Titel: Das Doppler'sche Prinzip und das elektrodynamische Grundgesetz Weber's.
Autor: Rudolf Mewes
Fundstelle: Band 315, Jahrgang 1900, S. 295
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Das Doppler'sche Prinzip und das elektrodynamische Grundgesetz Weber's. Von Rudolf Mewes. Das Doppler'sche Prinzip und das elektrodynamische Grundgesetz Weber's. Bisher hat man das Weber'sche elektrodynamische Grundgesetz, das neben dem Ohm'schen Gesetz in der Elektrizitätslehre von der weittragendsten Bedeutung ist, nur auf analytischem Wege durch verwickelte mathematische Schlussfolgerungen ableiten können, und doch lässt sich eine Ableitung dieses wichtigen Grundgesetzes auf ganz elementarem Wege mit Hilfe des sogen. Doppler'schen Prinzips geben. Da das letztere, das bisher nur auf die Schall- und Lichtschwingungen Anwendung gefunden hat, in technischen Kreisen kaum bekannt sein und es wegen seiner Einfachheit und Tragweite dem Krafterhaltungsgesetze nahe kommen dürfte, so will ich zunächst einige allgemein verständliche Angaben darüber nach den diesbezüglichen Auseinandersetzungen in der populären Astronomie von M. Clerk vorausschicken, um sodann nach meinen früheren Ausführungen in „Elementarphysikdes Aethers“, Teil II, das Weber'sche Gesetz abzuleiten. Wie Christian Doppler, Professor der Mathematik zu Prag, im Jahre 1842 fand, ändert sich die Farbe eines leuchtenden Körpers ebenso wie die Tonhöhe eines tönenden Körpers mit der Annäherung oder Entfernung. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Farbe sowohl wie die Tonhöhe physiologische Wirkungen sind, welche nicht von der absoluten Wellenlänge, sondern von der Anzahl der Wollen, welche in das Auge oder in das Ohr in einem gegebenen Zeitintervall eintreten, abhängen. Und diese Zahl muss, wie man leicht sieht, wachsen oder abnehmen, je nachdem sich die Ton- oder Lichtquelle nähert oder entfernt. In dem einen Falle geht der schwingende Körper den von ihm ausgehenden Wellen nach und drängt sie zusammen, in dem anderen entfernt er sich von ihnen und zieht so den Raum, der von einer gleichen Anzahl bedeckt wird, in die Länge. Das Prinzip kann folgendermassen klar gemacht werden. Man nehme an, dass Schüsse in bestimmten Zeitabschnitten nach einer Scheibe abgefeuert würden. Rückt der Schütze vor, etwa zwanzig Schritt zwischen jeder Entladung seines Gewehrs, so werden offenbar die Schüsse schneller die Scheibe treffen, als wann er noch stillstand; zieht er sich dagegen um den nämlichen Betrag zurück, so werden sie in entsprechend längeren Zeiträumen aufschlagen. Das Resultat wird natürlich dasselbe sein, mag sich die Scheibe oder der Schütze bewegen. Soweit hatte Doppler vollkommen recht. Was den Schall anbetrifft, so kann sich jeder selbst überzeugen, dass die von ihm vorausgesagte Wirkung in Wirklichkeit stattfindet, wenn er auf das abwechselnde Schriller- und Tieferwerden des Tones der Dampfpfeife, sobald ein Eilzug durch eine Station saust, achtet. Aber bei der Anwendung dieses Prinzips auf die Farben der Sterne befand er sich in einem grossen Irrtum; denn er liess die doppelte Reihe unsichtbarer Schwingungen (jenseits des violetten und diesseits des roten Lichtes) ausser acht, welche an den Veränderungen der Brechbarkeit in den sichtbaren Strahlen teilnehmen und dieselben für das Auge genau kompensieren. Es gibt daher keine Möglichkeit, in der Farbe von Körpern, welche wie die Sonne und die Sterne mit kontinuierlichem Lichte leuchten, ein Kennzeichen ihrer Bewegung zu finden. Wir sind jedoch im Besitze der Hilfsmittel, um diese von unseren Sinnen nicht mehr wahrnehmbare Verschiebung der Lichtskala zu messen. Hierbei kommen uns die wunderbaren Fraunhofer'schen Linien zu Hilfe. Sie wurden von den früheren Physikern „feste Linien“ genannt; aber gerade weil sie nicht fest sind, werden sie uns bei dieser Gelegenheit nützlich. Sie nehmen teil an der allgemeinen Veränderung des Spektrums und verraten diese zugleich durch ihre Anteilnahme. Diese Form des Doppler'schen Prinzips wurde im Jahre 1848 von Fizeau angegeben, und die ersten greifbaren Resultate in der Schätzung der Annäherung und Entfernung zwischen der Erde und den Sternen wurden am 23. April 1868 von Dr. Huggins der Königlichen Gesellschaft mitgeteilt. Achtzehn Monate später erfand Zöllner sein „Reversionsspektroskop“, um die messbaren Wirkungen der Verschiebung der Linien zu verdoppeln. Mit Hilfe dieses geistvoll erdachten Instruments und im Verfolg einer Andeutung seines Erfinders gelang es Prof. H. C. Vogel zu Bothkamp am 1. Juni 1871 von der Rotation der Sonne herrührende Wirkungen jener Art zu entdecken. Diese Anwendung bildet zugleich die Probe und den Triumph der Methode. Der östliche Rand der Sonne bewegt sich beständig gegen uns mit einer äquatorialen Geschwindigkeit von etwa einer Viertelmeile in der Sekunde, während sich der westliche Rand um ebensoviel entfernt. Trotzdem die Verschiebungen – gegen das Violett hin im Osten, gegen das Rot hin im Westen –, welche dieser Geschwindigkeit entsprechen, sehr gering sind, so vermochte doch Prof. Young im Jahre 1876 in durchaus befriedigender Weise zu zeigen, nicht nur. dass die Sonnenlinien von ihren eigentlichen Plätzen so weit abgerückt werden, dass dadurch eine Rotationsgeschwindigkeit (etwa ⅓ Meile in der Sekunde), die nur wenig grösser als die aus den Beobachtungen von Flecken abgeleitete ist, angedeutet wird, sondern auch, dass die irdischen Linien (diejenigen, welche durch Absorption in der Erdatmosphäre entstehen) nicht an der allgemeinen Verschiebung nach oben und unten teilnehmen. Eine Erweiterung des Doppler'schen Prinzips und seiner Anwendung wurde bis zum Jahre 1893 nicht gefunden. Dies geschah erst dadurch, dass die Arbeiten, welche von Kräften, wie die Wärme, die Elektrizität und die Schwerkraft sind, geleistet werden, von mir auf die Wirksamkeit der Aetherschwingungen der Wärme, der Elektrizität und der Schwerkraft zurückgeführt und das für diese Aetherschwingungen gültige gemeinsame Kraftgesetz aus dem Doppler'schen Prinzip auf elementarem Wege abgeleitet wurde. Die Grundlage dieser Schlussfolgerungen bildet die Annahme, dass alle Kräfte, für deren UebertragungZeit erforderlich ist, dem Doppler'schen Prinzip folgen müssen. Das oben angeführte Beispiel des Schützen erläutert dies ohne weiteres, wenn man das Augenmerk auf die Uebertragung der lebendigen Kräfte der die Scheibe treffenden Kugeln richtet. In diesem Falle hängt die Schwächung der Kraftwirkung ab von dem Verhältnis der lebendigen Kräfte, welche der relativen Geschwindigkeit der aufeinander wirkenden Massen und der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der von diesen ausgehenden Kräfte entsprechen. Man erhält auf diese Weise direkt das sogen. Weber'sche Grundgesetz W=\frac{e\,e^1}{r^2}\,\left(1-b\,.\,\frac{v^2}{c^2}\right). In dieser Formel sind e und e1 die in der Entfernung r aufeinander einwirkenden elektrischen Massen, v die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der elektrischen Schwingungen in dem Leitungsdrahte, und c diejenige in der Luft. Die dem Quadrate der relativen Geschwindigkeit proportionale Schwächung ist von Weber nur erschlossen, aber nicht durch mechanische Prinzipien begründet worden. Diese Abnahme mit dem Geschwindigkeitsquadrat lässt sich dagegen mit Hilfe des soeben erläuterten Doppler'schen Prinzips in einfacher Weise begründen und mechanisch erklären. Nach zahlreichen Versuchen während der letzten drei Dezennien lassen sich sämtliche Wellen in mechanische Arbeit umsetzen. Für die Schallwellen sind die einschlägigen Experimente von Kundt und Schellbach, für die Wärme- und die Elektrizitätsstrahlen von Neesen, Crookes und anderen Physikern angestellt worden. Sind aber die Aetherschwingungen die Ursache für die Anziehung oder Abstossung von Massen, so muss die erzeugte Wirkung der Anzahl der in der Zeiteinheit von den sich anziehenden oder abstossenden Massen ausgesandten Wellen proportional sein. Bei der statischen Elektrizität bleibt die Zahl der ausgesandten Schwingungen in der Zeiteinheit konstant; es muss daher die wechselseitige Anziehung oder Abstossung der Massen den wirksamen Massen oder der Wellenzahl direkt und dem Quadrate ihres Abstandes umgekehrt proportional sein, weil die Intensität der Wellen wegen der radialen Ausbreitung im umgekehrten Quadrat der Entfernung abnimmt. Wenn dagegen die Wellen nicht in relativer Ruhe sind, sondern sich einander nähern oder voneinander fliessen, so ändert sich dadurch die Zahl der Wellen, welche die Massen in der Zeiteinheit einander zusenden. Das Gesetz, nach welchem sich die Zahl der von den Körpern einander zugestrahlten Wellen ändert, ist in der Akustik, Optik und Wärmelehre als das Doppler'sche Prinzip bekannt und oben erklärt worden. Um die Formel, durch welche dies Gesetz dargestellt wird, abzuleiten, hat man nur folgende höchst einfache Ueberlegung anzustellen. Wenn die Tonquelle und das Ohr ruhen, so gelangen an das Ohr in jeder Sekunde n Verdichtungswellen, vorausgesetzt, dass der Ton in der Sekunde n Schwingungen hat; nähert sich aber das Ohr der Tonquelle, so empfängt es mehr Verdichtungen oder Schallstösse, gerade so, wie ein Schiff mehr Wellenberge durchfurcht, wenn es denselben entgegenfährt, als wenn es ruht. Umgekehrt weicht das Ohr einer Anzahl von Verdichtungen aus, wenn es sich von der Tonquelle entfernt. Im ersten Falle erscheint ein Ton höher, im zweiten tiefer, als er ist. Ist z.B. im ersten Falle die Strecke, um die sich das Ohr in 1 Sekunde nähert, gleich s und die Wellenlänge gleich l, so liegen auf dieser Strecke \frac{s}{l} Wellen, oder auch n n\,\frac{s}{c} Wellen, weil l=\frac{c}{n}, dem Quotienten aus der Fortpflanzungsgeschwindigkeit und der Schwingungszahl, ist. Es empfängt also das Ohr nicht nur die n Schwingungen des ursprünglichen Tones, sondern noch n\,\frac{s}{c} dazu, so dass die Schwingungszahl n^1=n+n\,\frac{s}{c}=n\,\left(1+\frac{s}{c}\right) ist, während für ein sich entfernendes Ohr n^1=n-n\,\frac{s}{c}=n\,\left(1-\frac{s}{c}\right) ist. Leicht ergibt sich Aehnliches für das Nähern oder I Entfernen der Tonquelle. Ganz ebenso wie beim Schall liegen die Verhältnisse bei dem Nähern oder Entfernen zweier Stromleiter, nur mit dem Unterschiede, dass sie elektrische Schwingungen aussenden. Die Zahl dieser Schwingungen muss also ebenfalls durch die Formeln n\,\left(1\,\pm\,\frac{s}{c}\right) dargestellt werden, worin s die relative Geschwindigkeit der Schwingungen in den Leitern und c die Geschwindigkeit der in der umgebenden Luft oder im leeren Raume schwingenden Atome selbst bedeutet. Die Annahme Weber's, dass in jedem elektrischen Strome gleichzeitig beide Elektrizitäten in gleicher Menge nach entgegengesetzten Richtungen fliessen, ergibt sich als Folgerung aus dem Umstände, dass die elektrischen Schwingungen infolge der radialen Ausbreitung und der totalen Reflexion an der Innenseite der Drahtoberfläche nach der positiven und negativen Stromrichtung hin den Draht durchlaufen und daher, soweit sie nicht infolge der Totalreflexion im Leiter verbleiben müssen, nach beiden Richtungen hin ausstrahlen. Ist nun die Geschwindigkeit der elektrischen Strahlen im ersten Leiter u und im zweiten u1, so sind die relativen Geschwindigkeiten, mit welchen die elektrischen Schwingungen einander entfliehen oder aufeinander zueilen: 1. von + e und + e1 : u – u1, 2. e e1 : – (u – u1), 3. + e e1 : u + u1, 4. e + e1 : (u + u1) Während einer Sekunde wird also, wenn im ersten Leiter u, im zweiten u1 Schwingungen in der Sekunde stattfinden, nach dem Doppler'schen Prinzip eine in der positiven Stromrichtung sich fortpflanzende Welle des zweiten Leiters sich mit u\,\left(1+\frac{u-u^1}{c}\right) Wellen des ersten und umgekehrt gleichzeitig eine in der positiven Richtung sich fortpflanzende Welle des ersten Leiters sich mit u_1\,\left(1+\frac{u-u^1}{c}\right) Wellen des zweiten zusammensetzen, so dass bei der relativen Geschwindigkeit + (u – u1) infolge der Wechselseitigkeit der Strahlung die Gesamtzahl der von den Stromelementen ds und ds1 einander zugesandten Wellen dem Produkt u\,u_1\,\left(1+\frac{u-u^1}{c}\right)^2 und den strahlenden Flächen ds und ds1 proportional, also gleich d\,s\,d\,s^1\,.\,u\,u_1\,\left(1+\frac{u-u^1}{c}\right)^2 ist. Ganz entsprechend erhält man für die Gesamtzahl der Schwingungen bei der relativen Geschwindigkeit -\,(u-u^1)\,:\,d\,s\,d\,s^1\,.\,u\,u_1\,\left(1-\frac{u-u^1}{c}\right)^2, u+u^1\,:\,d\,s\,d\,s^1\,.\,u\,u_1\,\left(1+\frac{u+u^1}{c}\right)^2, -\,(u+u^1)\,:\,d\,s\,d\,s^1\,.\,u\,u_1\,\left(1-\frac{u+u^1}{c}\right)^2. Nach den Versuchen von Crookes ist aber die anziehende oder abstossende Wirkung der Aetherschwingungen der Zahl der ausgesandten Schwingungen direkt und wegen der Intensitätsabnahme dem Quadrate der Entfernung der ausstrahlenden Körper umgekehrt proportional, und folglich erhält man für die mechanische Wirkung der Wellen in den angeführten vier Sonderfällen: 1.\ \frac{d\,s\,d\,s^1}{r^2}\,.\,n\,n_1\,\left(1+\frac{u-u^1}{c}\right)^2, 2.\ \frac{d\,s\,d\,s^1}{r^2}\,.\,n\,n_1\,\left(1-\frac{u-u^1}{c}\right)^2, 3.\ -\frac{d\,s\,d\,s^1}{r^2}\,.\,n\,n_1\,\left(1+\frac{u-u^1}{c}\right)^2, 4.\ -\frac{d\,s\,d\,s^1}{r^2}\,.\,n\,n_1\,\left(1-\frac{u-u^1}{c}\right)^2, Die algebraische Summe dieser vier Wechselwirkungen ist die Wirkung der beiden Stromelemente aufeinander; diese Summe ist, wie man durch Ausquadrierung und durch Addition der gleichnamigen Glieder findet, gleich W=\frac{n\,n_1\,.\,d\,s\,d\,s^1}{r^2}\,.\,\left(-\frac{b\,u\,u^1}{c^2}\right). Nun lässt sich das Weber'sche Gesetz auf die Form W=8\,\alpha\,\frac{e\,e^1\,d\,s\,d\,s^1}{r^2}\,.\,u\,u^1 bringen; folglich wird, abgesehen vom Vorzeichen, der von mir gefundene Ausdruck mit dem letzteren identisch, wenn 8\,\alpha=\frac{8}{c^2} oder \alpha=\frac{1}{c^2} ist, da nach obigen Auseinandersetzungen e und e1 proportional u und u1 sind. Aus den Versuchen von Weber, Kohlrausch und anderen namhaften Physikern folgt, dass \alpha=\frac{1}{2\,v^2} ist, wenn v die Lichtgeschwindigkeit bedeutet; daraus ergibt sich, dass c2 = 2 v2 oder c = v√2, also nichts anderes als die Weber'sche Konstante oder die Atomgeschwindigkeit ist. Die Gesetze von Doppler und Weber stimmen also vollständig miteinander.