Titel: Luftbewegungsbilder.
Autor: Karl Steffen
Fundstelle: Band 315, Jahrgang 1900, S. 304
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Luftbewegungsbilder. Von Karl Steffen in Röhrsdorf, Deutschböhmen. Luftbewegungsbilder. Man hat sich bisher die Reaktion des Flugmittels gegen den Flügel als eine Art Materialwiderstandserscheinung erklärt, ähnlich wie wir solche bei der gegenseitigen Durchdringung fester oder auch bildsamer und flüssiger Körper wahrnehmen, und hat mit Rücksicht auf die hierbei auftretende Arbeit zur Ueberwindung dieser Reaktion die Folgerung gemacht, dass alles darauf ankomme, leistungsfähige Motoren zu finden mit sehr geringem Gewichte. Oberingenieur v. Lössl hat ferner die stattfindenden Vorgänge in der Luft in einer Weise erklärt, welche geeignet sein soll, die Ueberwindung der Reaktion zu erleichtern; er meinte, förmliche Luftkörper vor der bewegten Fläche dienten dazu. die Durchdringung zu erleichtern, ähnlich wie beim Einrammen stumpfer Piloten in lehmigem Erdreich eine künstliche Spitze aus Thonerde sich vor dem stumpfen Ende der Pilote bilden soll, die das Eindringen der Pilote erleichtert. Das war der Lössl'sche Grundgedanke, der allerdings mancherlei Wandelungen seither durchgemacht, im Grunde aber gerade dadurch an Klarheit eingebüsst hat, ohne eine neue Auffassungsweise zu begründen. In neuerer Zeit hat man aber merkwürdigerweise sich in einen totalen Widerspruch mit dieser Auffassung Lössl's gesetzt. Musste man sich früher sagen, wenn die DurchdringungsarbeitDer Grundgedanke war ja, Faktoren zu finden, welche die Arbeit vermindern. möglichst klein ausfallen soll, müsse eine geringe Reaktion der Luft gewünscht werden, so sagt man sich heute, die Reaktion könne nicht gross genug sein, um selbst schwere Motoren zu ihrer Bewältigung mitnehmen zu können. Man scheint übrigens den Ruhepunkt zwischen diesen entgegengesetzten Vorstellungen nicht finden zu können; letztere Richtung hat aber insofern ein sehr vernünftiges Streben der Flugforschung geweckt, als man mittelbar durch sie auf den Gedanken kam, die Luft müsse selbst ein kinetisches Vermögen besitzen, uni ihre augenscheinlichen Flugleistungen erklären zu können. So entstand Emil Jakob's Theorie vom elastischen Widerstand. In dieser Theorie ist die Spekulation, d.h. die Absicht, etwas Gewisses finden zu wollen, unverkennbar. Weniger beabsichtigt, mehr aus einer intuitiven Eingebung und, wie ich überzeugt bin, aus einem richtigen Schluss entstammt meine Spannungstheorie des Flugmittels, worin ich mich von jedem flugfördernden Widerstände lossage, dagegen unter Umständen den flughemmenden Widerstand toter beharrender Luftmassen gelten lasse. Mit dieser Auffassungsweise gewinnt die Fluganschauung ein total verändertes Aussehen. Gelingt es uns nämlich nachzuweisen, dass das Flugmittel, die Luft, selbst die Energieform ist, welche die Bewegung des Vogels unterhält, und dass das Flügelsystem die maschinelle Form ist, in welcher diese Energieform, ähnlich wie der Dampf in der Dampfmaschine, die rationelle und zweckentsprechende Umwandelung in Flugbewegung erfährt, dann ist der persönliche Kunstflug trotz aller scheinbaren Misserfolge möglich, und nur infolge einer fehlerhaften praktischen Anlage der Versuche und Einrichtung der Flugmaschine bisher nicht durchgedrungen. Es gilt vorerst, zu erweisen, dass der schlagende Vogelflügel der rationellste Flugmotor ist, den es jemals geben wird. Das wesentlichste der Vogelflügeleinrichtung ist die klappen oder fahnenförmige Elementarform im ganzen, wie seiner Teile der Federn. Es wurde daher diese Flächenform von mir eingehend und unzähligemal in Bezug auf ihr Wirken im lufterfüllten Raum untersucht und zwar anfänglich eine künstliche Feder von symmetrischer Form. Ein 3 m langer, konischer und sehr elastischer Eschenholzstab wurde mit Bandfederstücken (Blanchets) an mehreren Stellen der Quere nach durchsetzt, und über dieses Gerippe ein leichter Stoff gespannt. Die Breite der Fläche war 20 bis 30 cm. Die Länge variierte zwischen 1 bis 3 m. Am stärkeren Ende wurde der Stab erfasst und so die Luft in allen möglichen Richtungen und Geschwindigkeiten bearbeitet. Um die stattfindenden Luftreaktionen sichtbar zu machen, wurden dichte Rauchwolken in der Umgebung der Fläche aufgelassen. Das war eine höchst primitive Einrichtung, aber sie erfüllte den Zweck. Man ist vor allem von der Anschauung der Widerstandstheoretiker beherrscht, wonach ein Verdrängen der Luftmassen stattfände, und ist überrascht, dass schon bei den ersten Schlägen die Luft nicht das erwartete Bild bietet, sondern im Gegenteil ein Zuströmen der Luft gegen die Fläche, und zwar von allen Seiten, insbesondere aber quer zur Schlagrichtung gegen die Mitte des von der Fläche bestrichenen Raumes wahrzunehmen (Fig. 1a). Im zweiten Stadium erst bemerken wir, dass die auf solche Weise im Schwingungsraume zusammengeströmte Luft rückwirkend verdrängt wird, und zwar in viel unregelmässiger, man möchte sagen gewaltsamer Weise, als vordem die Zustimmung stattfand (Fig. 1 b). Diese Wahrnehmung und insbesondere der Umstand, dass ein Zuströmen von Luft von aussen gegen das innere des direkten Wirkungsbereiches der Fläche, statt wie erwartet, umgekehrt stattfand, liess mich den Schluss machen, dass es sich bei dieser Erscheinung nicht allein um die impulsiven Wirkungen der Fläche allein, sondern dass es sich auch um repulsive Wirkungender ganz ausserhalb des eigentlichen Wirkungsbereiches der Fläche herumlagernden Luftmassen handle. Zu diesem Ende musste auf ein in den Luftmassen enthaltenes Repulsivvermögen geschlossen werden und dieses konnte nur die allgemein bekannte Eigenschaft der Luft, „die Elastizität“ sein. Halten wir uns vor Augen, wie sich unelastische, feste oder bildsame Masse verhalten würde, wenn sie in ihrem Inneren bearbeitet wird, so gewinnen wir einen vergleichenden Massstab der Bedeutung der Elastizität. Textabbildung Bd. 315, S. 305 Luftbewegungsbilder schwingender Flächen. Die Abtönungen zeigen das Mass der Verdichtung der Luft Mit symmetrisch angeordnetem Fahnenteil; Mit unsymmetrisch angeordnetem Fahnenteil; a) bei langsamem Schwingen; Luftwellen, entstanden aus vier rasch erfollgten Schwingungen; b) bei raschem Schwingen. Feste Massenteilchen werden, wenn sie im Inneren aus ihrer Lage gebracht werden, in der neuen Lage verharren, es würde eine Aushöhlung von der Grösse des Wirkungsbereiches eines im Inneren der Masse arbeitenden Gegenstandes entstehen. Bildsame Masse würde diese Aushöhlung je nach dem Grade der Bildsamkeit rascher oder träger ausfüllen; flüssige Massen werden sich ähnlich wie bildsame Masse verhalten. Nirgends finden wir aber ein so intensives Raumerfüllungsvermögen, als bei den dehnsamen Luftmassen. Nachdem sich die in die Höhle eingedrungenen Massen dem arbeitenden Gegenstande in solcher Weise immer wieder in den Weg legen, wenn dieser Weg von dem Gegenstande frei gemacht wird, so ist ganz leicht einzusehen, dass immer wieder neue vorliegende Arbeitsmassen auch neue Arbeit verursachen bezw. elastische Massen ihr elastisches Repulsivvermögen mitarbeitend auf den arbeitenden Gegenstand übertragen. Diese sich selbstthätig vorlegenden Massen wirken dann gerade so wie irgend eine andere öfter erneuerte Bewegungsursache, arbeitend, bewegend oder kinetisch, wie man zu sagen pflegt. So wäre es also möglich, die Luft nicht nur hemmend, sondern bewegend zu denken. Erklären wir uns diese Thatsache am Versuchsobjekte, so sehen wir, dass die Luft durch die schlagenden Flächenbewegungen abwechselnd vor der Fläche komprimiert und vermöge der Elastizität auch gespannt wird, hinter der Fläche ausgedehnt und entspannt wird. Ohne weiteres ist klar, dass die umliegenden normal gespannten Luftmassen das Bestreben haben werden, sich um so rascher gegen den entstandenen Entspannungsraum (Minimum) auszudehnen, je grösser die Spannungsdifferenz zwischen beiden Orten ist; Regel ist, dass diese Ausdehnung von Orten höherer zu Orten niederer Spannung stattfindet, so lange als noch Spannungsdifferenz vorhanden ist. Es liegt also ein Ausgleich von Spannungsdifferenz vor, darum nennen wir diesen Vorgang kurz „Spannungsausgleich“. Die grösste Spannungsdifferenz ist aber offenbar zwischen den komprimierten Luftmassen vor der Fläche und den ausgedehnten Luftmassen hinter der Fläche vorhanden, und darum sehen wir, dass vorerst und ganz im Sinne der eben entwickelten Erklärung eine Ausdehnung oder ein Spannungsausgleich zwischen diesen Orten stattfindet, also um die Ränder der Fläche herum (Fig. 1 a). Ein Umstand ist jedoch nicht zu übersehen, der anscheinend die Gültigkeit dieses Gesetzes beeinträchtigen könnte, wenn man bei den Beobachtungen nicht ein gewisses Mass der Flächenbewegungsgrösse und einen gewissen Grenzwert des elastischen Vermögens der Luft in Anschlag bringt. Es ist klar, dass ein gewisses Quantum komprimierter Luft (vor der Fläche) nur bis zu einer gewissen Spannungsgrenze komprimiert werden kann, und dass diese Grenze von der Zeitdauer und der Bewegungsgrösse der Fläche bedingt wird. Ueber das bestimmte Mass dieser letzteren hinaus wird eine Fläche von bestimmter Ausdehnung nicht mehr komprimierend wirken, sondern bloss stationäre Massen vor sich hertreiben. In diesem Falle hört der Ausgleich um die Flächenränder herum auf und die von rückwärts nachströmenden Luftmassen werden in Trichterform in das Vacuum hinter der Fläche hineinstürzen. Die Spitze dieses trichterförmigen Wirbels liegt zunächst der Fläche, die Achse liegt in der Bewegungsrichtung. Eine ähnliche Unterbindung des Spannungsausgleiches tritt durch das Schwingen der Fläche an einem und demselben Ort oder in einer und derselben Luftmasse ein, dann, wenn die Zeitdauer von einer Schwingung bis zur nächsten zu kurz ist, um den Spannungsausgleich vollziehen zu lassen. Ein Teil der nicht zum Ausgleich kommenden Luftmassen wird dann stationär und schwingt mit der Fläche an den Aussenseiten des Schwingungsraumes. In das zwischen den zwei aufeinander liegenden Schwingungslagen der Fläche, also im Inneren des Schwingungsraumes unausgeglichene Minimum dringen dann, wie früher erwähnt, die seitlichen ausserhalb des Wirkungsbereiches der Fläche gelegenen normal gespannten Luftmassen ein. Schliesslich ist das Minimum ausgeglichen und es herrscht überall nach aussen zu verlaufende Höchstspannung; der Ausgleich kehrt sich um und zwar von innen nach aussen; die Repulsion wirkt also umgekehrt, d.h. es nehmen die äusseren Luftpartien nicht mehr verstärkend teil (Fig. 1 b). Während dieser Vorgänge wird die elastische Repulsion gegen die Fläche sehr wohl erklärlich, wenn man bedenkt, dass die Fläche jedem Spannungsausgleiche um die Flächenränder herum gewissermassen im Wege steht, und den in der kürzesten Verbindung des Spannungsmittelpunktes mit dem Entspannungsmittelpunkt entstehenden stärksten Entspannungsdruck der Luftmassen direkt übernimmt (Pfeile R). Die Richtung des Repulsionsdruckes ist bei Fig. 1 a von aussen nach innen, wenn man mit „innen“ den von der Fläche bestrichenen Schwingungsraum bezeichnet; bei Fig. 1 b hat sich der Repulsionsdruck von innen nach aussen zu gekehrt. Weit nun in letzterem Fall keine Höherspannung von aussen nach innen mehr erfolgt, bezeichnet dieses Stadium eine Stabilisierung der Spannung. Wollten wir die praktische Nutzanwendung dieser schwachen Repulsionsdrücke ohne weiteres schon vorschlagen, so schiene dieses Bemühen nicht recht verständlich, ja ganz aussichtslos. Die Drücke heben sich, entsprechend den wechselnden Schlagrichtungen gegenseitig auf; auch ist auf den ersten Blick nicht einzusehen, auf welche Weise eine wechselnde und einseitig treibende Druckverstärkung (Generation) durch stete Erneuerung der stabilisierten Spannung möglich wäre. Mit einem Worte, der eigentliche Flugprozess wird erst klar, wenn man folgende Ueberlegung macht: Soll die Repulsion in der Flugrichtung dauernd wachsen, dann muss der ganze Spannungs- und Ausgleichsprozess vorzüglich in dieser Richtung wirksam werden; d.h. die seitlichen Spannungsdifferenzen müssen fortdauernd und gleichlaufend mit den Schwingungen der Fläche erneuert werden. Es muss also in der Flugrichtung eine Art regelmassiger Ventilation oder Durchführung der Luftmassen vor sich gehen, und bei diesem Durchgehen quer durch den Schwingungsraum entnimmt die Fläche jedesmal eine Portion Spannungsdruck und sammelt diesen in Flächenvertrieb an. Die früher seitlich zusammenströmenden Luftmassen müssen an diesem Zusammenströmen gehindert werden, damit sich keine stationäre Masse ansammeln und keine Stabilisierung der Spannung stattfinden kann. Dieses alles zeigt aber in einfachster und überraschendster Einfachheit die Elementarflügelform, nämlich die Fläche mit unsymmetrisch gelagerter Längsachse, oder die bekannte Schwungfederform, nach deren Vorbild übrigens der ganze Flügel wie jedes Flugorgan (Insektenflügel u.s.w.) gebildet ist. Meine weiteren Versuche wurden daher mit entsprechend umgearbeiteten Flächen fortgesetzt. Der Eschenstab wurde mehr an den einen Längsrand der Fläche angerückt. Die Resultate waren so befriedigend, dass jeder Zweifel schwand. Wir wollen übrigens in Kürze die Abwickelung der Vorgänge an der Hand einer kleinen Skizze schildern und begründen. Fig. 2 stellt eine sogen. Spannungsgeneratorfläche oder Spannungsausgleich-Sperrklappe in vier aufeinander folgenden Schwingungslagen dar. Die dunklen Punkte zeigen den Spannungsmittelpunkt des Maximums. Die Ringelchen zeigen den Entspannungsmittelpunkt an. Die Pfeile zeigen die Repulsionsdruckrichtungen (Maximum bis Minimum). Die mit Pfeilrichtung versehenen Bogenlinien zeigen die Strömungen an, wie sie durch das Experiment festgestellt wurden. Die Funktion der Klappe ist bei jeder Schwingung folgende: Die Druckrichtung der gespannten Luftmassen erzeugt ein Drehmoment der breiteren Fahne um den Kiel (Eschenholzstab) der Fläche, weil der Druckmittelpunkt hinter dem Kiel liegt. Diesem drehenden Druck weicht die elastische Fahne (Fig. 1) im entgegengesetzten Sinne wie die Schlagrichtung; suchen nun die gespannten Luftmassen des Maximums sich um den hinteren Rand der Fläche herum auszugleichen, so verhindert dies die sich aufdrehende Fahne, und die Luftmassen müssen gezwungen nach rückwärts weichen. Der Vorderrand, welcher im entgegengesetzten Sinne wie der Hinterrand dreht, sperrt teilweise den Ausgleich um sich selbst. Diesen Vorgängen entspricht eine Verlagerung des Druckmittelpunktes im Sinne der rückwärts ausgeworfenen Luftmassen. Gerade der entgegengesetzte Vorgang muss im Minimum stattfinden, weil die hintere gegen das Minimum aufdrehende Fahne das Minimum verengt, wogegen die vordere schmale Fahne das Minimum erweitert; also genau umgekehrt findet die Verengung und Erweiterung im Maximum statt; diesem entgegengesetzten Vorgange entspricht ein entgegengesetztes Verlagern des Entspannungsmittelpunktes, also im Sinne gegen den Vorderrand der Fläche. Früher schon wurde gesagt, dass die Resultierende des Repulsionsdruckes stets in der kürzesten Verbindungsrichtung der Mittelpunkte von Maximum und Minimum liegt, mithin hat die entgegengesetzte Verlagerung dieser Mittelpunkte eine Drehung oder besser eine Brechung dieser Repulsionsrichtung verursacht. Zerfällt man die Resultierende R in den Richtungen und zwar normal zur Normallage der Fläche (vor der Drehung) und in der Richtung der Fläche (Horizont), so erhalt man zwei Komponenten p und p1, von welchen die erstere entgegen der Schlagrichtung wirkt, d.h. sie heben sich gegenseitig auf, vorausgesetzt, dass die Schwingungszeiten des Auf- und Abschlages gleich sind, was besonders bemerkt wirkt, und letztere Komponente p1 treibt die Fläche seitlich ab, weil sie bei jedem Schlage gleich gerichtet wirkt, somit sich in dieser Richtung fortdauernd summieren. Es erübrigt noch, etwas über den Charakter dieser eigentümlichen Luftreaktionen zu sagen; ich möchte nur bemerken, dass hervorragende Flugtechniker, wie Lilienthal, mit der Behandlung dieser eigentümlichen Erscheinungen beim flügelschlagartigen Schwingen von Flächen oder auch nur beim schrägen Streichen der Luft (d. i. eine halbe Schwingung) nach den Regeln des Luftwiderstandsgesetzes zu keinem richtigen Resultate gelangen konnten. Heinze erwähnt in seinem letzten Aufsätze (D. p. J. 1899 314 14) die Langley'schen Versuche mit schräg fallenden Flächen, welche eine so auffallende Sinkverminderung zeigen, dass diese nicht mehr mit den vorhandenen Mitteln erklärt werden können. Lilienthal stellt in seinem Werke: „Der Vogelflug“ die Behauptung auf, dass schlagartig bewegte Flächen den 9- bis 25fachen Widerstand geradlinig und gleichmässig bewegter Flächen empfangen; der Flügelschlag bei fortschreitender Bewegung des Vogels ist aber nichts anderes, als ein abwechselnd schräges Streichen der Luft. Lilienthal führte diese Thatsache auf die angeblich bessere Ausnutzung der Trägheit der Luft zurück, und empfahl diesen Vorteil als besonders wichtig für die Wahl des richtigen Flugsystems. Lössl fand dasselbe, und sah sich gezwungen, zur theoretischen Erklärung dieser Erscheinung eine durch das Fortschreiten der Fläche ideale Flächenverbreiterung (?) anzunehmen. Heinz sucht die Erklärung des Phänomens in der Reaktivkraft, eine Kraft, die von Masse und Geschwindigkeit der Fläche gerade so abhängig bleibt, wie der Widerstand der Luft seinerseits. Nun ist oder kann die Masse und die Geschwindigkeit der Fläche so klein als möglich genommen werden beim praktischen Versuch, und trotzdem ist die Erscheinung um so auffälliger wahrzunehmen; ich komme übrigens auf die Heinz'sche Reaktivkraft, die nichts anderes sein soll, als eine ins Positive übersetzte Negativkraft, die eigentlich richtig weder Aktion noch Reaktion sein kann, sondern richtig mit dem Namen „Passion“ bezeichnet werden sollte. Das Wesen dieser Erscheinung kann nur in dem eigentümlichen Verhalten und Wirken des Flugmittels gefunden werden, und ich setze zur Erklärung dieses Wesens noch einmal die drei Grundgesetze der Luftspannung voran. 1. Jede flugfördernde Reaktion des Flugmittels beruht im Wesen auf Veränderung des elastischen Zustandes der Luft in der Weise, dass ein differentes Spannungsgleichgewicht geschaffen wird, welches nach einem Ausgleiche strebt. 2. Jeder Ausgleich erfolgt von Orten höherer Spannung zu Orten tiefer Spannung (d. i. unter normal); eine Verhinderung dieses Ausgleiches durch eine in der Ausgleichsrichtung liegende Fläche verursacht einen Entspannungsdruck oder eine elastische Repulsion gegen die Fläche, die am grössten ist in der kürzesten Verbindung des Spannungs- mit dem Entspannungsmittelpunkte. 3. Je länger der Ausgleich hinausgezogen oder verhindert wird durch geschickte Ableitung der gespannten Ausgleichsmassen vom Entspannungsraum, desto länger und daher desto stärker sind die Repulsionen; umgekehrt sind aber auch nur so lange Repulsionen möglich, so lange noch Spannungsdifferenzen vorhanden, d.h. so lange der Ausgleich nicht vollzogen ist. Endlich wäre noch eine Folgerung, welche sich direkt aus diesen drei Grundgesetzen ergibt, ein für allemal festzuhalten., weil gerade diese Folgerungen charakteristisch sind für den physikalischen Vorgang als solchen. Die Wirkungen der Repulsionen können nur stossartig, d.h. abgesetzt und wiederkehrend, nie aber von unbeschränkter Dauer sein, weil 1. wie schon früher gesagt, ein gewisses, von der Fläche noch erfasstes Luftquantum nicht unbeschränkt gespannt werden kann; 2. eine Entspannung nur so lange möglich ist, selbst bei vollkommenster Verlängerung des Ausgleiches, als noch Spannungsdifferenz vorhanden ist. Diese wesentliche Eigenschaft der Luftreaktion ist eben der Grund, aus welchem das Wechseln der Flügelaktionen in entgegengesetzten Richtungen oder das Hin- und Herschlagen und Aufsuchen neuer noch ungespannter Luftmassen zu jeder rationellen und erfolgreich sein sollenden Flügelaktion notwendig ist. Hält man sich diese Grundgesetze vor Augen und betrachtet man die Vorgänge nach Fig. 2. so sieht man, dass die Fläche in Fig. 2 durch das gleichzeitige Abtreiben der Fläche nach der Seite und durch die Drehung um die Achse ein Minimum von zunehmender Längenerstreckung hinter sich frei machte, inwelches die vor der Fläche gestauten und gespannten Luftmassen einstürzen. Der Spannungsausgleich von Fig. 1 a hat sich also in Fig. 2 a auf den 2-, 3-, 4-, 5fachen längeren Weg von Schwingungslage 1 zu 2, 3 u.s.w. verteilt, und da während dem Abtreiben der Fläche auf dem ganzen Wege neue Luftmassen gespannt wurden, so ergibt sich daraus die gleiche mittlere Spannungsdifferenz von früher, welche den 2-, 3-, 4-, 5fachen Weg gewirkt hat. Man kann also sagen, dass die erhöhte Dauer einer und derselben Wirkung durch das geschickte erzwungene Vorhalten der ursprünglich vorhandenen Spannungsdifferenz erreicht wurde. Der Druck wächst also in demselben Grade als die Weglänge, um welche die Fläche wieder durch den Seitendruck selbst (also ohne Arbeit des Fliegers)Es wird ausdrücklich bemerkt, dass der Arbeitsweg der Hand z.B. derselbe bleibt, wie in Fig. 1; dem Seitendruck hat die Hand keinen Gegendruck zu leisten, weil ja das Fliegen darin besteht, dass die Fläche vor dem Seitendrucke flieht, d.h. sich ihm unthätig überlässt. Man sieht, wie fein das Sprachgefühl des Volkes ist, dass es einen mechanischen Vorgang so treffend bezeichnet, ohne den Vorgang selbst erklären zu können. abgetrieben wird. Also Druck verstärkt den Druck, das ergibt ein beschleunigtes Wachstum, Generation, dessen Grenze nur dadurch bestimmt ist, dass mit der zunehmenden Verlängerung der Entspannungsraume und der zunehmenden Fliehbeschleunigung der Fläche bei gleichbleibender Ausschlagweite eine Verflachung und damit ein Schwinden des Entspannungsraumes in der Schlagrichtung vor sich geht. Die Fläche muss dann wieder durch eine Verzögerung der Fliehbeschleunigung ein relatives Verbreitern des Entspannungsraumes einleiten, damit der Spannungsgenerationsprozess von vorn beginnen kann. Fig. 3 b zeigt endlich eine analoge Erscheinung wie Fig. 1 b, die aber vorläufig noch nicht ganz sicher experimentell festgestellt werden konnte, aber wahrscheinlich bei sehr raschem Schwingen auftritt. Ich vermute, dass durch das rapide Auswerfen der gespannten Luftmassen ein Ueberfliessen und Zusammenfliessen mehrerer hintereinander folgender Strömungen stattfindet, wenn die Zeit zum vollkommenen Ausgleiche wie bei Fig. 1 b nicht abgewartet wird. Meine diesbezüglichen Versuche werden nicht mehr mit Rauch vorgenommen, sondern mit langen Seidenfaden, die vermöge ihrer grossen Leichtigkeit schwebend, hinter der Fläche verlaufende Wellenschwingungen anzeigen. Es sei nur kurz noch eine Messung der Zugkraft einer soeben beschriebenen Spannungsgeneratorfläche erwähnt. Die Klappe wurde mittels eines Drahtzuges, dessen festes Ende mit einer Federwage verbunden war, am Abtreiben gehindert, und wurde die Kraft, welche diese Bremsung beanspruchte, durchschnittlich 4 bis 6 kg, je nach der Grösse des Ausschlages, gemessen: das war also eine Fläche von beiläufig 40 bis 60 qcm Flächeninhalt. Ich bin aber der Ueberzeugung, dass eine Fläche, welche einem wirklichen Abtreiben überlassen, und dann plötzlich gebremst wird, wie schon gesagt, ein Vielfaches im Verhältnisse des beschleunigten Abtriebweges ergeben muss: solche Messungen sind aber am besten gleich mit richtigen Flugapparaten, deren Konstruktion ich in dem Heftchen „Die Windflugmaschine“ vorgezeichnet, vorzunehmen. An der Ausführung hinderten mich bisher pekuniäre Verhältnisse; ich bin aber überzeugt, dass ich diese mit der Zeit, vielleicht durch Mithilfe bemittelter Personen, überwinden werde, sobald es mir gelungen sein wird, die durch zahlreiche Versuche gewonnene Vorstellung auch in anderen Köpfen zu erwecken. Möge diese Abhandlung dazu beitragen.