Titel: Allgemeine Fragen der Technik.
Autor: P. K. von Engelmeyer
Fundstelle: Band 315, Jahrgang 1900, S. 273
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Allgemeine Fragen der Technik. Von Ingenieur P. K. von Engelmeyer, Moskau. (Fortsetzung und Schluss von S. 197 d. Bd.) Allgemeine Fragen der Technik. Zur Erfindungsfrage. Dr. E. Mach, früher Professor der Physik in Prag, jetzt Professor der Erkenntnislehre an der Universität Wien, gehört zu jener wenig zahlreichen Plejade der Philosophen, die, durch Naturgabe und Beruf begünstigt, die Gipfel der Philosophie von dem Thale des Faktischen aus erreicht haben. Von dieser Bergspitze aus reicht sein Blick weit über die Grenzen der eigentlichen Wissenschaft hinaus, überall das Faktische in den Vordergrund ziehend. Ununterbrochene Fühlung mit dem Bestehenden schützt ihn vor Vergötterung der Theorie und der Formel. Solchem Geiste eilen wir, denkende Techniker, freudig entgegen, weil wir von ihm gegenseitiges Verständnis erwarten und auch wirklich finden. Ueber den Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Technik äussert sich Mach folgendermassen („Die Prinzipien der Wärmelehre“, 1896): „Der Charakter und der Entwickelungsgang der Wissenschaft wird wesentlich verständlicher, wenn man sich gegenwärtig hält, dass die Wissenschaft aus dem Bedürfnis des praktischen Lebens, der Vorsorge für die Zukunft, aus der Technik hervorgegangen ist. Aus der Feldmessung entwickelte sich die Geometrie, aus Sternbeobachtungen für wirtschaftliche und nautische Zwecke die Astronomie, aus Metallurgie die Alchimie und die Chemie. Der durch Arbeit in fremdem Dienste gestärkte Intellekt macht bald seine eigenen Bedürfnisse geltend. So erschliesst das reine intellektuelle Interesse allmählich die Kenntnis grosser Thatsachengebiete,welche oft plötzlich und ganz unerwartet wieder technischen Wert gewinnen. Man überlege die Wege, welche von den Erscheinungen am geriebenen Bernstein durch einige Jahrhunderte zur Dynamomaschine und zur Kraftübertragung geführt haben, die grossartigen Anwendungen der in rein intellektuellem Interesse verflüssigten Kohlensäure u.s.w. Hat andererseits die Technik, die Industrie ein Thatsachengebiet in Besitz genommen, so stellt sie Experimente von einer Grossartigkeit und Präzision an, wie dieselben auf anderem Wege nicht zu stände kämen, liefert der Wissenschaft neue Thatsachen und vergilt reichlich deren Hilfeleistung“ (S. 449). „Wer sich mit Forschung oder Geschichte der Forschung beschäftigt hat, wird schwerlich glauben, dass Entdeckungen nach dem Aristoteles'schen oder Bacon'schen Schema der Induktion (durch Aufzählung übereinstimmender Fälle) zu stände kommen. Da wäre ja das Entdecken ein recht behagliches Handwerk. Die Thatsachen, deren Erkenntnis eine Entdeckung vorstellt, werden vielmehr erschaut. . . . Alle Naturwissenschaft beginnt mit solchen intuitiven Erkenntnissen“ (S. 443). „Was erschaut wird, kann der Zusammenhang verschiedener Reaktionen sein“ (S. 444). Diese Formel bezieht sich ebensowohl auf die Erfindung. „Ist einmal auf irgend einem Gebiet ein Zusammenhang von Reaktionen erschaut, der Interesse gewonnen hat, so wird die Frage entstehen, wie weit derselbe gilt“ (S. 445). Bis hierher reicht mein erster Akt; unmittelbar darauf kommt der zweite Akt: „Jetzt werden dem Aristoteles'schen Schema entsprechend verschiedene Fälle verglichen, auf deren Uebereinstimmung und Unterschied geprüft“ (S. 445). „Sehr häufig hält man den Entdeckungsvorgang durch Induktion für wesentlich verschieden von dem Entdeckungsvorgang durch Deduktion. Doch beruht auch letztere auf einzelnen Akten des Erschauens, welches sich eben nur im letzteren Fall zu einem umfangreicheren Akt zusammensetzen“ (S. 446 bis 447). „Vielleicht in noch reicherer Bethätigung als bei Newton tritt uns bei Faraday die induktive Kraft entgegen, um einen herkömmlichen Ausdruck zu gebrauchen. . . . Eine besondere Eigenart tritt uns in Fraunhofer und Foucault entgegen: sie sind vorwiegend geniale Techniker. Auch sie wussten ja merkwürdige sich darbietende Thatsachen festzuhalten, benutzten dieselben aber vorzugsweise zur Verfolgung ihnen klar vorschwebender, bestimmter, teilweise rein praktischer Ziele“ (S. 458). Dem Zufall weist Mach einen ausschlaggebenden Einfluss in der Erfindung und Entdeckung. Diesem Thema hat er eine Arbeit gewidmet, die zugleich seine Antrittsrede in Wien bildet, und in seinen „Populär-wissenschaftlichen Vorlesungen“ (1896) zu finden ist. Er fängt mit dem Hinweis auf Huygens an, der sich über die Erfindung des Fernrohres so geäussert hatte, dass er den für einen übermenschlichen Genius halten müsse, welcher dasselbe ohne Begünstigung durch den Zufall erfunden hätte, als reine Folge der „Prinzipien der Natur und der Geometrie“. „Die meisten der in die Kulturanfänge fallenden Erfindungen – Sprache, Schrift, Geld u.a. eingeschlossen – konnten schon deshalb nicht Ergebnis absichtlichen planmässigen Nachdenkens sein, weil man von deren Wert und Bedeutung eben erst durch den Gebrauch eine Vorstellung gewinnen konnte“ (S. 280). Mach warnt indes gegen Uebertreibung der Rolle des Zufalls: „Die Beobachtung des aus dem Theekessel entweichenden, mit dem Deckel klappernden Dampfes soll zur Erfindung der Dampfmaschine geführt haben“ (S. 281). „Auch der erste Töpfer im Urwald muss etwas von einem Genius in sich fühlen. Er muss die neue Thatsache beachten, die für ihn vorteilhafte Seite derselben erschauen und erkennen, und verstehen, dieselbe als Mittel zu seinem Zweck zu verwenden. Er muss das Neue unterscheiden, seinem Gedächtnis einfügen, mit seinem übrigen Denken verbinden und verweben. Kurz, er muss die Fähigkeit haben, Erfahrungen zu machen. Man könnte die Fähigkeit, Erfahrungen zu machen, geradezu als das Mass der Intelligenz ansehen“ (S. 282). Seine psychologischen Erläuterungen erstreckt Mach ebensowohl auf Erfindungen wie auf Entdeckungen. Zwischen beiden sieht er nur einen Unterschied im Gebrauch, nicht in der Entstehung. Auf diesen Umstand haben wir bereits hingewiesen (D. p. J. 1899 313 66). In seiner Wärmelehre äussert sich Mach wie folgt: „Der Forscher strebt nach der Kenntnis eines Thatsachengebietes: es ist einerlei, was er findet. Der Techniker strebt, einen bestimmten Zweck zu erreichen; er lässt alles abseits liegen, was ihm nicht förderlich erscheint. Darin ist das Denken des letzteren einseitiger, gebundener. Doch ist der Techniker bei Untersuchung seiner Mittel häufig genug Forscher, der Forscher bei Verfolgung bestimmter Ziele ebenso oft Techniker. Der Forscher strebt nach Beseitigung einer intellektuellen Unbehaglichkeit; er sucht nach einem erlösenden Gedanken. Der Techniker wünscht eine praktische Unbehaglichkeit zu überwinden, er sucht eine erlösende Konstruktion. Ein anderer Unterschied zwischen Entdeckung und Erfindung wird kaum anzugeben sein“ („Wärmelehre“, S. 449 bis 450). Praemissis praemittendis, halte ich hier alles für gut, mit Ausnahme des „erlösenden Gedanken“ und der „erlösenden Konstruktion“, weil es ja bekannt ist, dass ein neuer Körper zu Entdeckungen zählt, andererseits aber zahlreiche Erfindungen nicht in Konstruktionen, sondern in Arbeitsverfahren bestehen (vgl. D. p. J. 1899 312 130). Die wörtliche Vorschrift aber, welche ein Verfahren kennzeichnet, ist ein Gedanke. Vollkommen frei von gesagtem Einwände drückt sich Mach in der oben citierten Wiener Antrittsrede, zu der wir nun wiederkehren, aus: Erfindungen und Entdeckungen „unterscheiden sich nur durch den Gebrauch, der von einer neuen Erkenntnis gemacht wird. Immer handelt es sichum den neu erschauten Zusammenhang neuer oder schon bekannter sinnlicher oder begrifflicher Eigenschaften. Es findet sich z.B., dass ein Stoff, der eine chemische Reaktion A gibt, auch eine Reaktion B auslöst. Dient dieser Fund lediglich zur Förderung der Einsicht, zur Erlösung von einer intellektuellen Unbehaglichkeit, so liegt eine Entdeckung vor, eine Erfindung hingegen, wenn wir den Stoff von der Reaktion A benutzen, um die gewünschte Reaktion B zu praktischen Zwecken herbeizuführen, zur Befreiung von einer materiellen Unbehaglichkeit. Der Ausdruck ‚Neuauffindung des Zusammenhanges von Reaktionen' ist umfassend genug, um Entdeckungen und Erfindungen auf allen Gebieten zu charakterisieren. Derselbe umfasst den Pythagorei'schen Satz, welcher die Verbindung einer geometrischen mit einer arithmetischen Reaktion enthält, die Newton'sche Entdeckung des Zusammenhanges der Kepler'schen Bewegung mit dem verkehrt quadratischen Gesetz ebensogut wie das Auffinden einer Konstruktionsänderung an einem Werkzeug oder einer zweckdienlichen Manipulationsänderung in der Färberei“ (S. 285 bis 286). Nun entwirft Mach ein psychologisches Bild vom Erfinden und vom Entdecken, das uns nicht vollkommen befriedigt. Die Wichtigkeit eines mechanisch wirksamen Gedächtnisses für den Erfinder betonend, sagt Mach: „Zur Entwickelung einer Erfindung wird dasselbe nicht ausreichen. Hierzu gehören längere Vorstellungsreihen, die Erregung verschiedener Vorstellungsreihen durcheinander, ein stärkerer, vielfacher, mannigfaltiger Zusammenhang des gesamten Gedächtnisinhaltes, ein durch den Gebrauch gesteigertes mächtigeres und empfindlicheres psychisches Leben. Der Mensch kommt an einen unüberschreitbaren Giessbach, der ihm ein schweres Hemmnis ist. Er erinnert sich, dass er einen solchen auf einem umgestürzten Baum schon überschritten hat. In der Nähe sind Bäume. Umgestürzte Bäume hat er schon bewegt. Er hat auch Bäume schon gefällt, und sie waren dann beweglich. Zur Fällung hat er scharfe Steine benutzt. Er sucht einen solchen Stein, und indem er die in Erinnerung gekommenen Situationen, welche sämtlich durch das eine starke Interesse der Ueberschreitung des Giessbaches lebendig gehalten werden, in umgekehrter Ordnung herbeiführt, erfindet er die Brücke“ (S. 284). Wie ersichtlich, werden alle ins Spiel tretenden Kräfte genannt: starkes Interesse, Erfahrungsbilder und Witz, der aus den alten Bildern ein neues macht. Ich finde nur den Anteil des Witzes zu wenig betont und den Anteil des Gedächtnisses zu sehr in den Vordergrund gestellt. Es sei (a, b, c, d . . .) eine Erfindung, die irgend eine Aufgabe löst. Sie selbst zerfalle in sichtbare Teile a, b, c . . ., welche, allgemein gesprochen, aus früherer Erfahrung stammen. Dies soll aber nicht bedeuten, als ob a, b, c . . . einzelne gesehene Gegenstände oder erlebte Vorgänge darstellten, die aus dem Gedächtnis, ganz so wie sie in dasselbe aufgenommen wurden, etwa wie Perlen, bloss auf die Richtschnur der Erfindungsidee aneinander gereiht würden. Nein: jeder einzelne Bestandteil a, wie b, wie c u.s.w., obwohl dem Gedächtnisse entlehnt, erfährt jedenfalls irgend eine Modifikation in sich, solch eine, die gerade dazu nötig erscheint, damit sie eben alle nicht wie Perlen aneinander gereiht, sondern wie Organe eines Organismus, als integrierende Teile eines Ganzen in das Ganze hineintreten. Anschaulich gesprochen, erscheint nach Mach's Darstellung die Erfindung als venetianische Mosaik, wo die Stücke einen unabänderlichen Querschnitt haben. Sie ist aber ähnlicher der florentinischen Mosaik, wo die Stücke nach der jeweiligen Zeichnung speziell geformt werden. Das Gleiche dürfte ich nicht mehr einwenden gegen die psychologische Deutung der Entdeckung: „Je stärker der psychische Zusammenhang der gesamten Erinnerungsbilder je nach dem Individuum und Stimmung, desto fruchtbringender kann dieselbe zufällige Beobachtung sein. . . . Nächst dem schon vorhandenen vielfachen organischen Zusammenhang des gesamten Gedächtnisinhaltes, welcher den Forscher kennzeichnet, wird es vor allem das starke Interesse für ein bestimmtes Ziel, für eine Idee sein, welche die noch nicht geknüpften günstigen Gedankenverbindungen schlägt, indem jene Idee bei allem sich hervordrängt, was tagsüber gesehen und gedacht wird, zu allem in Beziehung tritt. . . . Wir dürfen also wohl fragen, ob der Zufall dem Forscher, oder der Forscher dem Zufall zu Erfolg verhilft?“ (S. 289). Das ist das psychische Bild des ersten Aktes, der zuweilen zu einer wahren Psychose führt. Noch malerischer drückt sich Mach weiter aus: „Wenn nun bei diesem wiederholten Ueberschauen eines Gebietes, welches dem günstigen Zufall Gelegenheit schafft, alles zur Stimmung oder herrschenden Idee Passende lebhafter geworden, alles Unpassende allmählich so in den Schatten gedrängt worden ist, dass es sich nicht mehr hervorwagt, dann kann unter den Gebilden, welche die frei sich selbst überlassene Phantasie in reichem Strome hervorzaubert, plötzlich einmal dasjenige hell aufleuchten, welches der herrschenden Idee, Stimmung oder Absicht vollkommen entspricht. Es gewinnt dann den Anschein, als ob das Ergebnis eines Schöpfungsaktes wäre, was sich in Wirklichkeit langsam durch eine allmähliche Auslese ergeben hat“ (S. 294). „Auch das Genie geht gewiss, bewusst oder instinktiv, überall systematisch vor, wo dies ausführbar ist; aber dasselbe wird in feinem Vorgefühl manche Arbeit gar nicht beginnen, oder nach flüchtigem Versuch aufgeben, mit welcher der Unbegabte fruchtlos sich abmüht. So bringt dasselbe in massiger Zeit zu stände, wofür das Leben des gewöhnlichen Menschen weitaus nicht reichen würde“ (S. 294 bis 295). In einer Fussnote wird hier an einen Ort in Jonathan Swift (1667 bis 1745) erinnert, wo derselbe eine Erfinderakademie parodiert, eine Institution, wo Entdeckungen und Erfindungen in allen Gebieten auf rein mechanischem Wege gemacht werden, ohne Zuhilfenahme des Talentes, bloss durch systematische Zusammenstellung von dem, was in einem Gebiet bereits bekannt ist. Die Parodie ist aber so tiefgreifend und bildet ein so treffliches reductio ad absurdum jener Schule der Psychologie, welche nur das diskursive Denken für ein Denken hält, und bis heute immer noch Anhänger hat, dass ich es vorziehe, die Beschreibung der Erfinderakademie bei Swift selber zu entlehnen (Ausgabe 1826, Bd. 2 S. 255 bis 257): In seinen Reisen durch das Märchenland Laputa kommt Gulliver in die Hauptstadt Lagado und in der „Academy of Lagado“ findet er eine Institution, deren Zweck von ihrem Urheber folgendermassen erklärt wird: „Jedermann weiss, wie schwer der allgemein übliche Weg ist, Kunst und Wissenschaft zu erreichen. Vermöge dieser Einrichtung dagegen kann die unwissendste Person Bücher schreiben in Philosophie, Poesie, Politik, Recht, Mathematik und Theologie, mit nur wenigen Kosten und geringer körperlicher Arbeit, ohne geringsten Beistandes von Genie und Studium.“ Die Einrichtung selbst bestand in einem Rahmen, wo auf langen Drähten durchbohrte Würfel aneinander gereiht, die ganze Oberfläche des Rahmens ausfüllten. Die Würfel waren von allen Seiten beklebt mit Papierstreifen, worauf „alle Wörter“ in all ihren grammatischen Abänderungen ordnungslos geschrieben waren. Rings um den Rahmen standen die „Schüler“ der Akademie und auf das Kommando des „Professors“ drehten sie alle Drähte mit den Würfeln. Alsdann wurde die neue Disposition der Wörter gelesen, und „wo man drei oder vier Wörter fand, die zusammen den Bruchteil einer Sentenz bildeten“, wurden sie in spezielle Bücher eingeschrieben. Der Professor zeigte Gulliver eine grosse Menge Folianten, voll von solchen fragmentarischen Sätzen, „die er aneinander zu reihen gedachte, um aus diesen reichen Materialien den vollständigen Körper aller Künste und Wissenschaften der Welt zu überliefern“. Die „Erfinderakademie“ von Swift wird uns noch später einmal beschäftigen. Wir kehren aber zu Mach zurück. Er meint, es wäre keine übel angebrachte „Satire auf Fr. Bacon's Methode, mit Hilfe von (durch Schreiber angelegten) Uebersichtstabellen Entdeckungen zu machen“. Bei Bacon finde ich indessen eine Aeusserung, die mir beweist, dass er den erfinderischen Witz, den Instinkt doch nicht ausser acht lässt. Die Sentenz ist für uns Techniker von besonderem Interesse. Darum wollen wir sie vollständig wiedergeben: Francis Bacon (1561 bis 1626) sagt in seinem Hauptwerk (Novum Organon): „Manche bisherigen Erfindungen sind derart, dass niemand vorher eine Ahnung davon gehabt,sondern dergleichen als Unmöglichkeiten verächtlich behandelt haben würde. Hätte z.B. jemand vor Erfindung der Feuerwaffen sie nur nach ihren Wirkungen beschrieben und gesagt, man habe eine Erfindung gemacht, durch welche die grössten Mauern und Wälle aus weiter Entfernung erschüttert und niedergeworfen werden könnten, so würde man über die Gewalt der vorhandenen Maschinen und Vorrichtungen mannigfaltig nachgedacht haben, um sie durch Gewichte und Räder oder durch Vermehrung der Stösse und Schläge zu verstärken; aber niemand würde in seiner Phantasie auf einen feurigen Dampf, der sich plötzlich und gewaltsam ausdehnt und aufbläht, geraten sein. Hätte ebenso jemand vor der Erfindung des Kompasses erzählt, es sei ein Werkzeug erfunden worden, durch welches die Hauptpunkte des Himmels erkannt und unterschieden werden könnten, so würde man der Verfertigung astronomischer Instrumente nachgegangen sein“ (aus Fr. Dannemann's „Grundriss einer Geschichte der Naturwissenschaften“, 1896 Bd. 1). In dieser Sentenz, die technisch gar nicht veraltet erscheint, ungeachtet der mächtigen Auflagerungen, die die vier Jahrhunderte seither niedergelegt, sehen wir in Bacon einen Verehrer des Genius, der eben jedes System durchbricht und ganz und gar neue Bahnen einschlägt, neue Erscheinungen und neue Gedankenrichtungen erschliesst, Richtungen, die kein systematisches Deduzieren aus dem Vorhandenen zu folgern im stände ist. In seiner „Mechanik in ihrer Entwicklung“ (II. Aufl. 1889) hebt E. Mach an mehreren Orten den Instinkt hervor, der den Naturforscher leitet und leiten muss. „Ein jeder Experimentator kann täglich an sich beobachten, wie er durch instinktive Erkenntnisse geleitet wird. Gelingt es ihm, begrifflich zu formulieren, was in denselben liegt, so hat er in der Regel einen erheblichen Fortschritt gemachtBis hierher reicht mein erster Akt, der zur Aufgabe hat, das neu entstandene Konzept (noch nicht als Definition, Formel oder Gesetz, sondern) als Hypothese oder Absicht deutlich (obwohl nicht definitiv) zu formulieren, damit man sehe, worauf eigentlich die Fortsetzung zu richten sei.. . . . Ja es ist sogar gewiss, dass nur die Verbindung des stärksten Instinkts mit der grössten begrifflichen Kraft den grossen Naturforscher ausmacht“ (S. 25). „Es liegt in der Eigentümlichkeit der instinktiven Erkenntnis, dass sie vorwiegend negativer Natur ist. Wir können nicht sowohl sagen, was vorkommen muss, als vielmehr, was nicht vorkommen kann, weil nur letzteres mit der unklaren Erfahrungsmasse, in welcher man das Einzelne nicht unterscheidet, in grellem Gegensatz steht“ (S. 26). Newton operiert fast ausschliesslich mit den Begriffen Kraft, Masse Bewegungsgrösse. Sein Gefühl für den Wert des Massenbegriffs stellt ihn über seine Vorgänger und Zeitgenossen“ (S. 234). „Ausser der eben besprochenen durch Kepler, Galilei und Huygens vollkommen vorbereiteten Verstandesleistung bleibt aber noch eine durchaus nicht zu unterschätzende Phantasieleistung Newton's zu würdigen übrig. Ja wir nehmen keinen Anstand, gerade diese für die bedeutendste zu halten“ (S. 177). Letzterer Satz bezieht sich auf die Planetenbewegung, deren faktische Untersuchung durch Kepler u.a. und deren theoretische Erklärung durch Newton. Obgleich hier nicht über Instinkt, sondern über Phantasie gesprochen wird, führen wir doch die Aeusserung hier auf. An einem anderen Ort weist Mach darauf hin, dass es durchaus nicht genügend ist, einen Lehrsatz bloss begrifflich festzuhalten; man muss es so weit bringen, die Einsicht auch noch zu fühlen. „Dieses Gefühl ist durchaus nicht unwissenschaftlich oder gar schädlich. Wo es die begriffliche Einsicht nicht ersetzt, sondern neben derselben besteht, begründet es eigentlich erst den vollen Besitz der mechanischen Thatsachen“ (S. 282). Wir heben noch einige Aussagen über Instinkt aus Machte „Populär-wissenschaftlichen Vorlesungen“ (1896) hervor: „Unsere instinktiven Kenntnisse, wie wir sie kurz nennen wollen, treten uns eben vermöge der Ueberzeugung, dass wir bewusst und willkürlich nichts zu denselben beigetragen haben, mit einer Autorität und logischen Gewalt entgegen, die bewusst und willkürlich erworbene Kenntnisse aus wohlbekannter Quelle und von leicht erprobter Fehlbarkeit niemals erreichen. Alle sogen. Axiome sind solche instinktive Erkenntnisse“ (S. 207). „Die physikalischen und die psychologischen Lehren entspringen in ganz gleicher Weise instinktiven Erkenntnissen“ (S. 224). Inwiefern aber solche rein instinktive Erkenntnisse auch rein subjektiv sind, beleuchtet Mach mit folgendem drastischen Beispiele: Huygens' optische Wellenlehre ist einem Newton, und Newton's Ansicht der allgemeinen Schwere einem Huygens unfassbar. Und nach einem Jahrhundert haben beide gelernt, sich selbst in unbedeutenden Köpfen zu vertragen“ (S. 243). Eigentlich sind die zwei Kapitel 12 und 13 des Werkes („Ueber Umbildung und Anpassung im wissenschaftlichen Denken“ und „Ueber das Prinzip der Vergleichung in der Physik“) nichts als detaillierte Auseinandersetzung der leitenden Kraft des Instinkts oder auch des Gefühls in der wissenschaftlichen Entdeckung. Vorgeführte Aussagen E. Mach's über den Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Technik, über deren wechselseitige Begünstigung im Fortschreiten und über Identität der Entdeckung und Erfindung bekunden den freien Blick eines hoch stehenden Theoretikers, der auf seiner Höhe mit Behagen festen Fuss gewonnen hat und ohne Kopfschwindel (der den Neuling nicht selten zur Ueberschätzung seiner Bergeshöhe verführt) auf das üppige Thal der Praxis niederschaut und die Bergstrasse, die ihn herauf geleitet, nicht ausser Sicht lässt. Nur einem grossen Geiste ist solch ein Adlerblick beschieden. Aehnliches bei Leibniz (1646–1716). Auf seine Ansichten kommen wir voraussichtlich bald eingehender zurück. Hier heben wir nur einiges hervor: „So ist jeder organische Körper eine Art göttlicher Maschine oder natürlicher Automat, welcher die künstlichen Automaten unendlich übertrifft. . . . Er ist Maschine bis in seine kleinsten Teile hinein“ (Monadologie, 1714). „Empfindung, Erkenntnis und Zustimmung sind nicht willkürlich, wie es ja auch nicht von mir abhängt, die Uebereinstimmung zweier Ideen zu sehen und nicht zu sehen, wenn mein Geist darauf gerichtet ist“ (Nouveaux Essays). „Im Erfinden herrscht ein Zufall, welcher nicht immer den grössten Geistern das Grösste, sondern oft auch mittelmässigen einiges darbietet“ (Brief an Oldenburg, 1712). „Wenn ich eine Bibliothek nach meinem Geschmack errichten sollte, so würde ich hauptsächlich nur zwei Arten von Büchern aufnehmen:erstlich solche, welche von Erfindungen, Demonstrationen und Versuchen handeln, und solche, welche Staatsschriften und die Geschichte, zumal der neuesten Zeit, und Beschreibungen von Ländern enthielten“ (Brief an Habbäus, 1676). In Mach wie in Leibniz erkennen wir die glückliche Verschmelzung slavischer Vielseitigkeit mit deutscher Gründlichkeit. Mach ist auch wirklich mährischen Herkommens und Leibniz sagt in einer Autobiographie, sein Familienname sei eigentlich „Lubeniecz“, seine Verwandten in Polen und Böhmen. Zum Schluss nehmen wir noch eine Massregel, die Helmholtz angibt, um den „glücklichen Einfall“ oder die intuitive Lösung einer vorschwebenden Aufgabe zu begünstigen (nach Mach's Wärmelehre, S. 441 bis 442): „Da ich ziemlich oft in die unbehagliche Lage kam, auf günstige Einfälle harren zu müssen, habe ich darüber, wann und wo sie mir kamen, einige Erfahrungen gewonnen, die vielleicht anderen noch nützlich sein können. Sie schleichen oft still genug in den Gedankenkreis ein, ohne dass man gleich von Anfang ihre Bedeutung erkennt; dann hilft später nur zuweilen noch ein zufälliger Umstand, zu erkennen, wann und unter welchen Umständen sie gekommen sind; sonst sind sie da, ohne dass man weiss woher. In anderen Fällen aber treten sie plötzlich ein, ohne Anstrengung, wie eine Inspiration. So weit meine Erfahrung geht, kamen sie nie dem ermüdeten Gehirn und nicht am Schreibtisch. Ich musste immer erst mein Problem nach allen Seiten so viel hin und her gewendet haben, dass ich alle seine Wendungen und Verwickelungen im Kopfe überschaute und sie frei, ohne zu schreiben, durchlaufen konnte. Es dahin zu bringen, ist ja ohne längere vorausgehende Arbeit meistens nicht möglich. Dann musste, nachdem die davon herrührende Ermüdung vorübergegangen war, eine Stunde vollkommener körperlicher Frische und ruhigen Wohlgefühls eintreten, ehe die guten Einfälle kamen. Oft waren sie des Morgens beim Aufwachen da, wie auch Gauss bemerkt hat. Besonders gern kamen sie bei gemächlichem Steigen über waldige Berge bei sonnigem Wetter. Die kleinsten Mengen alkoholischen Getränkes aber schienen sie zu vertreiben.“