Titel: Die Lührig'schen jüngsten Gasmotorwagen für Strassenbahnen.
Fundstelle: Band 315, Jahrgang 1900, S. 60
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Die Lührig'schen jüngsten Gasmotorwagen für Strassenbahnen. Die Lührig'schen jüngsten Gasmotorwagen für Strassenbahnen. Das Lührig'sche System von Gasmotorenwagen für StrassenbahnenVgl. Revue industrielle vom 5. Mai 1894 und vom 14. Oktober 1899. ist in seiner ersten Anordnung in Croydon (England) durchgeführt worden, wo jedoch nur kleine Wagen in Verwendung standen, deren Motor kaum 7 PS zu leisten im stände war. Die späteren Bahnen gleicher Betriebsform begehrten bereits, um nennenswerteren Anforderungen gerecht werden zu können, grössere Wagen mit stärkeren Motoren und erhielten solche von 10 PS. Aber auch diese Erhöhung erwies sich mit Rücksicht auf die allerseits wachsenden Ansprüche an die Verkehrsmittel verhältnismässig bald als unzureichend, weshalb es geboten erschien, bei den weiteren Einrichtungen zu noch leistungsfähigeren Maschinen überzugehen. In diesem Sinne begann man 1897 Wagen zu erbauen, welche Sitzplätzefür 52 Passagiere enthalten, und deren Motor 14 PS besitzt. Etwa je zwanzig solche Wagen stehen gegenwärtig auf den Tramwaylinien der Blaakpool-Saint Anne and Lytham-Comp. und auf der Trafford Park-Strassenbahn in Manchester im Betriebe. Die Hauptteile eines solchen Wagens sind durch die Abbildungen Fig. 1 bis 3 veranschaulicht, wovon die beiden ersten Aufriss und Grundriss der maschinellen Einrichtung des Motorwagens und Fig. 3 den diesfälligen Querschnitt, sowie gleichzeitig auch Teile des Wagens ersehen lassen, welche seine allgemeine Anordnung und die Anbringung der Sitzplätze kennzeichnen. Zuförderst zeigt sich, dass die Gasmaschine E mit zwei Cylindern C und C' arbeitet, welche in einer und derselben Achse symmetrisch rechts und links von der Schwungradkurbel liegen, an deren Knie die beiden Kolbenstangen in gewöhnlicher Weise mittels Pleuelköpfen angeschlossen sind. Von der Schwungradachse X, die in der Minute 260 Umdrehungen macht, wird die Kraft durch zwei direkt ineinander greifende, festsitzende Zahnräder 2 und 3 (Fig. 1 und 2) auf eine neben der Maschine horizontal gelagerte Hauptwelle Y übertragen. Textabbildung Bd. 315, S. 61 Umlaufpumpe des Doppelschraubenschnelldampfers „Kaiser Wilhelm der Grosse“. Durchmesser der Hochdruckcylinder; Durchmesser der Niederdruckcylinder; Hub; Aeusserer Durchmesser der Kessel; Leistung Textabbildung Bd. 315, S. 61 Fig. 81.Dampfcylinder der Umlaufpumpe des Doppelschraubenschnelldampfers „Kaiser Wilhelm der Grosse“. Auf dieser letztgenannten Achse befinden sich zwei mit Friktionseinrückungen versehene Triebe 4 und 6 (Fig. 2 und 3), von denen, je nachdem am ersten oder am zweiten die Kuppelung vollzogen ist, der Antrieb durch Vermittelung des mit grösserem Halbmesser ausgeführten Zahnrades 5 oder durch das kleinere Zahnrad 7 auf eine Zwischenwelle U übertragen wird. Ein drittes, gleichfalls auf U festsitzendes Zahnrad 8 treibt endlich durch Eingriff in das Zahnrad 9 eine zweite Zwischenwelle Z an, welche die auf diesem Wege erhaltene Bewegung schliesslich mittels zweier Galle'scher Transmissionsketten 11 und 12 (Fig. 1 und 3) auf die beiden Radachsen des Motorwagens fortpflanzt. Vermögeder beliebig einschaltbaren Triebe 4 und 6 ist es also möglich, dem übrigen Vorgelege grössere oder geringere Geschwindigkeiten zu erteilen oder auch, nämlich durch Abschalten beider Triebe, die mechanische Verbindung zwischen Wagenräder und Maschine vollständig zu unterbrechen. Behufs Erzielung der geringeren, namentlich bei Bergfahrten angewendeten Fahrgeschwindigkeit wird vom Wagenlenker die Einrückung VV des Triebes 4, zur Erzielung eines schnelleren Ganges hingegen die Einrückung DD des Triebes 6 zu bethätigen sein, während beim Anhalten des Wagens stets beide Einrückungen zu lüften sind. Zur Bewerkstelligung der verschiedenen Kuppelungen dient dem Wagenlenker ein auf den beiden Plattformen des Fahrzeuges nach Art der bei elektrischen Motorwagen verwendeten Kontroller angebrachter Kurbelständer, welcher durch Anziehen oder Nachlassen der bezüglichen, in Bohren verlegten Gestänge 17 bezw. 18 die Hebelwerke und die Friktionseinrückungen 19, VV bezw. 20, DD in Wirksamkeit setzt. Wird die Kurbel verkehrt gedreht, so erfolgt fürs erste die Lösung der beiden eben genannten Triebkuppelungen und dafür tritt bei genügender Kurbeldrehung eine dritte Kuppelung, nämlich eine Sperrkegeleinrückung H (Fig. 2) in Wirksamkeit, die gleichfalls auf der Achse Y sitzt und hier ein Trieb fixiert, das nunmehr in ein auf der Achse Z festgekeiltes Zahnrad 10 eingreift. Auf diese Weise erhält die Welle Z mit Umgehung der ersten Zwischenwelle U, welche inzwischen leer lauft, in entgegengesetzter Richtung ihren Antrieb und der Wagen fährt demgemäss nach rückwärts. Es bleibt diesbezüglich aber beizufügen, dass diese Reversionseinrichtung vorwiegend die Bestimmung hat, nur das Anhalten zu erleichtern und zu beschleunigen oder bei Verschiebungen dienstzuleisten oder auch auf kurzen Nebenlinien für die Rückfahrten in Verwendung genommen zu werden, wogegen im allgemeinen die Wagen auf Geleiseanlagen laufen, die in sich selbst zurückkehren oder auf Kehrweichen gewendet werden. Textabbildung Bd. 315, S. 62 Dampfmaschine zum Drehen der Hauptmaschine des Doppelschraubenschnelldampfers „Kaiser Wilhelm der Grosse“. Von jedem Wagenende aus kann der Wagenführer mit Hilfe einer Spindelschraube, welche die Ketten 14 bezw. 15 auf- oder abwickelt, die auf je einen Spurkranz wirkenden Backenbremsen B und B1 bethätigen oder lüften. Geschieht das Bremsen mit der Kette 14, so zieht dieselbe ein aus den Hebeln TNK und den Zugstangen O und M bestehendes System nach rechts, in welcher Richtung nun auch der an L1 bei R1 befestigte Arm K den Bremsbacken B1 gegen den Spurkranz des Vorderrades drückt, während gleichzeitig durch den zweiten Arm von T die an L bei R angelenkte Stange 16 nach rückwärts geschoben und somit B an den Spurkranz des rückwärtigen Rades gepresst wird. Beim Lüften der Bremsspindel, d. i. beim Nachlassen der Kette 14, kehrt das gesamte Hebel- und Stangensystem der beiden Bremsbacken vermöge des Zuges der kräftigen Feder 13 (Fig. 2) wieder in die geöffnete Lage zurück. Würde auf dem anderen Wagenende durch Aufwickelung der Kette 15 gebremst, dann ziehen die Hebel Q und Q1 die an R bei L angelenkte, bis zu dem an der anderen Wagenseite angebrachten Hebel T reichende, steife Zugstange 16 (Fig. 1 und 2) nach links und es vollzieht sich sonach die Bremsung beider Räder genau wie früher. Dasselbe gilt ersichtlichermassen auch hinsichtlich des Lösens der Bremse. Die Maschine selbst ist zur Gänze unter der einenSitzreihe des Wagens eingebaut und das Schwungrad F (Fig. 3) hat seinen Platz in einem hinter der Sitzlehne eigens ausgesparten schmalen Hohlraume. Von einem Sauger A (Fig. 2) und dem Rohre P wird der Cylinder C und in gleicher Weise von dem Sauger A1 und der Röhre P1 der Cylinder C1 mit der nötigen Luft gespeist. Ein besonderer Regulator für jeden der beiden Cylinder regelt den weiteren Zutritt und die Pression des Gasgemisches und gestattet hinsichtlich seiner Einstellung ziemlich weite Grenzen, wodurch es möglich wird, mit verschiedenen Geschwindigkeiten zu arbeiten. Diese beiden Regulatoren sind ähnlich angeordnet wie die bei den Waggongasbeleuchtungsanlagen häufig angewendeten bekannten Apparate, welche hinsichtlich des zugeleiteten Gases beständig denjenigen Druck genau aufrecht halten, für welchen sie eingestellt sind, ganz unbeeinflusst von dem Gasdrucke in den Vorratsbehältern. Die verbrannten Gase entweichen durch den unteren Teil der Cylinder in die Tilgungsgefässe (Amortisseurs) S und S1. Die Vorräte an Betriebsgas sind in drei Behältern aufgespeichert, von welchen der grösste G1 (Fig. 1 und 3) die ganze Länge des Wagens einnimmt und in ähnlicher Art unter der zweiten Sitzreihe geborgen ist, wie auf der anderen Seite die Gasmaschine. Die beiden anderen Behälter G2 und G3 (Fig. 1 und 2) sind quer im Wagengestelle unter dem Fussboden angebracht. Das Füllen dieser drei Behälter geschieht mit Hilfe eines biegsamen Anschlussschlauches unter einem Drucke von 10 at innerhalb eines Zeitraumes von ungefähr einer Minute. Behufs Abkühlung der beiden Gasmaschinencylinder sind dieselben von Schlangenröhren umgeben, in welchen Wasser zirkuliert, das von einem am Wagendache angebrachten Behälter eintritt und wieder dahin zurückkehrt. Dieses Kühlwasser wird nach jeder zurückgelegten Fahrt von ungefähr 20 km im Sommer und ungefähr 50 km im Winter abgelassen und durch frisches ersetzt. Wenn die geschilderten, mit 52 Sitzplätzen versehenen Wagen vollbelastet verkehren, stellt sich im Mittel der Nettobedarf an Betriebsgas pro Wagenkilometer auf 528 l; hierzu kommt noch das äquivalente Erfordernis von etwa 30 l der in der Füllstation befindlichen Kompressionsmaschine zuzurechnen, wonach sich der Gesamtbedarf annäherungsweise mit 600 l Gas pro Wagenkilometer beziffert. Die Betriebskosten pro Wagenkilometer stellen sich nach den neuesten für die Linie von Blackpool ausgeführten Berechnungen wie folgt: Gas 0,04566 M. Wasser 0,00811 Oel und Verluste 0,00669 Lohn des Kondukteurs 0,05404 Unterhaltung 0,00469 Komprimierung 0,00906 Reparaturen 0,04342 ––––––––––– Zusammen 0,17167 M. Textabbildung Bd. 315, S. 63 Lührig's Gasmotorwagen. Im allgemeinen hat man bisher den Grasmotoren mit Recht drei höchst missliche Schattenseiten vorzuwerfengehabt, nämlich die Entwickelung üblen Geruches, ferner heftige Erschütterung des Fahrzeuges und schliesslich eine verhältnismässig geringe Geschwindigkeit. Bei den oben geschilderten neuen Wagen glauben nun die Erzeuger diese Uebelstände so gründlich beseitigt zu haben, dass die bisherigen Anwürfe völlig gegenstandslos geworden seien. Um den üblen Geruch zu beseitigen, ist nämlich ein Schmiersystem in Anwendung gebracht, dessen selbstthätiger Verschluss den Eintritt von Oel in die Cylinder nur in den Augenblicken gestattet, wo der Gasstrom dahin eintritt. Textabbildung Bd. 315, S. 64 Fig. 3.Lührig's Gasmotorwagen. Hierdurch wird das Verbrennen von Schmieröl, in welchem eben die Quelle des beanstandeten Uebelriechens liegt, unmöglich gemacht, und also mit der Ursache zugleich die Wirkung beseitigt. Um das zweite Uebel zu bekämpfen, hat man alle beweglichen Teile der Maschine mit der grössten Sorgfalt ins Gleichgewicht gebracht, und, wie sehr es gelungen ist, diese Aufgabe durchzuführen, beweist am besten der Umstand, dass die neuen Wagen anstandslos mit Gasglühlicht beleuchtet werden. In der That wurde auf experimentellem Wege unzweifelhaft festgestellt, dass die Erschütterungen des Wagens, welche er durch das Ein- und Aussteigen der Fahrgäste erleidet, viel merklicher sind als diejenigen, welche durch die Maschine selbst hervorgerufen werden. Was schliesslich die Frage der Fahrgeschwindigkeit anbelangt, so hängt sie ersichtlichermassen lediglich von der verwendeten Transmissionsanordnung ab. Die in Betracht stehenden Wagen laufen nahezu 13 km in der Stunde, das entspricht eben dem durch die englischen Vorschriften aufgestellten Maximum, dessen Einhaltung ebensowohl allen mit Gas, Dampf oder Elektrizität betriebenen, auf Strassenbahnen zur Verwendung kommenden Motorwagen als den Seilbahnwagen strenge aufgetragen ist, was freilich nicht ausschliesst, dass es namentlich von den elektrischen Wagen nicht selten überschritten wird.