 27 rot, 75 grün, 87 schwarz, 72 blau und 36 gelb. Textabbildung Bd. 311, S. 191 Fig. 59. Zum Schlusse will ich bemerken, dass nicht nur dieses Dessin, sondern ein jedes andere nach der Methode, die in Fig. 48 gezeichnet erscheint, also durch eine Kombination der Webstuhlvorrichtung für Leinwandbindung und Nadel mit Schlingfaden, erzeugt werden kann. Nehmen wir als Beispiel das Dessin Fig. 59 und zwar das Stückchen vom Mittelfaden I bis IX und vom Schlingschuss 6 bis 7. Das Arbeiten am Stuhle von „unten nach oben“ und gleichartig wie geschrieben und gelesen wurde – von „rechts nach links“. Nehmen wir ferner an, dass ein Faden oder Quadrat in Fig. 59 aber vier Kettenfäden und bei starkem Schlingschuss bloss 2 Schlingschuss bedeutet, so erhalten wir ein Bild, wie es die Fig. 61 bietetMit einer Kette 20/2 Baumwolle schwarz 2fach, Grundschuss 1fach und starkes Teppichgarn, Kettendichte 10 Fäden, habe ich nach dieser Methode das Dessin ca. 40 cm breit erzeugt und einen Stoff erhalten, der auf den ersten Anblick vollkommen einem Knüpfteppiche ohne Flor gleicht. Die untere Gewebeseite ist ripsähnlich. Trotz der Stärke hat dieser Stoff einen schönen Faltenwurf.. Im vorhinein bemerke ich, dass durch den Grundschuss a und Anschlagen mit dem Rietblatt die Schlingschussreihe sich als ein breiterer Querstreifen senkrecht zur Kettenrichtung legt, und die Kettenfäden so auch der Grundschuss durch den Schlingfaden vollständig wie bei der „Knüpfarbeit“ gedeckt sind. Der Vorgang bei der Arbeit ist der folgende: Nachdem man mit der Leinwandvorrichtung einige Grundschuss a gemacht hatte, nimmt man die Nadel mit dem schwarzen Schlingfaden, geht über Faden 1 bis 4, sticht zwischen Faden 4 bis 5, geht zurück unter Faden 4 bis 1, wieder über 1 bis 4, sticht zwischen 4 bis 5, zieht den Faden an und lässt die Nadel frei unter dem Gewebe hängen. Nimmt nun die Nadel mit dem blauen Schlingfaden, sticht von unten zwischen Faden 4 bis 5, geht über Faden 5 bis 8, sticht zwischen 8 bis 9 nach unten, geht zurück unter Faden 8 bis 5, sticht von unten zwischen 4 bis 5, geht über die Fäden 5 bis 12, sticht nach unten zwischen Faden 12 bis 13, geht zurück unter Faden 12 bis 9, sticht zwischen 8 bis 9 von unten, geht über Faden 9 bis 12 und sticht zwischen 12 bis 13 nach unten und lässt die Nadel frei hängen u.s.w. Nimmt man in der Reihe b1 für jede Farbe eine andere Nadel (damit die untere Gewebeseite rein sein wird), so arbeitet man schliesslich mit 17 Nadeln, bis der ganze Querstrich b über die Gewebebreite fertig ist. Jetzt macht man den Grundschuss x und schlägt alles kräftig an den Geweberand an. Textabbildung Bd. 311, S. 191 Fig. 60. Alle Nadeln hängen unter dem Gewebe frei herunter oder man kann sie, um die Saumleiste gehend, auf dem Stoff oben liegen lassen. Nun kann man die Arbeit auf zweierlei Art fortsetzen: man geht mit dem Schlingfaden von links nach rechts, in gleicher Weise zurück, mit a) der letzten Nadel links oder b) der ersten Nadel rechts beginnend. Nehmen wir den Fall b): Man sticht mit der Nadel, unter Grundschuss x gehend, zwischen Faden 5 bis 4 nach oben, geht über Faden 4 bis 1, sticht nach unten, geht unter die Fäden 1 bis 4 zurück, sticht wieder zwischen 5 bis 4 nach oben und geht jetzt über Faden 4 bis 1 und lässt die Nadel hängen. Nimmt jetzt die Nadel mit dem blauen Faden, sticht, unter x gehend, zwischen Faden 12 bis 13 herauf, geht über Faden 12 bis 9, sticht nach unten, geht zurück unter Faden 9 bis 12, sticht zwischen 12 bis 13 herauf, geht über die Fäden 12 bis 5, sticht nach unten, geht zurück unter Faden 5 bis 9, sticht zwischen 8 bis 9 nach oben, geht über Faden 8 bis 5 und sticht nach unten. So geht man mit jeder Nadel weiter, bis Querstrich b2 gemacht ist. Nun schiesst man den Grundschuss a2, schlägt alles kräftigst an und befolgt die gesagte Ordnung durch die ganze folgende Arbeit. Textabbildung Bd. 311, S. 192 Fig. 61. Fassen wir nun kurz die Resultate der Untersuchungen zusammen, so kommen wir zu den folgenden Endschlüssen: Im alten Aegypten wurde bereits früher als 3000 Jahre v. Chr. die Leinpflanze kultiviert, die Flachsfaser gewonnen, versponnen und verwoben. Bereits zur Zeit der 6. DynastieDie Erbauer der Pyramiden bei Kairo sind Könige der 4. Dynastie (3100 bis 5000 v. Chr.). war die Flachskultur auf hoher Stufe, indem diese, auf die Faserfeinheit einwirkend, verursachte, dass man in sehr vielen Fällen eine noch feinere Faser (unter 10 mm) findet, als man gegenwärtig beim feinsten belgischen Flachs gewohnt ist. Bereits zur selben Zeit wurden aus der Flachsfaser ausserordentlich feine Garne gesponnen und zwar in dem Grade, dass 1 kg Garn eine Fadenlänge von mehr als 200 km enthältFäden, die noch mit einer Feinheitsnummer verglichen werden konnten, entsprachen 240 km. und der Durchmesser des jetzt als feinst bezeichneten marktfähigen Leinengarns immer noch doppelt so gross ist, als dies bei dem feinen ägyptischen Garn der Fall gewesen. Aus diesen ganz feinen Garnen fertigte man bereits in den frühesten Zeiten äusserst feine, vorzüglich schleierartige Gewebe, die jeden Vergleich mit dem feinsten indischen Musseline aushalten und die damals übliche Bezeichnung „gewebte Luft“ rechtfertigen. Wie wir wissen, hat sich die Erzeugung dieser feinen Gewebe in Aegypten mindestens durch 2600 Jahre auf gleicher Stufe der Vollkommenheit erhalten. Die Annahme ist gerechtfertigt, dass man mit ByssusUntersuchungen an Geweben, die als Byssus uns überliefert worden von F. Bock in Aachen, haben das gleiche Resultat geliefert. höchst wahrscheinlich diese feinen Leinengewebe verstanden hat, beinahe gewiss, wenn man ein ägyptisches Erzeugnis hiermit meinte. Aber nicht nur schleierartige Gewebe wurden aus den feinsten Garnen erzeugt, sondern auch sehr dichteGewebe Nr. 886 hat bei einer Garndicke Nr. 160 – 180 engl. eine Kettendichte von 84 Fäden, ist sehr regelmässig erzeugt und schön. Schussdichte 28 – 30 Fäden., so dass man erstaunt fragen muss, wie es wohl möglich gewesen, dass ein Weber zur Zeit Seti I., also vor etwa 3200 Jahren, eine so feine und regelmässig dichte Leinwand erzeugen konnte, die der beste schlesische Leinwandweber heute unmöglich zu stände bringen würdeAus dem feinsten Baumwollgarn 240/2, also etwa 200 km auf 1 kg Gewicht, habe ich das Gewebe Nr. 62 der Sammlung kopiert. Das Resultat ist sehr schön gewesen, doch das Original noch weit nicht erreicht worden.. Es erscheint die Annahme begründet, dass nicht nur das Totenkleid, sondern auch das Kleid der Lebenden im alten Aegypten ausschliesslich Leinengewebe gewesenNach Ueberlieferungen hat auch Pharao den Juden das Tragen der Leinenkleider verboten – eben damit sie sich von den Aegyptern auch in der Kleidung unterscheiden.. Nach den verschiedenen Abbildungen an Gräberwänden waren die Webstühle und Web Vorrichtungen im alten Aegypten sehr einfach. Es scheint, dass ursprünglich die Webvorrichtungen horizontalAus der Zeit der 12. Dynastie, etwa 2400 v. Chr., hatten sich die Ermahnungen eines gewissen Dũaũ an seinen Sohn erhalten, in denen auch folgender Satz vorkommt: Der Weber ist unglücklicher als ein Weib, er hat die Kniee stets bis zum Kinn langend... u.s.w. Hieraus ist ersichtlich, dass der Weber ein Mann gewesen und nicht gesessen, sondern beim Weben hocken musste.Die Wandbilder aus den Gräbern bei Beni-Hassan (frühestens aus der Zeit der 11. Dynastie) zeigen spinnende und webende Frauen (vgl. Fig. 40). Auch da ist noch der Webstuhl horizontal. angeordnet gewesen und erst später, etwa im mittleren und neuen Reiche (von der 11. Dynastie angefangen), der aufrecht stehende WebstuhlFig. 42, einen aufrecht stehenden Stuhl mit arbeitendem Manne darstellend, stammt aus der Zeit des neuen Reiches aus Theben, daher frühestens 1700 v. Chr. in Benutzung kam. Das Spinnen und Weben war in frühesten Zeiten allgemein eine FrauenarbeitAus alten ägyptischen Texten ist ersichtlich, dass die Frauen in frühesten Zeiten das Spinnen und Weben allgemein besorgt haben. Hatten schon die grossen Göttinnen Iri und Neith für ihren Bruder und Gatten Osiris gesponnen und gewebt; das bildliche Zeichen für Neith war ein Webeschützen. gewesen, erst später wird allgemein vom WeberNach „Erman“ findet man aus der Zeit der 20. Dynastie, etwa 1250 v. Chr., zu Abydos Totenstelen von Leuten, die direkt die Weberei als ihren Stand angeben; ihre Frauen waren Sängerinnen des Osiris gewesen. Es ist hieraus auch ersichtlich, dass die Weber im neuen Reiche keine Leibeigene, sondern freie Männer gewesen.Herodotus spricht ja auch verwundert aus, dass in Aegypten die Männer zu Hause arbeiten und weben, die Frauen dagegen auf den Markt gehen. Wenn Herodotus etwa 487 v. Chr. geboren wurde, so ist er frühestens 454 v. Chr., also zur Zeit der persischen Herrschaft in Aegypten gewesen. und nicht von der Weberin gesprochen. Mit diesen einfachen Webevorrichtungen wurden auch nahtlose Kleider – doch gewiss Schläuche erzeugt, die nichts anderes als eine Spezies dieser Gewebegattung sind. Es wird durch dieses interessante Gewebe der Sammlung die bisherige Annahme geschwächt, dass man den Hebräern in Palästina die Priorität in der Erzeugung der nahtlosen Kleider einräumen muss. Wenn auch dieses Gewebe aus der Zeit der 22. Dynastie (um 950 v. Chr.) und der Exodus der Juden in der Zeit der 19. Dynastie (etwa 1300 v. Chr.) erfolgte, so hat man keine Anhaltspunkte, die beweisen würden, dass die Aegypter diese Erzeugungsart von den Juden gelernt hätten. Dieses Gewebe ist das erste Exemplar überhaupt, welches auf die Erzeugung der Hohlgewebe in Aegypten direkt hindeutet. Aus den Abbindungen bei den Fransengeweben, die sich selten bei zwei Geweben in gleicher Art wiederholen, kann auch darauf geschlossen werden, was früher schon bewiesen erscheint, nämlich, dass die Weber im neuen Reiche (von der 18. Dynastie an) einen Stand bildeten, die Weberei vom Vater auf den Sohn sich vererbte, und dadurch eine Individualität, ein hoher Grad von Verständnis bei der Stellung der Erzeugungsdaten ausgebildet werden konnte. Die Gewebereste Nr. 214 und 215 der Sammlung (siehe Fig. 33 und 34) sind bedruckte Stoffe. Wenn auch diese Gewebe in Gräbern aus der Zeit der griechisch-römischen Herrschaft gefunden wurden, so hat es doch den Anschein, dass das Bedrucken der Stoffe in Aegypten früher schon bekannt gewesen und die genannten Proben des Zeugdruckes Wenig gelungen genannt werden dürfen und von einer wenig geschickten Hand herrühren. Dagegen findet man gelungene bemalte Stoffe in der Sammlung. Von der Mumie des Königs Thutmes III. aus der Zeit der 18. Dynastie hat sich eine lichtrot gefärbte Leinwand erhalten, von der ein Stück auf lichtblauem Grunde gelbe Sterne zeigtNr. 61 der Sammlung. Höchstwahrscheinlich ein Leichentuch, mit dem man Mumien zu bedecken pflegte. Auch der Baldachin der Prinzessin Isemchebt ist blau in der Grundfarbe Und die beiden Seitenteile sind mit gelben Sternen besät.. Die bemalte Stelle wurde zuerst mit Gipsmasse behandelt, die die Zwischenräume des Gewebes vollends ausfüllte, und darauf kam die lichtblaue Farbe und auf diese die gelben Sterne. Die Farben sind sehr gut erhalten, doch das bemalte Gewebestück hat stark gelitten. Ein anderes Gewebe, Nr. 95 der Sammlung, ist eine gut erhaltene und feste Leinwand aus der Zeit der 22. Dynastie, die höchst wahrscheinlich Texte mit Zeichnungen der TotenbücherDie Decke eines Zimmers in der Stufenpyramide von Sakkara hatte dieselbe Dekoration, blauen Grund mit fünfzackigen Sternen besät. enthält. Ueber dem Texte (in der Kettenrichtung) sieht man auf einem tischartigen Geräte (Totenbett?) einen Schakal (Gott Anubis?) und zu beiden Seiten aufrecht stehende Mumien. Es ist alles mit schwarzer Farbe sehr sicher und elegant gezeichnet, die Konturen sehr scharf. Die einzelnen Beispiele, die ich von den Farbmustern bei den Fransengeweben erwähnt habe, deuten sehr oft auf einen feinen Geschmack für Farbenzusammenstellungen, und in vielen Fällen ist die erhaltene Frische der Farbtöne nahezu überraschend. Nebst bemalten und bedruckten Stoffen wurden auch wirkliche Kunstwebereien oder, besser gesagt, Muster-Webereien in Aegypten erzeugt und zwar schon zu einer Zeit ganz gewissDie Gewebe Nr. 90 und 91 der Sammlung stammen aus Gräbern der 22. Dynastie, also mindestens um 950 v. Chr. Der trojanische Krieg wird gewöhnlich in den Jahren 1193 bis 1184 v. Chr. angenommen., wo es erst an Stelle der vollen Finsternis der neolithischen Nacht Europas zu tagen begann. Und gewiss noch viel früher, als die Reste der Sammlung bestätigen, wurden in Aegypten Musterwebereien gemacht. Wenn wir die Anzeichen unberücksichtigt lassen, die den Einfluss der ägyptischen Zivilisation in manche Gebiete der Kunst erkennen lassen, so müssen wir uns doch gestehen, dass die Textilkunst der alten Aegypter Weit über die Grenzen des Nilthales hinaus ihren Einfluss ausgeübt hatteNach Sir George Birdwood in seiner Monographie: „Alter und Ursprung der Manufaktur orientalischer Prachtteppiche“, Worin Memphis, Theben, Babylon und Ninive die ersten vier Erzeugungsorte gewesen. Von da verbreitete sich die Erzeugung nach Orten, woselbst sich der primitive Nil-Typus diese Textilprodukte sehr lange erhielt.. Wenn wir überhaupt den auf verschiedene Art erzeugten Stoffen, die zur Wandbekleidung, als Vorhang an Thüren und Fenstern oder als Fussbodenbelag Verwendung fanden, den Namen TeppicheDie Völker des Altertums machten keinen strengen Unterschied zwischen wirklichen Teppichen und anderen Tapisserien, also Tischtüchern, Bettdecken, Vorhängen und hängenden Stoffen aller Art. Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts verstand man unter dem Wort Teppich irgend eine Art Decke gestickt oder gewebt, die die verschiedenste Verwendungsart hatte. Erst im gegenwärtigen Jahrhundert bedeutet das Wort „Teppich“ ausschliesslich einen Bodenbelag. belassen, so wurden diese bereits in den frühesten Zeiten in Aegypten angefertigtDie altägyptische Ornamentik verleugnet niemals, wie schon Semper in seinem Werk „Der Stil“ (I. Band: Die Textile Kunst) hervorgehoben hat, ganz ihren Ursprung. Dieser ist in der Nachahmung von Flechtwerken und solchen Stoffen, die nach dem früher Gesagten den Namen Teppiche im Altertum führten.So sind auch die Ornamente im Ptah-hotep-Grabe aus der Zeit der 5. Dynastie, nun 4750 bis 5650 Jahre alt, nach Fig. 59 nichts anderes als gelungene Abbildungen von Teppichen, die im Haushalte des reichen Grabeigentümers Verwendung gefunden haben.Ob nun diese Teppiche nach Fig. 60 wirklich gewebte Stoffe sind oder nach der Art in Fig. 61 verfertigt wurden, kann an dieser Thatsache nichts ändern.. Diese Teppiche waren dem HomerNach den glaubwürdigsten Angäben des Herodotus blühte Homer in der Mitte des 9. Jahrhunderts v. Chr. und den Homeriden bestens bekannt. Die geradezu einzige geographische Lage Aegyptens war die Ursache der raschen und seltenen Entwicklung der Zivilisation. An einem schmalen Isthmus gelegen, der zwei mächtige Kontinente verbindet und zwei Meere trennt, ist der grösste Teil des Handels zwischen Asien und Afrika und zwischen dem Mittelmeer und dem Indischen Ozean stets durch Aegypten gegangen und bildete das Nilthal den Mittelpunkt der Erde. So konnte auch Aegypten die damals bekannte Welt mit seinen Erzeugnissen überfluten, wie es heute englische Industriezentren thun. Endlich aus der Erzeugungsart nach Fig. 29 und Fig. 61 kann man auch annehmen, dass die Knüpfarbeit der heutigen Orientalen ihren Ursprung in einer Technik hatte, die an Geweben der 22. Dynastie, also 950 v. Chr., sich erhalten und gewiss schon viel früher in Aegypten bekannt gewesen. Und so schliesse ich mit dem aufrichtigen Wunsche, dass die Resultate meiner bescheidenen Arbeit das Interesse wecken, in dieser bisher wenig beobachteten Richtung weitere Beiträge zu sammeln, indem ich die feste Ueberzeugung habe, dass es für einen Fachmann genug Material geben wird, das gesammelt und fachlich geordnet uns wertvolle Aufschlüsse über die Kunstweberei im alten Aegypten und über die Webereivorrichtungen dortselbst liefern könnte.