Titel: Allgemeine Fragen der Technik.
Autor: P. K. von Engelmeyer
Fundstelle: Band 315, Jahrgang 1900, S. 128
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Allgemeine Fragen der Technik. Von Ingenieur P. K. von Engelmeyer, Moskau. Allgemeine Fragen der Technik. Propädeutik an der technischen Hochschule. Es ist schon öfters darauf hingewiesen worden, dass der Unterricht an der technischen Hochschule mosaikartig geführt wird, dass wenig oder kein Gewicht daraufgelegt wird, ein einheitliches Bild, ein „kontinuierliches Wissen“ (Capitaine) zu formen. Ein didaktischer Fehler! Es ist ja bekannt, dass ein weites, aus vielen Einzelheiten bestehendes Gebiet um so leichter in Gedanken beherrscht wird, je kontinuierlicher dasselbe geordnet ist. Diesem Vorwurfe gegenüber macht man gewöhnlich die schlechte Ausrede geltend, es bleibe keine Zeit für Allgemeinheiten übrig, man werde nur knapp mit dem fertig, was dem Ingenieur das geistige Werkzeug verleiht, um sein Handwerk auszuüben. Die Frage dreht sich also immer um denselben Zapfen: „Soll der Ingenieur bloss als Handwerker ausgebildet werden, oder soll er auch noch zu breiteren Gesichtspunkten befähigt werden?“ Ein Vergleich zwischen der technischen Hochschule und der Universität wird auch in der Lösung dieser Frage nützlich sein. An der Universität ist man seither bemüht gewesen, einem jeden Lehrgegenstande einen propädeutischen Ueberblick vorauszuschicken. Zu demselben Zweck bildet das erste Semester einer jeden Fakultät eine Art Propädeutik über das ganze Fach. Die nötige Zeit hierzu wird gefunden, obzwar die Universität ebensowenig wie die technische Hochschule Zeit im Ueberfluss hat. Diesem Beispiel der älteren Schwester soll die technische Hochschule folgen. Es ist nicht zu leugnen, dass man von Propädeutik an der technischen Hochschule hier und da hört. So trägt Em. Herrmann in Wien eine Art Propädeutik über die ganze Technik vor. So gestatten sich einzelne Professorenüber einzelne Disziplinen Prospekte und geschichtliche Uebersichten vorzutragen. Dies alles wird indes nur als „Erlaubtes“, nicht als „Gebotenes“ angeschaut, als Privatsache dem persönlichen Gutdünken überlassen. Und wirklich hat dieses öffentliche Ignorieren aller Propädeutik an der technischen Hochschule zur Folge, dass dieselbe nicht die Aufgabe erfüllt, die sie erfüllen sollte, weil sie eben ohne pädagogischen Plan, stückweise geführt und mit persönlichen Ansichten zu sehr gefärbt erscheint. Manche Professoren gestatten sich nicht einmal eine Stunde der Propädeutik zu widmen und erwarten erst gar seltene Gelegenheiten, zumeist Festreden. Nun soll das Gesagte mit ein paar Belege bekräftigt werden. Am meisten interessant ist natürlich die Propädeutik von Em. Herrmann an der Wiener technischen Hochschule, der sich die Aufgabe gestellt hat, die wirtschaftliche und gar kulturelle Bedeutung der Technik (als Inbegriff aller ihrer Spezialitäten) den Hörern vorzutragen. Mit den Anschauungen Herrmann's haben wir bereits Bekanntschaft gemacht (D. p. J. 311 70) und uns überzeugen können, dass er kein eigentliches System aufstellt, sondern nur die Lust zu erwecken sucht, an der Ausarbeitung eines Systems teilzunehmen. Die hundertjährige Feier (Oktober 1899) der Berliner technischen Hochschule bot eine Gelegenheit, um allgemeinere Gesichtspunkte zu entwickeln. Drei Reden wollen wir in Betracht ziehen, diejenigen der Professoren Kammerer, Bubendey und Witt. Ferner wollen wir noch eine Antrittsrede des Professors Strachow in der Moskauer technischen Hochschule in unsere Betrachtung mit hereinziehen. Professor Kammerer sprach „über den Zusammenhang der Maschinentechnik mit Wissenschaft und Leben“ („Prometeus“ 1899 Nr. 525), um darzuthun, dass bei der gegenwärtigen Spezialisation der Ingenieurthätigkeiten die Gefahr der Absonderung, des Einseitigwerdens allzu nahe gerückt scheint, dass der auf technischem Gebiet Thätige den Blick für öffentliches Leben und für Gemeinwesen verliert und „unbrauchbar wird für Lösung allgemein menschlicher Aufgaben“. Kammerer steht auf dem recht modernen Standpunkte, dass die technische Wissenschaft so untrennbar mit allen Gebieten des Schaffens verknüpft ist, dass nur der Ingenieur fruchtbringend arbeiten kann, der „über die Enge des Fachs hinaussieht auf die Weite des Lebens“. Und doch getraut sich Kammerer nicht, seine Ansicht derart kategorisch zum Ausdruck zu bringen: er kleidet sie in die Form einer Frage, offenbar damit wir praktische Ingenieure uns nicht direkt beleidigt fühlen können und ihm etwa nicht erwidern: „Wir sind also für die Lösung allgemein menschlicher Aufgaben unbrauchbar?“ Dabei denkt sich unsereins: ich habe diese und jene Maschine entworfen, bin da und dort thätig gewesen, habe so und so viel mir Unterstellte, bin zudem noch Familienvater. Sind dies nicht „allgemein menschliche Aufgaben?“ Was will man mir noch aufbürden? Dass ich abends, anstatt mich für morgen ordentlich auszuruhen, Bücher über mir fern liegende Fächer lese? Zu welchem Behufe? Werde ich etwa dafür besser bezahlt? Oder erhalte ich eher eine Promotion? So denkt die Mehrzahl unsereins praktischer Ingenieure und bemerkt nicht, dass es zwar für heute richtig ist, dass aber eine Zeit immer näher heranrückt, wo in der That, wie Kammerer sagt: „nur der Ingenieur fruchtbringend arbeiten kann, der über die Enge seines Fachs hinaussieht auf die Weite des Lebens“. Kammerer geht noch weiter und hält diese Zeit sogar für begonnen. Er beleuchtet den Zusammenhang zwischen der Ingenieurthätigkeit und den bedeutendsten Wissensgebieten, der jetzt schon besteht. Zuerst wird der Maschinenbau mit dem Schiffsbau in Beziehung gestellt, und daraus gefolgert: „Alle diese Aufgaben aber, welche der Schiffsbau dem Maschinenbau stellt, wird nur der Ingenieur lösen können, der mit der Eigenart der Schiffahrt vertraut ist und der sich bewusst ist, dass er die Schiffahrt fördern muss, nicht einseitig den Maschinenbau.“ Alsdann kommt das Bauingenieurwesen zur Sprache und führt zu dem Schluss: „Bahnbrechend wird bei all diesen Aufgaben nur derjenige Maschineningenieur wirken können, der den Endzweck der zu schaffenden Verkehrsanlage versteht, . . . der über sein eigentliches Arbeitsfeld hinausschaut auf die volkswirtschaftliche Bedeutung des zu schaffenden ganzen Werkes.“ Aehnliches wird gefolgert aus den Beziehungen des Maschinenbaues zu den chemischen und hüttentechnischen Wissenschaften: „Wenn wir von den Studierenden unserer (der mechanischen) Abteilung mit Recht das Vertrautsein mit den Grundlagen der Chemie verlangen, so will diese Forderung nicht die Aneignung einiger Einzelkenntnisse in der Metallgewinnung erzwingen, sondern sie will Erweckung des Verständnisses für das Wirken der Naturkraft in ihren verschiedenen Energieformen und will Erweiterung des Gesichtskreises hinaus über die Enge des Fachs.“ Architektur scheint dem Maschinenbau ferne zu stehen. „Für den intimer Beobachtenden aber spinnen sich feinere Fäden zwischen den beiden Gebieten. . . . Wie in der Entwickelung des Eisenbaues die konstruktiven Linien mehr und mehr in ihr Recht getreten sind und die kleinlichen Verkleidungen und Verzierungen verdrängt haben, so tritt jetzt in der Architektur das Bestreben zu Tage, in erster Linie das dem Material und der Bearbeitung Eigentümliche zu betonen, den Zweck, das Sachliche als massgebend für die Gestaltung voranzustellen und die Schmuckformen als das in zweiter Linie Stehende zu betrachten. In der That sind die edelsten Stilformen meist auch konstruktiv gewesen, erst in der Verwilderung wird die Formgebung unkonstruktiv.“ Wir erinnern hier an den „Materialstil“ von Schliepmann (D. p. J. 311 150) und folgen Kammerer weiter: „Von dem Ingenieur aber, der bei Ausführung von Nutzbauten den Architekten helfend zur Seite stehen muss, ist zu fordern, dass er der schwierigen künstlerischen Aufgabe des letzteren mit Verständnis und Anpassungsfähigkeit entgegenkommt.“ Naturwissenschaften und Technik werden eingehender untereinander in Beziehung gesetzt. Der Entwickelungsgang beider lief stets parallel nebeneinander. „Naturwissenschaft und Technik sind unabhängig voneinander entstanden und sind durch ihre Natur zu getrenntem Fortschreiten gezwungen, haben aber vielfach ihre Pfade gekreuzt und sich gegenseitig gefördert. In ihrem Zusammenwirken bei getrenntem Weg liegt die Zukunft unserer Kultur.“ Medizinische Wissenschaften berühren sich mit der Technik auf dem Gebiete der Berufskrankheiten, aber auch in der Gesundheitstechnik, die jetzt in einem so regen Wachstum begriffen ist. „Der dem Arzt zur Seite stehende Ingenieur aber muss sich bewusst sein, dass sein Endziel nicht die jeweilige technische Anlage, sondern die menschliche Gesundheit sein muss.“ Juristische Wissenschaften und Technik berühren sich heute auf nahezu allen Gebieten staatlicher und privater Thätigkeit. . . . Die technischen Hochschulen werden sich nicht mehr lange der Forderung entziehen können, technische Verwaltung in ihr Lehrgebiet aufzunehmen und dadurch den Ingenieur zu dem Manne zu machen, der berufen ist, das Steuer städtischer Verwaltung zu führen.“ „Von den historischen Wissenschaften scheint keine Brücke sich zu spannen zu der Technik.“ Diese scheinbare Absonderheit erklärt Kammerer aus dem Umstände, dass die Geschichte fast ausschliesslich nur vom dynastischen, militärischen und legislativen Standpunkt behandelt wird. „Der Einfluss, welcher die Beherrschung der Naturkraft auf menschliche Entwickelung ausgeübt hat, ist noch nicht genannt. . . . Beherrschung der Naturkräfte und Kulturentwickelung stehen in untrennbarem Zusammenhang; eine geschichtliche Darstellung dieser Verknüpfung wird vielleicht einmal eine Brücke schlagen von den ehrwürdigen historischen Wissenschaften zu den modernen technischen.“ Kammerer schliesst seine Rede mit folgenden Worten: „Dieser flüchtige Umblick lässt erkennen, dass die Ingenieurthätigkeit verknüpft ist mit allen Richtungen menschlichen Schaffens, hineingreift in alles öffentliche Leben, untrennbar ist von aller modernen Kultur. Der rechte Ingenieur wird daher nimmermehr ein einseitiger Fachmann sein können, er muss ein freies Auge mitbringen für Gemeinwohl und ein offenes Herz für Menschenschicksal. Wenn diese Erkenntnis erst einmal bei der Allgemeinheit durchgedrungen ist, dann wird auch nicht länger mehr die gebildete Welt alles, was nach Technik und Maschine klingt, als ein feindliches Element betrachten, das angeblich öden Materialismus mit sich schleppt, Poesie und Phantasie vernichtet.“ Professor Bubendey sprach über „die Fortschritte des Bauingenieurwesens“ („Prometeus“ 1899 Nr. 526), ohne seinen Blick über die Grenzen ausserhalb des Faches zu werfen. Aus der Rede heben wir nur einiges hervor. Der Fortschritt im Eisenbahnwesen wird voraussichtlich die Richtung der letzten Jahrzehnte beibehalten: „Vermehrung der Geleise, raschere Zugfolge, Vergrösserung der Geschwindigkeit der Schnellzüge und der Belastung der Güterzüge, Trennung des Güterverkehrs vom Personenverkehr, Erweiterung der Bahnhöfe, zweckmässige Gliederung der Verschubanlagen unter Verwendung geneigter Ablaufgeleise und Massregeln für die Betriebssicherheit, namentlich Ausbildung des Signalwesens und der Stellwerkanlagen.“ „Im Brückenbau, der als Wissenschaft ein Kind unseres Jahrhunderts ist, lässt sich der Fortschritt im Erfassen der durch die Wirklichkeit gegebenen Bedingungen deutlich erkennen.“ „Die neueren Rechnungsverfahren haben vor allen Dingen auch die Ermittelung statisch nicht bestimmbarer Grössen in ein helleres Licht gerückt und damit die Abneigung gegen die Verwendung statisch nicht bestimmter Systeme gemildert.“ Redner gehört offenbar zu jener Mehrzahl jetziger Professoren und Ingenieure, die es als ethische Pflicht anschauen, die Grenze ihres Berufs, ihres Wissenszweiges, auch in den seltenen Fällen als undurchsichtige Wand zu betrachten, wo ein freierer Blick willkommener erscheinen dürfte. Auch Professor Otto N. Witt, in seiner Festrede über „die Entwickelung der Chemie als technische Wissenschaft“ („Prometeus“ 1899 Nr. 527), übertritt nicht die Grenzen der Chemie. Indessen beleuchtet er doch den Fortschritt dieser Wissenschaft aus einem tieferen Standpunkt, dem eine philosophische Bedeutung nicht abzusprechen ist. „Wir pflegen die Begründung der chemischen Wissenschaft auf die Einführung der Wage in das Laboratorium zurückzuführen. . . . Die Wage ist bis auf den heutigen Tag das wichtigste Werkzeug des Chemikers geblieben und wird auch für alle Zukunft als solches anerkannt werden. Sie ist dem Theoretiker ebenso unentbehrlich, wie dem technischen Chemiker. . . . Die Erforschung der Materie ist uns auf diese Weise gelungen, aber wir haben ein halbes Jahrhundert hindurch übersehen, dass mit der Materie die Kraft untrennbar verbunden ist.“ Die Chemiker wurden schon lange gewahr, dass nicht nur die Wärme auf die Reaktion Einfluss ausübt, sondern auch das Licht und die Elektrizität. „Unter solchen Verhältnissen scheint es heute kaum begreiflich, dass bis in die 60er Jahre unseres Jahrhunderts hinein die Chemiker nicht daran gedacht haben, ihre mit so grosser Sorgfalt ausgeführten Wägungen auch durch die Messung der Kräfte zu ergänzen, welche bei chemischen Vorgängen auftreten.“ „Nicht nur die Physik, auch die Chemie bedurfte der Erziehung durch einen Robert Mayer, Joule, Helmholtz, Maxwell, ehe sie für die volle Erfassung ihrer Aufgaben reif war. . . . Die ersten Schritte in der neuen Richtung mussten naturgemäss über schon durchmessenes Gebiet gehen. . . . Die Erfolge solcher emsigen Neubestellung längst durchackerter Gebiete liessen nicht lange auf sich warten. . . . Das Geheimnis der umkehrbaren Reaktionen wurde entschleiert, die Wirkung vieler Kontaktsubstanzen erklärt, die Gesetzmässigkeit explosiver Stoffe enthüllt. Die Begriffe der Endothermie und Exothermie wurden geschaffen und bei der Lösung neuer Probleme verwertet. Aber wunderbarer noch vielleicht war die befruchtende Wirkung der neuen Betrachtungsweise auf die chemische Technik.“ Auf diesem Boden entstand eine neue Disziplin, die „physikalische Chemie“. „In wenigen Jahren hat dieselbe die Kluft überbrückt, welche noch vor kurzem den Chemiker von dem Physiker schied. Von den rein chemischen Vorgängen führt uns heute das Studium der Dissociations- und Ionisationserscheinungen, der Lösungsvorgänge, Schmelzpunkterniedrigungen und Siedepunktssteigungen hinüber zur reinen Molekularphysik.“ Aber ungeachtet genannter Fortschritte, oder vielmehr infolge derselben, sieht Witt eine Lücke in der gegenwärtigen chemischen Theorie, die er als Aufgabe dem kommenden Jahrhunderte anvertraut. Die Chemie befasst sich mit Stoff und Kraft. „Die Materie, mit welcher wir heute noch operieren müssen, ist uns ein Rätsel, denn sie besteht aus mehr als siebzig Modifikationen, welche unvermittelt nebeneinander stehen. Unser Geist, dem die Kontinuität der Kraft zur Gewissheit geworden ist, sträubt sich gegen die Annahme der Verschiedenheit der Materie. Wie eine Verheissung steht das wunderbare Zahlenrätsel des periodischen Gesetzes vor uns und deutet auf die kommende Offenbarung der Urrnaterie, welche allen Elementen zu Grunde liegt. Was die Chemie in ihren Kindertagen als ein Ammenmärchen über Bord werfen zu dürfen glaubte, ist heute der Leitstern geworden, dem wir hoffnungsfreudig ins kommende Jahrhundert folgen.“ Dieser Auszug spricht für sich und bedarf keines Kommentars. P. Strachow, beim Antritt des Katheders für Maschinenbau in der chemischen Abteilung der Moskauer technischen Hochschule, hielt neulichst eine Rede über „die logische Entwickelung der Idee der Maschine als eines Objektes der wissenschaftlichen Forschung“ (Bulletins des Moskauer polytechnischen Vereins 1899 Nr. 6), aus der wir hier den Grundgedanken hervorheben. Redner macht den löblichen Versuch, seinen jungen Hörern anheimzubringen, dass es auch in der Praxis ungenügend erscheint, die arbeitende Maschine als blosses Faktum aufzufassen, dass die Erfassung der Idee der Maschine erst zur richtigen Würdigung ihrer praktischen Leistung führt. Dieser Versuch verrät in Strachow ein in die Zukunft schauendes Auge. In jeder Maschine hebt Strachow hervor: die Idee, das Schema und die konstruktive Ausführung, und steht somit auf dem Boden meiner dreiaktigen Theorie (1899 312 145), die er in seiner Rede nach zwei Richtungen hin anwendet. Erst bemüht er sich darzuthun, dass die geschichtliche Entwickelungdes Maschinenwesens ähnliche drei Stufen durchgelaufen hat und alsdann verspricht er seinen Hörern auch den Lehrplan und die einzelnen Disziplinen nach dem Dreiakte einzuordnen. Nun folgen wir ihm näher. Der Ueberschuss an billiger Sklavenarbeit erweckte im Altertum keinen Anspruch auf Anwendung anderweitiger Kräfte, ausser der Schwerkraft. Alle anderen Naturkräfte wurden verehrt, und „ihre bescheidenen Geschwister, die Schwerkraft und die Muskelkraft, errichteten ihnen Tempeln, die Jahrtausende überlebten. Aber diese zwei Kräfte lehrten den Menschen einer dritten volles Zutrauen zu schenken, der schaffenden Kraft seines Verstandes, der es später beschieden war, die Götter zu entkrönen, von ihren tausendjährigen Thronen herabzuführen und sie zur Arbeit zu zwingen für das Wohl und das Aufblühen der menschlichen Kultur. . . . Indem die Alten ihre kolossalen Bauten durch die Hände Tausender von Sklaven zu stände brachten, machten sie Bekanntschaft mit den Gesetzen des Gleichgewichts, und diese bildeten ihre ersten technischen Kenntnisse, die zu dem Gebiet der Mechanik gehören. . . . Solange die Baukunst über die anderen technischen Zweige ausschliesslich herrschte, war die Technik in der statischen Periode ihrer Entwickelung begriffen.“ Als Maschinen jener Periode finden wir nur vorhanden: „den Hebel, die Winde und die schiefe Ebene.“ Diese Periode, die mit dem Aufblühen des Christentums endet, stellt Strachow auf die Stufe der Konstruktion einer Maschine, was ich, nach meiner Terminologie, den dritten Akt nenne. Darauf folgt eine zweite, kinematische Periode der Technik, die meinem zweiten Akte entsprechen dürfte. Das Christentum befreite den Sklaven, und der Techniker sah sich gezwungen, auf anderweitigen Wegen die ihm nötigen Bewegungen hervorzubringen. Es entstehen: „das Wasserrad und die Windmühle“ und eine Fülle verschiedenster Mechanismen. „Auf diese Weise entsteht zuerst der Mechanismus, als selbständiges mechanisches Ganzes, als kinematische Kette unveränderlicher Körper, welche Bewegungen und Geschwindigkeiten übertragen und umändern, ganz unabhängig von der Natur der bewegenden Kräfte.“ Die Festigkeitslehre tritt zuerst aus dem Gebiete der Baumechanik in dasjenige des Maschinenbaues. Endlich bricht die dritte, kinetische oder dynamische Periode heran, die meinem ersten Akte entspricht. Deren Anfang setzt Strachow willkürlich auf das Jahr 1743 fest, wo D'Alembert sein Prinzip veröffentlichte. Ferner wird Leupold genannt und das Aufkommen der technischen Schule. Motore und Werkzeugmaschinen entstehen in grosser Zahl. Auch die Wissenschaft des Maschinenbaues wird geschaffen. Nachdem Strachow diese dreiaktige Evolution der Maschine entworfen, bemüht er sich dieselbe als Kundgebung eines philosophischen Gesetzes darzustellen und macht einen unglücklichen Schritt, indem er als ein solches Gesetz betrachtet Aug. Comte's Einteilung der Kulturgeschichte in die theologische, die metaphysische und die positive Periode. Danach soll die statische Periode der altertümlichen Technik der theologischen entsprechen: die statisch-konstruktive Ansicht, die nur das Aeussere, die Form im Auge behält und noch nicht dahinter dringt, soll eine ähnliche Stufe bedeuten wie die theologische Weltanschauung, wo der Augenmerk eben von der Form hinter dieselbe eilt und unsichtbare Kräfte sucht. Mit besserem Erfolg dürfte man vielleicht die theologische Ansicht der dynamischen zur Seite stellen. Dann findet aber Comte's Stufenleiter keine Anwendung auf die Evolution der Technik, was durchaus nicht Wunder nimmt, derweil es ja bekannt ist, dass die Ansicht Comte's mehr Ausnahmen als Bestätigung findet und sogar von den Verehrern der anderen Leistungen des genialen und etwas leichtfertigen Denkers nicht geteilt wird. Auch meine dreiaktige Interpretation des Erfindens stellt Strachow mit der Ansicht Comte's in Uebereinstimmung. Hier entspricht der erste Akt, die Konzeption der Idee, der theologischen Periode, der zweite Akt, die besonnene Bearbeitung der Idee – der metaphysischen Periode, und der dritte Akt, die sachliche Ausführung – der positiven Periode. Diese Analogie scheint willkommener zu sein. Zugleich aber entsteht ein kleines Missverständnis: der statisch-konstruktive Akt wird einmal auf die erste Stufe (die theologische), ein anderes Mal auf die dritte (die positive) gesetzt. Indem aber Strachow den allgemeinen Lehrplan nach dem Dreiakt ordnet, trifft er den Nagel auf den Kopf. Er verspricht seinen Hörern folgende Reihenfolge der einzelnen Disziplinen: Festigkeitslehre und Baumechanik im statischen Stadium, alsdann Mechanismenlehre im kinematischen, und endlich im kinetischen: Hydraulik, Thermodynamik, Technologie, daneben auch Maschinenbau (obwohldieser am Anfang besser am Platz wäre). – Aus diesen wenigen Beispielen sehen wir, wie verschieden die einzelnen Professoren die Aufgaben einer Propädeutik auffassen. Die Notwendigkeit einer solchen wird wohl zur Zeit kaum einer anzweifeln, der für das gesellschaftliche Leben ein offenes Auge hat, der auf dasselbe nicht nur durch die Fensterscheiben seines Laboratoriums schaut und der die stetige Erweiterung der Ingenieurthätigkeit und die Aufgaben der nächsten Zukunft zu erfassen vermag.